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Gefährdet: Staatliche Verwaltungsschule von Rolf Gutbier

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Die Verwaltungsschule in der Stuttgarter Jägerstraße 2018. Das Gebäude von Rolf Gutbier entstand 1968-1971. (Bild: Leo Herrmann)


Schon das Denkmalschutzjahr hat 1975 gesamtgesellschaftlich klar gemacht, dass abstruse Abrisse – damals der Architektur der Gründerzeit – baukultureller Frevel und obendrein unnötig sind. Die Auseinandersetzung mit der existierenden Bausubstanz begleitet die Architekturdebatten seither, beispielsweise mit der db-Serie „…in die Jahre gekommen“ und in den letzten Jahren mit zunehmender Intensität. Dennoch ist der Abriss heute eine traurige Normalität, als habe kaum jemand etwas von Grauer Energie und Ressourcenknappheit gehört.


2305_Gef_Arten_TitelIn Stuttgart wird, nachdem 2016 die fulminante Ausstellung „Stuttgart reißt sich ab“die Problemlage in eine landesweite Öffentlichkeit getragen hatte, derzeit die Ausstellung Ausstellung „Gefährdete Arten“ gezeigt. Sie widmet sich anhand von Fallstudien aus Baden-Württemberg Gebäuden der Nachkriegsmoderne, die ganz oder in Teilen abrissgefährdet sind,  informiert über die Konflikte, die den Erhalt erschweren. Wir stellen bei Marlowes in den kommenden Wochen einige von ihnen vor – mit Beiträgen, die für die Ausstellungsdokumentation verfasst wurden, für Marlowes nun aktualisiert und zum Teil ergänzt wurden. red.

Isometrie der Anlage (Typologie Atlas 2.0)

Axonometrische Bestandserfassung (Sharing Brutalism)

 

Erste Ideen zum Bau der Staatlichen Verwaltungsschule entwickelte Rolf Gutbier als Stadtplaner im Wiederaufbauprozess der Stadt Stuttgart nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei setzte er sich als Rektor der technischen Hochschule mit dem ‚Hochschulcampus Stadtgarten‘ für ein innerstädtisches Pendant zum Campus in Vaihingen ein. Zusammen mit Curt Siegel und Günther Wilhelm konnte er ab 1956 mit den beiden Kollegiengebäuden (Paul-Bonatz-Preis 1963) sowie dem Tiefenhörsaal (Paul-Bonatz-Preis 1971) zentrale Teile davon umsetzen.

 


Die Baumasse ist auch in der Ansicht elegant mit horizontaler Gliederung ans Gelände geschmigt. (Foto: Leo Herrmann, 2018)

Die Baumasse ist auch in der Ansicht elegant mit horizontaler Gliederung ans Gelände geschmiegt. (Foto: Leo Herrmann, 2018)

Hanglage

Die grundlegende Idee zur Gliederung der Verwaltungsschule in Terrassenform am heutigen Standort in der Jägerstraße und als Erweiterung zum Stadtcampus skizzierte Gutbier erstmals 1962 im Rahmen eines städtebaulichen Gutachtens. Gruppiert um einen stufenförmigen Vorplatz realisierte er mit dem Bau der Staatlichen Verwaltungsschule bis 1971 ein zusammenhängendes städtebauliches Ensemble mit Hörsaaltrakt, Verwaltungsbau (ehemalige Staatliche Sport-Toto GmbH) sowie einem (heute abgerissenen) Wohn- und Pförtnerhaus.
Zentrum der Anlage ist der Lehrbau. Er erstreckt sich der Topografie folgend über fünf Geschosse gestaffelt den Südhang hinauf und beherbergt Seminarräume, Lehrerzimmer, Bibliothek und Verwaltung. Freitreppen, Pausenhöfe und Brücken erschließen die Geschosse im Außenraum und sind zugleich (halb)öffentliche Fußwegverbindung zwischen Innenstadt und Kriegsberg. Die Staffelung der Anlage wird durch die lineare Gliederung von Brüstungen und Fensterbändern betont; dabei sind die Etagen des Bildungsbaus geschossweise um Raumtiefe horizontal versetzt und es entstehen den Seminarbereichen vorgelagerte Dachterrassen. Mit großen Sträuchern bepflanzt, bieten sie vielfältige Ausblicke zur Innenstadt und sorgen dank geringer Höhenentwicklung dafür, dass das Sichtbetonbauwerk – zumal von oberhalb am Hang – optisch kaum in Erscheinung tritt. Dies entspricht auch Gutbiers Wunsch, mit dem Ensemble „das Grün bis an den Cityrand heranzuführen“.

Treppenhaus der Verwaltungsschule von Rolf Gutbier (Bild: Leo Herrmann, 2018)

Treppenhaus der Verwaltungsschule von Rolf Gutbier (Bild: Leo Herrmann, 2018)


Treppenhaus, 2022 (Bild: Sue Barr)

Treppenhaus, 2022 (Bild: Sue Barr)

Innenleben

Herzstück der Anlage ist der weitläufige, innenliegende Treppenraum der Schule. Dieser zieht sich vom geschossbreiten Eingangsfoyer als weitläufige, terrassierte Erschließungslandschaft mittig durch alle Etagen. Dabei entsteht ein zusammenhängender, offener Treppenraum als zentraler Verteiler und kommunikativer Begegnungsraum. Pflanztröge, Möblierungen sowie ein Wandhängesystem entlang der Treppengalerie und großen Zwischenpodeste schaffen unterschiedliche Nutzungsangebote. Die Seminarräume bilden im Gebäudelängsschnitt auf massiven Betonunterzügen und Rippendecken eine brückenartige Konstruktion über die zentrale Erschließungsschneise. Pausenhöfe im Freien bieten Zugang zu den Dachterrassen und sind die Bindeglieder zwischen den Innen- und Außenbereichen. Der Materialmix wird von schalungsrauem Sichtbeton, Steinwerkstoffen, Stahl und Glas bestimmt. Großformatige Plastiken im Luftraum der Treppengalerie und dreidimensionale Wandreliefs des Bildhauers Wolfgang Klein sind integraler Bestandteil der Architektur und akzentuieren in Blau und leuchtendem Orange die durch Licht und Schatten modellierte Grauskala des Sichtbetons.


 

Der Treppenbereich erschließt dem außen horizontal dominierten Bau eine überraschende vertikale Dimension. (Bild: Leo Herrmann, 2018)

Der Treppenbereich erschließt dem außen horizontal dominierten Bau eine überraschende vertikale Dimension. (Bild: Leo Herrmann, 2018)

Gut erhalten


Der Lehrbau steht heute trotz des überwiegend guten Erhaltungszustands vor einer ungewissen Zukunft. Gründe hierfür sind die begehrte Lage des Grundstücks bei geringer Bebauungsdichte, fehlender Denkmalschutz, die ungeklärte Nachnutzung und finanzielle Herausforderungen durch künftige Sanierungen.
Wichtige Argumente für den Erhalt liefert die Betrachtung der materiellen Ressourcen und der Grauen Energie bei rund 10.000 Tonnen verbautem Stahlbeton. Noch augenfälliger sind die räumlichen Besonderheiten des Treppenraums, zumal dieser unter heutigen Flächeneffizienzbetrachtungen kaum mehr realisierbar wäre, aber vielfältige Nutzungspotentiale bietet. Nicht zuletzt lohnt ein Blick auf den Brandschutz. Dieser scheint trotz der Klassifizierung des Bauwerks als Hochhaus (!) wenig problematisch. So sprechen auch die geschossweise vorhandenen, ebenerdigen Fluchtwege ins Freie für den Erhalt dieser wenig bekannten, gefährdeten Hangtypologie im Herzen Stuttgarts.

 


Gefährdete Arten. Erhalt versus Abriss in Baden-Württemberg

Bis 31. März 2023
BDA Wechselraum 
Zeppelin Carré, Friedrichstr. 5, Stuttgart

Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart

Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen

Finissage und Abschlussgespräch: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und den Kurator:innen.

Weitere Information >>>

Wir danken dem BDA Baden-Württemberg für die Kooperation.

Blick ins Treppenhaus des gefährdeten, heute Duale Schule genannten Gebäudes (Bild: Leo Herrmann)

Blick ins Treppenhaus des gefährdeten, noch von der Dualen Hochschule (DHBW) genutzten Gebäudes (Bild: Constantin Hörburger)