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Eine wahre Stadtikone Berlins und ein emblematisches Gebäude der Neunziger Jahre droht entstellt zu werden. Das GSW-Hochhaus der Architekten Sauerbruch+Hutton, das seit seiner Fertigstellung im Jahre 1999 den Luftraum und das Gesicht von Berlins Zentrum mitprägt, soll entscheidende Teile seiner markanten, warm leuchtenden Westfassade verlieren. Nachdem alle Gesprächsversuche scheiterten, wandten sich letzte Woche die Architekten mit einer Pressemeldung und Online-Petition an die Öffentlichkeit.


Als Berlin nach dem Fall der Mauer um den Wiederaufbau seines Stadtzentrums stritt, als Städtebau und Architektur noch ein öffentliches Thema war, das weit über die Grenzen der Spreemetropole hinaus diskutiert wurde, da entstand am westlichen Rande Kreuzbergs und nahe der damaligen Großbaustelle Potsdamer Platz ein Gebäudeensemble, dass sich deutlich von vielen anderen zeitgenössischen Projekten unterschied und für eine andere Architektur stand als die des Steinernen Berlins von Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Bot doch der neue GSW-Hochhauskomplex des noch sehr jungen Architektenpaares Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton eine intelligente wie hintersinnige Stadtreparatur an, die die unterschiedlichsten Spuren der Geschichte aufnahm und in ein farbenfrohes Ensemble voller Dynamik überführte.

Signifikanz

Während viele andere Teilnehmer des zweistufigen Architekturwettbewerbs von 1991/92 den 17-geschossigen Altbestand eines Hochhausturms der Sechziger Jahre (Architekten: Schwebes und Schoszberger) abreißen wollten, entwickelten Sauerbruch Hutton ihr Konzept mit und um den Turm als ein spannungsreiches Ensemble mehrerer Bauten, die jeweils eine andere Zeitschicht des Bauens am Ort aufnahm und in prägnante, eigensinnige Baukörper überführte: Mit einen dreigeschossigen Flachbau, der an die Bauhöhe des 18. Jahrhunderts anknüpfte, einen darauf stehenden ovalen Baukörper namens Pillbox für die Bauhöhe Mitte des 19. Jahrhunderts und einer 22-geschossigen, leicht gebogenen Hochhausscheibe für das ausgehende 20.Jahrhundert. Obgleich die Architekten ihre Baukörper auch an vergangenen Straßenverläufen orientierten und den Straßenraum zumindest visuell und fußläufig ins Foyer ihres Gebäudes fortsetzten, war es der markanter Körper der Hochhausscheibe und deren leuchtende Westfassade in verschiedenen rötlich warmen Farbtönen, die das GSW-Haus erst zu einem Augenfang und dann recht bald zu einem der neuen Stadtwahrzeichen Berlins verwandelten.

Originales Farbmuster der Fassade von Sauerbruch Hutton Architekten (heute Sauerbruch Hutton Gesellschaft von Architekten mbH)

Originales Farbmuster der Fassade von Sauerbruch Hutton Architekten (heute Sauerbruch Hutton Gesellschaft von Architekten mbH)

Hunderte von Publikationen über das neue Berlin haben seit seiner Fertigstellung im Jahre 1999 immer wieder diese eine Seite des Projekts aus allen möglichen Perspektiven gezeigt, die sich deutlich von allen Hochhäusern der Nachbarschaft abhebt. Nicht starr, sondern dreh- und verschiebbar gelagert waren und sind aktuell noch ihre Farbfelder, Sonnenschutzpaneelen aus perforierten Aluminiumblechen, die einem luziden, eigens für das Haus entwickelten Farbcode folgen, der hier von Gelb über Orange bishin zu verschiedenen Rottönen reicht. Ein integraler Teil eines avancierten Energiekonzepts waren sie zudem, mit dem damals das Wohnungsbauunternehmen GSW ganz neue Zeichen in Berlin setzte hin zu einer ressourcenschonenderen Architektur.

Farbplanungs-Variante 1 des Siena Real Estate

Farbplanungs-Variante 1 des Siena Real Estate

Nun, 23 Jahre nach seiner Fertigstellung soll das Hochhaus sein wichtigstes Gestaltungselement seiner hinterlüfteten Westfassade auf Wunsch der neuen Eigentümer verlieren. Schon wenige Jahre nach der Eröffnung wurde das öffentliche Wohnungsbauunternehmen GSW vom Berliner Senat an internationale Investoren verkauft, das Zug um Zug seinen Stammsitz räumte und 2014 in dem größeren Unternehmen Deutsches Wohnen aufging. Unternehmen der IT- und Kreativbranche traten an seine Stelle, die fast alle die vielen Vorzüge und den hohen Wiedererkennungswert des Hauses zu schätzen wussten. Doch mit jedem Besitzerwechsel im Karussel zeitgenössischen Immobilienumschlags sank das Verständnis für das besondere Haus.

Ende 2016 zog dann das Startup-Unternehmen Rocket Internet als Hauptmieter in den Gebäudekomplex, in dem übrigens auch Amazon Räume fand. Anfang 2017 erwarb L’ETOILE PROPERTIES als Teil der Investmentgruppe Bruxelles Lambert das Haus von einem Fonds der JP Morgan Asset Management, die dem Gebäude den neuen Namen Rocket Tower verlieh. Und für den Hauptmieter Rocket soll nun offenbar als neue Corporate Identity die Farbigkeit und Materialität des Sonnenschutzes verändert werden: weg von dreh- und verschiebbaren, perforierten Metallpaneelen und hin zu textillen Zip-Rollosystemen in tristen Standardindustriefarben, deren einfältige Farbkombinatorik wohl kaum von einem Architekten konzipiert wurde.

Farbschema 2 der Siena Real Estate

Farbschema 2 der Siena Real Estate

Nur durch eine erste Mock-Up-Fassade am Haus erfuhren die Architekten von dem geplanten Umbau, der nebenbei auch den drohenden Verlust der Luftdurchlässigkeit der Paneelen für die Klimatisierung der Hochhausscheibe zu ignorieren scheint. Gesprächsversuche mit der neuen Eigentümergruppe endeten ohne Aussicht auf eine Einigung. Alle Einwände der Architekten gegen die neue Fassadenlösung stießen dort auf Unverständnis bishin zur Aussage, daß der Wert des Gebäudes noch am wenigsten durch sein Aussehen beeinflusst sei.

Vertrauen und Urheberrechte

Zu gutgläubig hatten die jungen Architekten in den Neunzigern auf ein Änderungsrecht gegenüber dem Bauherrn verzichtet. Zu gut war damals einfach das Einverständnis mit dem Bauherrn GSW, der sichtlich stolz auf sein Haus war. Ähnliche Fehler sollten heute besonders junge Architekten vermeiden. Das Urheberrecht ist jedoch davon nicht betroffen, was aber langwierige juristische Verfahren mit unsicherem Ausgang nach sich ziehen kann. Deshalb wandten sich Sauerbruch+Hutton letzte Woche mit einer Pressemeldung und einer Online-Petition „Rettet die GSW-Fassade“ an die Öffentlichkeit. Letztere unterstützen bereits 2.726 Personen, darunter viele internationale Wissenschaftler, Künstler und Architekten wie Barry Bergdoll, Aaron Betsky, Jean Louis Cohen, Katharina Grosse oder Olafur Eliasson.

Vielleicht kann die große öffentliche Resonanz die Eigentümer noch von ihrem Vorhaben abbringen. Vielleicht erhebt auch der langfristige Hauptmieter Rocket Internet sein Wort. Schließlich stehen hinter dem Unternehmen die bekannten Gebrüder Samwer, die schon an vielen Orten Berlins mit ihren Unternehmen präsent sind und sich dezidiert auch als Adresse für Kreative verstehen. Eine derart brachiale Umgestaltung „ihres“ Hauses kann wohl kaum in ihrem Interesse sein, die einen einzigartigen Ort mit hoher Wiedererkennbarkeit in ein austauschbares Einerlei zu verwandeln droht. Die Rettung eines ikonenhaften Gebäudes für Berlin wäre hingegen für sie ein großer publizistischer Gewinn.

Auf den Denkmalschutz können die Architekten leider nicht hoffen. Mit Baujahr 1999 ist das 23 Jahre alte Gebäude noch zu jung für ein Baudenkmal – wie Berlins Landeskonservator Christoph Rauhut sichtlich bedauert. Dort ist man stolz entgegen anderer Bundesländer nun schon Gebäude der IBA und des späten DDR-Wohnungsbaus aus den Achtzigern hinsichtlich ihrer Denkmalwürdigkeit prüfen zu können, also nicht 50, sondern nur 30 Jahre verstreichen zu lassen. Gegen den immer höheren Verwertungsdruck sei aber der Denkmalschutz kein geeignetes Mittel für jüngere Gebäude, zumal dann der Denkmalschutz von einem Brandherd zu nächsten Brandherd eilen müsse.

Unter Schutz?

Doch Hilfe könnte noch von der Oberen Denkmalpflege kommen. Die Behörde hat mit ihrem neuesten Leitfaden zu „besonders erhaltenswerten Bausubstanz“ (BEB) auf das Kulturgut städtebaulicher und gestalterischer Qualitäten hingewiesen. Die Präsidentin der Architektenkammer Berlin Theresa Keilhacker möchte dies in der Novellierung der Berliner Bauordnung verankert wissen. Das ehemalige GSW-Haus wäre ein typisches Beispiel dafür, wie ein besonderes Berliner Haus vor einer drohenden Verunstaltung gerettet werden könnte. Viele wertvolle Gebäude der neueren Zeit drohen uns sonst verloren zu gehen, nicht nur durch Abriss, sondern simpel durch den Verlust erhaltenswerter Bausubstanz. Von den Neunzigern könnten im schlimmsten Falle dann nur noch Kultur- und Wohnbauten zeugen, da heute Bürobauten in immer kürzeren Abständen rundum erneuert werden. Doch Häuser und Orte sind keine Reifen oder beliebig veränderbare Wirtschaftsgüter. Sie sind nicht minder wichtige Kulturzeugnisse und lieb gewordene Orte in der Stadt.

Ressourcenschonung ist auch ein wichtiger Aspekt, der nicht unberücksichtigt bleiben soll. Mit überschaubarem Aufwand ließe sich nach Aussagen der Architekten die in die Jahre gekommene Westfassade erneuern. Etwas verblichen sind manche Farbtöne ihrer bunten Metallpaneelen, was ihren Charme aber kaum mindert, da sie in Würde Patina ansetzten. Nur ihre Gelenke für ihre beeindruckende Veränderbarkeit würden dringend eine Grundreinigung erfordern, um wieder voll funktionsfähig zu sein. Allzu oft hätten die Facility Managements des Hauses gewechselt, von denen eins irgendwann auf die Idee verfiel, die Gelenke dick zu fetten, sodass sich nun dort über die Jahre viel Dreck ablagern konnte. Vielleicht der eigentliche Beweggrund für den beabsichtigten Wechsel zu einem vermeintlich pflegeleichteren Sonnenschutz aus Textil, der aber unvergleichbar mehr Ressourcen, Aufwand und letztlich auch die Entsorgung der Paneelen erfordern würde. In Zeiten des Klimawandels sollte jedwedes Unternehmen den Einsatz seiner Mittel klug und nachhaltig abwägen.

Aktuell: Die Fassade mit drei Mock-up-Fenster unten rechts (Foto: Sauerbruch Hutton)

Aktuell: Die Fassade mit drei Mock-up-Fenster unten rechts (Foto: Sauerbruch Hutton)

Das GSW-Haus war ein vielfach ausgezeichneter Pionier für nachhaltiges Bauen und softes Hightech. Und das Modell des Hauses ist schon lange ein Teil der Sammlung des Museum of Modern Art in New York. Ob man dies später einmal auch über den Rocket Tower nach dem Umbau sagen kann, darf nach den vorliegenden Planungen angezweifelt werden. Welche klimatischen Nachteile und vielleicht sogar Schäden durch eine zu große Überhitzung der exponierten Konvektionsfassade dank lüftungsdichterer Textillien eintreten könnten, scheint viel zu wenig bedacht. Dies wäre dann nicht nur ein GAU für die Stadt Berlin und seine Einwohner, sondern letztlich auch für die Mieter und Eigentümer des Hauses – und damit noch weitaus größer als der ästhetische Verlust eines liebgewordenen friendly alien.


Link zur Petition
https://www.change.org/p/gegen-die-entstellung-der-ehemaligen-gsw-hauptverwaltung