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Es ist kaum zu fassen, wie bedenken- und skrupellos in Deutschland immer und immer wieder abgerissen wird, sogar, wenn es um architekturgeschichtlich bedeutsame und aus ökologischen Gründen ohnehin erhaltenswerte Bauten geht. In Karlsruhe zeigen zwei Beispiele, dass neue rechtliche Möglichkeiten für den Bestandsschutz gefunden werden müssen.

Steht nicht mehr lang: das Landratsamt Karlsruhe, früher Badenwerk (Bild: Wilfried Dechau)

Den kulturellen, ökologischen Kahlschlag des Abreißens beklagen wir hier im Magazin eins ums andere Mal. Die unfassbare Ignoranz gegenüber dem Bestand manifestiert sich am besten, wenn im Einzelfall genauer hingeschaut wird. In Karlsruhe verschwinden in Kürze ein markantes Hochhaus von 1961-65 und ein Geschäftshaus von 2002. Und ein Mal mehr stehen Architekten sofort fürs Neubauen parat.

Bereits leer und geschlossen: Peek&Cloppenburg in Karlsruhe (Bild: Wilfried Dechau)

Bereits leer und geschlossen: Peek&Cloppenburg in Karlsruhe (Bild: Wilfried Dechau)

Was ist hier mit »Potenziale« gemeint? Und was sind »Räume für Zukunft«? (Bild: Wilfried Dechau)

Was ist hier mit »Potenziale« gemeint? Und was ist ein »Raum für Zukunft«? (Bild: Wilfried Dechau)

Stolz auf Architekten

Nun konkret. Gerade mal 20 Jahre alt ist das Gebäude von Peek & Cloppenburg in Karlsruhes Kaiserstraße, Ecke Lammstraße. P&C vermeldet auf der eigenen Website: »Einzigartige Architektur. Peek & Cloppenburg möchte seinen Kunden einzigartige Einkaufserlebnisse bescheren. Dabei spielen die Verkaufshäuser eine entscheidende Rolle. (…) Insgesamt verfügt das Modeunternehmen über rund 140 Verkaufshäuser in 15 Ländern. Alle Häuser – ob in der City oder in attraktiven Einkaufszentren – zeichnen sich durch den hohen Anspruch an ein attraktives und einladendes Store Design sowie hochwertige Markenshops im Originalambiente aus.«1)
Und weiter: »Ikonische Bauten internationaler Architekten. Hinter den ikonischen Bauten stehen weltberühmte und progressive Architekten, die unverwechselbare Gebäude passend zur Architektur der jeweiligen City erschaffen haben. Am internationalen Ideenwettbewerb für die Weltstadthäuser beteiligte sich die erste Garde moderner Architekten. Zu den kreativen Köpfen, die für die neuen Einkaufspaläste verantwortlich zeichnen, gehören unter anderem Richard Meier, Renzo Piano und Professor Gottfried Böhm sowie Charles Willard Moore und Professor Joseph P. Kleihues. Peek & Cloppenburg expandiert kontinuierlich und plant die Eröffnung weiterer Verkaufshäuser in Europa. Dabei wächst das Modeunternehmen insbesondere im osteuropäischen Raum.«2)

Ich gebe zu: Solche und andere Werbephrasen ärgern mich immer noch, obwohl man sie seit Jahrzehnten kennt. Aber die selbstgefällige Ignoranz in Sachen Architektur topt einiges. Drei der fünf hier genannten Architekten sind übrigens schon tot.

Gebogenes Glas ander Ecke Kaiser-/ Lammstraße. Abrissreif? (Bild: Wilfried Dechau)

Gebogenes Glas ander Ecke Kaiser-/ Lammstraße. Abrissreif? (Bild: Wilfried Dechau)

Abriss ist nicht nachhaltig!

Das P&C-Kaufhaus in Karlsruhe wurde 2002 von Kleihues & Kleihues fertiggestellt. Keine spektakuläre, aber im weitesten Sinn angemessene Architektur, die durchaus an die Ecke Kaiser-/ Lammstraße passt. Dieses Haus ist bereits geschlossen – und in Kürze wird das junge Gebäude abgerissen. Denn P&C möchte das Kellergeschoss anders bespielen und scheint mit den Geschosshöhen nicht zufrieden zu sein, also: weg mit dem Ganzen. Selbstverständlich hat hier der Denkmalschutz keine Chance, die Substanz zu retten. Und die Stadt hat auch keine rechtliche Handhabe, den – auf Landesebene zu regelnden – Abriss zu unterbinden.
Ein Blick auf Abrissgenehmigungen: Bauten, die kleiner als 300 qm sind, können ohne Genehmigung abgerissen werden. Dann gibt es die denkmalgeschützten Häuser: Die Abrissgenehmigung ist hier eine Abwägungsangelegenheit zwischen Denkmalschutz und wirtschaftlicher Zumutbarkeit, und dass diese zulasten der Bausubstanz tendiert, wissen wir.
Schlechter steht es um eine Abrissgenehmigung allerdings, wenn »geschützte Arten« entdeckt und Rücksprache mit der Unteren Naturschutzbehörde genommen werden muss.
All das trifft bei Peek & Cloppenburg in Karlsruhe nicht zu.

Architekten machen alles mit

Es ficht die Bauherrschaft offenbar nicht an, wenn Kritik am Abriss geäußert wird. Weder Bedenken, noch Skrupel werden seitens der Bauherrin geäußert, wobei Skrupel moralischer Art auch gar nicht erwartet werden können. Konsequent werden die eigenen Wirtschaftsinteressen der Bauherrschaft verfolgt – so what? Wo Peek & Cloppenburg sich allerdings baukulturell selbst lobt (siehe oben), wirkt es beschämend, dass die guten Gründe, Abriss zu vermeiden, noch nicht bis zur entsprechenden Entscheidungsebene vorgedrungen sind.
Aber hier sind auch die Architekten in der Pflicht: Wenn sie neu bauen können, ist ihnen der Abriss auch recht, auf jeden Fall aber egal. LRO bauten nach dem Abriss des Stuttgarter EVS-Gebäudes von Kammerer & Belz (ergänzt von LRO) ebenda ein Motel One – da wird nicht lang gezögert, jeder Bauauftrag scheint einem Zeichen der Abrissablehnung vorgezogen zu werden. Und Kleihues & Kleihues bauen, so ist zu lesen, in Karlsruhe auch den Neubau. Auf meine Anfrage, was es denn nun werde, erhielt ich bislang keine Antwort.

Zuletzt Landratsamt: Der Bau aus den frühen 1960er Jahren gehört(e) zu den denkmalgeschützten Bauten der Nachkriegsmoderne in Karlsruhe (Bild: Wilfried Dechau)

Zuletzt Landratsamt: Der Bau aus den frühen 1960er Jahren gehört(e) zu den denkmalgeschützten Bauten der Nachkriegsmoderne in Karlsruhe (Bild: Wilfried Dechau)

Badenwerk: Was schert der Denkmalschutz

Zweites Beispiel: Das Hochhaus des Energiekonzerns »Badenwerk« wurde 1961-65 nach den Plänen des Kölner Architekten Theodor Keller und der Karlsruher Eiermann-Schüler Claus Möckel und Norbert Schmidt errichtet. Es ist ein Klassiker der Nachkriegsmoderne aus Hochhausscheibe und niedrigem, quer gesetzten Flachbau. Eine elegante Vorhangfassade aus Aluminium und Glas, geschlossene Seitenflächen und eine exzellente stadträumliche Positionierung trugen dem Bauwerk den Denkmalschutz nach § 2 (Kulturdenkmal) Denkmalschutzgesetz ein.3) In den 1990er Jahren fusionierte das Badenwerk mit den EnBW und zog aus. Das Landratsamt erwarb die Bauten für 45 Millionen Euro und zog ein. Die Sanierung wurde nun »als zu teuer« analysiert. Diesem Totschlagargument kann kaum etwas entgegengesetzt werden, denn die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist, allseits bekannt, eine Abwägungsfrage, um den Denkmalschutz auszuhebeln. [Anm. der Autorin am 11.12.22: Das Argument »zu teuer« ist offenbar erläuterungsbedürftig. Sanierungen von Bauten aus der Zeit betreffen vor allem Asbest und Brandschutz; dass bei beiden Problemen technische Lösungen möglich sind, haben die Sanierungen beispielsweise des Thyssen-Hochhauses in Düsseldorf oder der Hypobank in München gezeigt. Auch die Sanierung des BGH in Karlsruhe, bei der – in Abstimmung mit dem Denkmalschutz – eine neue Fassade und ein innovatives Brandschutzkonzept realisiert werden, wäre zu nennen. Diese Beispiele sind allerding sehr teuer und mit Kosten verbunden gewesen, die in anderen Fällen als »zu teuer« bewertet werden.] Also kommt das Ensemble weg, die Neubauplanungen sind auch schon da. wittfoth architekten aus Stuttgart entwarfen ein Ensemble aus zwei Hochhäusern – eines für das Landratsamt, eines für die Stadt – und einem fünfgeschossigen Flachbau: »Geplant ist auf dem Areal ein fünfstöckiger Flachbau samt zwei Hochhäusern. Das Landratsamt plant ein 90 Meter hohes Gebäude mit 24 Stockwerken, die Stadt Karlsruhe ein 50 Meter hohes Bauwerk. Leben soll mit einem Café, dem Service-Center und dem Ernährungszentrum mit Show-Küche im Erdgeschoss einziehen. Eine zweigeschossige Tiefgarage mit etwa 200 Stellplätzen wird öffentlich zugänglich sein. Die Verwaltung will dem Kreistag vorschlagen, das gesamte Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise zu errichten. Ziel ist ein klimaneutraler Gebäudebetrieb.«4) Vorschlagen heißt nicht vorschreiben. Denn auch hier wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung Priorität haben, wenn mit dem Bau begonnen wird.

Auch im Abriss zeigt sich Qualität der Architektur. (Bild: Mathias Christoffel)

Auch im Abriss zeigt sich Qualität der Architektur. (Bild: Mathias Christoffel)

Abriss neu regeln

Es wird in diesen beiden Fällen evident, dass die Genehmigungsanträge um baukulturelle und ökologische Aspekte erweitert werden müssen. So müsste die Stadt Karlsruhe zum Beispiel bei P&C ein Gutachten einfordern können, in dem Fragen der Nachhaltigkeit geprüft werden und infolgedessen eine Abrissgenehmigung verweigert werden kann. Dass diese Fragen unter Umständen erbitterte Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen könnten, ist klar, weil es kaum mustergültige Verfahren dieser Art gibt. Aber um so dringender brauchen wir sie. Im aktuellen Bericht der Bundesstiftung Baukultur heißt es: »Eine Abrissgenehmigung, die erst mit Analysen und Kostenberechnungen über den gesamten Lebenszyklus oder durch Untersuchungen zur Tragfähigkeit nachweisen muss, dass ein Haus unzulänglich ist, würde die Abriss-Neubau-Dynamik wohl bremsen. In allen Vergleichsrechnungen müssen der Aufwand für Abriss und Entsorgung dem Ersatzneubau zugeordnet sein. Nur das erlaubt einen echten Vergleich der Alternativen.«5)
In Fragen der Abrissgenehmigungsverfahren muss nun auf den Gesetzgeber eingewirkt werden – und wer sollte dies argumentativ erledigen, wenn nicht eine Bundesstiftung? Gewiss fühlen sich die Verbände des Baugewerbes zuständig, allein 30 Mitgliedsverbände hat der Zentralverband Deutsches Baugewerbe, die »die Interessen des deutschen Baugewerbes gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit in den einzelnen Bundesländern gegenüber den Landesregierungen, aber auch vor Ort  in den Kreisen, Städten und Gemeinden« vertreten.6) Nun sind das aber Lobbyisten, die nichts anderes im Sinn haben als die ökonomischen Interessen ihres Berufsstandes. Die Bauindustrie tut es ihnen gleich.

Wenn nun durch zusätzliche Gutachten mehr Bürokratie befürchtet wird, könnte man sie an anderer Stelle reduzieren: Die Abwägung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit beim Denkmalschutz könnte entfallen, denn er, der Denkmalschutz, ist in der Regel kooperativ.

Fazit: Es ergibt sich wieder einmal die Situation, dass ganz genau bekannt ist, worauf es beim Bauen interessenübergreifend im Sinne des Bestandsschutzes und des ressourcenschonenden Bauens ankommt – aber seitens der Politik nichts unternommen wird. Wir werden also weiter über einen Abriss nach dem anderen berichten müssen.


1) https://www.peek-cloppenburg.com/de/architecture/

2) ebenda

3) Clemens Kieser: Hoch hinaus, der alten Stadt entgegen. Der Verwaltungsbau des Badenwerks in Karlsruhe. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 42. Jg. 2013, Heft 2, S. 121 f.
Christian Schönwetter: Mit schlechtem Beispiel voran. Landratsamt Karlsruhe vor dem Abriss. In: db 3/2019, https://www.db-bauzeitung.de/bauen-im-bestand/badenwerk-hochhaus-landratsamt-karlsruhe/

4) Judith Midinet-Horst: Landratsamt-Areal in Karlsruhe soll 390 Millionen Euro kosten. In: BNN, 14.10.22, https://bnn.de/karlsruhe/karlsruhe-stadt/innenstadt/landratsamt-areal-in-karlsruhe-soll-390-millionen-euro-kosten

5) Bundesstiftung Baukultur (Hrsg.): Baukulturbericht 2022-23, Seite 98