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Leben und Überleben

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Ein regelmäßiges Architekturereignis, bei dem sich „tout le monde de l’architecture“ trifft und austauscht, ist die Biennale in Venedig. Pandemiebedingt erschütterte die diesjährige Biennale, dass man sich nicht treffen sollte. Wir sind Nikolaus Bernau (oben im Boot) deswegen besonders dankbar, dass er trotz allem nach Venedig gereist ist und ausführlich und mit klaren Kommentaren die diesjährige Biennale erläutert – eine überaus politische Architekturbiennale. Bewegt sie die Welt?

Foto oben: Camilla Nielsen

Kurator der Biennale 2021: Hashim Sarkis (Bild: Courtesy La Biennale di Venezia, Press)

Kurator der Biennale 2021: Hashim Sarkis  (Bild: Courtesy La Biennale di Venezia, Press)

Das Motto des libanesisch-amerikanischen Architekturforschers Hashim Sarkis für die aktuelle Architekturbiennale in Venedig strotzt nur so von Optimismus: “Wie wollen wir leben?”. Dabei müsste es doch eigentlich längst lauten: Wie wollen wir als Menschen überleben? Sicher nicht, indem wir weiter unsere so herrlich blau ins All strahlende Heimat weiter vermüllen – sogar im Weltraum ist inzwischen eine fliegende Halde aus Raketen- und Satellitenschrott entstanden, der ab und zu mal “irgendwo” ins Meer oder in eine “Wüste” stürzt. Dort sei das ja nicht so schlimm, liest man, und kaum jemand fragt, was der menschliche Müll aus dem Weltall an diesem “irgendwo” eigentlich anrichtet. Es sei denn – die jüngste Debatte um abstürzende Teile chinesischer Satelliten zeigte das überdeutlich – Menschen und Städte in den mächtigen Staaten des Nordens sind möglicherweise gefährdet.

Vor allem die Ausstellungen im Hauptpavillon der Biennale in den Giardini und in der großen Halle des Arsenale machen das Dilemma klar: Hier der überreiche, unwiderbringliche und sogar den Weltraum zernutzende Norden, der wider allen besseren Wissens eisern fest hält am Modell des andauernden Wachstums; China muss hier längst mitgezählt werden, dass die Bundesrepublik dieser überaus aggressiv auftretenden Großmacht immer noch Privilegien eines Entwicklungslandes gewährt, ist mindestens bemerkenswert, wenn nicht absurd.

Peju Alatise bei der Biennale in Venedig 2021 (Bild: Courtesy https://www.pejualatise.com)

Peju Alatise bei der Biennale in Venedig 2021 (Bild: Courtesy https://www.pejualatise.com)

Und dort der globale Süden: Südamerika, Afrika, der Pazifik, wo oft schon der Zugang zu Brennstoff und Wasser eine infrastrukturelle Leistung ist, der traumatisiert wurde durch Kolonialismus und Ausbeutung, Kulturzerstörung, Kriege, Korruption und sich doch seiner eigenen Bedeutung, seiner eigenen Schönheit immer bewusster wird.  Das zeigt gleich zu Beginn der Ausstellung im Arsenale die schlechthin großartige Installation des Nigerianers Peju Alatise und seiner Kollegen.

Wir lernen also Vieles über den Kampf gegen die Zerstörung von Dschungelgesellschaften im Amazonas-Becken, die Notwendigkeit des Monsuns für das Überleben des Menschen rund um den Indischen Ozean und seine Veränderungen durch den Klimawandel, über den architektonischen Häusermüll, den die Menschen bereits in der Antarktis hinterlassen haben, die Traumata der Flüchtlingslager in Palästina – großartiger Vorschlag übrigens: Sie sollten auf die Welterbeliste der Menschheit! Wir stehen vor dem romantischen Gemeinschaftshaus aus den Philippinen, das, selbstverständlich aus ökologisch einwandfrei angebautem Holz, dort gebaut und nach Italien geschafft wurde. Energetisch vielleicht nicht besonders vorbildlich, aber hier wird gezeigt, dass das gemeinsame Bauen von gemeinsam genutzten Häusern eine von Finnland bis nach Südafrika, von den Inuit bis in den Pazifik reichende Weltkultur ist. Man muss sie nur aktivieren, den Kult um großstädtischen Individualismus ergänzen um das Gesellschaftliche.

Minimax

Luxemburg >>> zeigt mit einer 1:1-gebauten Holz-Minimal-Wohnung den Kampf eines kleinen Landes gegen die Total-Überbauung, zu der eben auch die aus vielen Gründen wichtige Debatte um die Menge der bewohnten Quadratmeter gehört. Indien >>> beleuchtet kritisch seine Wanderarbeiter ignorierenden Bevölkerungsstatistiken, Argentinien >>> die Gefangennahme der Gesellschaft durch den monotonen, endlos hintereinander gereihten Ziegel-Massenbau der Moderne, Chile >>> feiert in seinem – wieder einmal hinreißend melancholischen – kleinen Saal mit vielen kleinen, naiven Bildchen wie in einer Bauernkapelle anonyme Hilfsbereitschaft und jene Helfer, deren gesellschaftliche Bedeutung uns oft erst in der Krise deutlich wurde. Und Finnland >>> erinnert an sein fast vergessenes Massenwohnungsbauprogramm der 1940er, als zehntausende Flüchtlinge bis heute gut funktionierende Selbstbau-Serienhäuser aus Holz erhielten.

Mit Papier zu bauen, ist nicht neu, aber muss sich in der Praxis bewähren – ein Projekt der Uni Darmstadt. (Bild: Nikolaus Bernau)

Mit Papier zu bauen, ist nicht neu, aber muss sich in der Praxis bewähren – ein Projekt der Uni Darmstadt. (Bild: Nikolaus Bernau)

Der oft so massige Lehmbau kann energiesparend, schlank und topmodern sein, wenn man nur, wie im European Culture Centre >>> im Palazzo Mora zu sehen ist, die richtigen Formen dafür entwickelt, gedreht und geschwungen, so dass maximal viel Statik bei minimalem Materialaufwand geschaffen wird. Man kann künftig vielleicht auch mit Papier bauen, zeigt die Uni Darmstadt. Wie leicht wäre es, unsere Städte ergrünen zu lassen – bepflanzte man nur all die versteinerten und verbetonierten Autoabstellplätze, Straßenränder, vor allem aber Dächer und Außenwände. Selbstbaufahrräder aus Brettern – warum nicht? Leicht sind sie, und Eleganz ist eine Frage der Bewertung. Betonsteine, energie- und materialsparend gefertigt aus versalztem Meersand, wie es die Vereinigten Emirate vorschlagen?

Hibiskusduft im Hauptpavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Gentechnisch hergestellter Hibiskusduft im Hauptpavillon – ein Beitrag von Christina Aga Akis, Alexandra Ginsberg, Sissel Tolaas (Bild: Nikolaus Bernau)

Ästhetische Verluste

Und wie steht es eigentlich mit den Düften in den Städten, auf dem Land, dem Duft des Wassers, der Erde? Was verlieren wir, wenn wir nur noch Abgase riechen? In Taiwan ist das inzwischen eine Frage der Stadtplanung geworden, und die norwegische Künstlerin Sissel Tolaas hat mit einigen Kolleginnen auf gentechnischem Weg den Duft eines ausgerotteten Hibiskusbaums rekonstruiert. Man sitzt in einer Vitrine, atmet tief ein. Riecht wie besseres Waschmittel. Aber – wer außer der äußerst enthusiastisch ihr Werk und damit die Retro-Genetik verteidigenden Künstlerin garantiert, dass dieser Duft “original” ist? Und wollen wir diesen Duft überhaupt wieder haben – oder zählt er zu den inzwischen Tausenden von sinnlichen, ästhetischen, materiellen Verlusten, die die Menschheit um ihrer Bequemlichkeit willen bereit ist zu akzeptieren?

Fluchthütte (Bild: Nikolaus Bernau)

Fluchthütte, Beitrag von Rania Ghosn und El Hadi Jazairy  (Bild: Nikolaus Bernau)

Politische Botschaften

Aber dann stehen wir vor einem schimmernden Aluminiumzelt, das die Flucht aus dieser Welt symbolisieren soll. Mag sein, dass diese Flucht für durch Steuerhinterziehung superreich gewordene Männer und Frauen ein Lebensziel ist. Für die meisten Menschen ist sie eine Illusion, ebenso das Monddorf, dass Skidmore, Owings und Merryl in Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrtagentur vorschlagen: Bienenkorbartige Gebilde, in denen man streng kollektivistisch und dauerhaft in einer Kunstwelt leben und atmen muss. Ganz abgesehen davon, dass auch hier wieder Müll und Energie exportiert werden – das ist keine Alternative, wir werden uns mit dem blauen Ball arrangieren müssen. Selbst nach einer Katastrophe, wenn sich die Erde wie in der Installation von Anab Jain, Jon Ardern und Sebastian Tiew gegen den Menschen aufgelehnt haben sollte, werden die Überlebenden sich noch immer nach Getreide, Brot, Wasser und irgendwie zivilisierten Tafelsitten sehnen. Und um das zu gewährleisten, muss Politik gemacht werden.

Ist die Kleinteiligkeit des amerikanischen Naturhaus-Selbstbauarchitekten Lloyd Kahn, der durch das Team von Leopold Banchini und Lukas Feireiss dem Vergessen entrissen wurde – in einer langen Vitrine wachsen derzeit Moose und Pilze ganz organic correct über die Holzmodelle der Kahn-Bauten, verwandeln diese wieder in Natur zurück – ein Modell? Im britischen Pavillon >>> wird die Rückeroberung einst öffentlicher Räume gefordert, der Kampf gegen ruchlose Investoren, Gartenzaunbauer und digitalisierte Märkte, die Sehnsucht nach Plätzen, Gärten, Parkanlagen und, selbstverständlich, um die geliebten, aber von Fernsehen, Internet und Gewerbemieten ausgetrockneten Pubs.

Österreichs Pavillon, kuratiert von Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer (Bild: Nikolaus Bernau)

Österreichs Pavillon, kuratiert von Peter Mörtenböck & Helge Mooshammer (Bild: Nikolaus Bernau)

Österreich >>> decouvriert in seiner gefeierten Inszenierung die digitale Vereinnahmung unserer Lebenswelt durch Internetplattformen, die mit den freundlichsten Versprechungen und effizienter Konsumlustbedienung nicht nur Daten über das Intimste aufhäufen und vermarkten, sondern auch Herrschaftssysteme aufbauen. Belgiens Flandern >>> dagegen stilisiert sich mit seinem grandios kitschigen Nachbau einer ganzen Kleinstadt als Hort des Individualismus, der Staatsdistanz, des Selbst-Entscheidens der Stadtgemeinschaften auch mal gegen den Willen von Planenden.

Es ist eine Architekturbiennale, in der das Politische immer mitschwingt, aber oft, ohne direkt sichtbar zu werden: Wenn das Londoner Victoria & Albert Museum drei Moscheen nach Venedig exportiert hat, mit all den theologischen und sozialen Vielfalten, die dem Islam eigen sind, ist das auch ein Kampf gegen die vereinfachende Behauptung mancher britischer Torys, “der Islam” gehöre gar nicht zu Britannien, sei homogen und vom Ausland gesteuert.

Israelischer Pavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Israelischer Pavillon, kuratiert von Dan Hasson und anderen (Bild: Nikolaus Bernau)

Der Russische Pavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Der Russische Pavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Israel beleuchtet sehr kritisch die Geschichte der Landnahme durch eingewanderte Juden und die katastrophalen ökologischen und sozialen Folgen, die der Traum vom Land aus Wein und Honig hatte. Russland restaurierte auf den ersten Blick nur seinen Pavillon aus der Kaiserzeit, so dass dieses Juwel der nationalromantischen Ausstellungsarchitektur mit all seinen Dekorationen, Zwiebeltürmchen und Balken wieder strahlt. Aber sind es nicht gerade der russozentristische Nationalismus und der Kult um die Großmacht, die Putins Russland derzeit auf Kosten so ziemlich aller seiner Nachbarn vorantreibt?

Der Hauptraum des deutschen Pavillons. Informationen, Botschaften, Aussagen nur via QR-Codes. (Bild: Nikolaus Bernau)

Der Hauptraum des deutschen Pavillons, der vom Team 38 (Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth kuratiert wurde. Informationen, Botschaften, Aussagen nur via QR-Codes. (Bild: Nikolaus Bernau)

Germany 2038: Erzählweisen des Nichts

Und der deutsche Pavillon? Schwelgt in einer Selbstgewissheit, die einst mit dem Satz „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ umschrieben wurde. Er will gleich über alle Grenzen und schon gar über die des Biennale-Geländes hinweg für eine schöne neue Welt fechten. Der Deutsche Pavillon >>> ist völlig leer, nur einige wenige QR-Codes sind an den Wänden zu sehen. Man stelle sich mit dem Handy davor, mache Klick und sehe lustige, manchmal unterhaltende, oft hoch informative Filme. Wenn denn das Internet und das Handy und die Filmtechnik und noch einige andere Variablen mitspielen, was nachgewiesener Maßen ziemlich oft nicht der Fall ist. Was man vielleicht als Metapher auf die so lange verschlafene Digitalisierung des Landes sehen könnte. Oder schlichtweg als maßlose Arroganz gegenüber den wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen der Gastgeberstadt Venedig, die sicht- und begehbare Ausstellungen braucht, um zu überleben. Kluge, aufgeklärte, überwiegend dem linksliberalen Lager entstammende Menschen erklären uns da aus der Perspektive von 2038, wie wir doch noch mal knapp von der Schippe gesprungen sind, auf der wir 2020 schon saßen, und nun die Welt, nun ja, geradezu einem ökologischen, sozialen, kulturellen, antirassistischen und minderheitenliebenden Ideal entgegenstrebt. Die intellektuellen Traditionen des Hegelschen „Weltgeist“-Idealismus, der auf das Beste zustrebt, sind in Deutschland offenbar unausrottbar. Wie alle Utopien sind auch diese vor allem von den Sehnsüchten ihrer Entstehungszeit geprägt – und damit also schon jetzt ein historisches Dokument.

Seitenausgang des Deutschen Pavillons, der außer den QR-Codes an Ort und Stelle nichts zu bieten hat. (Bild: Nikolaus Bernau)

Seitenausgang des Deutschen Pavillons, der außer den QR-Codes an Ort und Stelle nichts zu bieten hat. (Bild: Nikolaus Bernau)

Problem: Für diesen Pavillon nach Venedig?

Man kann sich diese Filme aber auch ohne Weiteres irgendwo anders ansehen. Das haben auch viele Rezensenten gemacht, die sich damit ganz der Perspektive der Kuratoren unterwarfen und so die Kernidee aller Ausstellung seit den Akademie-Präsentationen des 17. Jahrhunderts im Louvre als irrelevant beiseite schoben, auch ein Medium der kritischen Debatte und der Konkurrenz mit anderen Ausstellenden zu sein. Das ist aber weder besonders weltoffen – schon der zugang zum Internet ist stark von sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und vor allem politischen Gegebenheiten bedingt – noch besonders energiesparend. Man möchte zu gerne die Energie- und Ökobilanz des Projekts sehen. Und, Pardon, besonders avantgardistisch ist das Ganze auch nicht, QR-Codes nutzt heute jede Schulklasse, um sich der Debatte um Inhalte zu entziehen. Kanada etwa war sogar noch radikaler, hat seinen Pavillon gleich ganz geschlossen und nur einen QR-Code an die Tür gehängt.

Immerhin, die deutschen Kuratoren haben, wie altmodisch, einen wirklich feinen Begleitband aus den Interviews und Gesprächen destilliert – überaus lesenswert. Aber auch da muss man konstatieren: An Tiefe der Themendurchdringung ist etwa der polnische Katalog „Trouble in Paradise“ seriöser, anstrengender, härter, zeigt, wie das Leben auf dem flachen, scheinbar öden Land durch das Desinteresse der Großstädter ausblutet und sich gegen diese Auflösung wehrt. Eine Untersuchung, die man sich für das Landleben in Deutschland wünschte. Und die Inszenierung aus zueinander komponierten Fotos ödester Landschaften der nordmitteleuropäischen Ebenen ist schlichtweg brillant.

Der japanische Pavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Der japanische Pavillon, Kozo Kadowaki (Bild: Nikolaus Bernau)

Wie erfrischend zeigt sich da Japan >>>, das ein ganzes Wohnhaus aus der Nachkriegszeit – in Einzelteile zerlegt – nach Venedig geschafft hat und an seiner Geschichte vorführt, dass Architektur immer auch Spiel gesellschaftlicher Veränderungen ist. Oder der koreanische Pavillon >>>, in dem nach neuen, liberalen Schulmodellen gesucht wird. Angesichts der aktuellen Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt über Schulbaureformen der 1960er und 1970er-Jahre erscheinen sie allerdings gar nicht so neu, vielmehr als Wiederaufnahme von Kinderbefreiungs-Ideen, die schon einmal gescheitert sind. Vielleicht klappt’s diesmal. Wir durchwandern die Kollektivwohnung, die Norwegen >>> in Venedig inszeniert hat – und erinnern uns mit Schaudern an Wohngemeinschaftsdebatten, wer putzt – und stehen bewundernd vor dem amerikanischen Pavillon >>>.

Meister der Holzskelettbauweisen: Pavillon der USA (Bild: Nikolaus Bernau)

Meister der Holzskelettbauweisen: Pavillon der USA, Paul Angersen und Paul Preisner (Bild: Nikolaus Bernau)

Die haben das Gerüst eines Holzhauses vor den strengen Bau mit seinen dorischen Säulen gestellt. Der „Frame“, eine bautechnische Revolution im mittleren 19. Jahrhundert, welche die Architektur Nordamerikas umwälzte, das Bauen mit einander aussteifenden Lattengerüsten. In den USA konnten sich schon in den 1920ern dank dieser Baumethode auch Arbeiter und einfache Leute ein eigenes Haus leisten. Fotos zeigen drinnen, wie lebendig diese Bauform bis heute ist, wie eng verzahnt mit dem Zusammenleben auf dem Land, aber auch in den Vorstädten. Das andere Amerika zeigt sich hier, das des Selbst-Tuns, der Bescheidenheit, der Industrie, des Amerikas des Zusammenarbeitens. Das passt perfekt zum wieder erwachten Selbstbewusstsein der liberalen Demokratien, die sich zunehmend gegen den Anspruch Russlands und vor allem Chinas zu wehren beginnen, dass das Volk von starkten Männern straff zu seinem Glück geführt werden müsse.

Installation im chinesischen Pavillon (Bild: Nikolaus Bernau)

Installation im Palazzo Zen über das Dorf der Tujia in Lianghekou, Thong Nga, Enrico Fontanari,  Aldo Aymonino (Bild: Nikolaus Bernau)

Leider hat die Volksrepublik China >>> die angekündigte Ausstellung über die Hofhäuser Pekings nicht aufgebaut. Sie werden neuerdings nicht mehr als Symbol veraltet-patriarchalier Familienstrukturen und ineffiziente Wohnform verachtet, sondern als Vorbild des gemeinschaftlichen Zusammenlebens gefeiert. Also das neue gesellschaftliche Ideal der von wohlmeinenden und allwissenden Partei behüteten Xi-Harmonie, das China gerne auch exportieren würde. Das hätte man gerne gesehen. Die Volksrepublik ist dennoch vertreten, etwa in den Ausstellungen von Macao und Hongkong, die die scheinbaren ästhetischen und künstlerischen Freiheiten der Architektur in diesen Sondergebieten feiern – was allerdings scharf konterkariert wird durch eine Installation in den Arsenale-Hallen, in der gestapelte Regenschirme an die inzwischen weitgehend unterdrückten Oppositionsbewegungen in der einstigen britischen Kronkolonie erinnern, Comic-artige Zeichnungen zeigen, dass Widerstand gegen Totalitarismus eine harte, lebensgefährliche Arbeit ist. Erstaunlich durchaus, dass der chinesische Botschafter noch nicht in Rom gegen diese Insubordination protestiert hat, so wie auch die Republik China von der Insel Taiwan ihre Ausstellung bisher ungefährdet zeigen kann; vielleicht, weil diese im einstigen Gefängnis der Republik Venedig installiert ist.

Zen-Dorf Lianghekou (Bild: Nikolaus Bernau)

Eventfoto aus dem Tujia-Dorf Lianghekou (Bild: Nikolaus Bernau)

Pavillon von Taiwan, Divoe Zein Architects (Bild: Nikolaus Bernau)

Pavillon von Taiwan, Divoe Zein Architects (Bild: Nikolaus Bernau)

Und dann ist da noch der hinreißende Pavillon über das idyllisch in ein enges Flusstal komponierte Dorf Lianghekou im Osten Mittelchinas. Gezeigt wird im Palazzo Zen, wie die alten Häuser doch wieder ertüchtigt werden können, wie der Tourismus angekurbelt wird, feine Neubauten entstehen. Tempel sind zwar nicht zu sehen, aber doch die maßstäblich verkleinerte Fassade eines Gemeinschaftshauses. Sublimer Unterton: Der Minderheit der Tujia geht es unter der Herrschaft der kommunistischen Partei großartig, sie alleine garantiert eine gedeihliche und friedliche Entwicklung. Warum also konzentriert sich die Welt nur so auf die Unruhestifter in Sinkiang?

Neue Gemeinschaften

Die Reise nach Venedig lohnt also sehr, und sei es nur, um die Materialschlacht Italiens zu erleben, wo kaum ein Problem der aktuellen Sehnsucht nach neuer Gemeinschaftlichkeit unerwähnt bleibt. Und dann natürlich der dänische Pavillon: Wasser wird auf dem Dach aufgefangen, das dann in Pflanzkästen, die die Wände bilden, regionalen Kräutern beim Wachsen hilft, so dass man später Tee daraus machen kann. Lecker.


Links zu den Länder-Pavillons:

https://www.biennalepavilions.com/#pavilions