
Haus 11 – Mehrfamiliendoppelhaus mit flexibler Nutzung, ARSP Architekten, Reutlingen. (Foto: ARSP Architekten)
2022 wurden zwar insgesamt die Klimaziele erreicht, im Bereich Gebäude und Verkehr allerdings verfehlt. Zu zögerlich wird angepasst und verändert. Zuletzt hat die von Halbwahrheiten und Polemik bis ins Groteske verzerrte Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz die Schlagzeilen bestimmt, die sich auf die Frage der Heizung konzentrierte. Doch die Diskussionen müssen darüber hinausgehen. Ein Gespräch mit Tilo Kurtz und Matthias Maier über Bestand und Neubau, Hülle und Gebäudetechnik und über die Frage, wie Verantwortung wahrzunehmen mit geltenden Gesetze und Verordnungen möglich sein kann.
Tilo Kurtz studierte Jura und Philosophie, er war bis Ende Februar 2023 Referatsleiter für Energieeffizienz von Gebäuden im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und ist nun Referatsleiter Grundsatzfragen der Energiepolitik bei Umweltministerium Baden-Württemberg.
Matthias Maier ist Architekt und Partner von ARSP Architekten. Seit 2023 unterrichtet er konstruktives Entwerfen an der Hochschule Darmstadt. Er hat als Planer und Mitbauherr das Haus11 errichtet.
2022 wurde eine Hälfte des Doppelhauses Haus11 mit dem Effizienzpreis Bauen und Modernisieren des Landes Baden-Württemberg in der Kategorie Neubau Mehrfamilienhaus/Geschosswohnungsbau ausgezeichnet. In der anderen, baulich identischen Doppelhaushälfte werden die drei möglichen Einheiten von zwei Parteien genutzt. Als Zweifamilienhaus konnte es nicht am Wettbewerb teilnehmen, hält jedoch die lokalen Stellplatzforderungen ein.
In den letzten Wochen wurde vor allem über die Haustechnik diskutiert – eben die Frage, welche Heizung wie betrieben wird. Dabei bleibt das Gebäude selbst außen vor. Das greift allerdings zu kurz. Wie kommen wir zu langfristig stabilen Modellen, um auch im Gebäudebereich die Klimaziele zu erreichen? Für viele Architekten hat die Maxime »einfach bauen« eine hohe Attraktivität. Ist das ein geeigneter Weg?
Tilo Kurtz: Ich persönlich habe viel Sympathie dafür, intensiver einen low-Tech Ansatz zu verfolgen. Wir haben als maßgebliche Randbedingung einerseits die Gebäudehülle und andererseits die Anlagentechnik. Ich bin sehr dafür, eine hohe Qualität der Gebäudehülle anzustreben, um uns auf Seiten der Anlagentechnik nicht zu sehr auf die Raffinesse der Technik verlassen zu müssen. Es muss das Ziel sein, dass das Haus grundständig einen überschaubaren Energiebedarf hat. Nach meinem Kenntnisstand ist ein Effizienzmaßstab angemessen, der deutlich höher ist, als es heute vorgeschrieben ist. Ich halte es für klug, die Gebäudehülle stärker in den Blick zu nehmen, die ist langlebig, resilient, robust, und dann mit etwas weniger anlagentechnischem Aufwand den Energiebedarf zu decken. Wenn die Gebäudehülle sehr gut ist, kann man mit einer Wärmepumpe oder Niedertemperatur aus externen Fernwärme ein Gebäude beheizen. Wo genau die Effizienzanstrengung an eine wirtschaftliche Grenze stößt, das hängt von den Rahmenbedingungen ab, der Energiepreise vor allem, die immer nur prognostisch gesetzt werden können und mit einer erheblichen Unsicherheit verbunden sind. Aber die Energieeinsparung, die heute mit einer effizienten Gebäudehülle erzielt wird, die ist sicher. Es besteht dann weiterhin ein gewisses Maß an Energiebedarf, der mit einem hohen Maß an Elektrifizierung gedeckt werden sollte.
Matthias Maier: Die effiziente Hülle ist in der Tat wichtig und zumindest im Neubau auch einfach zu lösen. Das Problem liegt aber in den konkreten Details. In Baden-Württemberg besteht seit letztem Jahr eine PV-Pflicht für Neubauten. Das sind aus meiner Sicht fast die Eulen, die nach Athen getragen werden. Sie finden derzeit kaum einen Bauherren, der nicht von sich aus PV aufs Dach montieren lässt und bereit ist, auch Geld dafür in die Hand zu nehmen. Aber was passiert dann mit dem erzeugten Strom? In Haus11 ließe sich der lokal produzierte Strom direkt von den Bewohnerinnen nutzen, ohne dass zusätzliche Kabel, Trassen oder Verteilerkästen gebaut werden müssten. Doch die Regelungen zum Mieterstrom sind so komplex und auf die Energieindustrie ausgerichtet, dass es wenige Möglichkeiten gibt, den Eigenstrom im Gebäude selbst zu nutzen. Bei einer Info-Veranstaltung der Architektenkammer zur PV-Pflicht erklärten mir die Experten, das einfachste wäre, den Strom zu verschenken. Nun nutzen wir den Strom nur für die Heizung, und die Einspeisung ins Netz ist auf 70 Prozent der möglichen Leistung gedrosselt.
Gleichzeitig gäbe es ja auch noch die Möglichkeit des V2H, des Vehicle to home. Hier könnte die Autobatterie als Speicher genutzt werden, auf den wir zugreifen, wenn die PV-Anlage keinen Strom produziert, das Auto aber vor dem Haus steht. Die Technologie ist einfach und auch dazu bräuchte es keine neuen Leitungen. Aber solches bidirektionales Laden geht bei uns nicht. Auf Nachfrage bei deutschen Automobil- und Solarherstellern wird erklärt, dass dafür die staatliche Vorgaben fehlen. Es ist durchaus nicht so, dass die Firmen das nicht könnten. Aber die Verantwortung wird abgeschoben.
Tilo Kurtz: Es ist eine Frage der Perspektive: sehe ich das Glas halbvoll oder halbleer. Auf einem Energiekongress im November 2019 hatte die damalige Umweltministerin Svenja Schulze eine CO2-Bepreisung ins Spiel gebracht, der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier lehnte es ab, darüber überhaupt nur zu reden. Aber schon im November 2020 hatten wir dann das Bundesklimaschutzgesetz und den CO2 Preis, der im Januar 2021 in Kraft trat. Es stimmt, das hätte man schon 1992 einführen können – 1988 erschien bereits ein Buch von Hans G. Nutzinger und Angelika Zahrnt, das den Vorschlag einer ökologischen Steuerreform enthielt, deren Aufkommen zur Finanzierung der Altersrenten beitragen sollte, um Beitragssatzerhöhungen zu vermeiden. 1988!
Aber das heißt doch, dass es zu lange dauert, bis umgesetzt wird, was uns weiterhilft. Wie kommen wir dahin, dass schneller umgesetzt werden kann, was möglich ist?
Tilo Kurtz: Wir sind uns einig, wir sind eine sehr regelorientierte Gesellschaft und wir regulieren unser Zusammenleben sehr stark über Recht. Es gibt auch andere Mechanismen, Öl und Gas über die CO2-Bepreisung zu verteuern und so den wirtschaftlichen Druck zu erhöhen. Oder über Förderung dazu zu motivieren, auf energieeffiziente Bauweise zu achten. Aus meiner Sicht muss es beides geben: habhaftes Recht mit finanzieller Flankierung, sowohl Druck über die CO2-Bepreisung als auch eine möglichst zielgerichtete Förderung.
Ja, wir könnten konsequenter sein. Wir dürfen heute nicht Häuser bauen von denen wir schon wissen, sie sind nicht klimaneutral, das kann nicht wahr sein. Aber wir sehen ja auch, was passiert, wenn das Tempo hoch ist. Die Anforderung von 65% erneuerbarer Energie beim Heizungstausch im aktuellen GEG-Entwurf ist eine gewaltige Geschichte, die auch den Bestand betrifft. Mit einer Überarbeitung auf der Basis der europäischen Gebäuderichtlinie, die voraussichtlich im Herbst verabschiedet wird, wird bald die Anforderungsgröße umgestellt auf Treibhausgase und nicht mehr wie bisher auf Primärenergie. Man wird Mindestenergiestandards für Bestandsgebäude einführen. Ein Haus der Effizienzklasse G oder H wird man bis 2030 auf Klasse D bis 2040 auf Klasse B bringen müssen.
Gebäudehülle sollte höher gefördert werden
Nochmal zur konkreten Direktverwendung von lokal erzeugtem Strom. Warum wird hier wird etwas, das sinnvoll ist, erschwert?
Tilo Kurtz: Da hat sich schon was verbessert, in dem man bei der Eigennutzung im EFH die Umsatzsteuer-Verpflichtung bis zu einer gewissen Größe abgeschafft hat und auch beim Mieterstrom gibt es gewisse Erleichterungen. Aber da muss mehr geschehen. Auf dem Gebäude erzeugten Strom im Gebäude selbst oder in der Nachbarschaft zu verbrauchen, ist ein wichtiger Ansatz. Wir brauchen eine Maximierung des gebäudenahen Stroms, der den Wert hat, dass er im Gebäude verbraucht wird, da dann zumindest anteilig die Leitungsinfrastruktur gespart wird. Dementsprechend ist es richtig, so zu steuern, dass es finanziell attraktiv ist.
Sind die Regeln zu eng gefasst, zu wenig auf das Ergebnis gerichtet?
Tilo Kurtz: Die Frage ist doch, wie sich die Regeln nachvollziehen lassen. Ob auf der Wand 10 oder 20 Zentimeter Dämmstoff sind, lässt sich einfach kontrollieren. Aber schon die Berechnung des Energieverbrauchs eines Gebäudes ist komplexer, und es gibt schon viel mehr Spielraum zu kontrollieren. Es wäre die konsequentere Vorgehensweise, die ist aber natürlich aufwändiger. Die Berechnung muss einer Kontrollinstanz vorgelegt werden, die muss gegebenenfalls nachhaken und intervenieren. Das wäre von der Sache her sinnvoll, braucht aber enorme Personalressourcen.

Und der Bestand? (Bild: pxhere)
Orientieren wir uns im Bauen immer noch zu sehr am Neubau, wird zu sehr gehofft, mit Neubau die Herausforderungen zu bewältigen?
Tilo Kurtz: Auch hier sollte man nicht übersehen, was bereits passiert. Die Neubauförderung ist mehr oder weniger eingedampft auf eine Milliarde Euro, die große Masse der Finanzmittel geht in die Förderung der Sanierung — 13 Milliarden. Bei den Einzelmaßnahmen hat man die höheren Fördersätze bei der Anlagentechnik – Heizungen – während die Einzelmaßnahmen an der Gebäudehülle nur noch bei 15 Prozent liegen – das halte ich für fragwürdig.
Den Heizungstausch muss man sowieso irgendwann vornehmen. Die Wärmepumpe ist deutlich teurer als die Gasheizung, aber sie amortisiert sich gegenüber der Gasheizung, wenn sich das Preisverhältnis zwischen Gas und Strom durch CO2-Bepreisung in ordentlicher Höhe zugunsten des Stroms verbessert. An der anderen Stellschraube per Förderung zu drehen, also die Gebäudehülle zu verbessern, ist sehr viel wichtiger: Wir brauchen die Effizienzverbesserung, weil die Menge der verfügbaren erneuerbaren Energie begrenzt ist. Ich habe keine nachvollziehbare Begründung dafür gefunden. dass man nun die Förderung noch weiter als ohnehin schon zu Lasten der Gebäudehülle differenziert. Im Gebäuderecht ist es tatsächlich so, dass die Diskussion sich stark auf den Neubaustandard fokussiert, der nicht die Masse des Energiebedarfs ausmacht. Aber der Neubau setzt den Maßstab. Wenn wir uns um Bestandsgebäude kümmern, schauen wir immer auch auf den Standard für den Neubau. Als Referenz ist er wichtig. Aber von der Sache her ist entscheidend, welche Vorschriften für Bestandsgebäude gemacht werden. Deswegen ist es elend, wenn schon für den Neubau mediokre Standards gelten, dann wird man den Altbau nicht substanziell verbessern. Der Neubaustandard muss wirklich gut sein, damit beim Bestand Abstriche gemacht werden können.
Wer übernimmt die Verantwortung?
Matthias Maier: In meiner Wahrnehmung werden die Regeln immer komplexer. Das ist aber nicht nötig. An der TU München wurde beispielsweise durch Vergleichsbetrachtungen unterschiedlicher Sanierungsmaßnahmen gezeigt, dass man am wirksamsten Energie spart, wenn über einen Sensor geregelt wird, dass die Heizung ausgeht, wenn das Fenster geöffnet wird.
Tilo Kurtz: Als Architekt oder Architektin sind Sie – auch – Energieberater, und wenn sie es nicht sind, sind sie Energieverschwender. Jedes Individuum hat an seiner Stelle seine Verantwortung, als Planer, als Beraterin, in der Politik, als Individuum. Es spielt in einem energieeffizienten Gebäude keine entscheidende Rolle, ob ich bei 14 oder bei 20 Kwh/m2a liege. Aber wenn ich in einem supergedämmten Haus die Fenster offenhalte, ist das alles umsonst. Auch die verhaltensbedingten Anteile müssen angesteuert werden. Umgekehrt ist es so, dass die Erwartungshaltung dominiert: Die Politik muss es regeln. Und schlimm genug, die Politik zieht sich diesen Schuh an, indem sie die Botschaft verbreitet: Macht euch keine Sorgen, wir kümmern uns! Da werden die Leute entmündigt und aus ihrem Anteil an Verantwortung entlassen. Es ist nicht verkehrt, bei kurzfristig exorbitant ansteigenden Preise als Gemeinschaft die zu unterstützen, die sonst überfordert wären. Aber langfristig müssen wir andere Wege gehen.
Matthias Maier: Es ist nicht so, dass die Menschen keine Verantwortung übernehmen. Wir haben Nutzerinnen und Bauherrin überzeugt, ein nachhaltiges Gebäude zu bauen. Aber ich kann die Infrastruktur, die weit mehr ökologisch und klimaneutral sein könnte, nicht vollständig nutzen, weil es Regelungen gibt, die mir das verbieten. Ich baue wenige große Wohnungen, weil ich den kommunalen Stellplatzschlüssel nicht einhalten kann, wenn ich viele kleinere baue. Wenn ich Verantwortung wahrnehmen will, muss ich die Regeln brechen.
Umgekehrt gibt es aber keine Schnittstelle von Automobilherstellern zum Haus. Die Verbände sagen, der Staat muss es regeln, sonst können wir das nicht anbieten. Hier stellt sich die Frage nach der Verantwortung doch auch! Eigentlich wollen wir nur, dass man es uns nicht schwerer macht, als anderen.
Tilo Kurtz: Es müssen alle Seiten ihre Verantwortung wahrnehmen. Nur dann kommen wir weiter.