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Bild: Christian Holl
Stilkritik (74) | Nach den Architekten fangen nun auch die Designer an, über Schönheit zu reden und sie einzufordern. Manche machen es sich dabei so einfach, dass man ihnen im besten Fall unterstellt, sie können es so ernst nicht gemeint haben. Andere sind ambitionierter. Beispiel: Paola Antonelli. Die bekommt dann aber doch Angst vor der eigenen Courage. Die brauchen wir aber dringend, die Courage.

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Ausstellungsansicht „Sagmeister & Walsh: Beauty“. Foto: Wolfang Günzel; © Museum Angewandte Kunst

In Frankfurt ist bis zum 15. September eine Ausstellung zu sehen, die von den Designerstars Sagmeister und Walsh kuratiert ist und eine Art Hobby-Auseinandersetzung mit dem Thema der Schönheit ist: Beauty. Die Ausstellung ist teilweise bis an die Grenzen des Bösartigen suggestiv und der Erträglichkeit naiv. Braun ist hässlich, Schönheit macht die Menschen besser, Kreise sind schöner als Dreiecke und so weiter. Die ganze emanzipatorische Erfolg, nach den schrecklichen Ideologien des 20. Jahrhunderts, in denen mit Schönheit Macht gefestigt und Menschen manipuliert wurden, Ideologien mit denen Menschen aufgrund äußerer Merkmale bestimmte Eigenschaften zugeschrieben wurden, wird in einem kunterbunten Beliebigkeitsparcours über Bord geworfen. Auch wenn Sagmeister Walsh menschliche Schönheit nicht zum Thema machen – mit ihrem Kurzschlussdenken ist es bis dahin nur einen Gedankensprung.

Was macht ihr da eigentlich?

„Nur in einem gesunden Körper kann ein Geist unbemerkt wohnen,“ hatte Siegfried Kracauer vor bald hundert Jahren über den Kurzschluss des Schönen mit dem Guten gespottet (1). Angesichts einer Ausstellung wie der von Sagmeister Walsh ist solch bitterer Spott wieder erschreckend aktuell. Nun denn. Das Museum Angewandte Kunst macht viele gute Ausstellungen, mag sein, dass man sich nicht im Klaren darüber war, worauf man sich hier eingelassen hatte. Eine fundierte Selbstreflexion ist jedenfalls die Sache von Sagmeister und Walsh nicht. Eingedenk der Herausforderungen möglicher Kriege, des Rechtspopulismus und der Klimakatastrophe, die immer noch beschönigend Klimawandel genannt wird, so als könne sich mit dem Wandel wie in einem betriebsinternen Changemanagement etwas zum besseren wenden, ist diese Selbstreflexion allerdings dringender nötig denn je.

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Wiederverwenden statt wegschmeißen. Formafantasma (Simone Farresin, Andrea Trimarchi) bauen Möbel aus unverkäuflichen Lagerbeständen und Elektroschrott. Ore Streams, Cubicle 2. 2017. Foto: IKON. Courtesy Nicoletta Fiorucci, London and Giustini/Stagetti, Rome with support by StimuleringFonds and National Gallery of Victoria.

Weniger einfach als Sagmeister und Walsh hat es sich in Mailand Paola Antonelli als Kuratorin der Design Triennale gemacht, die unter dem Titel „Broken Nature“ das gestörte Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt zum Thema macht und dies in teilweise recht plakativen, aber auch eindrücklichen Arbeiten sichtbar macht. Gleichzeitig werden Projekte vorgestellt, die Alternativen zur zerstörerischen Praxis des Konsums und der Produktion zeigen. Ein wichtiges und naheliegendes Konzept. Dennoch ist nicht so recht klar, wie die Rolle des Design bei der Gestaltung unserer Welt gesehen wird. Der Mensch sei, so Antonelli im Interview, kein Gegenüber der Natur, sondern Teil von ihr, der Mensch überlebe nur, wenn die Natur überlebe. Die eigenen Interessen (also die der Menschen) und die der Natur seien identisch. Da sind wir ja beruhigt. Was „Natur“ ist, ist aber ebenso offen, wie die Frage unbeantwortet bleibt, wie das unbestimmte Abstraktum Natur beschaffen sein sollte, damit es Interessen haben kann. Wer soll konkret Interessen haben – die Balkonblume und die Erde im Topf, die Bakterien der Erde und die Hummel, die die Blume anfliegt? Die Flutwelle, das Wasser, der Wind, das klimatische System, die Fische, die von der Welle mitgetragen werden? Und was hilft es einer ausgestorbenen Spezies, wenn „die Natur überlebt“? Ein solch wolkiges Reden wirft nur Fragen auf, die nicht beantwortet werden können. Die Frage nach den Konsequenzen für das Handeln der Menschen wird in ein Nirwana der Weltseele oder einer ähnlich unbestimmten Konstruktion verlegt, in der der Mensch am Ende doch nur wieder sich selbst begegnet. (2)

Es geht um Menschen

Für die Frage, was Design eigentlich zu leisten hätte, ist das wenig aufschlussreich, wenn die Qualitäten, die es zu leisten hat, sich nicht an der Frage messen lassen, wie wir die Zukunft des Menschen sehen – und vor allem: welche Menschen mit ihren Interessen berücksichtigt werden sollen. Von ziemlich vielen lässt sich nämlich sagen, dass man auf ihre Interessen keine, wirklich keine Rücksicht nimmt. Wenn Design schon ethisch zu sein hätte, dann so, dass es eingebunden in den Diskurs sein sollte, wie Menschen miteinander umgehen sollten. Das wäre schon einmal etwas.

IceStupa 2017 P.C. Lobzang Dadul

Design, das Wechselwirkungen gestaltet: Die schmelzenden Gletscher bedrohen die Landwirtschaft in der Wüste von Ladakh im indischen Himalaya. Künstliche Kleingletscher aus Gletscherwasser sollen Wasser speichern und es auch nach der Schneeschmelze verfügbar halten. Weitere Information >>>  (Foto: Lobzang Dadul. Courtesy SECMOL)

Man kann freilich Antonelli auch anders verstehen. Etwa so, dass es keinen Sinn macht, eine Grenze zwischen einem Innen und einem Außen zu ziehen, zwischen dem Innen, den Menschen, ihren Emotionen, ihren Leidenschaften, ihren Nöten und Sorgen, ihrer Subjektivität einerseits und dem Außen der Dinge, ihrer Eigenschaften, ihrer Produktion, ihres Gebrauchs und ihrer Objektivität andererseits. Designkritik wäre dann etwas, das die Praxis des Designs in dem verortet, was die Wechselbeziehungen von Menschen und Artefakten als eine Gesamtheit annimmt, das Design als das Gestalten von besonderen Objekten mit herausragender gestalterischer Qualität als eine obsolete Sicht erscheinen ließe – die Disziplin des Design würde sich so auflösen in die Gestaltung der Wechselbeziehungen, in denen das Produkt wie das, was Menschen damit möglich wird, einschließt. Design kann so nicht autonom sein: es ist immer sozial, ökologisch, politisch. Es ginge dann um ganz andere Qualitäten als die der Schönheit des Objekts, und wenn, dann wäre die Reflexion darüber zu leisten, was diese Schönheit erzeugt oder bewirkt. Denn Schönheit kann ebenso Teil eines Heilungsprozesses sein wie es Konsum anregen und Begierden wecken kann. Im letzten Fall produziert Schönheit dann etwas, was sie erst wünschenswert macht. Angesichts all der Dinge, die dafür gemacht werden, Gefühle zu erzeugen, all der Atmosphären, die kreiert werden, um Erlebnisse oder Erholung zu ermöglichen (wie Urlaubsressorts), all der Produkte, die Authentizität vermitteln, ist es ausgemachter Blödsinn, zu behaupten, Schönheit sei bei Designern aus der Mode gekommen, um nochmals auf Sagmeister und Walsh zurückzukommen. Designer setzen sich offensichtlich nur nicht damit auseinander, in welchen (geschichtlichen, ökonomischen, sozialen) Kontexten sie es tun. (3)

Schönheit für die Nachwelt


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Ein Stiefel für das Leben auf dem Mars, oder: welche Geschichten muss ich erfinden, um einen ökologischen Schuh zu promoten. Liz Ciokajlo, OurOwnsKIN und Maurizio Montalti, mit Officina Corpuscoli. Foto: George Ellsworth. Courtesy the designers.

Doch zurück zu Antonelli. Bis zu diesem Punkt könnte man ihr folgen und ihre Äußerungen so interpretieren, dass sie auch genau dies meint: Unter Design dürfe man eben nicht die Produktion der Form und der Oberfläche von Gütern verstehen, sondern eine Gestaltung von Prozessen, in denen Güter so deren Teil werden, dass die Prozesse ohne sie nicht stattfinden könnten.
Dann aber stößt man auf ein Zitat von ihr im Zusammenhang der Triennale, die diese wohlwollende Annahme wieder in sich zusammenstürzen lassen. Denn Antonelli meint, dass wir, wenn wir schon und vielleicht doch von der Erde verschwinden müssen, dann sollten wir es wenigstens mit Eleganz machen, damit spätere Wesen nicht ganz so schlecht über uns denken. So war es in der Zeitschrift Monopol zu lesen: „Aber selbst für diejenigen, die davon ausgehen, dass sich die Menschheit über kurz oder lang selbst ausrotten wird, hält die Welt des Designs Trost bereit. Denn, so formuliert es Kuratorin Paola Antonelli mit bemerkenswertem Galgenhumor, ,es kann sicherstellen, dass sich die nächste dominierende Spezies mit einem Minimum an Respekt an uns erinnert: als würdevolle und sich sorgende, wenn nicht intelligente Wesen.‘ Wenn der Mensch schon selbst verschuldet ausstirbt, dann wenigstens in Eleganz und Schönheit.“ Ach Mensch. Das kann doch kein Trost sein! Welche Wesen und welche Spezies das auch immer sein müssten, Antonelli unterstellt ihnen, so wie sie, wie Menschen zu denken. Letztlich versteckt sich hier ein Glaube an Objektivität, der erwarten lässt, dass sich die Welt irgendwann wieder so einstellt, wie wir sie bewohnt und gedeutet haben, in der dann dereinst menschengleiche Wesen menschengleich denken und menschengleich auf die Reste dessen schauen, was von uns übrig geblieben ist. Die Welt von heute wäre demnach kein Ergebnis von Geschichte, keine gestaltete Welt, die anders gestaltet, auch wieder völlig anders aussehen könnte, sondern eine der stabilen, objektiven Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass sich auch nach einer Katastrophe die Welt wieder so entsteht, wie sie war, als die Menschen sich selbst ausgerottet haben. (4) Schönheit ist dann auch etwas Objektives, weil es diese anderen Wesen wieder als schön anerkennen würden. Schönheit wäre dann allerdings auch Teil der Welt mit den Gesetzen, unter denen Menschen es geschafft haben, sich zu zerstören. Das kann man eigentlich nicht wollen, denn damit wäre die erneute Katastrophe vorprogrammiert.

Damit ist genau das, was Antonelli in Frage zu stellen vorgibt, wieder zementiert. Es gibt „die Natur“ und die Welt da draußen mit den Dingen, die der Mensch gestaltet hat, die dann auch irgendwie in dieser Welt herumliegen. Und auf der anderen Seite ist der Mensch, der zeitlos unveränderliche, der dann irgendetwas mit den Dingen und mit der Natur macht oder auch nicht. Mit dem Wunsch, etwas Schönes zu gestalten, das uns überleben und ein mildes Licht auf unsere irrwitzige und maßlos dumme Selbstzerstörung werfen könnte, ist der schöne Gedanke, Design sollte besser darin bestehen, Beziehungen in den Blick zu nehmen und Systeme zu gestalten, aufgegeben. Seufz.


(1) Siegfried Kracauer: Das Mittelgebirge. In: S.K.: Straßen in Berlin und anderswo, Frankfurt am Main 1964, S. 122-123, hier S. 123. Der Text „Das Mittelgebirge“ erschien zuerst 1926.
(2) Etwas ausführlicher zur Frage, wie der Begriff von Natur und handlungsleitende Motive zusammenfinden könnten in den Beiträgen auf frei04 publizistik: Natürlich Kunst com 30. September 2015 sowie Draußen treffen wir nur wieder auf uns selbst vom 7. Juli 2014.
(3) Und also auch nicht damit, dass sie unter spezifischen Bedingungen arbeiten, die nicht immer schon so waren, wie sie es heute sind. So führt Eva Illouz aus, dass es im 18. Jahrhundert keinen Begriff für Authentizität gab, „weil es keine Ontologi des Selbst gab – keine Vorstellung von einem Selbst, das tiege, angeborene, nichtsoziale und individuelle Eigenschaften hat, die nach Techniken des Authentifizierens verlangten, nach Techniken, um diese verborgene innere Wahrheit entdecken und zum VOrschein zu bringen.“  Eva Illouz: Fazit : auf dem Weg zu einer postnormativen Kritik der emotionalen Authentizität. In: dies. (Hg:): Wa(h)re Gefühle. Authentizität im Konsumkapitalismus, Berlin 2018, S. 268–291; hier S. 273
(4) „Das Bild einer gemeinsamen menschlichen Natur die auf Übereinstimmugn mit der Wirklichkeit in ihrem Ansichsein ausgerichtet ist, tröstet uns durch den Gedanken, dass unser Geschlecht durch das Schicksal dazu bestimmt ist, die Tugenden, Erkenntnisse und Leistungen, die der Gemeinschaft Ruhm eingetragen haben, wiederzugewinnen, selbst wenn unsere Zivilisaation vernichtet wird.“ Richard Rorty: Solidarität oder Objektivität?, in: ders.: Solidarität oder Objektivität? – Drei philosophische Essays. Stuttgart 1988. S. 11 – 37, hier S. 28.