Bildgewaltig und reich an assoziativen Verknüpfungen ist die jüngste Ausstellung der Berliner Tchoban Foundation, die ganz dem denkenden Zeichnen und Entwickeln von Räumen und Körpern gewidmet ist. In einer Zeit, in der sich Architektur immer mehr nur auf das Bauen, auf Kennzahlen, Technik und Ökonomie zu reduzieren scheint und KI-basierte Entwurfsprozesse gefeiert werden, lädt die Ausstellung ein, das Werk des amerikanischen Architekten Steven Holl zu entdecken, das aus vielen Quellen schöpft und stets das Individuelle einer Aufgabe herauszuarbeiten sucht – und Architektur als Kunst feiert.
Über 39 Jahre spannen sich die Projekte der von Kristin Feireiss kuratierten Ausstellung, die mit zwei nicht realisierten Bauten beginnt: dem städtebaulichen Masterplan Porta Vittoria in Mailand von 1987 und der Erweiterung der Amerika Gedenkbibliothek in Berlin von 1988. Obwohl das Berliner Projekt bald danach Opfer der deutschen Wiedervereinigung und nie gebaut wurde, da alle Baumittel in den Osten der Stadt umgelenkt wurden, machte es den damals 39-jährigen Architekten schlagartig international bekannt und brachte ihn 1989 eine erste Ausstellung im Museum of Modern Art in New York ein. Zuvor fast nur Akademikern bekannt, die seine seit 1977 mit William Stout herausgegebene Dialog-Zeitschrift „Pamphlet Architecture“ und deren Eintreten für eine „hybride Architektur“ jenseits der Monofunktionalität der Spätmoderne schätzten, trat der junge Architekt mit der Gedenkbibliothek den Beweis an, dass komplexere Raumkonfigurationen für neue Stadtwahrnehmungen und -nutzungen möglich sind.
Mehr als 50.000 Zeichnungen

Museum für zeitgenössische Kunst Kiasma, Helsinki. Innenansicht, 1993, Aquarell und Bleistift auf Papier (© Steven Holl)
Für vorbehaltlose Kreativität und Intellektualität und nicht zuletzt Individualität steht sein Werk. Im ersten Obergeschoss der Ausstellung dominieren Holls Schwarz-Weiß-Zeichnungen seiner zahlreichen Konzerthäuser, Kultur- und Kunstzentren wie etwa dem Kiasma Museum in Helsinki, aber auch seine berühmtesten Wohnprojekte, wie etwa dem Void Space Housing im japanischen Fukuoka, deren starke Expressivität der Zeichnung vor allem beeindruckend Bewegung, aber auch Veränderungen von Körpern und Räumen unter wechselnden Lichtbedingungen vor Augen zu führen versteht. Magische Körper und Innenwelten mit überraschenden Ausblicken und Wegeführungen entfalten hier ihre Wirkung, die mehr als einmal bedauern lassen, dass das eine oder andere präsentierte Projekt, etwa der Palazzo del Cinema für Venedig, nicht gebaut wurde. Doch weniger das Bauen als das Entwickeln und Nachvollziehen von räumlichen Übergängen steht im Zentrum dieser Retrospektive, die ganz dem denkenden Zeichnen gewidmet ist.

Maggie’s Centre Barts, London. Notation des Gregorianischen Chorals, verteilte Neumen, 2012, Aquarell und Kohle auf Papier, Skizzenbuch (© Steven Holl)
Steven Holl, dessen Ouevre angeblich mehr als 50.000 Zeichnungen und Skizzen umfasst, übt sich hier auch in einem stillen Protest gegen das zeitgenössische Copy-and-Paste und die zunehmende Fokussierung auf „digitales Design ohne Denken“. „Eine Idee kommt aus den Synapsen des Gehirns und ist viel komplexer als ein einzelner Computer“, so Holl bei der Eröffnung der Ausstellung. Deshalb finden sich hier immer großformatige Entwurfszeichnungen mit vielen kleinformatigen Seiten seiner zahlreichen Skizzenbücher kombiniert, mit denen sich der Architekt ganz allmählich den Orten und Aufgaben nähert. Wunderbare Ideensammlungen stellen diese Skizzen dar, die im zweiten Obergeschoß um erlesene Aquarelle und sehr bunte Zeichnungen zumeist jüngerer Projekte ergänzt werden.
Ein kurzer Dokumentarfilm über Steven Holls Atelier und sein persönliches Refugium in der idyllischen Parklandschaft in Rhinebeck am Hudson ergänzt das sehr verführerische Angebot, ganz tief in seine Welt einzutauchen. Dezidiert bunt, kleinteilig und lebensbejahend endet die Ausstellung mit seinem Maggie’s Centre inmitten Londons, einem intimen Ort für Krebspatienten und deren Angehörige, ganz jenseits der großen Klinik-Maschinen, das auf eine Initiative seines ehemaligen Gegenspielers Charles Jencks zurückgeht und 2017 noch vor dessen Tod fertig gestellt wurde.
Steven Holl – Drawing as Thought
Bis 4. Mai 2025
Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnung >>>