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Mut baut Zukunft. So wurde für den Kirchbautag geworben. Doch auf der Veranstaltung hätte man sich etwas mehr Mut zu klaren Worten und einer anderen Baupraxis gewünscht. (Bild: Evangelische Kirche im Rheinland)

Der Kirchbautag in Köln wollte die Zukunft des Kirchenbaus beleuchten, blieb aber in der Gegenwart verhaftet und damit letztlich enttäuschend.

Architektur ist immer nur so gut, wie ihre Bauherrschaft. Nur im Dialog auf Augenhöhe, nur durch Einfühlung auf der einen und Vertrauen auf der anderen Seite, so die These dabei, kann wahrlich gute Architektur entstehen. Je weniger Wissen und je mehr Misstrauen, desto schlechter die gebauten Ergebnisse. Wer baut, übernimmt Verantwortung: für sich, für alle die das Haus benutzen und nicht zuletzt für die Zukunft. Insofern war der Titel des diesjährigen Kirchbautags – nach 1953 und 1993 nun zum dritten Mal in Köln – weise gewählt: „Mut baut Zukunft“. Es braucht Mut, um zu bauen, Mut, sich der damit einhergehenden Verantwortung zu stellen. Die Tagung in der Kölner Trinitatis-Kirche suggerierte zudem ein proaktives und interaktives Momentum im Untertitel: „Strukturwandel gemeinsam gestalten“.

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Thomas Erne hinterlässt ein Erbe, das nicht weiter gepflegt werden darf. (Bild: Monika Nonnemacher/Kirchbautag EKiR)

In der evangelischen Kirche sind es in der Regel die Pfarrer:innen, die, unterstützt von Presbyterium oder Kirchenvorstand, als bauherrschaftliche Vertretung auftreten. Soll also ein Kirchenbau gut werden, für die Gemeinde funktionieren und gestalterischen Kriterien genügen, bedarf es entweder eines großen Vertrauens gegenüber den Architekt:innen oder aber einer gewissen Schulung in räumlichen und ästhetischen Belangen – im besten Falle kommt beides zusammen. Über Jahre hinweg leistete dies das Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg. Bis Anfang des Jahres leitete Thomas Erne das Institut, das auch und vor allem durch finanzielle Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Betrieb aufrechterhalten, thematische Setzungen bei Kirchbautagen seit 2006 vornehmen, vor allem aber angehende Pfarrer:innen im Rahmen ihrer Ausbildung mit Blick auf ihre Rolle als Verantwortungstragende auch in Gestaltungsfragen schulen konnte. Mit diesem Jahr stellt die EKD die Unterstützung ein. Um 90.000 Euro jährlich sei es schlussendlich gegangen, so Thomas Erne im Rahmen des Kirchbautages in Köln. Für die Findungen der Themen der jeweiligen Kirchbautage wird künftig das in Berlin ansässige Kulturbüro der EKD zuständig sein, die Frage nach einer ästhetisch-räumlichen Schulung künftiger Pfarrer:innen aber bleibt offen.

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Typologisch interessant: Die Erlöserkirche von Harris + Kurrle Architekten. (Bild: Joel Harris/privat)

Zum Beispiel I: Die Erlöserkirche in Köln-Weidenpesch

Die erste von zwei neu gebauten Kirchen, die konkret in Köln thematisiert wurden, war die zwischen 2015 und 2022 vom Stuttgarter Büro Harris + Kurrle Architekten in Köln-Weidenpesch errichtete Erlöserkirche. Wie überall in Deutschland, hat auch hier die Kirchengemeinde damit zu kämpfen, dass sie schrumpft:  Wo einst zwei Kirchen in Mauenheim und Weidenpesch regelmäßig gefüllt waren, haben sich die beiden Gemeinden inzwischen zu einer zusammengeschlossen und darauf verständigt, einen Standort aufzugeben. Dafür wurden zwei Kirchen aus der Nachkriegszeit abgerissen und nach einem Wettbewerb der Neubau von Harris + Kurrle in unmittelbarer Nähe zur Kölner Trabrennbahn errichtet. Schließlich haben auch die Denkmalschützer den Altbau nicht für erhaltenswert erachtet, was, so Susanne Zimmermann, Pfarrerin der Gemeinde, vor dem Hintergrund der Gemeindegeschichte einerseits eine schmerzhafte Erfahrung gewesen sei, anderseits aber eben auch den Weg für den Neubau freigemacht habe.

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Blick in den Kirchenraum. (Bild: Joel Harris/privat)

Auf quadratischem Grundriss orientiert sich der zweigeschossige Gemeindesaal zu einem kleinen Vorplatz, der durch den Abriss des Glockenturms aus den 1960er-Jahren entstanden war, umrahmt von verschiedenen Nutzungen wie Büros und Kindergarten. Die Südwestecke des Gebäudes markiert ein Glockenturm, der von einem L-förmigen und drei Geschosse über dem Gemeindesaal aufgehenden Gebäudeteil mit Wohnungen mit gleicher Traufhöhe umfangen wird. Neben anderen Mieter:innen wohnt auch die Pfarrerin selbst hier über dem Gemeindesaal. Typologisch ist das interessant. Variationen des Backsteins perforieren die Fassade an notwendigen Stellen oder applizieren christliche Ornamente wie Kreuz, zwei Fische und fünf Brote als abstrahierte Symbole für das Abendmahl. Diese Geste, so die Pfarrerin, solle für die Offenheit der Gemeinde und die stetig ausgesprochene Einladung zur Teilhabe ins ganze Quartier hinein stehen.

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Immanuel-Kirche von 2014, Sauerbruch Hutton. (Bild: Andrea Ginsberg)

Zum Beispiel II: Immanuel-Kirche in Köln-Stammheim

Bereits seit 2013 fertig ist die vom Berliner Büro Sauerbruch Hutton realisierte Immanuel-Kirche in Köln-Stammheim. Auch hier finden sich nun Gläubige zusammen, die einst zu zwei Gemeinden gehörten. Dafür wurde das alte Gemeindehaus 2012 „komplett geschreddert“, wie Vera Hartmann, Partnerin im Büro Sauerbruch Hutton freimütig bekannte, die Kirche in Flittard außerdem bereits 2009 abgerissen. Zum Erhalt der Bäume auf dem Grundstück habe dagegen einiger „Mut“ auf Seiten der Architekt:innen gehört, so Hartmann weiter. Wegen der Trockenheit der letzten Jahre in Folge des Klimawandels wurden die meisten der Bäume inzwischen jedoch aus Sicherheitsgründen gefällt. Die Architektin hofft auf „Aufforstung“. Zunächst als Sichtbetonbau geplant, wurde die Kirche schließlich als Holzkonstruktion realisiert, die Vielzahl von Architektur- und Holzbaupreisen, mit denen dieser Bau prämiert wurde, spricht für sich. Mit der Immanuelkirche ist dem Team von Sauerbruch Hutton ein bemerkenswert schöner Kirchenraum gelungen.

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Großartiger Kirchenraum. Blick von der Empore ins Kirchenschiff. (Bild: Annette Kisling)

Womöglich einer jener Räume, die Gerhard Matzig in seinem Einführungsvortrag meinte, als er davon sprach, dass die Kirche über eine Vielzahl großer und eindrücklicher Kirchenräume verfüge, die leider keine Entsprechung in den Denkräumen der Institution selbst fänden, seien diese doch mitunter eher klein und eng. Dem Architekturkritiker der Süddeutschen Zeitung gelang es, den offenkundigen Strukturwandel der Kirche mit den planetaren Zukunftsfragen zu verknüpfen. In Zeiten, in denen es einerseits immer weniger offene und uncodierte Räume gäbe und anderseits Fragen nach dem Erhalt der Biodiversität und dem Verhindern von CO2-Aktivierung drängend wie nie seien, könnten die Kirchen diesen Defiziten bewusst ihre Botschaften und Werte entgegensetzen.

Ressourcenschonung als Thema der Zukunft

Immer wieder klang dies im Verlauf der fast viertägigen Veranstaltung in Köln an. Eine tatsächliche Konsequenz fand es dennoch nicht. Und das obwohl 2022 – nach dem Flutsommer 2021 – also genau fünfzig Jahre nach Erscheinen des Berichts zur Lage der Menschheit des Club of Rome – europaweit der trockenste Sommer seit 500 Jahren verzeichnet wurde. Wurde das Thema an vielen Stellen als virulent und drängende Frage des Hier und Jetzt eingeschätzt, so war dann doch immer auch relativierend zu hören, dass das „ein Thema für die Zukunft“ sei. Diese Einschätzung ist umso bemerkenswerter, als Jörg Lauster in seinem Vortrag betonte, dass sich im Kirchbau auch immer ein theologischer Anspruch zum Ausdruck bringe. Lauster lehrt als systemischer Theologe und Inhaber des Lehrstuhls für Dogmatik, Religionsphilosophie und Ökumene an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Auch er wies auf die drängenden Probleme mit Blick auf die „Grenzen des Wachstums“ hin, aber auch seine Hinweise wurden von der Moderation nicht weiter beachtet.

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Holz prägt den Charakter der Immanuel-Kirche. 2022 ist es aber nicht nur notwendig, für Neubauten das richtige Material zu wählen, sondern auch, die im Bestand erhaltene Energie nicht zu erhalten. (Bild: Monika Nonnemacher/Kirchbautag EKiR)

Immerhin wurde Architektur hier als Chance gesehen – als Chance, Kirche und Glauben einen Ausdruck durch den Raum zu geben. Dass dabei schrumpfende Gemeinden und das soziale Engagement der Kirche für den jeweiligen Ort eine Rolle spielen, sollte im Jahr 2022 eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, keinesfalls aber alleiniges Thema einer viertägigen Veranstaltung, die in ihrem Kern bis 1946 zurückreicht und 1949 auf Vorschlag von Otto Bartning und dem damaligen Vizepräsidenten der Kirchenkanzlei der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland, Oskar Söhngen, offiziell gegründet wurde.

So blieb der Kirchbautag von Köln eine Enttäuschung. Denn ob es künftigen Generationen von Pfarrer:innen besser gelingen wird, die Verantwortung für Bau und Umwelt mitzutragen, wenn ihnen ein entsprechender Anteil ästhetischer und räumlicher Schulung in der Ausbildung fehlt, darf bezweifelt werden. Ebenso wie die Frage, ob Kirchen, die den Abriss bestehender Bausubstanz mehr als billigend in Kauf nehmen, wirklich ein angemessener räumlicher Ausdruck eines zeitgemäßen theologischen Anspruchs sind. Dabei könnte ein klares räumliches und ästhetisches Zeichen der architektonischen Notwendigkeiten in Zeiten des Klimawandels vielleicht einer jener Impulse sein, der dem steten Mitgliederschwund entgegensteht.


Das drängende Thema Abriss wird in einem Offenen Brief an die Bundesbauministerin Klara Geywitz aufgegriffen, der am 19. September veröffentlicht wurde. Die Unterzeichnenden fordern ein Abriss-Moratorium: »Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen.«
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