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Lassen sich Architektur und Stadtplanung so mir nichts, dir nichts in Literatur aufnehmen? Taugen sie zu unterhaltsamen Themen? In einem Roman, in dem Architektur eine teils tragende Rolle spielt wie kaum zuvor, bleibt diese Frage: offen.

Jochen Schmidt: Ein Auftrag für Otto Kwant. 237 Seiten, München, C.H. Beck, ISBN 978-3-406-73376-5, 23 Euro

Schmidt_Kwant.inddOtto Kwant – der Romanheld – ist Sprössling einer Architektenfamilie in dritter Generation und gerät durch Zufall in die Realität einer globalen Berufswelt, die das Absurde in sich trägt und den „Helden“ scheitern lässt. So könnte man in aller Kürze den Plot des Romans umschreiben, der sich zwischen Architektureportage, Abenteuerroman, Burleske und Drama jeder Genre-Zuweisung entzieht.

Und nun genauer: Der Architekturstudent Otto Kwant denkt mit einiger Naivität darüber nach, wie ein Spielplatz heute aussehen sollte. Er verdient sich ein bisschen Geld damit, dass er an der Biografie des „Stararchitekten“ Holm Löb schreibt, dessen Büro „Himmels)s(turm“ heißt – wer dächte da nicht an Coop Himmelb(l)au mit seinem extravaganten Chef Wolf Prix? In anderen Rezensionen wurden Foster oder Gerkan als Referenzfiguren benannt.
Kwant begleitet nun diesen Löb auf einer Dienstreise ins ferne „Urfustan“, einen totalitären Staat, eine ehemalige russische Republik. Dort winken natürlich Aufträge, sonst reisten Stararchitekten gewiss nicht hin. Kwants Chef Löb ist wegen eines Blindarminfekts plötzlich weg, das Gepäck der beiden Reisenden ist zunächst auch verschwunden. Dabei soll in der Hauptstadt Mangana (man denkt an Astana) ein „Palast der Demokratie“ entworfen und gebaut werden – doch ohne Löb und erfahrene Helferinnen nimmt in dem fernöstlichen Land, keineswegs einer Phantasiewelt, Otto Kwants Odyssee ihren Anfang. Es verschlägt ihn auch in ein Gefängnis, mit einer Rentnerreisetruppe versucht er über die Grenze Urfustans zu kommen, dabei will er nur nachhause, um sich wieder seinem Spielplatz widmen zu können. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Fragen zur Architektur

In der ersten Romanhälfte hat man den Eindruck, dass es sich um eine Erzählung über Fragen zur Architektur in Zeiten der Globalisierung handelt, wobei der Autor außerordentlich kenntnisreich schreibt. Der Verdacht kommt auf, dass hier ein verkappter Architekturjournalist am Werk war, literarisch mutet der Autor den LeserInnen allerhand Fachsimpelei zu. Das Buch wurde im Literarischen Quartett vom 14. Juni 2019 (ab Minute 14.24) besprochen, wobei Christine Westermann eine „Marianne Schütte-Lihotzky“ googeln musste, Thea Dorn nervte die Figur Kwant als einer der „schluffigen Männer Mitte 30, die zugleich frühvergeist sind“, Volker Weidermann war den Kindheitsträumen des Kwant zugänglich – unterhaltsam ist das Buch also allemal. In der zweiten Hälfte überwiegen die Abenteuergeschichten, in die man allerlei hineininterpretieren kann.

Literatur und Profession

Nun tragen Berufe durchaus zu literarischen Genres bei. In „Arztromanen“ geht es meistens um Herz-und-Schmerz-Geschichten, die gut ausgehen, weil der Arzt als „Gott in Weiß“ nur zum Guten und Schönen der Mitmenschen handelt. Das Elend des Krankenhauswesens, schlecht bezahlte Schwestern und Pfleger, korrupte Arzt-Pharma-Sachen und so etwas bleiben dabei außen vor, sie sind der romantischen Erzählung nicht zuträglich. Indes lassen Geschichten von Bankern und Spekulanten an den entsprechenden Berufen selten ein gutes Haar: Gewissenlose Schurken, Beutelschneider und kaltherzige Strategen rücken die BankerInnen eher ins Krimi-Metier.
Architekten sind in der Literatur bei weitem nicht so präsent, aber es gibt sie (siehe auch die Rezensionen in der Randspalte). „Der ewige Quell“ (Original „The Fountainhead“ von Ayn Rand) beispielsweise erschien 1943 und wurde mit Cary Grant prominent verfilmt. Auch hier beginnt die Geschichte mit einem Architekturstudenten: Howard Roark, der talentiert ist und – wie Kwant für Löb – für einen „genialen“ Architekten arbeitet. Dieser kann aber ökonomisch dem Holm Löb aus Jochen Schmidts Roman nicht das Wasser reichen. Dem Studenten Howard Roark macht vielmehr die öffentliche Meinung zu schaffen: die Manipulation. So ließe sich Jochen Schmidts Roman im Anfang wie eine Vergegenwärtigung von „The Fountainhead“ in einer durchkapitalisierten Welt lesen, aber es kommt anders.
Kwant ist kein „Held“, er lässt sich vielmehr treiben, und das geht auch in den angedeuteten Liaisonen nicht gut. Der Roman, und das macht ihn literarisch merkwürdig, aber nicht langweilig, zerfällt in zwei Teile, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Statt mit Architektur hätte der Roman mit Gedanken zur Medizin oder dem Bankwesen beginnen können – als kurzweilige Sommerlektüre gerade für Architekten ist er aber doch zu empfehlen.

Anders als die Autorin Amy Waldman in „Der amerikanische Architekt“ (2013), die die Ereignisse um einen Wettbewerb zu Ground Zero, einen muslimischen Architekten und unterschiedlich intendierte Reaktionen darauf durchgängig in einer Geschichte zu bündeln wusste, in der Architektur- und alle anderen Themen sich nicht verlieren, entwickelt sich die Geschichte von Otto Kwant ins Absurde, was, wie gesagt, der Spannung keinen Abbruch tut.

Anhang des Romans in der e-Book-Version.

Anhang des Romans in der e-Book-Version.

Nicht verschwiegen sei, dass der Autor im Anhang erläutert, wie er sich in die Architektur- und Stadtthemen eingearbeitet hat und dass Marlowes dabei erwähnt ist. Jochen Schmidt scheint von Architektur und ihrer Aussagekraft in sozioökonomischen und politischen Verhältnissen, auch in städtebaulichen Kontexten sehr fasziniert zu sein. Doch so sehr sich der Roman in der ersten Hälfte mit Architektur befasst, so sehr marginalisiert er sie in der zweiten. Beide Hälften sind lesenswert, wer mit Architektur beruflich nichts zu tun hat, lernt ohnehin viel dabei.

 


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