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Fragen zur Architektur (39) | Am 20. September wurde der neue Smart City Index veröffentlicht. (1) Nach einer langen Liste von Kriterien wurde ermittelt, dass Hamburg erneut die »smarteste« deutsche Stadt ist, vor München, Dresden, Köln und Stuttgart. Damit wird der Ehrgeiz geweckt, sich im Ranking zu verbessern. Wichtig wäre es aber auch, sich etwas intensiver damit zu befassen, wo die Smart City schon Realität ist. Dann wird sichtbar, wie sehr diese Realität verbessert werden sollte.

KI, künstliche Intelligenz, ist derzeit das im Bereich der Technologien dominierende große Versprechen. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Bericht, darüber „wie künstliche Intelligenz beim Energiesparen hilft.“ (2) Eine in diesen Tagen der steil gestiegenen Preise besonders verlockende Aussicht, allerdings auch deswegen, weil in den letzten Jahre allzu sorglos mit dem Thema Energie umgegangen wurde. So überzeugend die Erfolgsgeschichten auch sein mögen – im genannten Bericht hieß es, auch in der Wohnungswirtschaft helfe künstliche Intelligenz, Energie zu sparen – so vorsichtig muss man mit diesen Erfolgsmeldungen deswegen sein, weil sie wesentlich darauf beruhen, dass sie Versäumnisse aufdecken. Etwa, dass man nicht früh genug angefangen hat, andere Energiequellen zu erschließen, die Energieproduktion zu dezentralisieren, das Gewinnen von Energie zu fördern anstatt lediglich das Sparen. Auf die Stadt und die Planung bezogen ist der Begriff der Smart City nach wie vor das Schlagwort, unter dem die Versprechungen der Digitalisierung in einen räumlichen Zusammenhang gebracht werden: Die Smart City zielt darauf, mit neuen Technologien, »Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten« (3); dieses Versprechen beruht darauf, dass Technologien miteinander verknüpft werden und über Daten Nutzung, Verbrauch, Angebote steuern und aufeinander abstimmen. Inzwischen eben mit KI.

Versprechungen


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Auf dem Smart City Index auf Platz 1: Hamburg. Im ganzen Bericht über diesen Index kommt das Wort „Bildung“ übrigens nicht vor. (Bild: Christian Holl)

Dass solche Formulierungen in die Zukunft gerichtet sind, ist Teil eines technologie- und fortschrittsfixierten Denkens. „Smart City“ ist ein Begriff, der suggestiv die Erwartung weckt, es könne irgendwann einen Zustand geben, in dem sich die Stadt als „smart“ beschreiben ließe. Das aber wird nie der Fall sein, allein schon, weil die Technologien, die diesem Stadtmodell zugrunde liegen, einem steten und schnellen Wandel unterliegen. Die Smart City wird immer nur anzustrebendes Leitbild sein können, auch, weil die Stadt als Begriff unbestimmt ist und immer als ein Bündel von Prozessen, Strukturen und Erwartungen verschiedenste Vorstellungen von dem hervorbringt, was eigentlich Stadt ist. Die Vielzahl der Handlungen, Abläufe, gebauter und geplanter Gebäude und Ensembles, die unter Stadt subsummiert werden, ist in ihrer Komplexität nicht abschließend zu definieren.

All das, was Stadt ausmacht, auf Daten zu reduzieren, die so vereinheitlicht werden müssen, dass sie bewertbar und vergleichbar werden können, dass sie untereinander kompatibel sind, wird immer einen unbestimmten Rest lassen, der nicht erfasst wird und die Stadt immer auch mitprägt. Die Smart City bleibt eine Projektion, solange die ihr zugrunde liegenden Technologien nicht Teil eines politischen Aushandlungsprozessen werden, solange man mit ihr das Versprechen verbindet, Konflikte so zu lösen, dass sie keiner Aushandlung mehr bedürfen. Die effiziente Nutzung von Fahrzeugen etwa verspricht, die Raumkonkurrenz zwischen Autos, E-Scoutern, ÖPNV, Fahrrädern und Fußgängern, zwischen Straße als Transit- und als Aufenthaltsraum aufzulösen. Doch das ist eine Illusion. Zum einen, weil sie den Rebound-Effekt unberücksichtigt lässt, der bei höherer Effizienz die Nutzung eines Verkehrsmittels attraktiver macht. Zum anderen ist dann noch immer offen, wie letztlich die Nutzung des Straßenraums ausgehandelt wird, welche Nutzung welchen Raum erhält. Die Smart City suggeriert, dass es eine Zukunft geben könne, in der durch Technik Lebensqualität und Nachhaltigkeit miteinander verbunden werden könnten. Auch eine Smart City wird uns niemals von der Aufforderung entbinden, zu formulieren, zu beschreiben, zu artikulieren, was wir von der Stadt wollen, welche Qualitäten uns in ihr wichtig sind.

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Worüber selten die Rede ist, wenn man über die „Smart City“ spricht. (Bild: pxhere CC0)

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Im Sommer wurde auf der documenta unter anderem thematisiert, wie wir mit Abfällen umgehen. Weitere Info: >>> (Bild: Martina Metzner)

Neben den Versäumnissen, die die smarten Technologien so verführerisch machen, verdeckt der Begriff allerdings noch etwas anderes Wesentliches: nämlich wie und in welchem Umfang die Smart City schon Realität ist. Diese Wahrnehmung gilt es zu schärfen, vor allem, damit die Versprechungen kritisch reflektiert werden können, die mit den smarten Technologien gemacht werden. So sollte es viel mehr als derzeit zum Thema werden, welche Energien mit den Technologien verbraucht werden, auch mit denen, die uns versprechen, man könne mit ihnen Energie sparen. Es sollte gefragt werden, wie wir die in der Zukunft veraltete Technik ersetzen, die dann alten Komponenten entsorgen, wie die Rohstoffe dafür gewonnen werden. Und es sollten die Konzentrationsprozesse hinterfragt werden, die schon lange ein gefährliches Maß angenommen haben: Amazon hat 2020 einen Marktwert erreicht, der einem Drittel des deutschen BIPs entspricht. (4)

Realitäten

Denn in gewissen Sinne gibt es Smart Cities schon lange. Zum einen auf einer direkten, konkreten und pragmatischen Ebene. Wir steuern unser Freizeitverhalten nach der Wettervorhersage, kaufen im Internet in der Straßenbahn ein, weichen Staus aus und suchen Verbindungen im ÖPNV über Apps, fahnden nach preisgünstigen Reisemöglichkeiten, lassen uns von Restaurantbewertungen und Kaufempfehlungen leiten. Dieses sind zu einem großen Teil schon durch KI auf die jeweiligen Nutzenden angepasst und verstärken so auch Bedürfnisse, denn je präziser eine Empfehlung auf den Geschmack des Individuums zugeschnitten ist, desto schwieriger ist es, ihr zu widerstehen. Die Wirkungen auf Raum und Ökologie sind enorm. Verkehr ist bislang nicht reduziert worden, Transportdienste und Logistikzentren prägen die Räume anders als jener Handel, der unsere Städte so geformt hat, wie sie in unseren Vorstellungen existieren. Dass es erst die Plattformökonomie erlaubt hat, Wohnungen für Touristen attraktiv zu machen und damit das Wohnungsproblem verschärft wird, ist eines von vielen Beispielen konkreter Veränderungen in den Städten. Die Corona-Krise hat auch sichtbar gemacht, wie wenig wir in Bezug auf die Innenstädte diese Herausforderungen ernst genommen haben und versucht haben, die Digitalisierung des Handels mit den Zentren als Begegnungsorte in Einklang zu bringen.

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Smart City ist global und globale Realität. (Bild: pxhere CC0)

Es gibt aber auch zum anderen die weiterreichenden Wirkungen, die ein auf eine bessere Zukunft gerichteter Blick übersehen lässt. Digitalisierung und KI sind wesentlich durch die Finanzmarktökonomie getrieben und nach deren Logik entwickelt worden, wie es Joseph Vogl erörtert: Es waren „finanzökonomische Beschleunigungsbedürfnisse wie der Hochfrequenzhandel, welche den Ausbau globaler Netze vorangetrieben haben.“ (5) Damit verbunden sind einerseits die Privatisierung von Netzen und Infrastrukturen, die von der öffentlichen Hand aufgebaut wurden und andererseits die Folgen auf die Vermögensverteilung, Wertschöpfung und Steuereinnahmen. Konsequentes Outsorucing von Arbeit und Steuervermeidung führten dabei zu Ungleichgewichten, unter denen die Städte leiden,  schon allein, weil erhebliche Wertschöpfungen nicht oder nur marginal besteuert werden. Es wurden aber nicht nur Risiken outgesourct (die Folgen der Finanzmarktkrise 2007 wurde von den Staaten und nicht von deren Verursachern getragen), sondern auch die Betriebsmittel und die damit verbundenen Kosten und Risiken – das ist der Clou der Plattformökonomie. Man betreibt Vermietung ohne Immobilien, Fahrdienste ohne Fahrzeuge, Raumpflege ohne Reinigungsmittel. Vogl rechnet vor, dass von einer Autofahrt mit Uber in Belgien der Gewinn des Unternehmens (mit Sitz in den Niederlanden) zu 98,55% nicht versteuert, der Gewinn des Fahrers in Belgien mit dem niedrigsten Einkommenssteuersatz versteuert wird. (6)

Schon lange raumprägend

Aber damit nicht genug. Inzwischen ist der Immobilienmarkt derart mit dem Finanzmarkt verknüpft, dass sich die Ungleichgewichte der Vermögensverteilungen direkt auf den Wohnungs- und Immobilienmarkt zurückwirken. Die Smart City ist also schon auf ziemlich wirksame Weise Realität, weil miteinander verknüpfte Prozesse von Finanz-, Immobilienmarkt und Bauwesen direkt die Verhältnisse in den Städten beeinflussen. Wie das Beispiel Uber ansatzweise gezeigt hat, wird mit der Digitalisierung Arbeit nicht verschwinden, aber sie wird so organisiert, dass sie in prekäre Verhältnisse mündet. Ob der Uber-Fahrer, die Menschen, die die E-Scouter des nachts einsammeln und neu in der Stadt verteilen, die Menschen, Pakete mit übers Internet bestellter Ware ausfahren – sie alle können sich das Wohnen in der Stadt kaum mehr leisten und müssen deswegen zur Arbeit pendeln. Das ist das eine.

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Triestesse auf dem deutschen Wohungsmarkt. (Bild: Christian Holl)

Das andere ist die Frage nach zeitgemäßer Wohnformen. Seit Jahrzehnten sind Wohnkonzepte, die ein gemeinsames Wohnen mit individuellen Bereichen, die das Teilen von Flächen mit einem Gewinn an Begegnung und Austausch verknüpfen, noch immer weit davon entfernt, Normalität zu sein. Wenn man sich fragt, warum dem schon so bedrückend lange erkannten Bedarf an einem anderen Wohnen immer noch irgendwo am Rand des alltäglichen Geschäfts mit Konzepten und Pilotprojekten begegnet wird, als gelte es immer noch, etwas Neues zu erproben und erste Erfahrungen zu sammeln, dann könnte das auch damit zusammenhängen, dass Information auf die im Finanzmarkt bewertbaren, vergleichbaren und verwertbaren Qualitäten verengt wird, die in Wertpapierpreisen abgebildet werden. (7) Die Frage, ob Wohnungen sich den schon lange nicht mehr neuen Lebensmodellen, den fluiden Biografien, den variantenreichen Familienformen gerecht werden, spielt für das Wohnen als Assetklasse aber keine Rolle, solange Wohnungen verkauft werden, solange Gewinne und Werte über Finanzmarktaktionen gesteigert werden können, solange die Finanzierung von Wohnraum an einen Finanzmarkt gekoppelt ist, der Vermögenskonzentrationen fördert, auf dem es darum geht, Gewinne unter anderem mit Erwartungen zu erzielen. Ein Großteil der Handelsaktivitäten ist hier aber bereits von Algorithmen gesteuert. (8) Das Diktat der Ökonomie besteht dabei unter anderem auch darin, etwas vorhersehbar zu machen. Denn erst, wenn etwas vorhersehbar ist, lässt sich damit handeln, auch dann, wenn es noch nicht existiert. Das befördert Normierungen und Vereinheitlichungen, das befördert aber auch getrennte Märkte für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Die gemischte Stadt mit zeitgemäßem bezahlbarem Wohnraum ist nicht das Ziel dieser Smart City.

Der Befund geht also weit darüber hinaus, dass etwa in der Smart City in erster Linie Fragestellungen und Problemlagen behandelt werden, die den wohlhabenderen und technikaffinen Teil der Bevölkerung betrifft (9) – dies ist sozusagen nur zwangsläufig, wenn Smart City auf einer Entwicklung beruht, die zu einem großen Teil durch den Finanzmarkt getrieben ist. Zudem hat die Digitalisierung eine konzentrierte Macht von wenigen Unternehmen geschaffen, die ein diffuses Geschäftsmodell verfolgen. Google, Amazon und Co sind schon längst dabei, Finanzmarkt, Konsum, Gesundheitsdienste und Dienstleistungen so zu verknüpfen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich der Einfluss auch im Bereich des Bauens bemerkbar macht. So rät Yana Boeva: „Dabei geht es nicht um die Befürchtung, dass Konzerne wie Alpahbet Architekt:innen obsolet machen, sondern vielmehr um die Notwendigkeit, das Verständnis für diesen Konzentrationsprozess zu erhöhen, beim dem Entwurf, Planung und Fertigung von fachfremden Akteuren zentral gesteuert werden können und diese dadurch ihr auf Daten basiertes Geschäftsmodell stark ausweiten.“ (10) Es wäre gut, wenn nicht nur Architekt:innen ein Verständnis von für die Konzentrationsprozesse entwickelten, die schon lange ein Besorgnis erregendes Maß angenommen haben.


Zur Vertiefung ist die Lektüre der in den Fußnoten erwähnten Publikationen empfohlen
(1) Der Smart City Index 2022 >>>
(2) Wie künstliche Intelligenz beim Energiesparen hilft, Süddeutsche Zeitung, 5. September 2022 >>>
(3) Wikipedia >>>
(4) Joseph Vogl: Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart. München 2021, S. 76
(5) ebd., S. 34
(6) ebd., S. 74 f.
(7) ebd., S. 42
(8) Martin Ehrenhause: Automatischer Finanzhandel: So krempeln Algorithmen die Finanzmärkte um. >>>
(9) Henning Füller: Steuerung aus den Daten selbst? in: Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.): Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld 2018, S. 211–221, hier S. 218
(10) Yana Boevna: Digitaler Holzbau als urbaner Datenkapitalismus. In: Manege für Architektur, Nr. 2, Automationen. Architektonische Intelligenz in den 2020er Jahre, Zürich 2022, S. 18–21, hier S. 20. >>> mfa.one