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Kulturarbeit


Räume, die für Gewerbe genutzt wurden, für kulturelle Nutzungen umzurüsten, hat schon eine gewisse Tradition – nicht selten lassen sich so auch Kosten sparen, das Neue kann im Kontrast zum Alten aber auch besonders wirkungsvoll inszeniert werden. Für die große Aufgabe, Bestand zu erhalten, sind solche Umnutzungen aber kaum zu unterschätzen: Zeigt sich so doch, dass der Bestand viel mehr ist als Materiallager und graue Energie. Zwei Beispiele aus Stuttgart und Naumburg.

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Neues Markenzeichen der Galerie: die markante Außentreppe. (Bild: g2o)

Umbau einer Werkstatt zu einer Galerie mit Agentur in Stuttgart

Die Galerie „Better Go South“ wurde 2022 von Nina und Michi Preuss in Stuttgart gegründet. Sie betreiben seit 2010 eine Kreativagentur, mit der Galerie verfolgen sie nun auch das Ziel, jungen, aufstrebenden Künstler:innen aus der ganzen Welt den Süden Deutschlands näher zu bringen, aber auch, Künstler:innen aus dem Süden als Sprungbrett zu dienen. Ein Ort für Agentur und Galerie, der dem Anspruch dieser Kombination gerecht werden kann, musste aber erst noch gefunden werden. 2023 stießen Nina und Michi Preuss auf eine Malerwerkstatt in einem großen, üppig begrünten Innenhof im hoch verdichteten Westen Stuttgarts. Die Werkstatt, am Rande des Hofs an den Hang mit den dahinter angrenzen Häusern gesetzt, wurde nicht mehr für den Malerbetrieb gebraucht. Es bedurfte zunächst etwas Fantasie, hier den für eine Galerie und Kreativagentur geeigneten Ort zu erkennen, aber darin haben Menschen aus dem Kunstgewerbe ja etwas Übung – und die Architekten von g2o sowieso. Das Büro ist erfahren in Umbau und Sanierung, es hat mit einer Bestandserweiterung mit Aufstockung an einem anderen Ort in Stuttgart bewiesen, dass es Eleganz, Extravaganz mit einer gut dosierten Portion von rauem Charme kombinieren kann.

Belebende Kontraste

Umgebaut werden sollte der ehemalige Malerbetrieb in Galerie- und Büroräume für die Agentur. Die Aufgabe hat g2o mit einer gut abgewogenen Mischung aus Zurückhaltung und Selbstbewusstsein gelöst. Deutliches äußeres Signet der neuen Nutzung ist eine mit geschlossener Brüstung aus Edelstahl versehene, auffällige Treppe, die nicht nur das Obergeschoss, sondern auch das Dach erschließt – denn die Dachfläche sollte zusätzlich aktiviert werden. Ansonsten ist an der Fassade wenig geändert worden: Die gut erhaltenen Glasbausteine blieben, Tore und Fassaden wurden ersetzt oder etwas dezenter als zuvor neu gestrichen, die Fassadenbeschriftung des Malerbetriebs verschwand. Ein bestehender, vorwitzig auskragender Erker spricht die spielerische Sprache des späten 20. Jahrhunderts – es musste für das Äußere nicht viel neu erfunden werden.

Der Clou der neuen Treppe ist nicht ihr außergewöhnliches Erscheinungsbild, sondern auch, was sie im Innern bewirkt hat. Für diese Treppe sprachen zunächst praktische Gründe – die Galerie im Erdgeschoss, die Agentur im Obergeschoss und das Dach sollten unabhängig voneinander erschlossen werden. Doch gewonnen wurde damit im Innern statt des ursprünglichen Treppenhauses ein über zwei Geschosse reichender Raum, der genau diese Brise des Besonderen und Überraschenden einbringt, um die Gewerberäume zu solchen für die Kunst zu machen. Unterstrichen von linearer Beleuchtung, verbinden sich über diesen Raum die beiden Geschosse miteinander; so wird auch verdeutlicht, dass Galerie und Agentur zusammengehören.

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Mischung aus alt und neu, bunt und roh. Das Obergeschoss beheimatet die Kreativagentur „Preuss und Preuss“. (Bild: g2o)

Ansonsten wurde auf die Wirkung der auf den Rohbau zurückgeführten Konstruktion und deren Kontrast zu den neuen Einbauten gesetzt. Die alten Fliesen wurden entfernt, der bestehende Estrich wurde gefräst, blieb aber. Im Bereich der abgebrochenen Bauteile wurde der Estrich neu gegossen und mit einer Zäsur vom bestehenden abgesetzt. Die Betonstützen wurden freigelegt, alle Installationen sichtbar montiert. Ansonsten bieten die kaum veränderten Raumzuschnitte mit weißen Wänden gute Voraussetzung für die Nutzung als Galerie.

Überraschung im Hof

Im Obergeschoss  wurden die abgehängten, mit Teppich eingerichteten Handwerker-Einzelbüros in einen offenen Arbeitsraum für die Agentur verwandelt, der durch Licht, Möbel und Ausstattung zoniert wird und immer wieder neu figuriert werden kann; er ist gleichzeitig Arbeits- wie Ausstellungsraum, ergänzt um eine Chill-Ecke und eine blaue Box für Garderobe und Besprechung. Die abgehängte Decke wurde entfernt, so dass nun Sichtbetondecken den Raum prägen. Der Bestandsestrich wurde auch hier gefräst, zusätzlich mit einer Fußbodenheizung versehen und lichtgrau beschichtet. Die weißen Wände geben die Bühne frei für farbige Möbel, eine knallgelbe Küche, ein pinkfarbiges Bad, und die blaue Box.

Auf das vorher unzugängliche, bewachsene Dach wurde das Tinyhouse als provozierender Kontrast gesetzt, das die kindliche Vorstellung des freistehenden Einfamilienhauses aufgreift; entworfen hat es der Künstler Richard Woods. Ausgestattet mit einem Bett, von dem aus durch den Schornstein in den Himmel geblickt werden kann, sowie ein kleines Bad, eine kleine Küche, bildet das Minihäuschen den Mittelpunkt eines Dachgartens als einen besonderen Ort für die Besucher:innen von Galerie und Agentur. Als Einheit sind sie eine belebende Überraschung im Hof, in einer Mischung aus sperrigem Bestand und eleganter Umnutzung gerade richtiger Ort, um Kunst zu entdecken.


Ort: Rotebühlstraße 175/1, 70197 Stuttgart
Bauherr: PREUSS UND PREUSS GmbH / Better Go South – Nina und Michi Preuss
Architektur: g2o GmbH /Michele Grazzini, Stephan Obermaier
Projektleitung Julia Boos
Leuchten Agentur OG: Modular Lighting
Leuchten Galerie: Hadler Leuchten
Gestaltung Tiny House Außen: Richard Woods  RichardWoodsStudio
Fotografie: Michele Grazzini, g2o


320, Theater Naumburg, Umbau von Peter Zirkel Architekten, Foto Till Schuster, 2025

Blick auf den Haupteingang und die verglaste Fassade vor dem neu eingefügten Foyer. (Bild: Till Schuster)

Theater im Alten Schlachthof in Naumburg (Saale)


Es gilt als das kleinste Stadttheater Deutschlands: das Theater von Naumburg an der Saale. Es ist aus einem Figurentheater hervorgegangen, verfügt über ein eigenes kleines Ensemble und hat bislang an verschiedenen Orten in der Stadt gespielt. Als Zentrale war ein altes Gasthaus genutzt worden. Das hätte saniert werden müssen, die finanziellen Risiken schienen allerdings zu groß. Im Hauptgebäude des ehemaligen, bis 1990 genutzten Schlachthofs, außerhalb der Innenstadt, wenige hundert Metern vom Bahnhof entfernt, wurde eine Alternative gefunden. Der Bau ist von 1891, atmet den typischen Charme eines Industriebaus aus dem 19. Jahrhundert: ein Ziegelbau mit Stahlstützen, -unterzügen und Kappendecken innen, mit verputzen Flächen und mit von Ziegel gerahmten Öffnungen und akzentuierten Konturen sowie weit auskragenden Dachflächen außen. Das Gebäude war nach der Jahrtausendwende teilsaniert und als Baustoffzentrum, als Berufsbildungsstätte, Geflüchtetenunterkunft, als Grundschul-Auslagerungsstandort und als Impfzentrum während der Corona-Epedemie genutzt worden.

Sehen können, was sein kann

Im Nachhinein scheinen die räumlichen Voraussetzungen für die neue Nutzung als Theater ideal: ein Verbindungsbau zwischen den zwei langgestreckten Bauteilen, der zu einem Foyer erweitert werden kann, die Mischung aus ein- und zweigeschossigen Räumen und dadurch variierende Gebäudehöhen von 3,5 bis 11 Meter, in denen die Theatersaal, Werkstätten, Studiobühne, Lager und Technikräume Platz finden können. Tatsächlich ist es aber die Leistung von Peter Zirkel Architekten, 2021 im VgV-Verfahren genau diese Anpassung des Bestands an die gewünschte Nutzung herausgearbeitet zu haben: Es gilt schließlich überhaupt erst zu sehen, wie ein Bestand so transformiert werden kann, dass er so selbstverständlich neu genutzt werden kann. Mit einer verglasten Front wurde der vordere Innenhof zu einem Foyer erweitert, von dem aus Haupt- und Studiobühne, Gastrobereich mit Küche und Toilettenanlage zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig können an den Verbindungsgang Lager, Werkstatt, Technikräume und Künstlergarderoben angelagert werden, aber auch separat erschlossen werden.

320, Theater Naumburg, Umbau von Peter Zirkel Architekten, Foto Till Schuster, 2025

Der Theatersaal bei geöffnetem Vorhang. So kann der Raum auch beispielsweise für Konzerte, Vorträge oder Feiern genutzt werden. (Bild: Till Schuster)

Das Budget war knapp, so dass der Ausbau auf das Notwendige beschränkt wurde; die Technik der vorherigen Teilsanierung konnte teilweise weitergenutzt werden, zusätzliche Lasten über die Bestandswände abgetragen werden, lediglich die Bodenplatte musste neu gegossen werden, um alle Räume auf ein einheitliches Niveau zu bringen, um den Transport aus Lager und Werkstatt in die Theaterräume möglich zu machen, aber auch der Barrierefreiheit wegen. In den Neben- und Technikräumen ist deutlich sichtbar, dass hier nur dringend notwendige Reparaturen vorgenommen wurden. Im Foyer und dem Gästebereich wurden die Oberflächen geglättet und saniert, aber auch hier sind noch die Spuren vorheriger Nutzung sichtbar geblieben.

Augen und Ohren auf


320, Theater Naumburg, Umbau von Peter Zirkel Architekten, Foto Till Schuster, 2025

Foxer mit Blich auf die Zugänge zu Theatersaal und Studiobühne. (Bild: Till Schuster)

Der (relativ) größte Aufwand wurde für die beiden Theaterräume betrieben. Da ist zum einen der Theatersaal für maximal 110 Gäste sowie zum anderen die Studiobühne mit 50 Zuschauerplätzen. Die kleinere Studiobühne ist mit einem durchgehenden Bühnenboden und einem umlaufenden Vorhang direkt vor den Wandflächen ausgestattet. Der ebenso in Schwarz gehaltene Theatersaal kann in Aufbau, Publikumspositionierung und Szenerie an die jeweilige Inszenierung angepasst werden, der Boden ist aus Schwarzkiefer. Von einer neue Trägerebene unter der Decke sind die Einrichtungen für Licht, Ton und Kulissen abgehängt, ein umlaufender Galeriengang ist für Technik und Regie eingezogen worden. Von dieser Galerienebene kann durch einen Vorhang der Theaterraum abgetrennt werden, um verdeckte Auftritte zu inszenieren und den Theaterraum nach außen abzugrenzen. Bei geöffneten Vorhängen wird der Raum zu einem durch die Fensterfront erhellten Raum, der auch für andere Nutzungen – Konzert, Vortrag, Feier – geeignet ist. Die Mischung aus robuster Reduktion auf Weniges und selbstbewusstem Gestus, mit dem gerade das Wenige das Augenmerk auf Aufführung, Wort, Inszenierung lenkt, macht die Nutzung von Bestandsgebäuden für das Theater hier wie auch an anderen Orten aus, wo Industriebauten für das Theater genutzt werden. Hier ist es aber vielleicht noch einmal bedeutender, weil diese Bühne als kleinstes deutsches Stadttheater alles andere als die oft viel zu Saturiertheit bedient, wo Theater selbstverständlich scheint.

So etwas wie das Signet der neuen Nutzung ist das Foyer, das als neuer Raum hinzugekommen ist. Als großzügiges Scharnier kreuzen sich in ihm die Wege, wird hier das Angebot des neuen Theaters auf Anhieb sichtbar, sind die bisherigen Außenfassaden ungekünstelter Ausdruck des Schwebezustands, in dem man sich in einem Foyer befindet: Schon angekommen, aber noch nicht am Ziel. Entweder voller Vorfreude und Erwartung, oder um vor dem Verlassen das Erlebte noch nachklingen zu lassen. Dieser so einfach wie selbstverständlich hergestellte Stimmung entspricht die Fassade aus verspiegeltem Glas, die den Bestand spiegelt und erst bei beleuchtetem Zustand zu einem sich öffnenden Eindruck wird: Herzlich willkommen im Theater.


Ort: Roßbacher Str. 12, 06618 Naumburg (Saale)
Bauherrschaft: Stadtverwaltung Naumburg
Nutzer: Theater Naumburg
Architektur: Peter Zirkel Gesellschaft von Architekten mbH, Dresden
Projektteam: Josephine Galiläer, Conrad Lohmann, Emanuel Schmidt
Tragwerk: Engelbach&Partner, Dresden
Bühnentechnik: itv Ingenieurgesellschaft für Theater- und Veranstaltungstechnik mbH, Berlin
Brandschutz: Brandschutz Consult, Ingenieurgesellschaft mbH, Leipzig
Akustik: Akustik Bureau Dresden, Ingenieurgesellschaft, Dresden
NRF: 1.900 qm
BGF: 2.370 qm
BRI: 9.560 cbm
Planungs- und Bauzeit: 01/2021 – 04/2025
Baukosten (KG 300-400): 3.600.000 €
Gesamtkosten (KG 200-700): 4.700.000 €
Fotografie: Till Schuster