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Mehr oder weniger ist mehr


Beim Umbau kann der kleinstmögliche Eingriff die richtige Strategie sein. Muss es aber nicht. Manchmal bieten sich auch Gelegenheiten, mit einem großen Schritt viel zu verändern. Es kommt eben drauf an. Zwei Beispiele aus Regensburg und Gauting zeigen, dass mal das eine, mal das andere sinnvoll sein kann.

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Blick von der Küche auf den ehemaligen Eingangsbereich. Mit viel Sorgfalt wurde bei der Sanierung die konstruktive, gestalterische und atmosphärische Eigenart des Baus wieder herausgearbeitet. (Foto: Sebastian Schels)

Sanierung eines Bungalows aus den 1960er-Jahren

Der kleinstmögliche Eingriff ist ein Leitgedanke, den der Schweizer Soziologe Lucius Burckhardt Ende der 1970ern entwickelt hat. Er formuliert damit eine Kritik am modernistischen Denken. Burckhardt glaubte nicht an  endgültige Lösungen oder daran, dass man durch Technik gesellschaftliche Probleme aus der Welt schaffen kann. Auch nicht daran, dass es im Bauen eine Wahrheit gebe, schon gar nicht eine, die sich auf Prinzipien und Schematismus reduzieren lässt, um sie dann nur besonders großflächig und häufig anwenden zu können. So wenig wie möglich zu machen heißt hingegen, so viele Optionen wie mögliche zu erhalten, Entwicklungsräume nicht zu besetzen, damit sie in Zukunft bestehen – und das, was man jetzt ändert, sehr präzise zu tun und sehr genau auf das abzustimmen, was bereits existiert. Man vermeide damit eben auch, so Burckhardt, unerwartete und schädliche Folgen. Der kleinstmögliche Eingriff bestehe zuerst eimal darin, die vorhandene Situation ästhetisch zu verstehen.(*)

In Gauting, nicht weit von München, ist ein Beispiel dafür zu finden, was ein solches strategisches Denken bedeuten kann. Gauting, im Südosten von München und an die Landeshauptstadt per S-Bahn angeschlossen, ist aus der Perspektive des Wohnungsmarkt Teil des Münchener Großraums, für den eine anhaltend hohe Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern auch in den kommenden Jahren prognostiziert wird. Anstatt sie neu zu bauen, sollten erst einmal die bestehenden genutzt und erhalten werden, um im Zusammenspiel mit anderen Veränderungen eine Antwort auf eine zukünftige Entwicklung geben zu können. Vielleicht sollten sie auch deswegen erhalten werden, um den Umgang mit dem Bestand wieder zu lernen – und um aus dem Bestand zu lernen. Und sich so eine gewisse Skepsis gegenüber dem Neuen zu bewahren, was sensibel dafür werden lässt, dass hinter der Behauptung des vermeintlich Besseren nicht selten das Streben nach wirtschaftlichem Profit steht.

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Blick aus dem Schlafzimmer Richtung Küche, wo ein neues Fenster eingebaut und ein neuer Terrassenzugang  eingerichtet wurden. (Bild: Sebastian Schels)

Auch in Gauting mussten die Architekt:innen vom architekturbuero eder erst einmal die Hürde nehmen, den Bestand des Hauses soweit wie möglich zu erhalten, um dann in einer Sanierung die Materialität und Eigenheit des Bungalows zu bewahren, die haustechnische Instandsetzung und energetische Ertüchtigung so unauffällig wie möglich halten zu können. Der Bungalow steht in zweiter Reihe einer offenen, gartenstadtähnlichen Bebauung, teilweise sind die Häuser in der Nachbarschaft deutlich größer. Hier aber wurde darauf verzichtet, abzureißen, nachzuverdichten – dafür wurde sichtbar gemacht, wie groß die Qualitäten des Weniger sein können.

Gezielte Eingriffe erweitern die räumlichen Charakteristika des Hauses. Zwei Flügel sind orthogonal zueinander angeordnet, im einen, nördlichen, liegen Bad, Küche, Schlafzimmer, im südlichen erstreckt sich der Wohnbereich. Der Eingang wurde verlegt, von der Küche aus ist ein neuer, verglaster Terrrassenzugang geschaffen worden. Keine Flure, alle Räume sind offen miteinander verbunden, nur das Schlafzimmer hat eine Türe. Das neu arrangierte Bad mit nun separater Toilette erhielt eine verspiegelte Front, so dass sich die aufeinanderfolgenden Räume optisch zu einer getreckten Enfilade erweitern.

Im Untergeschoss wurde mit der gleichen Idee eine andere Wirkung erzielt. Am Fuß der Treppe sind ein neu eingebautes Gäste-WC und ein Technikraum aus der Orthogonalität gedreht, der Spiegel erlaubt hier den Blick um die Ecke in den Lichthof beziehungsweise auf die Treppe und dient dabei auch als Lichtreflektor. Die konstruktiven Elemente und die Fügung sind in ihrer Klarheit herausgearbeitet worden – weiß gestrichene Ziegelwände, Betonstürze, das Holztragwerk des Dachs ist sichtbar, ein neuer Parkettboden wurde verlegt. Obwohl von überschaubarer Größe, atmet das Haus eine mit einfachen Mitteln hervorgerufene Großzügigkeit. Die räumliche Offenheit und die unprätentiösen Materialien lassen einen tiefen Blick in die 1960er werfen, in denen das Haus entstanden ist: Die – zumindest aus heutiger Sicht – bescheidenen Mittel werden durch die räumlichen Qualitäten, denen sie dienen, nobilitiert. Ein Beitrag zur Baukultur nicht nur, weil das Erbe der 1960er erlebbar geblieben ist, sondern auch, weil damit die Frage gestellt wird, ob nicht auch in anderen Fällen weniger mehr sein kann – oder, wenn man sich in der Nachbarschaft und in anderen Einfamilienhausgebieten umsieht, weniger mehr hätte sein können.



Ort: Gauting
Bauherrschaft: Privat, Gauting
Architektur: architekturbuero eder: Lena Maria Eder, Jens Roll, Benjamin Eder
Tragwerksplanung: Bergmeister Ingenieure
Bauphysik: GN Bauphysik
Fertigstellung: 2023
Fotografie: Sebastian Schels


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Blick auf die Südostecke des sanierten Hochhauses. Mit einer Strategie, die sich die Notwendigkeiten der Sanierung gestalterisch zu nutzen machte, setzen die Architekten ein Zeichen. (Bild: Herbert Stolz)

Wohnhochhaus Regensburg

In Regensburg stellte sich die Sache allerdings etwas anders dar. Aber auch hier war erst einmal nur an eine Sanierung des Wohnhochhauses gedacht. Grundsätzlich gelten Brandschutzbestimmungen ja als eher lästig, entwerferische Fantasie einengend. Hier waren sie der Auslöser für eine Sanierung, die beispielgebend sein kann, weil die Planer:innen den Mut hatten, größer zu denken. Das 1967 fertiggestellte Wohnhaus in Regensburg ist eines, wie es sich in jeder größeren Stadt finden lässt. In diesem Fall steht es westlich der Altstadt nahe der Donau.

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Blick von Nordosten auf das Hochhaus vor der Sanierung. Im Nachhinein sieht es aus, als würde hier die spätere Erweiterung noch fehlen, die später im Norden (links) angefügt werden sollte. (Bild. Philipp Molter)

2020 entschloss sich die Bauherrin zur Sanierung. Die Brandschutzbestimmungen forderten einen zusätzlichen Fluchtweg; die Planenden machten aus dieser Not eine Tugend und schlugen vor, an dieses neue Treppenhaus weitere Wohnungen anzuhängen; die lockere Bebauung der Nachkriegszeit ließ diese Erweiterung auch ohne größere Probleme zu. Außerdem war gefordert, dass die neue Fassade – anders als der Bestand aus Faserzementplatten – einfach rückgebaut werden kann. Den Wettbewerb im Rahmen einer Mehrfachbeauftragung konnte studiomolter aus München für sich entscheiden. Auf der Grundlage einer Lebenszyklusanalyse sowie der Bewertung von Klimaresilienz und Behaglichkeit war ein Energiekonzept entwickelt worden, das schlussendlich zu einem energieeffiziente Gebäude führte, dessen Energiebedarf  (27 Kwh/m2a) sich zu 65 Prozent aus erneuerbaren Energien speist.

Erweitert ist das 14-stöckige Hochhaus nun um drei Wohnungen je Stockwerk, so dass die Wohnungsanzahl von 58 auf 98 erhöht werden konnte. Was aber über diesen klugen Schachzug hinaus diese Sanierung so interessant macht, ist die Art und Weise, wie technische Aspekte und Erweiterung architektonisch gelöst wurden. Wesentlichen Anteil daran hat der interdisziplinären Planungsprozess zwischen der StadtBau Regensburg, studiomolter, Nemeth Stopper und der Hochschule Rosenheim. Die neue Fassade ist so aufgebaut, dass sie sich in ihre Schichten aus den Holzspanbetonsteinen des Bestands, Mineralwolle und gewelltem Aluminium sortenrein trennen lässt. Dabei sind die Aluminiumelemente bereits schon zu 92 Prozent aus Receyclingmaterial.  An der Süd- und an der Westfassade wurden Photovoltaik-Elemente in die Fassade integriert, sie sind in einem an das gewellte Aluminium angepassten Champagnerton und mit matter Oberfläche gefertigt, so dass sie sich gut in die Fassade integrieren, anders als man es sonst gewohnt ist. Sie versorgen die Hausbewohnenden mit Mieterstrom.

Wegen dieser insgesamt 770 Quadratmeter bedeckenden PV-Elemente waren auch horizontale Brandüberschlagssperren erforderlich. Sie sind aus farblich angepasstem Beton und werden als gestalterisches, die Fassade strukturierendes und belebendes Element auch dort eingesetzt, wo sie nicht zwingend vorgeschrieben sind. Auch hier also wurde der Brandschutz zu einem gestalterischen Impuls umgedeutet. An der schmalen Nordfassade wurde auf diese Brandriegel verzichtet, so wird die schlanke Silhouette betont. Die drei Elemente der Fassade – Photovoltaik, Brandriegel und Aluminiumwelle finden zu einem differenzierten und abwechslungsreichen Bild, das sich facettenreich ja nach Wetter und Sonnenstand wandelt.

Die neue Fassade ist aber nicht nur ein äußerlicher Gewinn: denn vergrößerte Fenster und Balkontüren sorgen auch für eine bessere Beleuchtung im Innern – und sparen damit auch Beleuchtungsstrom. Von den insgesamt 98 Wohneinheiten sind im neu erstellten Anbau 20 Wohneinheiten über die Einkommensorientierte Förderung, ein Mietzuschuss-Modell des sozialen Wohnungsbaus (EOF) gefördert. Die 58 Wohnungen des Bestandsbaus sind über das Bayerischen Modernisierungsprogramm gefördert, was langfristig moderate und sozialverträgliche Mieten sichert. In Regensburg ist also nicht nur eine kraftvolle Neuinterpretation eines weit verbreiteten Haustyps zu sehen, es wurde auch ein deutlicher Akzent in der präsenten Wohnraumfrage gesetzt.



Ort: Alfons-Bayerer-Straße 2, 93049 Regensburg
Bauherrschaft: Stadtbau-GmbH Regensburg
Architektur: studiomolter, München; David Gautrand, Emily Murphy, Philipp Lionel Molter
Stadtbau-GmbH Regensburg; Thomas Brückl, Thomas Dirschedl, Götz Keßler, Jonas Lang, Hans Teufl
Energie und Nachhaltigkeitsplanung: Nemeth Stopper; Prof. Dr. Jochen Stopper, Prof. Dr. Isabel Nemeth, Prof. Dr. Patricia Schneider-Marin
Landschaftsarchitektur: Stefanie Holbein, Regensburg
Bauleitung: Huber Architekten GmbH, Regensburg
Tragwerksplanung: IB Augustin GmbH, Regensburg
PV Planung: Technische Hochschule Rosenheim; Prof. Dr. Jochen Stopper, Prof. Dr. Michael Zehner
Fotografie: Herbert Stolz
Fertigstellung: 2023
Wohnfläche: 6.164 m2
Baukosten KG 300+400 (brutto): 3.291 Euro pro qm/Wohnfläche


(*) Markus Ritter und Martin Schmitz (Hrsg.): Lucius Burckhardt. Der kleinstmögliche Eingriff oder Rückführung der Planung auf das Planbare. Berlin: Martin Schmitz, 2013. S. 148f.