Wohnungsbau ist bekanntermaßen der politische Dauerbrenner. Möglichst viele Wohnungen, egal wo, egal wie, das scheint die Devise der Bundesregierung zu sein. Aber Wohnungen bauen heißt doch: ein Zuhause schaffen, es zuzulassen, dass das Zuhause gefunden wird. Drei aktuelle Beispiele zeigen, was das bedeuten kann – und wie mit intelligenten Lösungen, mit realistischem Blick und empathischer Haltung Wohnungen entstehen, die mehr als irgendwelche Behausungen sind – in München-Freiham, München-Perlach und in Berlin-Pankow.
Genossenschaftliches Wohnen in München
München Freiham. 350 Hektar groß ist das gesamte Entwicklungsgebiet im Münchener Westen, bis in die 1960er Jahre reicht die Geschichte dieses neuen Stadtteils zurück, als hier eine Entlastungsstadt geplant wurde. Doch erst nach der Jahrtausendwende wurde tatsächlich mit dem Bau begonnen, wobei erst einmal die Gewerbeflächen im Süden des Areals in Angriff genommen wurden, für den Wohnungsbau war 2016 Baubeginn; 200 Hektar sind dafür reserviert. 25.000 Menschen werden hier einmal wohnen. 30 Prozent der Flächen sind für Genossenschaften reserviert.
Vom Punkt zum Raum
Eine von ihnen ist die Wogeno, 1993 gegründet, die sich selbst als Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen bezeichnet. Sie erwarb in Freiham ein Grundstück im Herzen des ersten Bauabschnitts, führte ein auf das Vorhaben zugeschnittenes Auswahlverfahren durch und ging dann mit den Architekturbüros 03 Arch., ENEFF Architekten, illiz architektur, Westner Schührer Zöhrer Architekten und Stadtplaner sowie dem Landschaftsarchitekturbüro Uniola einen intensiven Entwurfsprozess ein, in den in einer späteren Phase auch Bewohner:innen einbezogen wurden. Die ursprünglich hier vorgesehene Bebauung aus Punkthäusern wurde zugunsten einer Straße und Blockinneres miteinander verbindenden Struktur aufgegeben, die verschiedene Stufen von Öffentlichkeit schafft und sie präzise ordnet. Ein öffentlicher Platz zur Straße im Süden, mit Eisdiele und Sitzmöglichkeiten unter Bäumen, als ein zu den Gemeinschaftsräumen geöffneter Raum. Der geht über in einen geschützten Hof im Blockinnern, der gemeinschaftlich genutzt werden kann. Aus dieser Figur ergibt sich die Aufteilung der einzelnen Abschnitte auf die vier beteiligten Büros, eine Fachjury wurde in einem Zwischenschritt für die Sicherung der architektonischen Qualität eingesetzt.

Außenliegende Treppenhäuser, (hier mit Aufzug). Balkone und Erschließung schaffen Bezüge zwischen Privatem und Gemeinschafltichem. (Bild: Markus Lanz, Sebastian Schels)
Variantenreiche Einheit
Ein ausgeklügelter Wohnungsschlüssel legte die Mischung fest: 90 Prozent Wohnen, davon 50 Prozent gefördert nach dem Münchner Modell, 20 Prozent einkommensorientierte Förderung, 20 Prozent frei finanziert, zehn Prozent Nicht-Wohnen. Der Wohnungsmix enthält verschiedene Wohnungsgrößen, von der 1- bis zur 5-Zimmerwohnung, drei Wohngemeinschaften für einen sozialen Träger finden sich unter den insgesamt 82 Wohnungen. Größere und nutzungsneutrale Räume innerhalb der Wohnungen bieten langfristige Flexibilität für die Bauherrin und die Bewohner*innen im Hinblick auf Aneignung und Anpassbarkeit. Die auf einen Laubengang gelegte Erschließung einer vorgestellten Fertigteilkonstruktion hilft, Kosten zu sparen, die Laubengänge sind aber als kommunikative Elemente zum Innenhof orientiert, an sie sind runde Balkone der Wohnungen angedockt, Vorhänge schützen sie bei Bedarf. Als Konstruktion wird eine Schottenbauweise in Stahlbeton mit Innenwänden aus Trockenbau verwendet. Die Außenhülle ist als selbsttragende Fassade in vorgefertigter Holzständerbauweise mit einer Holzbekleidung konzipiert, ergänzt teilweise mit nichtbrennbaren Fassadenbekleidungen. Die abgestufte farbliche Gestaltung schafft die Vielfalt in der Einheit. Ein modellhaftes Stück Stadtentwicklung ist entstanden, das aus der Genossenschaft eine „Keimzelle der neuen Nachbarschaft“ macht, so heißt es beim BDA Bayern, der das Projekt mit seinem Preis auszeichnete – nachvollziehbar.
Genossenschaftliches Wohnen, Ute-Strittmatter-Straße, Freiham, München
Auftraggeberin: WOGENO München eG
Architektur:
LPH 1–4, Leitdetails: 03 Arch.
LPH 1–3: 03 Arch. federführend und in Kooperation mit ENEFF Architekten, Illiz architektur, Westner Schührer Zöhrer Architekten und Stadtplaner
LPH 4: 03 Arch.
LPH 5: a + p Architekten
Freiraumplanung: Uniola Landschaftsarchitektur Stadtplanung
Tragwerksplanung: Behringer Beratende Ingenieure
Geschossfläche: 9.600 qm
Wohnfläche: 6.368 qm
Gewerbefläche: 713 qm
Wettbewerb: Workshopverfahren, Realisierung: 2021—2024
Fotografie: Markus Lanz / Sebastian Schels
Mehrgenerationenhaus in München
Das „robuste Haus“, wie es das Büro etal. nennt, ist in gewisser Weise das Gegenstück zum Wohnungsbau in Freiham. Keine großflächige Stadterweiterung, sondern eine kleinteilige Nachverdichtung im inneren Speckgürtel Münchens, im Südwesten, noch diesseits der A8. Kein Team aus erfahrenen Architekt:innen und erfahrener Genossenschaft, sondern eine Gemeinschaft aus Baugruppe und jungem Architekturbüro, dafür mit Neugier und Mut zur Konsequenz. Auch mit dabei: Das schon lange, wenn auch mit diesem Projekt das erste Mal in München mit einem Neubau aktive Mietshäusersyndikat, das mit seinem Finanzierungs- und Eigentümerkonzept dafür sorgt, dass Mietraum langfristig der Spekulation entzogen und bezahlbarer Wohnraum gesichert wird. Kein Lippenbekenntnis: Hier wird eine Miete von 11,50 € gezahlt.
Beworben hatte sich die 2020 gegründete Gruppe „Goerzer128 GmbH“ in einem Konzeptverfahren für das Nachverdichtungsgründstück im von Einfamilien- und Reihenhäusern geprägten Gebiet, 2021 hat es den Zuschlag erhalten; im Dezember 2024 wurde das Haus bezogen. etal., deren drei Gründerinnen sich im gemeinsamen Studium in Weimar kennengelernt hatten, konnten hier ihr erstes Projekt realisieren – und waren dabei auch im kooperativen Planungsprozess gefordert, eine nicht immer ganz einfache Aufgabe, wie sie im Interview zugeben.
Robust, leicht, unkompliziert
Das Ergebnis hat die Mühe gelohnt. Die Mischung aus Leichtigkeit und einem dem knappen Budget abgerungenen Pragmatismus ist wunderbar ausbalanciert, die Fassadenmaterialien aus vertikaler, geschossweise gestülpter Fichtenschalung sowie Stahltrapezblechen als Wetterschutz für den außenliegenden, hölzernen Sonnenschutz sowie in Streifenmuster angebrachten Sockelfliesen sind belebend kombiniert und sorgfältig aufeinander abgestimmt, ohne in eine Koketterie des Einfachen zu verfallen – die Details sind so geplant, dass leicht repariert oder ersetzt werden kann. Dank der hohen Selbstbeteiligung haben die Bewohnenden auch das Wissen darum, wie das geht. Das Treppenhaus ist aus der Flucht herausgeklappt, ein gestalterischer Kniff, der mit zur fröhlichen Leichtigkeit des Hauses beiträgt – und zum Hauseingang führt.

Schwelle und Sturz machen sichtbar, wo die Sollbruchstellen für eine Grundrissänderung möglich machen. (Bild: Federico Farinatti)
Viel ist möglich
Das Besondere ist aber auch das Innere, ein Holzrahmenbau mit Decken und Aufzugswänden aus Brettschichtholz. Das Sparrendach ist als offene Konstruktion sichtbar gelassen, auf Leitungen in den gedämmten Außenwänden wurde verzichtet, die Zementestrichböden sind mit Kasein behandelt und geölt, fertig. Im Erdgeschoss ist in der Nordostecke ein Gemeinschaftsraum, im Untergeschoss ein Waschraum und eine Werkstatt. In den drei oberirdischen Geschossen wurde je Geschoss eine Clusterwohnung mit gemeinsamem Wohn- und Essbereich geschaffen, für die mehrere Wohnszenarien denkbar sind. Jede Einheit ist mit Bad und Teeküche ausgestattet, die gleich großen Zimmer – ein Wunsch der Baugruppe – wurden zum den Entwurf strukturierenden Konzept. Sie sind je etwa 18 Quadratmeter groß und jeweils um Diele und Badkern gruppiert, die Konstruktion so geplant, dass Trennwände an bestimmten Stellen, Sollbruchstellen geöffnet und Räume miteinander verbunden werden können. Die Wasseranschlüsse sind so platziert, dass Küchen sehr flexibel und ohne große Umbaumaßnahmen in sechs Zimmern genutzt werden können. Für seine aneignungsoffene Präsenz nach außen braucht es den Umbau aber nicht: Das Haus sah nicht einmal vor Bezug nach Neubau aus.
Das robuste Haus – Mehrgenerationenhaus Görzer Straße
Görzer Straße 128, 81549 München
Bauherr*in: Görzer128GmbH mit dem Mietshäuser Syndikat
Architektur: etal. (etal. ArchitektInnen PartGmbB Gesche Bengtsson, Elena Masla, Zora Syren)
Mitarbeiter*innen: Gesche Bengtsson, Elena Masla, Zora Syren
Planung: LP 0 (Bedarfsermittlung mit Workshops)-5; 8 – künstlerische Oberleitung
Tragwerk: Seeberger Friedl Planungsgesellschaft mbH Ingenieurbüro für Tragwerksplanung
TGA: en.hil Beratende Ingenieure Hiller PartG mbB (HLS), Ing. Büro Tom Metzker (ELT)
Bauphysik: Ingenieurbüro Ulrich Bauphysik, Energiekonzepte
Landschaftsarchitektur: Peter Wilhelm (bis LPh4)
Brandschutz: K33 Riedner Wagner Gerhardinger Architekten PartGmbB
Bauleitung: uns®, architektur und städtebau, Roland Liesegang
Förderung: Fördermodell MMG (München Modell-Genossenschaften)
BGF: 930 qm
Wohnfläche qm / Person: variable Belegung zwischen 11 – 21 Personen, 21 – 40qm Wohnfläche
Fertigstellung: Dezember 2024
Fotografien: Federico Farinatti

Neu in den Campus des Sozialdiensts katholischer Frauen eingepasst: Das „Haus im Park“. Ansicht von Süden. (Bild: Sebastian Schels)
Wohnhaus mit Assistenz in Berlin
Für das dritte Projekt geht es nach Berlin, in dessen Norden, nach Pankow. Hier hat der SkF e.V. Berlin, der Sozialdienst katholischer Frauen, in direkter Nachbarschaft zu seiner Geschäftsstelle, einem Haus für die Jugendhilfe und einem Wohnhaus vor Kurzem mit einem weiteren Gebäude seinen kleinen Campus kompletiert: mit dem „Haus im Park“, das die bereits bestehenden Angebote für Menschen mit Assistenzbedarf erweitert. Der SkF widmet sich „der Unterstützung von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Familien in besonderen Lebenslagen sowie der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft“. Zwischen den bestehenden Häusern wurde ein 37 Meter langer und bis zu 16 Meter breiter Neubau eingepasst, die Holzfassaden aus sägerauen Brettern der Obergeschosse sind in warmem Rot gehalten, ebenso wie die schräg gestellten Schürzen aus Wellfaserzement, die die Stockwerksfugen überdecken und dabei als Brand- wie als Sonnenschutz dienen. Das weit auskragende Dach sowie die an den Balkonen auskragenden Decken und Wände machen die Konstruktion aus Holz sichtbar und repräsentieren nicht nur die auch sonst aus Holz konstruierten Obergeschosse, sondern auch den Anspruch, auf fossile Energie zu verzichen: Photovoltaik, Solarthermie & Wärmepumpen in Verbindung mit Erdwärmesonden versorgen das Haus mit Strom und Warmwasser.
Außen wie innen
Aber mindestens genauso wichtig: Die auf eine haptische Oberflächenstruktur, klare Gliederung und kräftige Farben basierende Gestaltung vermittelt eine sinnliche Zugänglichkeit und einfühlsame Wärme, die es den Menschen einfach macht, hier ihr eigenes und eigenständiges Leben zu leben. Der massive, grün verputzte Sockel korrespondiert dabei mit den Obergeschossen. Zwei Eingänge, betont mit glänzenden Fliesen, führen ins Innere, von Westen wie von Osten, in den Tagesbereich im Erdgeschoss von der einen und in die Wohnungen in den Obergeschossen von der anderen Seite. Das hilft, die unterschiedlichen Nutzungen zu entzerren. Das Zentrum ist in jedem Geschoss der großzügige Flur – mehr Begegnungs- als Erschließungsfläche; hier findet sich das Rot der Fassade wieder, großflächige Muster erleichtern die Orientierung, im obersten Geschoss krönt eine die Dachkonstruktion fortsetzende Oberlichtlaterne diesen zentralen Raum. In den Holzwänden fällt das Grün der Holzefensterrahmen stärker als von außen auf.
Empathisch, warm, klar
Im neuen Wohnheim sind 22 Wohnungen auf den oberen drei Geschossen verteilt, jede:r Bewohner:in hat ein eigenes Zimmer mit zugehörigem Bad, je zwei diese Einheiten sind mit einer Wohnküche und einen eigenen Balkon ausgestattet, zudem gibt es Gemeinschafts- und Entspannungesräume. Im Erdgeschoss liegt der Beschäftigungs- und Förderbereich für Menschen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt oder in einer Werkstatt arbeiten können, ergänzt um überdachte Außenbereiche an den Stirnseiten. Auch im Innern sind die Oberflächen warm und vom Material strukturiert, dabei wurde höchste Sorgfalt auf die Barrierefreiheit gelegt: Rollstuhl-Warteplätze in den Treppenhäusern, Durchsichthöhen in den Fenstern, Kontrastreiche Lichtschalter und Griffe, Handläufe in den öffentlichen Bereichen, Glasausschnitte im maximalen Maß, Taster und Notrufsysteme im ganzen Haus.
Dass dies alles empathisch, klar, warm sein kann und dennoch kein verschwenderischer Luxus ist, zeigt ein Blick auf die Materialien. Der Sockel ist aus Beton und Kalksandsteinen, die Obergeschosse bestehen aus vorgertigten Holzelementen aus massivem Brettschichtholz; alle verwendeten Materialien sind zertifizierte, fertige Industrieprodukte. Das Rot des Holzes, des Bleches und der gewellten Tafeln sind seriell, auch in den Abmesssungen. Keine Sonderanfertigungen: ein Haus für den Alltag – aber nicht alltäglich.
Haus im Park – Wohnhaus mit Assistenz und Tagesstruktur
Nordendstraße 2-3, 13158 Berlin
Bauherr*in: SKF Sozialdienst Katholischer Frauen e.V. Berlin
Architektur (als Generalplaner): Modersohn & Freiesleben Architekten Partmb, Berlin
Mitarbeiter:innen: Anna Fawdry, Cornelius Giacalone, Sophia Grabow
Baukosten (KG 300+400: 6.670.000€ brutto
BGF: 2.550 qm2
Grundstücksgröße: 10.780 qm
Planungsbeginn: Oktober 2020; Baubeginn: August 2022
Fertigstellung: April 2024
Statik: Niehues Winkler Ingenieure GmbH, Frank Niehues und Christian Felgentreter, 10119 Berlin
Brandschutz: Völcker Architekten, Susanne Völker, Berlin
Fotografien: Sebastian Schels




















