Häuser umzubauen heißt meist auch, sie anders zu nutzen oder die Optionen für die Nutzung zu erweitern. Dabei wird auch die Architektur neu entdeckt. Und wenn man die Architektur nicht allein in der zwangsläufigen Verbindung zu ihrer bisheriger Nutzung sieht, wird wiederum auch vorstellbar, was alles noch in ihr passieren kann: Jede Wiedereröffnung ist immer auch eine Neueröffnung – das zeigen Projekte aus Merseburg, Stuttgart und Neuenstein.
Campus-Kindergarten der Hochschule Merseburg
Der Campus der Hochschule Merseburg ist ein Kind der 1950er- und 1960er Jahre; eine offene, durch Zeilenbauten geprägte Struktur am Ortsrand, von der noch wenige Bauten im ursprünglichen Zustand erhalten sind; einige Gebäude wurden abgerissen, andere saniert. Ebenfalls ein Kind der Erbauungszeit ist die an ein Wohnheim im rechten Winkel eingeschossig angebaute, ehemalige Telefonzentrale – wegen veralteter Technik wurde sie nicht weiter betrieben. Die Umnutzung zeigt aber, dass das Gebäude alles andere als obsolet ist. Auf der Suche nach einem Ort für einen Kindergarten erwies sich dieser nach Norden eingeschossige erscheindende Schlitten als überraschend gut für eine Umnutzung geeignet. Tatsächlich ist er zweigeschossig; durch das nach Süden abgeböschte Gelände ist auch das Sockelgeschoss belichtet.
Die auf einem Achsmaß von drei Metern aufbauende Konstruktion ist flexibel adaptierbar; das neue Programm aus Gruppenräumen, Küche und Sanitärräume ließ sich gut einpassen. Die ehemalige Telefonanlage der Hochschule war in einem etwa dreieinhalb Meter hohen Raum im Sockelgeschoss unterbracht, um die für die technische Nutzung erforderliche Höhe zu gewährleisten, liegt die Bodensohle hier knapp einen Meter tiefer als in den angrenzenden Räumen. Ein idealer Raum, um nun hier Kinder spielen und toben zu lassen.
Für 42 Kinder zwischen 0 und 6 Jahre von Studierenden und Mitarbeitenden ist hier Raum geschaffen worden, in einer Kinderküche mit Essraum wird mit den Kindern gekocht, auch bei Elternabenden oder Veranstaltungen kann auf sie zurückgegriffen werden. Dem Büro Aline Hielscher Architektur gelang es, ohne die Struktur und den Charakter des Baus grundsätzlich zu überspielen, ihn eine freundlich zeitgemäße Atmosphäre verströmen zu lassen. Dafür haben die Architekt:innen neue Fensterelemente aus Holz und Aluminium einbringen lassen, die aus einer Festverglasung und einem geschlossenen Flügelelement bestehen. Die geschlossenen Flächen setzen ebenso wie die Türen mit einem gedeckten, hellen Rotton einen neuen Farbakzent, der das neue Innenleben nach außen trägt und wunderbar mit dem hellen Grau der konstruktiven Bauteile harmoniert. Innen wird der Rotton in Bädern und Küche aufgegriffen. Türkis für Fliesen in den Sanitärräumen für Personal und Eltern ergänzt das Farbspektrum.
Ansonsten sind die neuen Einbauten im Naturton des Nadelholzes gehalten, aus dem sie bestehen: die Garderobe, die Einbauregale, die Treppen- und Rampenanlage mit Kletterwand im Bewegungsraum, die ein Spielen auf mehreren Ebenen ermöglicht und zwischen den Ebenen des Geschosses und dem Zugang ins Freie vermittelt. An den Bewegungsraum angrenzend sind im Sockelgeschoss zudem ein Schlafraum und Personalräume untergebracht, Küche und Gruppenräume mit Garderoben und Sanitärräumen liegen im Erdgeschoss. Niedrige Fensterbänke im großzügig bemessenen Flur eigenen sich als Sitzplätze für die auf ihre Kinder wartende Eltern. Die zurückhaltende Beleuchtung mit leichtem Retroflair zeigt das feine Gespür der Architekt:innen für eine überzeugende Balance zwischen neuen Akzenten und Respekt vor der Geschichte und der Atmosphäre des Bestehenden.
Ort: Friedrich-Zollinger-Str. 1a, 06217 Merseburg
Auftraggeber: Studentenwerk Halle AÖR
Architektur: Aline Hielscher Architektur, Leipzig
Tom Döhler, Aline Hielscher, Wiebke Kessler, Johanna Knigge, Florian Tobschall
Bauüberwachung: Dr. Manfred Arlt (Architektur und Denkmalpflege Thomas Zaglmaier)
Tragwerksplanung: DSH GmbH
Wärmeschutz: Wohlrab, Landeck & Cie.
Brandschutz: Joachim Maske
HLS: Wohlrab, Landeck & Cie.
ELT: Schimmel + Schönemann
Küchenplanung: Triebe und Triebe GbR
Freianlagenplanung: Sascha Kleine
Fertigstellung: 2023
Baukosten: 1,7 Mio. € brutto (KG 300, 400)
Fotografie: Célia Uhalde
Umbau der Martinskirche in Stuttgart
Die Martinskirche ist ein wuchtiger Bau, 1937 erbaut von Karl Gonser, einem Vertreter der Stuttgarter Schule um Bonatz, Schmitthenner und Wetzel, in traditioneller Formensprache, verbunden mit einer den geometrischen Körper betonenden Schmucklosigkeit. Die Kirche, nach Kriegszerstörung wieder aufgebaut, liegt im Norden der Stuttgarter Innenstadt, im multikulturell geprägten Nordbahnhofviertel. Das Kreativzentrum Wagenhallen ist nur wenige Gehminuten entfernt; zum neuen Europaviertel am Hauptbahnhof ist es kaum weiter. Wird das Rosensteinviertel mit neuen Wohnformen und einer hohen Wertschätzung einer vielfältigen Nutzungsmischung Realität, könnte die Martinskirche an Bedeutung gewinnen.
Doch darauf wollte die Evangelische Kirchengemeinde nicht warten – und gab sich und dem Haus die Chance, in einem offenen Prozess einen Weg in eine Zeit zu finden, in der Kirchenräume als offene Orte der Gemeinschaft und des Quartiers gebraucht werden. 2006 wurde das Kölner Büro Prinzmetal beauftragt, mit temporären Formaten sich den Raum mit den Menschen des Quartiers neu anzueignen. Das Experiment gelang: Die Martinskirche wurde entdeckt als Raum für Feste, für kulturelle Veranstaltungen, für Diskussionen, für lebendigen Austausch, für Workshops, für die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Und die Architektur musste dafür nicht einmal großartig umgebaut werden, um zum milieu-offenen Raum der Begegnung und der Spiritualität zu werden; der Kirchenbau erwies sich als offener und variabler als vermutet.
Diese Erfahrung mündete in einen Wettbewerb, den Prinzmetal gewinnen konnte. Das Ergebnis überzeugte, weil die räumlichen Eigenheiten nicht überspielt wurden, gleichzeitig die in der Improvisation gewonnene Offenheit für verschiedene Nutzungen in ein dauerhaftes Konzept übertragen werden konnten. Dafür wurde die Kirche energetisch saniert, die Akustik verbessert. Die Gesamtanlage wurde in drei Bereiche gegliedert. Das Untergeschoss, 1937 als Luftschutzbunker angelegt, nimmt nun ein Bistro und Ausstellungsflächen auf, im Seitenflügel wurde unter anderem ein Bandproberaum untergebracht. Die durch Zwischennutzungen bereits überformten Bereiche wurden weiß überarbeitet, neu geschaffene gestalterisch abgesetzt, so dass die Geschichte des Orts lesbar bleibt. Dank des geneigten Geländes können diese Räume sich über einen Platz mit Sitzstufen auf leicht abgesenktem Niveau zur Straße öffnen. In den Seitenflügeln wurden Gemeinderäume eingepasst, ein großer Gruppenraum kann flexibel genutzt werden, ein Einbaumöbel mit Galerie nimmt die dafür notwendige Ausstattung auf: Tische, Sitzmöglichkeiten, Pinnwände, Stauraum und eine Teeküche; Arbeitsräume liegen im hinteren Bereich.
Der dritte große Bereich ist der Kirchenraum. Er kann als Gesamtraum mit und ohne Bestuhlung genutzt werden, zu den Stirnseiten können aber auch kleinere Räume abgetrennt werden. Nur wenige Eingriffe wurden vorgenommen. Die Empore wurde neu gestaltet, erhielt eine zusätzliche Treppe, abtrennbare Kapellen entstanden auf und unter der Empore. Der Altarbereich wurde vergrößert, um als Bühne dienen zu können, er kann durch fahrbare Holzpodeste noch zusätzlich vergrößert werden. Diese Podeste können aber auch frei im Raum positioniert werden, für Workshops, Diskussionen etwa. Durch eine Leinwand lässt sich der Altarraum in einen intimen Raum verwandeln, ohne dass er vollständig abgeschlossen werden müsste. So sind ein Vielzahl von Nutzungen und Raumkonfigurationen möglich, die während der partizipativen Erprobungsphase erprobt wurden. Es wurde ein neuer Ort geschaffen, der sich neue Begegnungen und Erlebnissen öffnet, es wurde das Haus und der Raum bewahrt – und mit ihm nicht nur graue Energie, sondern auch Geschichte und Erinnerungen.
Ort: Eckartstraße 2, 70191 Stuttgart
Auftrageberin: Ev. Gesamtkirchengemeinde Stuttgart
Architektur: Prinzmetal, Gerald Klahr, Aaron Werbick, Köln
Projektsteuerung: NPS Bauprojektmanagement
Tragwerksplanung: Engelsmann Peters GmbH
Brandschutz: UMT Umweltingenieure
E-Planung: Zeeb+Frisch
HLS-Planung: Zeeh Schreyer Planungsbüro
Medienplanung: Wireworx
Bauphysik: TEB GmbH
Restauratorische Konzeption: Mäule u. Krusch
Nutzfläche: 1.109 qm
BGF: 2.358 qm
Fertigstellung: 2023
Fotografie: Brigida González
Umbau einer Scheune in Neuenstein
Eine Scheune, wie sie für das ländliche Bauen charakteristisch ist, Material und Konstruktionsweisen sind auf eine pragmatische Weise gemischt, man könnte von einem Hybrid sprechen: Mauerwerk, Sandstein, Holzfachwerk. Erbaut 1940 auf den Mauerresten eines abgebrannten Gebäudes, führte das Fundament des Vorgängerbaus zu einer asymmetrischen Form. Diese Scheune liegt heute am Eingang einer Baumschule und sollte neu in den Betrieb eingebunden werden, mit dem benachbarten Wohnhaus des Auftraggebers ein einladenderes Entrée bieten, als Verkaufsraum mit Ausstellungsfläche sowie für die Verwaltung des Betriebs genutzt werden.
Weyell Berner Architekten hatten das Ziel, den Bestand nicht nur zu erhalten, sondern auch dessen Atmosphäre und Struktur zu bewahren. Sie haben dafür einen konzeptionellen Ansatz gewählt, der die „Haus im Haus“-Idee mit einem Ineinanderflechten des Bestehenden mit dem Neuen verbindet. Zum einen wird das alte Gebäude als Witterungsschutz und Hülle genutzt, die es erlaubt, den Neubau im Innern ressourcenschonend zu betreiben. Quer in den bestehenden Bau wurde, nachdem einige Einbauten entfernt wurden, ein neuer Baukörper eingesetzt, mit Sanitärräumen und Kasse im Erdgeschoss sowie Büroräumen im Obergeschoss. Durch diese Intervention wird die Scheune auch räumlich neu erfahrbar: mit offenen, hohen Bereichen und einem schmalen Durchgang, an dessen Anschluss sich der Raum erneut weitet.
Als zweite neue Intervention zeigt sich der neue, vor dem Bestand gesetzte Giebel, der dem Haus ein neues Gesicht gibt, in dem sich die Idee des Weiterbauens bildlich nach außen präsentiert. Die Regelmäßigkeit und Dichte der neuen Struktur verleihen dem Haus nun genau jene Anmutung des Fremdartigen, die es braucht, um ohne Opposition zum Bestand Neugier und Freude am Entdecken zu wecken. Weil die Hülle im Bereich dieses Giebels transluzent gehalten ist, wird die Südfassade bei Nacht wie ein Leuchtkörper sichtbar, bei Tag macht er den Dachstuhl von innen erlebbar. Ein neues Vordach überführt den neuen Giebel aus dem Flächigen in eine dreidimensionale Struktur, es bietet soviel Schutz, dass die Fläche vor der Scheune die Nutzungsoptionen im Freiraum erhöhen. Die Spuren des Bestands und dessen Gebrauchs blieben erkennbar, das Neue wird ebenfalls lesbar, ohne sich übertrieben inszeniert absetzen zu müssen. Auch nach innen hat sich die bestehende Struktur erweitert. Neue Holzstäbe stabilisieren den Bestand, nehmen die Lasten des neuen Giebels auf; der neue Einbau scheint darin wie eingewoben. Miriam Weyell und Florian Bernern nennen die Arbeiten der finnische Textildesignerin Johanna Gullichsen als Referenz.
Auch darüber hinaus wurden die Prinzipien des Landwirschaftsbaus beibehalten. Das Holz kommt aus lokalen Quellen, alle tragenden und nicht-tragenden Bauteile sind sichtbar gefügt, rückbaubar und recyclebar. Dank des Konzepts, das die Raumhüllen ineinander fügt und den Bestand zum Puffer der neuen Räume macht, kann der gesamte Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Büro, Kassen-, Besprechungsraum und Sanitärbereiche werden über eine Luft-Wärmepumpe mit Fußbodenheizung beheizt. Eine PV-Anlage mit Batterie-Zwischenspeicher liefert die dazu nötige Energie, Überschüsse werden direkt in Netz eingespeist. In den Sommermonaten deckt die Scheune gar den Energiebedarf des ganzen Betriebs. Das Regenwasser der Dachflächen wird in zwei Zisternen gesammelt und für die Bewässerung der umliegenden Pflanzenzucht genutzt. Ein Umbau im Geist des Alten, ohne gestrig zu sein.