• Über Marlowes
  • Kontakt

Die Architektur von Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch ist unverwechselbar. Kein anderes europäisches Architekturbüro der Gegenwart arbeitet auf diese inspirierende Weise mit Farbe wie das englisch-deutsche Architektenpaar mit Sitz in Berlin. Zeichnen gehört zu dieser Arbeit als Entwurfs- und Erkenntniswerkzeug dazu. Die Tchoban Foundation gewährt Einblicke in ein außergewöhnliches Œuvre.


2412_Sauerbruch Hutton_H House_London_1995

H-House, Umbau eines Hauses aus den 1960er Jahren, London 1992 (© Louisa Hutton / Matthias Sauerbruch)

Sauerbruch Huttons Arbeit mit Farbe ist auf einzigartige Weise kunstvoll und souverän – das ist überraschend, gehört das Wechselspiel von Architektur und Farbe doch von Bruno Taut über Erich Mendelsohn bis zu Le Corbusier und Luis Barragán eigentlich zu den konstituierenden Elementen der Moderne. Für Sauerbruch Hutton ist Farbe zentrales Mittel bei der Raumbildung ihrer Gebäude. Das wird auch in der Ausstellung „drawing in space“ deutlich, die in anregender Petersburger Hängung in der Berliner Tchoban-Foundation zu sehen ist. Gezeigt werden Arbeiten aus vierzig Jahren, von denen sich viele jenseits der „klassischen“ Architekturzeichnung zwischen den Medien und Farben bewegen, in allen Abstufungen von der reinen Handzeichnung bis hin zu vollständig digitalen Arbeiten.

L-House, London, 1992 (© Louisa Hutton / Matthias Sauerbruch)

L-House, Umbau eines viktorianisches Wohnhauses in ein Büro und eine Maisonnette, London, 1992 (© Louisa Hutton / Matthias Sauerbruch)

Zwei schöne Blätter aus den 1990er Jahren zeigen zwei Häuser in London (N- und H-House 1995, 1999). In den beiden digital kolorierten Handzeichnungen fügen sich collageartig Wandfarben, Nutzungen und bauliche Details wie Tür und Fenster mit dem Grundriss des Hauses auf dem langgestreckten Grundstück zu einer Einheit zusammen. Diese Überlagerungen unterschiedlicher Ebenen bauen auf einem Blatt mit einer doppelten Isometrie für den Umbau eines viktorianischen Hauses in London auf (L-House, 1990/92).

Kinetik Boulogne-Billancourt, 20212 (©)

Bürogebäude „Kinetik“, Boulogne-Billancourt, 2012 (© Sauerbruch Hutton)

In dem Entwurf für das Kinetik-Bürogebäude in Paris, das auf dem ehemaligen Werksgelände der Renault-Fabriken in Boulogne-Billancourt entstanden ist (2012), wird die wachsende Komplexität der Zeichnungen von Sauerbruch Hutton anschaulich. In Paris wurden Süd- und Westfassade nach dem Prinzip der „kinetischen Polychromie“ gestaltet. Das führt dazu, dass das Haus beim Vorbeigehen je nach Blickwinkel und Bewegungsrichtung der Betrachter immer wieder eine andere farbliche Erscheinung besitzt. Diese wechselnde Erfahrung von Raum und Farbe, von Architektur und Stadt ist auf der digitalen Zeichnung als Überlagerung aus verschiedenen Blickwinkeln zusammengeführt worden. Solche Recherchen zur Bewegung im Farbraum lassen sich in der Tchoban-Foundation auch in einer interaktiven Installation im Obergeschoss unmittelbar erleben. Wer das erste Motiv dort noch sehen möchte, muss sich eilen. Am 22. März wird es ausgewechselt. An diesem Tag wird zudem im ANCB The Aedes Metropolitan Laboratory der Katalog der Ausstellung >>> vorgestellt .
Der konzentrierte Bogen der ausgestellten Arbeiten ist weit und zeigt natürlich auch die Hauptwerke von Sauerbruch Hutton seit den 1990er Jahren, die GSW Hauptverwaltung (die als herausragendes Beispiel der Architektur der Nachwendezeit dringend unter Denkmalschutz gestellt werden sollte) und das Photonikzentrum in Berlin, das Museum Brandhorst in München und das wundervolle Museum M9 in Mestre.

Besonders reizvoll ist, dass Aedes Gründerin Kristin Feireiss als Kuratorin der Ausstellung darauf gedrängt hat, auch frühe, teilweise noch studentische Arbeiten von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton zu zeigen. Die Blätter erweisen sich als inspirierende Dokumente bei einer Suche nach den künstlerischen, architektonischen und städtebaulichen Wurzeln in der Arbeit der beiden.

Venice Raft, 1983-84 (© Louisa Hutton)

Venice Raft, 1983-84 (© Louisa Hutton)

Etwa bei den von der britischen High-Tech Architektur angehauchten Zeichnungen für die Wasserfront des „Brighton-Project“ von Hutton (1983/84) oder dem zauberhaften Aquarell für eine Academia-Brücke in Venedig. Im Jahr der Berliner IBA 1987 entstanden, schimmert dort wohl nicht ganz zufällig der damals angesagte Strich der Postmoderne durch.

Westhafen, Berlin, 1988 (© Matthias Sauerbruch)

Westhafen, Berlin, 1988 (© Matthias Sauerbruch)

Eher im Duktus von Mies van der Rohe mutet dagegen eine Entwurfszeichnung in Kohle vom Westhafen von Matthias Sauerbruch an, die im Rahmen des von Kristin Feireiss 1988 verwirklichten Ausstellungs- und Katalogprojektes „Berlin – Denkmal oder Denkmodell“ im Jahr vor dem Fall der Mauer entstand.

Venice Raft, 1983-84, Wasserfarben ( Louisa Hutton)

Venice Raft, 1983-84, Wasserfarben (© Louisa Hutton)

Besondere Aufmerksamkeit aber verdient ein überaus zauberhaftes Blatt von Hutton. Ursprünglich als Stegreifentwurf an der AA bei Peter Salter entstanden, wurde der Entwurf anschließend akribisch ausgearbeitet. „Venice-Raft“ (1983-84) ist eine schwimmende „Event“-Insel, die technische Funktion und poetische Erscheinung elegant vereint. Technisch, wenn die Schwimmvorrichtungen des Floßes unter Wasser erläutert werden. Poetisch, wenn die Insel vor San Marco schwimmt, während sich die Kuppeln der Kirche im aqua alta auf der Piazza San Marco spiegeln. Gefühlvoll greifen die Farben der „Segel“ des Floßes dabei jene der Umgebung auf. Hier scheint bereits all das angelegt zu sein, was in den folgenden Jahrzehnten die Architektur von Sauerbruch Hutton ausmacht: Die Bewegung der Architektur im Raum, die organische Gestaltung der Formen, die ambitionierte technische Durchdringung der jeweiligen Aufgabe und natürlich die Farben, die sich im Wechselspiel aus den Vorgaben des Ortes und der künstlerischen Inspiration von Sauerbruch Hutton herleiten. Ein Schlüsselwerk.


„Sauerbruch Hutton. drawing in space“. Bis 5. Mai in der Tchoban Foundation, Berlin