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Datenspeichergebäude Google St. Ghislain, Belgien. (Bild: Katharina Neubauer)
Das Internet und die Digitalisierung basieren auf der Existenz von Datenspeichergebäuden. Sie stellen die Verknüpfung zwischen der physischen und der digitalen Welt her. Datenspeichergebäude sind die physische Auswirkung des ansonsten entmaterialisierten Raumes der Daten. Doch noch gibt es kein Bewusstsein für die Omnipräsenz und Relevanz von dieser Gebäude. Auch wenn das von den Betreiberfirmen so gewollt ist, sollte es sich ändern.

„At a moment when our collective history is digital, the data centre is becoming one of our most significant cultural typologies.“(1)

Datenspeichergebäude sind eine Form gewordene Kombination technischer Komponenten, wie Server, Kühlung, Energiezufuhr. Die Dimensionen und Verhältnisse dieser Zusammensetzung variieren je nach technischer Anforderung und Auslastung. Häufig stehen die stringenten Formen der technischen Anlagen im Kontrast zur umgebenden Landschaft. Äußerlich treten nur die vielen großen technischen Anlagen hervor, die sich vor dem eigentlichen Bauvolumen befinden, denn neben den Servern, die die Daten beherbergen, dient der Großteil des Gebäudevolumens primär der Lüftung beziehungsweise der Kühlung. Die optimalen klimatischen Konditionen innerhalb der Serverhallen sind essenziell, um die Funktion zu gewährleisten.

Nur nicht auffallen

Datenspeichergebäude sind ein technoider Gebäudetyp, neben extremen Anforderungen an Sicherheit und Technik gehört dessen Skalierbarkeit zu den Kernfaktoren in der Planung. So lässt sich das Gebäude auch selbst als Maschine begreifen, deren Form Redundanz und Verlässlichkeit signalisiert. Die Entwurfsparameter entspringen offensichtlich technisch-konstruktiven und betriebswirtschaftlichen Entscheidungen, die Erscheinung der Gebäude wird aber auch durch andere Aspekte geprägt. In der Regel sind Datenspeichergebäude einfache ‚Kisten’ ohne Gestaltungsanspruch, die absichtlich unauffällig sind, damit sie nicht identifiziert werden können. Anonymität bedeutet Schutz, der maßgeblich durch die bauliche Tarnung innerhalb eines bestehenden räumlichen Gefüges gewahrt wird. Datenspeichergebäude (im Besonderen die der globalen Unternehmen Google und Facebook) sollen nicht wahrnehmbar sein, damit sie nicht zu einem gesellschaftlichen Thema werden. Denn so entzieht sich der Aufmerksamkeit, wieviel Raum sie tatsächlich einnehmen.

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Datenspeichergebäude Google Eemshaven, Niederlande. (Bild: Katharina Neubauer)

Am deutlichsten vermeiden sie räumliche Präsenz durch die Abgeschiedenheit ihrer Lage. Man soll nicht wahrnehmen, dass es sie überhaupt gibt oder dass sie relevant sein könnten. Es besteht kein Austausch und kein Verhältnis zwischen Gebäude und Gesellschaft. Alle architektonischen Elemente sind darauf ausgerichtet, diesen Zustand zu wahren. Durch die horizontalen und einfachen Bauformen sind sie weniger auffällig. Die Hülle materialisiert Neutralität und die radikale Vereinfachung schließt Mehrdeutigkeit aus. So kommt ihnen eine paradoxe Rolle im gesellschaftlichen und infrastrukturellen System zu: Die unaufhaltsam wachsende Anzahl an Datenspeichergebäuden, die gesellschaftlich relevante und private Inhalte speichern, entziehen sich selbst jeglicher physischen und somit öffentlichen Wahrnehmung. Dass die Gebäude präsenzlos wirken, ist Absicht und Resultat zugleich.

Daten wachsen räumlich

Für die meisten Menschen liegen die räumlichen Auswirkungen ihrer digitalen Aktivitäten im Verborgenen. Der Zugriff auf Daten oder Social-Media existiert für sie losgelöst von räumlichen Zusammenhängen, der Inhalt scheint vom Speicherort entkoppelt. Die Corona-Krise hat die Nutzung digitaler Kommunikationsmedien deutlich erhöht, sie ist in dieser Hinsicht ein Katalysator der digitalen Transformation. Diese rasante Entwicklung ist so gut wie jedem vertraut. Doch die räumliche Dynamik der Systeme, die hinter den technischen Entwicklungen stehen sind so gut wie niemandem bekannt. Man ist versucht zu glauben, das Bauvolumen von Datenspeichergebäuden könnte sich aufgrund der technischen Entwicklung durch immer kleinere Speicherträger verringern. Das Gegenteil ist der Fall. Hochrechnungen sagen einen enormen Anstieg des weltweiten Datenvolumens voraus, was wiederum zur Folge hat, dass immer mehr und größere technisch-hochausgerüstete Gebäude gebaut und bestehende erweitert werden.

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Datenspeichergebäude Google Dublin, Irland. (Bild: Katharina Neubauer)

Der Verlust des räumlichen Bezugs wirft für die neu entstandene Typologie große Fragen auf. Datenspeichergebäude sind aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und Abgeschottenheit keine erfahrbaren Gebäude. Selbst wenn man Datenspeichergebäude aufsucht, findet man nur eine Black Box, die weder nach Außen kommuniziert noch ihren Inhalt preisgibt. Sie symbolisieren die Bedeutungslosigkeit des realen Raums gegenüber dem digitalen. Rem Koolhaas gehört zu den wenigen Architekten, die auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, sich dringend mit diesen Gebäuden zu beschäftigen: „Wir müssen eine kritischere und intelligentere Haltung gegenüber Technologie entwickeln. Wenn ein einziger Virus im Stande ist, den Planeten vollständig lahm zu legen, sollten wir das Problem auf der Ebene der Datencenter diskutieren – technisch, politisch und architektonisch.“(2) Aber wie kann ein gesellschaftliches Bewusstsein für das digitale Handeln und die daran geknüpften räumlichen Auswirkungen geweckt werden? Wie lässt sich der Bedeutung dieser Gebäude in Zukunft auch architektonisch gerecht werden?

Potenziale und Inspirationsquellen

Eine Möglichkeit, das gesellschaftliche Bewusstsein für Datenspeichergebäude zu erhöhen, besteht darin, die Potenziale der Gebäude zu definieren, um in einem nächsten Schritt einen neuen Umgang mit ihnen zu finden. Ein interessanter Ansatz dabei ist, wie Rem Koolhaas die Typologie völlig anders zu denken: als Inspirationsquelle, als räumliche Herausforderung für etwas radikal Neues.(3) Sein Ansatz bleibt zunächst auf programmatischer Ebene, das Datenspeichergebäude als posthumane Architektur in einen Raum der Kultur und der Begegnung zu verwandeln. Dabei ist aber auch der Blick über die programmatische Ebene hinaus, auf die äußere Gestalt, aber auch auf die Lage und die Form interessant. Die architektonische Gestalt der Datenspeichergebäude selbst kann als Medium dienen, gesellschaftliche Prozesse offen zu legen und Strukturen der Teilhabe zu vermitteln, entsprechend der Idee, das bisher Unsichtbare sichtbar werden zu lassen.
Architektur kann mit ihrer räumlichen Dimension verdeckte und nicht sichtbare Strukturen vermitteln. Datenspeichergebäude bilden die Schnittstelle von mechanischen und digitalen Prozessen einerseits und deren Architektur andererseits. Sie erfordern ein radikales Ausmaß an Neuformulierung traditioneller architektonischer Parameter wie menschlicher Nutzung, Auslastung, Größe und Energie. Dies lässt an die Forderung von Peter Behrens Anfang des 20. Jahrhunderts erinnern: Technik solle sich vom Selbstzweck befreien und stattdessen Mittel und Ausdruck einer Kultur werden.(4)

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Datenspeichergebäude werden derzeit ihrer öffentlichen Relevanz in keiner Weise gerecht. Datenspeichergebäude Facebook Luleå, Schweden. (Bild: Katharina Neubauer)

Der konzeptuelle Schlüssel im zukünftigen Umgang mit Datenspeichergebäuden liegt unter anderem darin, ihnen eine öffentliche Ebene hinzuzufügen. Digitale Daten sind das größte kollektive Gut, das die Gesellschaft derzeit produziert. Wäre es daher nicht konsequent, Datenspeichergebäuden die Bedeutung von ultra-öffentlichen Gebäuden oder Foren zu geben, einem klassischen Marktplatz gleichbedeutend, an dem unterschiedlichste Informationen zentral zusammenlaufen? In diesem Verständnis treffen die funktionale Bestimmtheit als technische Infrastruktur auf eine räumliche Offenheit im gesellschaftlichen Gebrauch. In der Konsequenz können die Gebäude einen sicheren Raum für Daten einerseits und einen öffentlichen Raum für die Datennutzer:innen andererseits bieten.

Eine räumliche Integration in Städte führt dazu, dass die Daten räumlich in die Nähe zu ihren eigentlichen Eigentümer:innen rücken und deutlich dezentraler organisiert werden können. Dafür können beispielsweise im innerstädtischen Kontext leer stehende Gebäude wie Kaufhäuser oder Postämter ein großes Potenzial bieten, da es sich meistens um geschlossene und sehr tiefe Bauten handelt, die für die meisten Nachnutzungen problematisch sind, da sie nur schwer zu belichten sind. Eine hohe räumliche Flexibilität, auch durch die mögliche Nutzlast, bieten Fabriken, industrielle Produktionshallen oder auch Parkhäuser. Die gesellschaftliche Bedeutung der Gebäude wiederum lässt sich durch neue Kombinationen aus verschiedenen Programmen gewinnen, wie in hybrider Verbindung mit Schwimmbädern, Yogastudios oder Gewächshäusern. Hier könnte ein wesentlich größeres Potenzial entstehen, das weit über die monofunktionale Betriebsfähigkeit der Datenspeichergebäude hinausgeht, und das zudem den Ansprüchen einer produktiven, gemischten Stadt gerecht werden kann und so einen konkreten Beitrag zur urbanen Resilienz leistet. In diesem Ansatz werden die Gebäude als Organismen verstanden, die Daten und Datenströme verarbeiten, speichern, transformieren und eben auch präsentieren, wodurch gleichzeitig der Gesellschaft Zugang und eine gewisse Sichtbarkeit der Datenspeicherung gewährt werden.

Abwärme und erste Leuchtturmprojekte

Einen wesentlichen Aspekt im zukünftigen und nachhaltigen Umgang mit Datenspeichergebäuden wird die Nutzung der erzeugten Abwärme einnehmen, wobei die Häuser selbst als Energiequelle fungieren können. Da mit dem Abrufen, Speichern und Erzeugen der Daten ein enormer Energieaufwand verbunden ist, kommt den Betreiberfirmen von Datenspeichergebäuden in Bezug auf den Klimawandel eine gesellschaftliche Verantwortung zu.

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Datenspeichergebäude Equinix AM4 Amsterdam, Niederlande. (Bild: Katharina Neubauer)

Erste hybride Ansätze, bei denen die Abwärme innerhalb des Gebäudes für andere Funktionen genutzt wird, lassen sich schon finden, wie zum Beispiel bei dem Windcloud 4.0-Datacenter in Nordfriesland, auf dessen Dach eine Algenfarm betrieben wird.(5) Mit der Abwärme von Datenspeichergebäuden lassen sich aber auch ganze Stadtteile beheizen. Um solche Abwärme sinnvoll zu nutzen, sollten sich die erzeugenden und nutzenden Gebäude in räumlicher Nähe zueinander befinden. In dieser Hinsicht ist das AM4 in Amsterdam als ein Leuchtturmprojekt zu nennen. Joost Vos, der Projektleiter des Equinix AM4, sieht aus architektonischer Perspektive, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit diesen Gebäuden auch in Bezug auf die Frage nach dem Energiebedarf ändern muss und folglich auch die Frage, wo sie zu platzieren sind und wie ihre Gestalt aussehen sollte.(6) Das Equinix AM4 gibt einen Teil seiner Energie an  Nachbargebäude ab, es gehört aber auch zu den wenigen Beispielen, das die enormen Strukturen, die das Internet benötigt, zumindest teilweise sichtbar macht. Dabei werden alle drei Ebenen – Lage, Form und Hülle – genutzt, um die Aufmerksamkeit auf das Gebäude zu lenken. Auf städtebaulicher Ebene ist das AM4 weit sichtbar positioniert, die hohe und schlanke Silhouette und die Reflexionen der Außenhülle machen ebenfalls auf es aufmerksam. Das Equinix AM4 zeigt zumindest in ersten Ansäten welches Potenzial in dieser Typologie stecken kann.

Eine architektonische Aufgabe

Es ist eine städtebauliche und architektonische Aufgabe Datenspeichergebäude deutlicher in der Wahrnehmung der Gesellschaft zu verankern und sie, soweit möglich, auch räumlich in ihr Umfeld zu integrieren. Durch eine bewusste und qualitative Gestaltung können die Gebäude in einem gesellschaftlich relevanten Bereich verortet werden, so dass die Alltäglichkeit digitaler Handlungen erlebbar an deren räumliche Wirkung gekoppelt werden kann. Architekt:innen stehen in der Verantwortung, diese Bauaufgabe nicht Baufirmen zu überlassen, die augenscheinlich nur einen ökonomischen Anspruch haben. Um unter Nutzer:innen von Daten oder den eigentlichen:innen der Daten ein Bewusstsein für Datenspeichergebäude herzustellen, ist es sinnvoll die Gebäude sichtbar und für einen (wenn auch kleinen) Bereich zugänglich – also auf gewisse Weise erfahrbar – zu machen. Es ist an der Zeit, dass die räumlichen Dimensionen der Digitalisierung ins gesellschaftliche Bewusstsein dringt, Datenspeichergebäuden eine deutlichere Präsenz zukommt und sie in eine nachhaltige und städtebauliche Resilienzstrategie eingebunden werden.



2229_AT_Neubauer_buchDer Artikel beruht zu einem Teil auf der Dissertation der Autorin.
Katharina Neubauer (2022): Datenspeichergebäude. Im Spannungsfeld gesellschaftlicher Bedeutung und architektonischer Präsenslosigkeit. Jovis Verlag, Berlin.


(1) Koolhaas, Rem (2019): Museum in the Countryside. Aesthetics of the Data Centre, in: Architectural Design. Machine Landscapes: Architectures of the Post-Anthropocene, Jg. 257, Oxford: Wiley, S. 60.
(2) Koolhaas, Rem/Benjamin H. Bratton, (2019): Posthumanismus in der Architektur, in: Archplus, Posthumane Architektur. Jg. 52, Heft 236, S. 206.
(3) Vgl. Koolhaas, Rem (2017) [online] https://strelkamag.com/en/article/koolhaas-and-bratton [17.09.2018].
(4) Vgl. Behrens, Peter (1979) [1910]: Kunst und Technik, in: Buddensieg, Tilmann (Hg.), Industriekultur. Peter Behrens und die AEG 1907–1914, Berlin: Gebr. Mann Verlag, S. D274–D291.
(5) Vgl. https://www.windcloud.de/unternehmen/ueber-uns [23.06.2022].
(6) Vgl. Vos, Joost (2019): Interview Abe Bonnema Prijs 2019. https://abebonnemaprijs.nl/inzending/benthem-crouwel-architects-2/interview/ [03.02.2020].