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Joachim Schürmann (1926-2022)


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Joachim Schürmann. (Bild: privat)

Gemeinsam mit seiner Frau Margot prägte der Architekt Joachim Schürmann nicht nur die Stadt Köln, sondern die gesamte bundesdeutsche Architekturgeschichte – und mit ihr eine ganze Generation von Architektinnen und Architekten. Nun ist er im Alter von 96 Jahren in Köln gestorben.

Architektur zum Wohle der Gesellschaft

Schon die ersten beiden Projekte aus dem späteren gemeinsamen Büro von Margot und Joachim Schürmann zeigen, in welche Richtung es gehen würde: 1956 setzen die beiden die Krypta unter dem langgestreckten Chor der wunderbaren Kirche St. Gereon instand, im gleichen Jahr beginnen die Arbeiten an der Instandsetzung der Clemenskirche am Mülheimer Rheinufer, die 1960 vollendet werden. Sensibel detailliert, die räumlichen Qualitäten durch eine helle Klarheit wieder zum Vorschein gebracht und, ja: aufgeräumt sind diese sakralen Innenräume und deuten damit das an, was architektonisch noch von diesem beeindruckenden Paar der Architektur zu erwarten sein würde.

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St. Pius X. in Flittard, 1962. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Elke Wetzig)

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ABC-Haus, Köln, 1973–1975. (Bild: David Kasparek)

Joachim Schürmann kommt 1926 in Viersen zu Welt, wächst in Dresden und Darmstadt auf und wird mit 17 zum Kriegsdienst eingezogen. An der Technischen Hochschule in Darmstadt nimmt er danach das Architekturstudium auf, der verpassten Reifeprüfung wegen nach einem Vorsemester. Schürmann studiert bei Karl Gruber, lernt bei ihm die mittelalterliche Stadt kennen, bei Ernst Neufert, dem Autor der „Bauentwurfslehre“, bei Josef Tiedermann, dem „unerbittlichen Fassadenästheten“, und bei Wilhelm Schorn, der den Studierenden ein Bauchgefühl von Statik vermittelt. Mit seiner Freude an Musik begegnet Joachim Schürmann im Bach-Chor der TH Darmstadt der zwei Jahre älteren Margot Schwilling, deren Vater als Architekt unter anderem das Waldstadion im saarländischen Homburg entwarf. 1949 machen beide ihr Diplom in Darmstadt, siedeln nach Köln um, wo Joachim Schürmann bei Wilhelm Wucherpfennig seine erste Anstellung findet, und heiraten im Jahr darauf. Margot Schürmann, wie sie inzwischen heißt, arbeitet derweil für den Kölner Architekten Karl Hell. Gemeinsam bekommen die beiden vier Kinder und gründen das eigene Büro. (*)

Zu diesem Zeitpunkt sind einige der bis heute schönsten Projekte schon fertiggestellt. Zum einen das eigene Wohnhaus im Kölner Stadtteil Deckstein, das als Teil eines mit Glyzinien bewachsenen Gartenkontinuums ab 1957 auch als Büro dient. Klar organisiert, sieht man dem eingeschossigen Bau samt Gartenhaus nicht nur die Lehrer der beiden Architekten und ihre von Mies van der Rohe zu Alvar Aalto reichenden Vorbilder an, sondern den deutlichen Willen einer feinfühligen und maßstabsgerechten Architektur, deren Referenzgröße stets die Menschen und ihre Aneignung der Räume ist. 1958 wird das Haus Gold fertiggestellt, 1960 die Wuppertaler Kirche Christ König mit ihrem leicht schwebenden Dachtragwerk über massiven Natursteinwänden. Ein Motiv, das Schürmann für die Kirche St. Pius in Köln-Flittard mit anderen Materialien ebenso überzeugend variiert. Den hier eingesetzten Backstein bringt er schließlich bis 1964 mit dem Haus Werner Schürmann in Dublin zu meisterlicher Reife. Das Haus für den Bildhauer und jüngeren Bruder Werner, der später als Bariton am Osnabrücker Theater reüssiert, gliedert sich um einen quadratischen Atriumhof, dessen runde Naturholzstützen deutlich auf Alto rekurrieren, in der Kombination mit den Wasserspeiern, dem leichten Dach und den Schiebeelementen zur großen Wohnküche und den übrigen Innenräumen aber deutlich eine individuelle Raumfolge innerhalb der schützenden Mauern mit ihren kleinen Fensteröffnungen bilden. Ein in jeglicher Hinsicht wunderschönes Haus.

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Martinsquartier Köln, 1969–1977. (Alle Bilder: David Kasparek)

Architektur für die Stadt

Über zwanzig Jahre lang beschäftigen sich Margot und Joachim Schürmann mit ihrem stetig wachsenden Team mit der Kölner Innenstadt. Die romanische Kirche Groß St. Martin wird in würdevoller Zurückhaltung so saniert, dass sie nicht nur ihre prägende Rolle in der Kölner Stadtsilhouette spielen kann, sondern in einer beachtlichen Selbstverständlichkeit wieder als Zentrum eines kleinen, urbanen Quartiers dient und innenräumlich zudem die eingangs beschriebene lichte Klarheit virtuos bis ins kleinste Detail fortschreibt. Das gesamte Martinsquartier entwickelt das Büro zwischen 1969 und 1977: deutlich zeitgenössisch kommt hier die Ausbildung bei Karl Gruber zum Tragen. Margot und Joachim Schürmann schreiben die kleinteilige Struktur der Altstadt fort, nehmen städtebauliche Motive wie Gassen und Plätze ebenso auf wie architektonische. Erker, Vor- und Rücksprünge, Dachformen und eine Mischung aus Gastronomie, Gewerbe und Wohnen übersetzen die mittelalterliche Stadt in die Gegenwart. Auch das eigene Büro zieht in das Wohn- und Bürohaus in der Lintgasse, die den Neubauteil südlich abschließt.

Postamt Köln 3, Stolkgasse

Postamt Köln 3, 1979–1990. (Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Dass „die Schürmanns“ auch große Bauvolumen beherrschen, zeigen sie unter anderem mit dem 1990 vollendeten Kölner Hauptpostamt nordwestlich des Hauptbahnhofs, der Sparkasse in Lüdenscheid, der feinteiligen und gemeinsam mit Felix Schürmann und Ellen Dettinger vollendeten Erweiterung des Engelbert-Kämpfer-Gymnasiums in Lemgo (1995–1997) und nicht zuletzt mit den drei leicht versetzt angeordneten Riegeln des als Abgeordnetenhaus geplanten und inzwischen von der Deutschen Welle genutzten Bürohauses in Bonn, das mit seiner feinen Variation architektonischer Addition und Subtraktion als „Schürmann-Bau“ in die bundesdeutsche Geschichte eingeht.

Zahlreiche, teils bis heute erfolgreiche Architekten haben ihre Ausbildung im Büro von Margot und Joachim Schürmann genossen: Walter von Lom, Hans Georg Waechter oder Hadi Teherani gehören unter vielen dazu. Folgt man den Äußerungen dieser und anderer Protagonisten, muss die Atmosphäre im Büro damals gleichermaßen arbeitsreich wie familiär gewesen sein. Wie sehr sich Beruf und Privates durchdringen, sieht man nicht nur an den Büros, die in Köln oder Salzburg immer auch Wohnhaus sind, sondern ebenso daran, dass alle vier Kinder Architektinnen und Architekten werden, die Söhne Felix und Peter ebenfalls in die Lehre gehen und an Hochschulen unterrichten. Auch darin beerben die beiden Söhne den Vater, der zwischen 1966 und 1970 als Professor für Entwerfen an der TH Darmstadt lehrt.

Wie weit der Blick von Joachim und Margot Schürmann stets ist, zeigt sich auch im Nachwort der umfänglichen, 1997 von Ingeborg Flagge im Wasmuth Verlag herausgegebenen Monographie. Dort schreiben die beiden, unter anderem 1981 und 1991 zwei Mal mit dem Deutschen Architekturpreis und 2008 mit dem Großen BDA-Preis ausgezeichnet: „Jeder Architekt, der seine soziale Verantwortung kennt, wird glücklich sein, auch an der Gestaltung unserer Städte mitwirken zu können. Gesellschaftliche Fehlentwicklungen aber innerhalb eines Architektenvertrags, der mehr und mehr vom Werkvertrag zum Dienstleistungsvertrag mutiert, ohne Unterstützung eines entschlossenen Bauherrn aufarbeiten zu wollen, ist aussichtslos. Wenn wir das wissen und unseren Beruf lieben, müssen wir uns das Vertrauen der Bauherrn erhalten oder gewinnen, kompromisslos aber auch bereit sein, nicht zuerst unserer eigenen Hoffart zu dienen, sondern der Wohlfahrt unserer Gesellschaft.“ Fast auf die Woche genau 24 Jahre nach seiner Frau Margot ist Joachim Schürmann am 8. Dezember im Kreise seiner Familie in Köln gestorben.


(*) In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, Margot und Joachim Schürmann gründeten das gemeinsame Büro 1970 in Köln. Tatsächlich fand die Bürogründung schon in den 1950er-Jahren statt. Wir haben diesen Fehler korrigiert.