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KI ist die Antwort. Aber wissen wir, was die Frage ist? (Bild: Christian Holl)

Stilkritik (120) | Dass Künstliche Intelligenz in unseren Lebensalltag eingreift, das wissen nun auch die, die sich für sie bislang nicht interessiert haben. Umso besser. Denn durch KI stellen sich uns vor allem die Fragen, die wir auch vorher schon nicht beantworten wollten. Es wird langsam Zeit, dass sich das ändert.

Es herrscht Unruhe an Universitäten und Schulen, in Redaktionen, auf dem Kunstmarkt. Künstliche Intelligenz, KI, gekleidet in das Gewand Chat GPT, bestand in den USA Aufnahmeprüfungen für Ärzte und Anwälte, absolvierte erfolgreich die Masterprüfung an einer amerikanischen Wirtschaftsuniversität. Künstliche Intelligenz macht Kunst, schreibt Gedichte, und Zeitungsmeldungen sind sowieso schon keine Herausforderung mehr. Studierende erstellen ihre Hausarbeiten mit KI und die Testversion einer anderen KI, die herausfindet, ob ein Text von einem Menschen geschrieben wurde, ist laut Süddeutscher Zeitung wegen der hohen Nachfrage vieler ratloser Lehrenden dauerüberlastet. (1)

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Intelligenz willkommen, welcher Art auch immer sie sei. (Bild: Christian Holl)

Wer in den Medien noch nicht als Opfer der KI ausgemacht ist, scheinen die Architektinnen und Architekten zu sein. Dafür könnte es Gründe geben. Zum Beispiel, dass man sich nicht davor fürchtet, sollte man KI auch mal etwas entwerfen lassen. Vieles von dem, was wir als Alltag des Baugeschehens beobachten, ist zu schlecht, als dass es den Namen Intelligenz verdiente, und sei sie künstlich. Dieser Alltag sieht so aus wie sich die letzte Aschermittwochsrede von Markus Söder anhört. Plump, breitbeinig und vorhersehbar. Wenn KI in der Architektur KI etwas nachhelfen könnte, dann könnte das durchaus ein Segen sein.

Die Aufregung um ChatGPT zeigt, dass KI im Alltag auch all derer angekommen ist, die nicht über IT-Vorkenntnisse verfügen. Das heißt aber, dass sie schon längst in professionellem Umfeld eine Rolle spielt. KI und Deep Learning sind in den Algorithmen der Plattform-Ökonomie Realität. Sie spielt beim Autonomen Fahren eine wichtige Rolle. Sie tätigt Börsengeschäfte.(2) Und mehr noch. Amin Nassehi hat gezeigt, dass die Digitalisierung nur deswegen erfolgreich sein konnte, weil sie auf die entsprechenden Voraussetzungen traf. (3) Das ist mit der KI genauso: Sie erfüllt das, was wir von ihr erhofft haben, noch bevor es sie gab. Oder besser: Sie erfüllt, was in dem gesellschaftlich-wirtschaftlichen System bereits angelegt ist.

Kreativität spielt kaum eine Rolle

Dann wären die Gründe dafür, dass es recht still um die KI im Bauwesen ist, der, dass sie nicht nun plötzlich die Branche umkrempelt, weil sie dort schon lange angekommen ist. Und dabei nur das verstärkt, was ohnehin schon Realität ist. KI ist konservativ: Sie kann nur aus dem lernen, was es gibt und womit sie gefüttert wird. Sie optimiert das Bestehende und stellt keine Fragen danach, ob etwas nicht grundsätzlich anders sein könnte.

Zu dieser Realität, die sie verstärkt, gehört, dass architektonische Qualität und guter Entwurf nicht besonders hoch geschätzt werden. Auch ohne die aktuelle Massenarchitektur einem Qualitätscheck zu unterziehen, lässt sich doch feststellen, dass das Entwerfen schon lange nur noch ein kleiner Teil in der Wertschöpfung des Bauens und der Immobiliengeschäfte sind. Das große Geld wird mit Bauen von der Stange vom Einfamilienhaus bis zum Wohnblock, mit Spekulation und Anlagestrategien verdient. Es wird an Entwurf und Ausführung gespart, den Schaden haben die, die damit in einigen Jahrzehnten umgehen müssen. Was ambitionierten Architekt:innen wichtig ist, juckt die meisten, die mit dem Bauen Geld verdienen, herzlich wenig. Ein neuer, kreativer Umgang mit Problemen stört das etablierte Geschäftsmodell, das mit KI nur noch reibungsloser und effizienter verfolgt werden kann. Sich wenigstens Gedanken darüber zu machen, wie das Bauen, das im Wesentlichen nur noch ein Umbauen sein sollte, dem Klimawandel gerecht werden könnte, ist in der Immobilienbranche noch weit davon entfernt, Anspruch zu sein, beim bezahlbarem Wohnen ist es nicht viel anders. Architekt:innen wichtige Fragen, etwa wie man die Daten so organisiert, dass geistiges Eigentum und deren wirtschaftliche Verwertung sich miteinander vertragen, sind kaum ein Thema, auch ohne KI nicht. Dabei ist das ein Schlüsselthema, wenn man Digitalisierung ernst nehmen wollte.

KI ist im Bauen derzeit nur die Verschärfung dessen, was ohnehin schon kritisch gesehen werden muss. KI ist das, was die Airbags für die Automobilindustrie sind. Sie sind nicht (auch) außen am Auto, wo sie Radfahrer und Fußgänger schützen würden, sondern innen, wo sie die Fahrenden nur ermutigen, etwas risikoreicher – früher hätte man wohl gesagt: sportlicher – zu fahren. Damit das Versprechen, das die Werbung den Autofahrenden macht, weiterhin einlösbar bleibt. Technische Erfindungen seien „keine Phänomene der Entfremdung des Menschen von seiner Natur, sondern der Einsicht in sein Wesen“, so eine These, die schon vor mehreren Jahren vertreten wurde.(4) Wenn KI zur Bedrohung wird, dann nur, wenn die Bude schon reichlich windschief steht und so nur schneller zum Einsturz gebracht werden kann. Führt sie zur Panik in der Lehre, dann heißt das also eher, dass im Bildungssystem Reformen verschlafen wurden, die das Lernen auf der Höhe der Zeit ermöglichen könnten. Wenn die cleveren Studierenden KI nutzen, um es sich einfach zu machen, anstatt in einer Atmosphäre zu lernen, in denen sie neugierig sind auf das, was man mit ihr wirklich Sinnvolles machen könnte, dann ist schon etwas schiefgelaufen, bevor KI ohne IT-Kenntnisse zugänglich wurde. Dabei könnte es soviel Sinnvolles geben, wenn wir uns gleichzeitig trauen, den Gewinn, der in der Nutzung der KI liegt, gesellschaftlich zu nutzen, anstatt diesen Gewinn wenige machen zu lassen. Dass der Name »Open AI« eine Nebelkerze ist, weil da nicht besonders viel »open« ist, passt ins Bild.

Es kommt auf uns an


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Die Gesellschaft ist ein Baustelle. Auf ihr zu arbeiten nimmt uns die KI nicht ab. (Bild: Christian Holl)

Wenn also KI dazu genutzt werden kann, noch effizienter Standardwohnungsbau abzumetern und dabei auch die kleinen Hindernisse der lokalen Besonderheiten des Kontextes zu umschiffen, dann kann das auch nur deswegen funktionieren, weil es auch vorher schon eine zu kleine Rolle gespielt hat, welche Wohnungen da eigentlich für wen gebaut werden. Billiger werden sie nicht werden. Und werden die Einfamilienhäuser aus dem Drucker kommen, wird das uns soviel weiterhelfen wie von Elektromotoren betriebene SUVs.

Dass wir uns zu lange vor der Frage gedrückt haben, wie wir den Wohnraum, den wir haben, fair organisieren wollen und was uns das wert ist, so wie wir offensichtlich Bildung so gering schätzen, dass der entscheidende Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg das Einkommen der Eltern ist (5), zeigt sich nun nur um so offensichtlicher. Wir sollten uns nicht vor Superintelligenz fürchten, sondern vor schlecht programmierter KI, meint Timo Daum.(6) Dafür muss man wissen, was schlecht heißt. Man muss also wissen, was man von der KI will. Und das kann uns die KI nicht abnehmen: „Technik wird uns nicht rechtzeitig erretten aus den Desaster, auf das wir zusteuern. Sie kann dies nur als Politik – wenn wir Glück haben und den Mut, sie damit zu beauftragen, das Leben zu ändern, das zum Desaster führt.“(7)


(1) Andrian Kreye: Denken mit System. Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 2023
(2) Vgl. Timo Daum: Die künstliche Intelligenz des Kapitals. Nautilus Hamburg, 2019
(3) Vgl. Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. C.H. Beck, München, 2019
(4) Roberto Simanowski: Todesalgorithmus. Das Dilemma der künstlichen Intelligenz. Passagen Verlag, Wien, 2020, S. 110
(5) Interview mit Dierk Hirschel, Jung und Naiv, online >>>, ab 1:10:00,
(6) Daum, Künstliche Intelligenz, S. 166
(7) Simanowski, Todesalgorithmus, S. 112