Am Rand von Stuttgart ist in einem außergewöhnlichen Haus eine bemerkenswerte Ausstellung zu sehen. In einer ursprünglich als Wohnhaus errichteten Galerie sind Zeichnungen von Carlo Weber zu sehen. Sie öffnen ein Fenster in eine Zeit, auf die zu blicken sich auch lohnt, weil dabei sichtbar wird, was heute fehlt.
Er wäre dieses Jahr 90 geworden – 2014 starb Carlo Weber, geboren in Saarbrücken. Nach dem Studium in Stuttgart und einer kurzen Zeit in Paris war er bis 1979 einer der Partner bei Behnisch & Partner, gründete dann 1980 mit Fritz Auer ein eigenes Büro. „Bei jedem Gespräch – sei es am Arbeitsplatz oder in der Kaffeepause – entwickelte Carlo Weber mit dem Stift in der Hand seine Gedanken“, so erinnerte sich der langjährige Mitarbeiter Christof Teige 2014 in der Bauwelt anlässlich von Webers Tod.
Diesem Carlo Weber, dem mit dem Stift in der Hand, ist in Stuttgart eine Ausstellung gewidmet, die das zeichnerische Werk in den Mittelpunkt stellt. Sie ist zu sehen in der Galerie Sonnenberg, am Rand von Stuttgart, auf der Filderebene. Chen Kuen Lee, unverkennbar Schüler von Hans Scharoun, hatte hier für Mitarbeitende des benachbarten Garten- und Landschaftsunternehmens drei Kettenhäuser gebaut, in offenem Grundriss, mit ineinander übergehenden Räumen auf versetzten Ebenen. Seit 2008 ist in einem von ihnen die Galerie untergebracht, in der noch bis zum 27. Oktober die Ausstellung über Carlo Weber zu sehen ist. „Mit Stift und Papier“ – schon seit der Schulzeit, so ist in der sehr sorgfältig kuratierten Ausstellung zu lesen, habe er zeichnerisch „gedacht, erklärt und festgehalten“. Studienarbeiten – etwa eine Bauaufnahme eines Weinbauernhauses in Oberitalien – Reiseskizzen, die wie in einem Tagebuch Gesehenes und Erlebtes festhielten, sind hier zu sehen, Aquarelle, oft ergänzt um Bemerkungen am Rand, die das Gesehene und Gezeichnete verorten und ergänzen.
Zeichnen, denken, entfalten
Schon früh sind Webers Zeichnungen von erstaunlicher Sicherheit gekennzeichnet, etwa darin, was offen oder weggelassen werden kann, um die typische Offenheit der Skizze zu erzeugen. Das mag hin und wieder etwas konventionell wirken, wollte man es stilistisch bewerten – damit aber verfehlt man die Intention dieses permanenten Zeichnens. Ihn interessiere das Spektakuläre nicht so sehr, so zitiert ihn Teige im Nachruf. Das ist auch immer die Qualität des Büros Auer + Weber gewesen – es ging nicht um wiedererkennbaren Stil oder darum, eine Marke zu etablieren. Und auch die Zeichnungen waren entsprechend kein Selbstzweck, sondern eine Art zu denken, zu vermitteln, zu erfassen.
Und so werden die Zeichnungen auch in der Ausstellung behandelt. Wie wohltuend ist es, dass in dieser Ausstellung einige Skizzen ohne Rahmen aufgehängt wurden, dass man sich in zusammengehefteten Konvoluten von Skizzen durch den langen Entwurfsprozess arbeiten kann. Und sich dabei nachvollziehen lässt, wie Entscheidungen getroffen wurden. Etwa bei einem der ersten Projekte des Büros Auer + Weber, dem Kurzentrum in Bad Salzufflen. Der Wettbewerb war noch im Büro Behnisch & Partner gewonnen worden, eröffnet wurde es dann 1983. Die offene, in und Außen fließend in einander übergehen lassende Struktur aus pilzartigen Stützen, ist in vielen Varianten entwickelt worden. Was sich hier mitteilt ist, wie wichtig Weber es war, das Neue in den Bestand, in seine Umgebung, in die Landschaft zu integrieren, wie lange Platzierung der Baukörper, die Wege, die Dimensionen abgewogen wurden, lange bevor es darum ging, wie das Gebäude denn eigentlich aussehen sollte.
Eine gute Zeit
Gezeigt werden Zeichnungen (und ergänzende Fotos) zu frühen Projekten wie der Ingenieurschule Ulm (1961), für die Königsstraße in Stuttgart, zu Schulen, Gymnasien, zum Ideenwettbewerb Universität Bremen (1967) aus der Behnisch-Zeit, zu Projekten von Auer + Weber wie dem Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen und dem Orgelprospekt der Konstantin-Basilika in Trier, einem jener besonderen Projekte, für die Weber eine besondere Leidenschaft hatte. Die Einweihung dieses Orgelprospekts 2014 konnte Weber leider nicht mehr erleben. Ein Raum ist allein dem Olympiastadion und dem Olympiapark in München gewidmet, den Varianten, den Skizzen und Zeichnungen, die auch hier zeigen, wie wichtig Landschaft und Umgebung waren; kaum je wurde sinnfälliger die Architektur aus der Idee, dass sich Landschaft und Architektur als Einheit erleben lassen sollten, umgesetzt worden.
Es sei eine für Architekten gute Zeit gewesen, so hat es einer der Ausstellungsbesucher ins Gästebuch geschrieben. Sie wird in dieser Ausstellung lebendig als eine vielleicht unbeschwertere als sie tatsächlich war, als eine offene, heitere, in der sich Neues entwickeln durfte. Sie hat Persönlichkeiten wie Carlo Weber hervorgebracht, Persönlichkeiten, die wiederum diese Zeit prägten. „Nie endgültig“, so schrieb Achim Söding, ein anderer Weggefährte 2014: „Das hat seine Person ausgemacht: Die Gegnerschaft zu jeder Rechthaberei. Als wäre das Fertige, Abgeschlossene unlebendig und damit uninteressant und vor allem: nicht liebenswert.“