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Weihnachtsdreierlei

Und was hat das alles mit Architektur zu tun? Fragt man sich an Weihnachten vielleicht nicht ganz so oft. Obwohl. Wohnungsnot. Vernakuläres Bauen. Mobilitätsverhalten. Es fällt einem schon etwas ein. Ein paar Gedanken der Marlowes-Herausgeber anlässlich das nahenden Festes.
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Winterdorf. (Bild: CC0 Public Domain)

Alles schon gesagt. Also nochmal

In Leo Tolstois Anna Karenina gibt es eine wunderbare Beschreibung zweier unterschiedlichen Sichtweisen auf das Land. Eine der Romanfiguren, der Städter Sergej Iwanowitsch Kosnyschew, fährt seinen Bruder besuchen, der auf dem Land lebt. Denn er, Sergej, „wollte sich von der geistigen Arbeit erholen.“ Für ihn, den Städter, war „das allerbeste Leben das auf dem Land“ – und zudem „ein nützliches Gegengift gegen Verderbtheit, welches er sich mit Vergnügen und im Bewusstsein von dessen Nützlichkeit zuführte.“ Für den anderen hingegen, Konstantin Lewin, „war es auf dem Land deshalb schön, weil er hier das Betätigungsfeld für zweifellos nützliche Arbeit lag“, für den einen war es schön, weil man dort nichts tun konnte und musste. Der eine ist der Intellektuelle, der nicht gerne mit dem Bruder disputierte, „da er ihn zu leicht besiegte“. Der andere, Konstantin, unterstellt dem Bruder, „dass er sich Probleme des Gemeinwohls und der Unsterblichkeit der Seele nicht mehr zu Herzen nahm als eine Schachpartie oder die geistreiche Konstruktion einer neuen Maschine.“ Er sei nicht vom Herzen zu dieser Liebe für das Gemeinwohl gebracht worden, sondern habe mit dem Verstand gefolgert, „sich damit zu befassen wäre gut.“ Der eine, der Landmensch, schätzt das Volk auf dem Land nicht mehr oder weniger als die Menschen im Allgemeinen, während es der andere „liebte (…) im Gegensatz zur Menschenklasse, die er nicht liebte.“

Man findet in dieser Gegenüberstellung vieles von der Großstadtfeindlichkeit, die Hans Paul Bahrdt oder Elisabeth Pfeil beklagt hatten, die idealisierte Sicht auf das Land, die in unzähligen Essays, Untersuchungen beschrieben worden sind. Bei Tolstoi wird aber auch sichtbar, was diese Großstadtkritik immer erst möglich gemacht hat: Der Blick auf das Land, der nie die Perspektive derer aufgenommen hatte, auf die man schaut. Es bleibt deswegen immer ein realitätsferner Blick.

Immer wieder findet man Autor:innen, die nach Tolstoi das Thema aufgreifen, die den Städtern, seien sie auch irgendwann aufs Land gezogenen, die verklärte Sicht auf das Land nachweisen, genauso wie denen, die in Vorortsiedlungen und in Einfamilienhausgebieten aufgewachsen sind, die die »Landlust« lesen und nichts von der industriellen Produktion wissen wollen, die in der Landwirtschaft längst Einzug gehalten hat. Alles unnütz, weil es ja bereits einmal formuliert wurde?

So wie es Tolstoi schon beschreiben hatte, wird man auch in anderen Dingen und Themen immer jemanden finden, der vorher schon darüber geschrieben hatte; im Zweifel wird man bei den alten Griechen fündig. Aber deswegen heißt das gerade nicht, dass man das nicht wieder aufgreifen, nicht wieder beschreiben, nicht wieder verdeutlichen müsste, nicht wieder neu entdecken dürfte: Das Schreiben und Beschreiben wie das Lesen neuer Texte ist eine Aneignung, ohne die die Qualität von Tolstoi verblassen und verstauben würde. Dessen Frische können wir ja nur erkennen, weil auch wir uns darum bemühen, unseren Weg zu finden, eine Wirklichkeit zu erfassen, um sie wenigstens ein kleines bisschen gestalten zu können. Mit der Weihnachtsgeschichte treiben wir dieses Spiel ja auch schon seit 2000 Jahren. Christian Holl

All Zitate aus: Leo Tolstoi: Anna Karenina. In der Neuübersetzung von Rosemarie Tietze. dtv Taschenbuchausgabe, München 2011, S. 360 ff.

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Blick aus dem Zug, nahe Fulda, Dezember 2022 (Bild: Ursula Baus)

Mit goldenem Schlitten

Seinen Roman »Anna Karenina« schreibt Leo Tolstoi in den 1870er Jahren, »Krieg und Frieden« bereits in den 1860er Jahren. Das Auto gibt es noch nicht. Zu der Zeit ist der Schlitten das wintertaugliche Fahrzeug schlechthin, das im Roman sowohl für vergnügliche als auch verzweifelte Reisen – von Natáscha, Nikolái und Pierre – herhalten muss. Idyllisiert ist die Schlittenfahrt heute eine Gaudi, die es jahrmarkttauglich zum Kinderkarussell »Petersburger Schlittenfahrt« brachte und im bösen Weihnachtsgedicht »Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken« in Knecht Ruprechts Mobilitätsverhalten aufscheint: Er kommt im Gedicht »auf goldenem Schlitten mit einem Hirsch herangeritten«, um bei der Försterin für arme Kinder Pakete einzusammeln, in denen – naja, lassen wir das, wenden wir uns vom Schlitten ab und der Mobilität des 21. Jahrhunderts zu.

Seit Jahrzehnten beklage ich die Zerstörungskraft des Automobils, das in der »autogerechten Stadt« seine Verwüstungsspuren genauso hinterlässt wie in zerschnittenen Landschaften und versiegelten Flächen immenser Größen. Der »goldene Schlitten« des Jedermann wächst und wächst – wüstentauglich der SUV, angeberisch der Porsche, scheinheilig der Elektro-BMW. Wie abstrus, heuchlerisch und ignorant hierzulande Verkehrspolitik betrieben wird, kann kein vernünftiger Mensch mehr begreifen. Ja, ich habe Verständnis für die Klima-Aktivisten, die verschwindend wenig Schaden im Vergleich zu denen anrichten, die mit dem ewigen buisiness as usual – auch in der Verkehrspolitik – die Lebensgrundlagen menschlichen Daseins vernichten. Und ich habe kein Verständnis dafür, dass diese AktivistInnen wie Staatsfeinde behandelt werden.

Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Grünen das Verkehrsministerium der FDP überließen. Schon verkündet Minister Wissing, dass die Straßen ausgebaut werden sollen – faktisch zulasten der Schienen. Der Kanzler, dem außer ”Wumms“ kaum etwas einzufallen scheint, stützt die FDP und schert sich einen Kehrricht um umweltfreundlichen ÖPV. Ich bringe kein Verständnis dafür auf, dass Kommunen nicht flächendeckend Tempo 30 einführen, womit auch Fußgängern und Fahrradfahrerinnen geholfen wäre. Dass auf Autobahnen nicht längst bei Tempo 130 Schluss ist. Ich habe auch kein Verständnis dafür, dass die Firmenwagenprivilegien beibehalten werden, dass die Autoindustrie unentwegt Subventionen erhält und pro E-Auto tausende Euro hinterher geschmissen bekommt. Dass die Stellplatzverordnungen nicht grundsätzlich abgeschafft und in die Entscheidungshoheit der Kommunen gegeben werden. Dass Garagen nicht zu Wohnungen umfunktioniert werden können. Dass Autos auf den Straßen und Gehwegen stehen und den Platz beanspruchen, den Kinder für ihre Bewegungsfreiheit brauchen.

All diese Kritik ist nicht neu, sie mag langweilig sein, aber sie ist nicht falsch, und ihr wird seit langer Zeit mit guten Beispielen konstruktiv begegnet. Es geht nicht darum, Mobilität einzuschränken. Die Politik ist gefordert, ressourcenschonende, umweltverträgliche Mobilität schnell und konsequent zu organisieren. Bislang redet sie sich raus, sie könne nicht gegen Mehrheiten agieren. Doch genau das muss sie: Sie muss mit Konzepten, die weiter in die Zukunft gedacht sind als das, was Menschen auf dümmliche Fragen zu ihrem Wohlstand antworten. Schauen wir unter den Weihnachtsbaum: Schlitten oder Big-Bobby-Car? Die Spielzeug-Eisenbahn? Früh übe, wer die Welt verändern soll.  Ursula Baus


Egal ob unter den Augen von Esel, Ochs´ oder Ziege – it´s the same prodecure as every year with the Wiege (Bild: commons.wikimedia, Florida Memory)

Egal ob unter den Augen von Esel, Ochs´ oder Ziege – it´s the same prodecure as every year with the Wiege (Bild: commons.wikimedia, Florida Memory)

Krippenspiel: Same procedure as every year?

Das Besondere an der Christmette war für mich – als in Glaubensfragen römisch-katholisch verortetes Kind – immer wieder das Krippenspiel vor dem mächtigen Altar unserer schön ausgemalten Dorfkirche im neugotischen Stil. Zwar kam ich selbst nie in die engere Auswahl fürs Casting (der Produzent muss früh geahnt haben, dass ich irgendwann aus der Firma aussteige), aber es war trotzdem immer spannend zu sehen, welches Mädchen und welcher Junge aus unserer Kindergartengruppe bereits den Fuß im Flieger nach Hollywood hatte. Allerdings, man musste im schummrigen Kerzenlicht schon genau hingucken, um den in Lumpen und Jutesack verpackten Josef als Manfred zu erkennen oder die frühreife Karin mit ihrem XXL-Kopftuch und ausgestopftem Kissen-Bauch. Das Prozedere war alljährlich das gleiche – niemand wollte das sichtlich ins Hartz IV-Milieu abgesunkene junge Glück in noch glücklicherer Erwartung bei sich aufnehmen, weshalb es schließlich zwischen Ochs´ und Esel (das waren meistens der dicke Fritz und der Walter) im Heu einer Holzstallung zur Niederkunft kam. Ohne Heizung, ohne Strom, ohne Hebamme. Irgendwie ein sehr modernes Märchen, oder? Finde heute mal eine Klinik, die noch ein Bett frei hat!? Oder eine andere Unterkunft, die es sich noch leisten kann, einen Stall zu beheizen!? Und wer vermag heute noch bei der Jungfrau bezeugen, dass neun Monate später eine Hebamme für Christels Geburt bereitsteht? An einen Krippenplatz gar nicht zudenken … Ja sapperlot – wofür haben wir uns zweitausend Jahre abgeschuftet, wenn alles so bleibt, wie es war? Okay, so ganz stimmt das ja nicht, denn unsere modernen Holzbauten sehen heute schon etwas anders aus als die Bethlehemsche Baracke unterm geschweiften Stern, und wer zuhause gebärt, muss das nicht unter den neugierigen Augen vom dicken Fritz Ochs und seinem Kumpel Walter Esel durchstehen, aber Fakt ist: Die Wohnungssuche ist und bleibt schwierig, egal ob schwanger oder nicht. Daran hat auch die letzte Volkszählung bislang nichts geändert – man weiß in Berlin, woran es fehlt, nämlich an Wohnraum, findet aber kein Konzept. Und wenn doch, dann mangelt es an einem Bauplatz, einer Wohnung mit Kinderzimmer oder einem dafür nötigen Kredit. Wer es dann schließlich doch geschafft hat, endlich den Neubau, Umbau oder Anbau anzugehen, muss nur noch einen Handwerker finden. Ein Krippenspiel. Claudia Siegele