Schon das Denkmalschutzjahr hat 1975 gesamtgesellschaftlich klar gemacht, dass abstruse Abrisse – damals der Architektur der Gründerzeit – baukultureller Frevel und obendrein unnötig sind. Die Auseinandersetzung mit der existierenden Bausubstanz begleitet die Architekturdebatten seither, beispielsweise mit der db-Serie „…in die Jahre gekommen“ und in den letzten Jahren mit zunehmender Intensität. Dennoch ist der Abriss heute eine traurige Normalität, als habe kaum jemand etwas von Grauer Energie und Ressourcenknappheit gehört.
Erste Ideen zum Bau der Staatlichen Verwaltungsschule entwickelte Rolf Gutbier als Stadtplaner im Wiederaufbauprozess der Stadt Stuttgart nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei setzte er sich als Rektor der technischen Hochschule mit dem ‚Hochschulcampus Stadtgarten‘ für ein innerstädtisches Pendant zum Campus in Vaihingen ein. Zusammen mit Curt Siegel und Günther Wilhelm konnte er ab 1956 mit den beiden Kollegiengebäuden (Paul-Bonatz-Preis 1963) sowie dem Tiefenhörsaal (Paul-Bonatz-Preis 1971) zentrale Teile davon umsetzen.
Hanglage
Die grundlegende Idee zur Gliederung der Verwaltungsschule in Terrassenform am heutigen Standort in der Jägerstraße und als Erweiterung zum Stadtcampus skizzierte Gutbier erstmals 1962 im Rahmen eines städtebaulichen Gutachtens. Gruppiert um einen stufenförmigen Vorplatz realisierte er mit dem Bau der Staatlichen Verwaltungsschule bis 1971 ein zusammenhängendes städtebauliches Ensemble mit Hörsaaltrakt, Verwaltungsbau (ehemalige Staatliche Sport-Toto GmbH) sowie einem (heute abgerissenen) Wohn- und Pförtnerhaus.
Zentrum der Anlage ist der Lehrbau. Er erstreckt sich der Topografie folgend über fünf Geschosse gestaffelt den Südhang hinauf und beherbergt Seminarräume, Lehrerzimmer, Bibliothek und Verwaltung. Freitreppen, Pausenhöfe und Brücken erschließen die Geschosse im Außenraum und sind zugleich (halb)öffentliche Fußwegverbindung zwischen Innenstadt und Kriegsberg. Die Staffelung der Anlage wird durch die lineare Gliederung von Brüstungen und Fensterbändern betont; dabei sind die Etagen des Bildungsbaus geschossweise um Raumtiefe horizontal versetzt und es entstehen den Seminarbereichen vorgelagerte Dachterrassen. Mit großen Sträuchern bepflanzt, bieten sie vielfältige Ausblicke zur Innenstadt und sorgen dank geringer Höhenentwicklung dafür, dass das Sichtbetonbauwerk – zumal von oberhalb am Hang – optisch kaum in Erscheinung tritt. Dies entspricht auch Gutbiers Wunsch, mit dem Ensemble „das Grün bis an den Cityrand heranzuführen“.
Innenleben
Herzstück der Anlage ist der weitläufige, innenliegende Treppenraum der Schule. Dieser zieht sich vom geschossbreiten Eingangsfoyer als weitläufige, terrassierte Erschließungslandschaft mittig durch alle Etagen. Dabei entsteht ein zusammenhängender, offener Treppenraum als zentraler Verteiler und kommunikativer Begegnungsraum. Pflanztröge, Möblierungen sowie ein Wandhängesystem entlang der Treppengalerie und großen Zwischenpodeste schaffen unterschiedliche Nutzungsangebote. Die Seminarräume bilden im Gebäudelängsschnitt auf massiven Betonunterzügen und Rippendecken eine brückenartige Konstruktion über die zentrale Erschließungsschneise. Pausenhöfe im Freien bieten Zugang zu den Dachterrassen und sind die Bindeglieder zwischen den Innen- und Außenbereichen. Der Materialmix wird von schalungsrauem Sichtbeton, Steinwerkstoffen, Stahl und Glas bestimmt. Großformatige Plastiken im Luftraum der Treppengalerie und dreidimensionale Wandreliefs des Bildhauers Wolfgang Klein sind integraler Bestandteil der Architektur und akzentuieren in Blau und leuchtendem Orange die durch Licht und Schatten modellierte Grauskala des Sichtbetons.
Gut erhalten
Wichtige Argumente für den Erhalt liefert die Betrachtung der materiellen Ressourcen und der Grauen Energie bei rund 10.000 Tonnen verbautem Stahlbeton. Noch augenfälliger sind die räumlichen Besonderheiten des Treppenraums, zumal dieser unter heutigen Flächeneffizienzbetrachtungen kaum mehr realisierbar wäre, aber vielfältige Nutzungspotentiale bietet. Nicht zuletzt lohnt ein Blick auf den Brandschutz. Dieser scheint trotz der Klassifizierung des Bauwerks als Hochhaus (!) wenig problematisch. So sprechen auch die geschossweise vorhandenen, ebenerdigen Fluchtwege ins Freie für den Erhalt dieser wenig bekannten, gefährdeten Hangtypologie im Herzen Stuttgarts.
Gefährdete Arten. Erhalt versus Abriss in Baden-Württemberg
Bis 31. März 2023
BDA Wechselraum
Zeppelin Carré, Friedrichstr. 5, Stuttgart
Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart
Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen
Finissage und Abschlussgespräch: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und den Kurator:innen.
Wir danken dem BDA Baden-Württemberg für die Kooperation.