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Groß, glücklich und jetzt? Die Bedeutung des Bestands für eine umfassende, energetisch und (bau-)kulturell ambitionierte Architektur- und Stadtentwicklung wächst und wächst. Um so wichtiger wird es, mit Vor- und Falschurteilen zu Bauten aller Zeiten aufzuräumen. „Suddenly wonderful“ weist als Ausstellung einen weiteren Weg des Wertewandels, konkret an Beispielen von „Berliner Riesen“.

oben: Humboldt-Biosphäre – International Climate Campus, 2019-2023 (© Roland Böving und Christina Neuner)
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M.ICC Mobility Innovation Congress Center, 2019 (© GRAFT GmbH, Berlin)

Große Gefühle für große Gebäude wachsen besonders großartig, wenn diese wie der Mäusebunker in Berlin-Steglitz gefühlt schon fast verschwunden waren. Aus dem drohenden Abriss ist gerade noch rechtzeitig der rechtsgültige Denkmalschutz geworden. Glückwunsch! Für Liebhaber war der Denkmalwert dieses Beton-Bruties schon lange offensichtlich. Doch das machte das Nachgrübeln über seine angemessene – denkmalgerechte wie finanzierbare – Nachnutzung nicht leichter. Da kann ein öffentlichkeitswirksamer Liebesbeweis ja nicht schaden, wie er in der feinen kleinen Ausstellung „Suddenly Wonderful“ in der Berlinischen Galerie gerade einigen der West-Berlin Großbauten der 1970er-Jahre zuteilwird (https://berlinischegalerie.de/ausstellungen/vorschau/suddenly-wonderful/). Neben dem Mäusebunker, über dessen Zukunft im Rahmen eines Modellverfahrens (https://www.modellverfahren-maeusebunker.de/) intensiv nachgedacht wird, erfährt auch das ICC gerade besonders viel Denkmalliebe. Welche Zukunft kann man aus dem zauberhaften alten Silberkasten herausholen? Wie schön das Haus bis in die Details ist, zeigen zwei großformatige Fotografien von Matthias Hoch. Am liebsten würden „Something Fantastic“ und „Bureau N“ das ICC als Gesamtkunstwerk von Architektur, Design und Technik erhalten und neben Kunst und Kultur dort eine Serverfarm unterbringen. Oder sollte man den Berliner Riesen doch lieber von einer grünen Sphäre überwuchern lassen (Roland Böving und Christina Neuner), wie beim englischen Eden-Project? Wasser in den Begeisterungswein gießen die Berliner Graft-Architekten, die hier neben einem Standort für E-Mobilität vor allem auf die Kontiunität der Konferenznutzung setzen. Wird das denkmalgeschützte Haus erst einmal baulich angefasst, dann wird man wohl tief in Substanz und Portemonnaie greifen müssen. Träume kosten bekanntlich nichts. Ihre Verwirklichung hingegen schon.

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Humboldt-Biosphäre – International Climate Campus, 2019-2023 (© Roland Böving und Christina Neuner)

Solche Bedenken zur Wirtschaftlichkeit im Umgang mit den Berliner Riesen schmälert aber nicht das freudige Wiedersehen mit einem vielfältigen Kapitel zur Baugeschichte der Stadt aus einer Zeit, als Zukunft und Moderne noch einen positiven Klang besaßen. Gleich auf der Eingangswand zur Ausstellung wird ein ganzes Feuerwerk von Großbauten gezündet, die inzwischen alle in die Jahre gekommen sind. Dazu zählt auch mein ganz persönlicher Liebling, die großartige ehemalige Mikrobiologie von Fehling Gogel, gleich gegenüber dem Steglitzer Mäusebunker. Dass einem die Liebe zu den Berliner Riesen nicht nur Liebeskummer verursachen sollte, sondern viel Spaß machen kann, zeigen Tracey Snellings wunderwitzige Objekt-Video-Werke. Da knabbern sich die Mäuse auf kleinen Bildschirmen durch ein Modell des Mäusebunkers und in einem originalroten Modell des vieltraktierten und leider schon lange vor sich hin bröckelnden Steglitzer Bierpinsels gibt es sogar auf einem kleinen Bildschirm ein Wiedersehen mit einem bereits vor Jahr und Tag abgerissenen Riesen: dem Ku-Damm-Eck von Werner Düttmann. Die Liebe zu den Großbauten als Zukunftsressource bietet das ideale Kontrastprogramm zu der aktuell wiederaufkeimenden Berliner Altstadtliebe, die sich drohend wie eine baukulturelle Gewitterfront über dem Marx-Engels-Forum aufbaut. Welches Kompositionspotential die Zeugnisse der späten bis brutalistischen Berliner Moderne haben, zeigt gleich zum Auftakt der empfehlenswerten Ausstellung eine großformatige Arbeit (2008) von Beate Gütschow, die zwischen Wirklichkeit und Fiktion eine ganz eigene Stadtlandschaft komponiert hat. Wie eine erfolgreiche Annäherung und Auseinandersetzung an die Berliner Riesen aussehen könnte, zeigen Schüler der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule mit Fotoserie und Filmarbeit. Verlässt man die Ausstellung, fühlt es sich an, als wäre man dort mit zahllosen Liebestropfen für die Großbauten der West-Berliner Moderne genährt worden.