Unsere Städte entstehen in der komplexen Abwägung von Interessen, aber auch in einer ebenso vielschichtigen Zusammenarbeit von Fachleuten, Bürgerschaft und Verwaltung. Die Basis dafür, dass unterschiedliche Interessen ausbalanciert werden können, sind transparente Verfahren mit nachvollziehbar ineinandergreifenden Schritten. Warum ist der Prozess zum Molkenmarkt in Berlin kein Prototyp dafür?
Stadtplanung ist die komplexe Abwägung vieler Interessen und Perspektiven. Ob sie gelingt, wird meist erst Dekaden nach dem Planungsprozess ablesbar. Erst wenn Infrastruktur, Hochbauten und Außenanlagen geplant, genehmigt und gebaut sind, die einzelnen Gebäude verkauft, vermietet, bezogen wurden und Bürgerinnen und Bürger sich das neue Stück Stadt aneignen, erst dann können alle die Qualitäten ermessen, die Mängel ausmachen, auch wenn je nach Perspektive unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Für die einen bemisst sich die Qualität primär in der Beliebtheit und Lebendigkeit der Quartiere, in der gelungenen Aneignung durch die Bürger:innen; anderen geht es primär um die Wertsteigerung der Grundstücke. Oft geht das eine mit dem anderen Hand in Hand. Dann, wenn konkret wird, welche Atmosphäre und Lebensqualität sie uns bietet – diese Stadtplanung, die all dem zu Grunde liegt, dann wird sichtbar, dass es richtig war, in die Planung und die Abwägungen, die Kooperationen und Beteiligungen zu investieren. Erst dann wird sichtbar, dass es richtig war, sorgfältig Beteiligung zu steuern, Expert:innen zu aktivieren und einzubinden.
Prozesse zur Entwicklung der Stadt gibt es diverse und diese Prozesse sind stetigem Wandel unterworfen. Doch es gibt auch die Meilensteine, die einer bis dahin unterschwelligen Entwicklung Raum und Format verschafft haben, neue Ansprüche und Möglichkeiten gebündelt und anderen Formen von Entwicklungsprozessen einen festen Platz im Bewusstsein der Menschen gegeben haben. Das Make City Festival von 2018 war ein solcher Meilenstein. Wer heute die Filmausschnitte des Festivals von 2018 betrachtet, der spürt noch immer den inspirierenden Geist von Teilhabe und Diskurs der Stadtgesellschaft, den Francesca Ferguson mit vielfältigen Events entfacht hat. Hier wurden Bürger:innen und Fachleute eingeladen, über Stadt aktiv nachzudenken und sich am Diskurs zu beteiligen. Damit wurden für zukünftige Planungen Methoden gestärkt und Ansprüche formuliert. Die Erwartungshaltung zu Teilhabe und zum Diskurs in städtebaulichen Verfahren bleibt seitdem hoch – auch wenn dem Diskurs die stumme Mitte oft fernbleibt und stattdessen Vertreter der Grundhaltung NIMBY (Not in my backyard) und BANANA (build absolutely nothing anywhere near anybody) überrepräsentiert sind.
Verwaltung gestaltet Stadt
Parallel dazu ist in vielen Kommunen eine qualifizierte Planungsabteilung üblich, die nicht nur Prozesse aufsetzt, sondern sich auch einzelnen Planungsthemen hoheitlich widmet. Eine solche Abteilung wurde jüngst auch in Berlin von Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt wieder aufgebaut. Neben dem Wettstreit der Ideen innerhalb von Wettbewerben für Planer:innen, begleitet von kooperativen Beteiligungsprozessen, kann die Verwaltung so selbst einen Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen ist dann von der Idee von Stadt geprägt, die innerhalb der Verwaltung vertreten wird. Welche Vision ist das in Berlin? Dieser Frage wurde innerhalb der Stadtgespräche des Berliner BDA im offenen Diskurs in bisher zwei Veranstaltungen mit Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt im DAZ nachgegangen. Die Veranstaltungen können online auf der Seite des BDA nahvollzogen werden. (1) In ihrer Bilanz der Gespräche hielt Veronika Brugger fest, dass Petra Kahlfeldt „wie auch schon in früheren Diskussionen – auf den Kiez als Keimzelle der städtischen Identität Berlins“ fokussiere. Man sei sich einig gewesen, „dass die Partizipation in der Phase der Programmierung ein sinnvolles Instrument ist und später das Planungsverfahren punktuell begleitet.“ (2)
Das Verfahren Molkenmarkt zur städtebaulichen Neuordnung eines Areals in der Mitte Berlins markiert dabei wohl einen besonders unglücklichen Grenzfall der nun neu zu ordnenden Prozesskultur. Am Molkenmarkt wurden nach einem aufwändigen Beteiligungsverfahren zwischen 2018 und 2021 acht Leitlinien für die Entwicklung festgelegt, diese einem städtebaulichen Wettbewerb zugrunde gelegt. In diesem Wettbewerb wurden zwei erste Preise vergeben und mit Kommentaren in die Weiterbearbeitung geschickt, die im Herbst 2022 vorgelegt wurden. Doch nach der Überarbeitungsphase wurde das Verfahren aufgehoben und in die senatseigene Planungsabteilung verlagert. Diese wird nun demnächst ein Ergebnis präsentieren, dem die Vorarbeit der Preisträger wohl eine fundierte Grundlage bieten mochte. Eine umgekehrte Reihenfolge hätte hier eingeleuchtet. Die dem Wettbewerb nachgeschobene senatseigene Bearbeitung erregt nun nachvollziehbar die Gemüter der Mitglieder unseres Berufsstandes.
Investitionen basieren auf Vertrauen
Wettbewerbe sind im Geschäftsmodell Architektur in der Regel nicht nur für Auftraggebende eine Investition in Preisgelder und Verfahren, sondern vor allem für jeden einzelnen Teilnehmenden mit einem hohen Einsatz an Leistungsbereitschaft innerhalb unseres Neigungsberufes. Während Bearbeitungsgebühren meist nur einen Bruchteil des Arbeitsaufwandes decken, wird in Hoffnung auf eine Folgebeauftragung investiert. Bleibt der Folgeauftrag aus, ist die Investition im besten Falle eine wertvolle Erfahrung für ein erfolgreiches nächstes Verfahren.
Als Architektenkammer propagieren wir den Wettbewerb als geeignetes Verfahren im Wettstreit um die beste Idee, denn es geht hier schließlich nicht um eine austauschbare Dienstleistung, sondern um die Gestalt, die unsere gebaute Umwelt prägt. Dabei sollte ein Wettbewerb zur Qualitätssicherung führen. Zwischen Bürgerschaft, Verwaltung und Planende kann ein Vertrauensverhältnis entstehen, das alle Beteiligten motiviert und durch den Prozess der mitunter langwierigen Umsetzung trägt. Die gemeinsame Vision eint, so dass im besten Falle dieses Vertrauen die Entwicklung prägt und irgendwann einmal das Stück Stadt entsteht, das alle Beteiligte miteinander verbindet und einen Rahmen für Gemeinsamkeit in Diversität bietet. Zu einem solchen Vertrauensverhältnis – und zur Transparenz der Entscheidungsfindung – zählt im Wettbewerb das Auftragsversprechen für die Planenden. Welche Berufslobby würde ihren Mitglieder sonst zu solch waghalsigen Akquisemodellen raten, wenn nicht mal für den ersten Preisträger ein lohnender Auftrag in Aussicht steht? Wie kann der Bürgerschaft vermittelt werden, dass ein Wettbewerbsverfahren geeignet ist, dass ihre Anliegen in der fachlichen Bearbeitung berücksichtigt werden? Können wir unseren Kolleg:innen weiterhin dazu raten, ihre Schätze im Wettbewerb zu Markte zu tragen? Ideengeber für unsere Stadt müssen eine angemessene Wertschätzung erfahren, damit der Wettstreit der Ideen attraktiv bleibt für jene, die ihn bestreiten.
(1)
1. Gespräch >>>
2. Gespräch >>>
(2)
siehe >>>
Weitere Information
Seite der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen zum Molkenmarkt >>>
Artikelsammlung zum Molkenmarkt auf der Seite Berlin Plattform >>>
Stellungnahme des Bürgervertreters zum Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt im September 2022 >>>
Wettbewerbsgewinner
Ein erster Preis OS arkitekter in Arge mit cka czyborra klingbeil architekturwerkstatt mbB >>>
Ein erster Preis Bernd Albers Gesellschaft von Architekten mbH mit Prof. Dr. Silvia Malcovati und Vogt Landschaftsarchitekten AG >>>