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Bauen im Bestand ist nicht allein eine bautechnische, formal-entwurfsstrategische Frage. Wenn es – wie im Fall der Alfred Toepfer Stiftung in Hamburg – um eine Institutionsgeschichte geht und eine Haltung zu Werken und Personen zu entwickeln ist, stellen sich weiter reichende Fragen. Wie positionieren sich Architekten dazu? Die Auseinandersetzung mit dem Bestand öffnet bei der Alfred Toepfer Stiftung einen kulturellen Horizont jenseits der Neubauthemen.

Architekten: Cattau Architekten

Ein Suchbild: Am Elbhang steht das Haus der Toepfer-Stiftung mit Fledermausgaube in oberer, zweiter Reihe. (Bild: Jakob Boerner)

Elbchaussee, Hamburg, „richtige“ Seite, also die zur Elbe. Hier steht das rote Backsteinhaus der Toepfer-Stiftung hinter einer Mauer mit rot-gelben Rauten als Backsteindekor. So spektakulär das Hanggrundstück mit Elbblick ist, so bodenständig kommt das doppelgeschossige Elbehaus mit seinem Walmdach daher. Das passte zum Bauherrn Alfred Toepfer (1894-1993).

Die privilegierte Lage des Hauses bietet den Blick auf Elbe und Hafen. (Bild: Jakob Boerner)

Die privilegierte Lage des Hauses bietet den Blick auf Elbe und Hafen. (Bild: Jakob Boerner)

Alfred Toepfer

Wer die biographischen Texte über den wirtschaftlich überaus erfolgreichen Hamburger Kaufmann studiert, stößt auf ein ambivalentes Bild eines konservativen Menschen, dem Heimat und Natur, aber auch völkische Werte wichtig waren.1) Übertriebene Repräsentation, gar Protz waren nicht seine Sache. Das von dem Architekten Max Zoder 2) entworfene Haus, das Toepfer 1937 für seine Eltern bauen ließ, kommt in traditionellem Duktus daher. Vermutlich war Alfred Toepfer die Lage dabei wichtiger als das Bauwerk. Mehr Sein als Schein. Intensiv hat sich die Toepfer-Stiftung mit der Biografie ihres Stifters auseinandergesetzt, seine Rolle und Verbindungen im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit erforscht und öffentlich gemacht.3) Weder politisch noch architektonisch war Toepfer ein Anhänger der „Avantgarde“. So konservativ seine Haltung war, so „gediegen“ nahm sich sein Geschmack aus.

Die Zugangsseite der Toeper-Stiftung (Bild: Jakob Boerner)

Die Zugangsseite der Toepfer-Stiftung (Bild: Jakob Boerner)

Der Bestand

Das spiegelt sich in der Architektur des Elbehauses. Die Fassade zur Elbchaussee präsentiert sich in schlichter Symmetrie der Fensteranordnung. Der Eingang mit der weißen Haustüre wird von einem dünnen Natursteingewände eingefasst, das ein zeittypischer gedrückter Korbbogen abschließt. Zwischen die vier Gläser des Oberlichts der Tür ist eine Art Laterne eingeschoben. Wer je im Gästehaus der Toepfer-Stiftung auf Gut Siggen4) war, der wird das Motiv wiedererkennen.
Toepfers Eltern wohnten nur kurze Zeit in dem Haus. Alfred Toepfer persönlich nie. Nach dem Krieg stellte er das Elbehaus der Hansestadt als Gästehaus zur Verfügung. Das passte zur ausgeprägten Stiftertätigkeit des Unternehmers. So verlieh seine Alfred-Toepfer-Stiftung F.V.S. sowohl den Fritz-Schumacher-Preis in Erinnerung an den legendären Oberbaudirektor, der Hamburgs Aufbruch in die Moderne geprägt hat, als auch die Heinrich-Tessenow-Medaille. Deren Namensgeber entwarf unter anderem das ikonische Festspielhaus in Dresden-Hellerau. Tessenow, gebürtiger Rostocker, steht für eine handwerklich geprägte Moderne, die die Kontinuität suchte, nicht den radikalen Bruch. So wäre Tessenow als Architekt des Elbehauses ebenfalls gut vorstellbar gewesen.

Die neue Gartnseite des Stiftungsgebäudes (Bild: Jakob Boerner)

Die neue Gartenseite des Stiftungsgebäudes (Bild: Jakob Boerner)

Die Hamburger Hausgäste nach 1945 waren illuster. Der erste Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik, Konrad Adenauer, war hier ebenso zu Gast wie 1953 Thomas Mann. Jener Thomas Mann, der aus dem Exil zurückkommend, zunächst in Hamburg weilte und erst später seine Geburtsstadt Lübeck besuchte. Ein Foto zeigt Mann im Garten der Villa, die eher einem Landhaus gleicht. Hinter ihm fließt der ruhige Strom der Elbe. Von dem geschäftigen Containerhafen, den es heute dort gibt, sah man damals noch keine Spur. Auch der Reeder Toepfer beförderte zu jener Zeit seine Waren noch als Schütt- oder Stückgut. Der Siegeszug der Container setzt erst in den 1960er-Jahren ein.
Von der Einrichtung des Hauses, die der Literaturnobelpreisträger bei seinem Hamburg Aufenthalt nutzte, hat sich fast nichts erhalten. Sie ist 2021 einem Wasserschaden zum Opfer gefallen.

Der Veranstaltungsraum lässt sich flexibel und vor allem öffentlich nutzen. (Bild: Jakob Boerner)

Das großzügige Atelier lässt sich für verschiedene „artists in residence“ flexibel nutzen. (Bild: Jakob Boerner)

Neunutzungen

Damals gab es bereits die Pläne der Stiftung, das Haus aufzufrischen und für Veranstaltungen zu öffnen. Zwar war eine solche öffentliche Nutzung für das einstige Gästehaus des Senats nicht gerade etwas Neues. Den Nachbarn aber, die ihre eigenen Grundstücke bereits üppig überbaut hatten, gefiel die Idee weniger. Eine öffentliche Nutzung für Konzerte und Lesungen wurde gerichtlich unterbunden. Das ist wichtig zu wissen, weil die ursprüngliche Umbauplanung der Hamburger Cattau-Architekten für das Haus dennoch beibehalten wurde. Anstatt das alte Haus zu entsorgen und es durch ein möglichst großes neues Bauvolumen auf dem Grundstück zu ersetzen, was leider die Regel bei einem solchen Elbblick ist, entschied sich die Stiftung für den behutsamen Erhalt und die zurückhaltende Ergänzung auf der Gartenseite des Elbehauses mit seinen Panoramafenstern. Zusätzlich haben Cattau Architekten dem Haus dort eine „Schublade“ als neues Sockelgeschoss – in den Hang hinein – untergeschoben.

Seitlicher Eingang zum Garten (Bild: Jakob Boerner)

Seitlicher Eingang zum Garten (Bild: Jakob Boerner)

Gegliedert in einen gläsernen und einen geschlosseneren Baukörper, wird das neue Volumen klar modelliert. Durch eine abgerundete Ecke erhält es zusätzlich hanseatischen Schwung. Die Handschrift vor allem des großzügig verglasten Bauteils erinnert nicht von ungefähr an den bezaubernden Pavillon von Auer und Weber (München) auf Gut Siggen 5), der 2011 mit einem Preis des Bundes Deutscher Architekten ausgezeichnet wurde. Die Ausführung lag auch dort in den Händen von Torsten Cattau.

Bibliothek für die Gäste der Stiftung (Bild: Jokob Boerner)

Bibliothek für die Gäste der Stiftung (Bild: Jokob Boerner)

Der Umbau

Wer das Elbehaus heute betritt, den leitet der neue Natursteinboden hinter einer von dunklen Stahlprofilen gefassten Glastür fast soghaft zum Abgang in das neue Untergeschoss. Gleich rechts des Eingangs schließt sich am alten Standort eine neue Küche an. Linker Hand führt eine Treppe ins Obergeschoss. Dort sind zwei zweckmäßige Apartments eingerichtet worden. Kuratiert durch die Stiftung, werden hier künftig jeweils für einige Wochen oder Monate Stipendiaten wohnen, um Zeit und Raum für ihr Schaffen zu finden. Zwischen den Apartments ergänzt ein gemeinsames Arbeitszimmer zum Garten das Raumprogramm. Das Dachgeschoss ist der Wohnung der Hausdame vorbehalten. Im Erdgeschoss schließt sich links der neuen Treppe mit ihrer gläsernen Brüstung die Bibliothek an. Dunkle Regale, Eichenparkett. Die zurückhaltende Farb- und Materialregie prägt diesen schönen Aufenthaltsort mit Elbblick. Als Reminiszenz an die Vergangenheit steht ein Kamin im Zimmer. Zwei Erinnerungsstücke prägen auch das Besprechungs- beziehungsweise Esszimmer, das sich auf der anderen Treppenseite anschließt. Den Einbauschrank aus heller Eiche ziert eine Intarsienarbeit des stämmigen Leuchtturms von Neuwerk, der Insel vor der Elbmündung im Wattenmeer. Wie einen Nachklang des Art déco hängt über der großen Tafel eine Lampe mit Messingeinfassung, Milchglas und abgerundeten Ecken.

Exzellent detailliert fürht die Treppe auf das Gartenniveau. (Bild_Jakob Boerner)

Exzellent detailliert führt die Treppe auf das Gartenniveau. (Bild: Jakob Boerner)

Die neu eingefügte, zentrale Treppe leitet hinab in das Sockelgeschoss. Ursprünglich war es für kleine öffentliche Veranstaltungen gedacht. Nun hat hier ein drittes Apartment Platz gefunden. Schiebetüren gliedern es in unterschiedlich große Areale. Wer hier wohnt, kann auch das großzügige Zimmer mit seiner weiten Glasfront nutzen. Es bietet Raum zum Musizieren, zum Schreiben oder für anderes künstlerisches Wirken, mit weitem Blick auf Garten und Elbe. Oder einfach nur, um seine Gedanken wie den Fluss auf die Reise in die Welt schweifen zu lassen.
Das alles fügt sich elegant zum Ganzen, so qualitätvoll in Materialien wie in der Ausführung.

Daher lohnt ein zweiter Blick auf die Details: Etwa auf die schöne Garderobe aus Holz in einem der Apartments, die skulpturale Qualitäten besitzt. Oder auf die schlanken Handläufe aus Stahl, deren geschwungenen Ansätze von hoher Handwerkskunst und ästhetischem Anspruch zeugen. Der Clou aber ist der Blick von der Brüstung hinab auf die Treppenstufen. Dank der geschickten Ausleuchtung zeigt sich dort eine zauberschöne abstrakte Komposition. Ein Spiel von Licht und Schatten.

Lesebereich und Tagungsraum der Stiftung liegen symmetrisch zur zentralen Erschließung. (Bild: Jakob Boerner)

Lesebereich und Tagungsraum der Stiftung liegen symmetrisch zur zentralen Erschließung. (Bild: Jakob Boerner)

Wer die Toepfer-Stiftung am Georgsplatz nahe dem Hamburger Hauptbahnhof besucht, dem begegnet gleich am Eingang das Gedicht „Alltagswunder“ der polnischen Literaturnobelpreisträgerin Wisława Szymborska, die schon zuvor, 1995, mit dem Herder-Preis der Toepfer-Stiftung gewürdigt worden war. Es scheint, als stünde das Wissen um die Kraft solcher Alltagswunder Pate für Geist und Haltung beim Umbau dieses Hauses am Elbhang.


1) Bei Wikipedia heißt es: „Während Toepfers eigene Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus bis heute umstritten ist und eine befürwortende Einstellung Toepfers zum Antisemitismus und anderen zentralen Elementen des Nationalsozialismus in den Untersuchungen einer einschlägigen Historikerkommission zurückgewiesen wird, wird seine Personalpolitik nach dem Krieg, die zur Beschäftigung ehemaliger in den Holocaust und Kriegsverbrechen aktiv involvierter Nationalsozialisten führte, einhellig kritisiert.“
Siehe die Publikation der von der Stiftung beauftragten Kommission: Georg Kreis, Gerd Krumeich, Henri Menudier, Hans Mommsen, Arnold Sywottek (Hrsg.): Alfred Toepfer. Stifter und Kaufmann. Bausteine einer Biographie. Kritische Bestandsaufnahme. Christians, Hamburg 2000

2) im Hamburger Architekturarchiv: https://www.architekturarchiv-web.de/die-bestaende/themen/index.html

Die Hamburger Denkmalliste verzeichnet von Max Zoder nur ein Mehrfamilienhaus in der Isestraße 31 von 1955 (https://www.hamburg.de/contentblob/3947936/0a5b58cc4bfb2faaa199b9b3e4d98102/data/denkmalliste-eimsbuettel.pdf)

4) https://www.toepfer-stiftung.de/wie-wir-wirken/rueckblick/zu-gast-in-siggen-werkstatt-der-erinnerung; Siggen gehört zu den ältesten Gütern in Ostholstein, dessen Geschichte bis in das Mittelalter zurückreicht. Das Herrenhaus wurde mehrfach umgebaut, die Wirtschaftsgebäude 1934 nach einem Brand neu errichtet. Alfred Toepfer erwarb das Gut mit seinen weitläufigen Nutzflächen im Jahr 1932.