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Eine andere Stadt ist möglich


Die Stimmung in den Städten ist merklich angespannt – der Ausverkauf öffentlichen Eigentums, Verdrängung, die auch hier spürbaren Folgen des Klimawandels und des allzu sorglosen Umgangs mit Ressourcen lassen fragen, wie es weitergehen kann. Drei neue Publikationen zur Zukunft des Städtischen.

1927_KF_RezMakeCity

Francesca Ferguson, Make_Shift (Hg.): Make City. A Compendium of Urban Alternatives. Stadt anders machen. Dt./engl., 352 Seiten, 17 x 24 cm, 32 Euro
Jovis Verlag, Berlin, 2019

Seit den 1990ern hat Berlin 220.000 Wohnungen und 6.000 Grundstücke verkauft, erst seit dem letzten Regierungswechsel wird die Richtung geändert und Immobilien werden zurückgekauft. Dennoch ist die Lage explosiv – sie äußerte sich besonders zugespitzt in der Enteignungsdiskussion. In der Publikation „Make City“, der auch die oben genannten Zahlen entnommen sind, wird eindeutig Position bezogen: Boden gehört in die öffentliche Hand, dem Artikel 14 des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ muss Geltung verschafft werden, Gemeinschaftseigentum und Sharing-Modellen sollten die Zukunft gehören. Aufbauend auf dem Festival Make City vom Sommer 2018 sind in dem Buch in Essays, Interviews und Projektvorstellungen Argumente und Beispiel zusammengetragen worden, die dieser Position deutlich und überzeugend Ausdruck verleihen. Und es geht längst nicht nur ums Wohnen – es geht um den Boden, den öffentlichen Raum, um Finanzierungsmodelle, um neue Gebäudetypen und Mischnutzungen, darum, wie auf den Klimawandel reagiert werden kann und welche Rolle das Wasser, die  Nahrungsmittelproduktion und der Verkehr auf die Zukunft der Städte hat. Das Buch ist ein umfassendes und gründliches Kompendium einer möglichen Zukunft der Stadt, die sich vom Diktat des internationalen Finanzkapitalismus die Entwicklung nicht vorschreiben und den Bürgerinnen und Bürgern ihren Anteil an dieser Entwicklung lassen will. Dabei tappen die Herausgeber auch nicht in die Falle, die Bedeutung der Politik, der Steuerung durch die öffentliche Hand zugunsten der bürgerschaftlichen Selbstorganisation zu vernachlässigen. Denn genau der Steuerung bedarf es, damit Menschen wirkungsvoll agieren können. Man wünscht dem Buch und den Gedanken, die in ihm formuliert werden, weite Verbreitung und den vorgestellten Beispielen viele Nachfolger und Nachahmer.

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1927_KF_RezMoeglichkeitsraum

Sacha Kagan, Volker Kirchberg, Ursula Weisenfeld (Hg.): Stadt als Möglichkeitsraum. Experimentierfelder einer urbanen Nachhaltigkeit. 396 Seiten, 15,5 x 24 cm, 39,99 Euro
Transcript Verlag, Bielefeld, 2019

Wie kann Stadtentwicklung nachhaltig sein, wie können engagierte Menschen sie gestalten? Das auf der Arbeit einer interdisziplinären Gruppe von Forscherinnen und Forschern aufbauende Publikation stellt sich dieser Frage. Sie macht Möglichkeitsräume als diejenigen aus, in denen „mögliche nachhaltige Entwicklungen der Zukunft angelegt sind“. Möglichkeitsräume: das sind (auch im übertragenen Sinne) die Freiräume für das Testen von Alternativen zur bestehenden Praxis, das sind Experimentierfelder wie Reallabore. Die konkrete Praxis ist in all den Fällen, die hier vorgestellt und untersucht werden, wichtig, weil sie erst den Raum des Zufalls öffnen, über den die routinierte Praxis in Frage gestellt werden könnte. Ausgeführt am Beispiel Hannovers werden im Buch Machtstrukturen untersucht, Arten von Möglichkeitsräumen klassifiziert, wird von Kunstaktionen berichtet, die den Zufall zum Teil ihres Konzeptes machen. Man ist überrascht von der Komplexität des Austauschs, der Netzwerke, aber auch von der Vielfalt der Initiativen, die benannt werden. Soziale Plattformen, ein Wissenschaftsladen, eine Regionalwährung, nachhaltiger Tourismus, Künstlervereinigungen, neue Beteiligungsformen… Nachhaltigkeit wird hier auch in Bezug auf Macht, auf soziale Zusammenhänge zur Diskussion gestellt.
Das alles wird freilich einen Berg von Texten und ausführlichen Darstellungen der Methodik und Wissenschaftsdeutsch gepackt, die, mit Verlaub, das Lesen bisweilen zur echten Herausforderung machen. Wenn es, um nur ein Beispiel zu nennen, in einer Tabelle eines Textes zur Netzwerkanalyse heißt, dass Kanten Verbindungslinien sei, „die zwischen Akteur*innen gezogen werden und eine Relation, in diesem Fall eine Interaktion symbolisieren“, dann darf man sich nicht wundern, dass jeder, der nicht Netzwerkanalysenspezialist ist, das Buch wieder zur Seite legt. Der Versuch, die Inhalte einigermaßen konsumierbar aufzubereiten, ist nicht unternommen: Keine Bilder, keine Übersichtsdarstellungen, die es erleichtern könnte, die Inhalte, die Projekte, die Themen aufzunehmen und sie weiter nach zu verfolgen.
Und so wünscht man sich noch eine Version des Buches, eine die anschaulich vermittelt, was wissenschaftlich erforscht wurde, um die zu erreichen, die von den vielen guten Gedanken inspiriert, ermutigt und angespornt werden könnten. Und die vor einem Kompendium von Texten von Wissenschaftlern für Wissenschaftler kapitulieren müssen.

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1927_KF_RezEventisierung

Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus, Francis Müller (Hg.): Eventisierung der Stadt; 408 Seiten 16,5 x 24 cm, 38 Euro
Jovis Verlag, Berlin, 2019

Es ist nicht so, dass über Eventisierung nicht schon viel gesagt wurde, wenn die Diskussion auch hin und wieder unter anderer Flagge, zum Beispiel der Festivalisierung der Stadtpolitik segelte. In diesem Buch, auch dies Ergebnis eines Forschungsprojekts, wird sie anhand der Stadt Zürich untersucht – wird der Begriff des Events definiert, die Begriffsgeschichte reflektiert, werden Events als Wirtschafts- und Tourismusfaktor einer auf affektiven Erlebnisse identifiziert. Die Zahlen sind eindrucksvoll, aber nicht überraschend: Die Anzahl der Betriebe in diesem Sektor hat sich seit 1995 fast versiebenfacht, die der Beschäftigen fast verfünffacht. Events sind alltäglich geworden – einschließlich ihrer negativen Folgen. Verdrängung, Verlagerung von Budgets zuungunsten der lokalen Bevölkerung, Privatisierung des öffentlichen Raums, schärferes Umgehen mit deviantem Verhalten – erneut ist nachgewiesen und belegt, was bereits aus anderen Untersuchungen bekannt ist, auch wenn nach wie vor gilt, dass diese Schattenseiten selten Eingang in die öffentlichen Bilanzen finden. Aber selbst dann stellt sich der Gewinn nicht immer so ein, wie erwartet. Interessant an dieser Publikation ist zum einen, dass subkulturelle Akteure und sozial orientiertes Arbeiten mit in den Kontext der Betrachtung einbezogen sind und sich auch deswegen die Linie zwischen Gut und Böse nicht so einfach ziehen lässt: Events sind Teil der alltäglichen Lebenspraxis. Dennoch lässt sich nachweisen, dass eine gewissen Ermüdungserscheinung eingetreten ist. Veranstaltungen werden weniger,  und deren Attraktivität hat, wenn auch auf hohem Niveau, nachgelassen. Das stellt umso mehr die Frage, wie Städte mit ihren Events umgehen, welche Qualitäten sie einfordern, wie Veranstalter an Kosten beteiligt werden, die den Kommunen entstehen. Wenn die Produktion von Erlebnissen Teil einer kulturellen Wandlung der Stadt ist, muss gefragt werden, wie sie auch im Sinne der Stadtgesellschaft und ihrer Aufgaben, etwa der Jugend- und Bildungsarbeit, eingesetzt werden kann. Hierzu gibt das Buch wertvolle Hinweise und Anregungen, die man sich nur ein wenig ausführlicher gewünscht hätte.

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