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Schwule Architekten


Mit den „Verschwiegenen Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ bringen die Architekturhistoriker Wolfgang Voigt und Uwe Bresan Licht ins mysteriöse Dunkel historischer Architektenpersönlichkeiten, die außerhalb der heterosexuellen Norm gelebt haben und, von Strafgesetzen konstant in ihrer sozialen Existenz bedroht, allerlei Kniffe anwenden mussten, um ihr Privatleben zu schützen. En passant geraten die Lebensbeschreibungen von insgesamt 41 Personen zum dringenden Appell, gesellschaftliche Konventionen beständig zu überdenken und zugunsten von mehr Vielfalt aufzubrechen.

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Wolfgang Voigt, Uwe Bresan: Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Deutsch/Englisch. 304 Seiten mit 163 meist farbigen Abbildungen. 15 x 23 cm, Klappenbroschur.
Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin, 2022 Euro 39,80.
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Ein Buch über schwule Architekten, brauchen wir das? Viele Architekten, und auch schwule darunter, rollen mit den Augen. Sie wollen sich mit Konzepten und Gestaltung befassen und nicht mit den privaten Lebensumständen der Personen dahinter. Schließlich geht es doch um Wichtigeres, das Wesentliche, das Allgemeingültige – oder zumindest um den guten Geschmack.
Bereits hier scheinen Fragen auf, die weit über die Themen des Buches hinausweisen: Woher stammt dieses stille, unter ArchitektInnen gepflegte Einverständnis darüber, dass dem Herausstellen der eigenen Persönlichkeit ein Duft von Anrüchigkeit anhänge? Warum erscheint es als selbstverständlich, bei der Interpretation eines Werks von Musik bis Literatur Identität und Erfahrungswelt des Künstlers / der Künstlerin zu berücksichtigen, dies angesichts von Gebautem aber weitgehend zu unterlassen? Warum ist jener tendenziell besser angesehen, der Arbeiten auf der Höhe des Zeitgeists hervorbringt, als diese, die im Abseits ganz eigene Linien verfolgt?
Der Spekulation über die soziologischen Aspekte der Architekturproduktion und Architekturbetrachtung stehen Tür und Tor offen; das Buch von Wolfgang Voigt und Uwe Bresan weist dazu unterschwellig die Richtung. Die Stichworte dazu: fest verankerte Traditionslinien, Selbstbild, Deutungshoheit, Sicherheitsbedürfnis, Kontrolle, Besitzstandswahrung, gesellschaftliche Normierung und vieles mehr, das zusammenhängt und sich gegenseitig bedingt.

Aus Zwängen heraus


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Emilie Winkelmann gilt als die erste Architektin Deutschlands. Sie war zeitlebens unverheiratet und hatte allerlei Anwürfe auszuhalten, war aber dennoch mit ihrem Büro erfolgreich tätig. Porträt ca. 1930, Fotograf unbekannt, Privatbesitz

Die unterhaltsame und bisweilen sogar staunen machende Lektüre von 24 kenntnisreich zusammengestellten und süffig dargebrachten queeren Biografien ist vom unangenehmen Unterton der Zwänge und Einengungen durchzogen, denen sich die Protagonisten ausgeliefert sahen. Dieser Ton speist sich aus der Beschreibung des Wirkens reaktionärer Kräfte, die in vergangenen Zeiten mit ihrer Normierungsmacht all jenen Menschen das Leben schwer gemacht haben, die aus dem Raster fielen und sich deshalb mitunter nicht einmal ihres Lebens sicher sein konnten. Mit Unbehagen ahnt man, dass diese Kräfte heutzutage zwar nicht mehr unmittelbar wirken, in Traditionslinien und Haltungen aber präsent und noch lange nicht überwunden sind.

Besonders sprechend in diesem Zusammenhang ist das Porträt von Emilie Winkelmann. Darin wird die ungeheure Vehemenz erlebbar, mit welcher noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Diskriminierungsmaschinerie in Gang gesetzt wurde, als die erste Frau es wagte, in Deutschland ein eigenes Architekturbüro zu eröffnen. Zur Verteidigung der patriarchalen Strukturen und der männlichen Pfründe erschien kein verbales Geschütz zu groß. Mit Genugtuung nimmt der Leser zur Kenntnis, dass Winkelmann dank weiblicher Netzwerke mit selbst entwickelten Projekten einigen Erfolg hatte und überdies die Lebensumstände vieler Frauen verbessern konnte.

Man führe sich vor Augen, dass es etwa hundert Jahre dauerte – und dann immer noch nötig ist – die Ausstellung „Frau Architekt“ zu initiieren oder sich in rein weiblichen Netzwerken zu organisieren. Bei aller Aufgeschlossenheit seiner Mitglieder scheint der Berufsstand noch nicht ganz die kulturelle und soziale Höhe erreicht zu haben, auf der er sich selbst gerne sieht. Hier setzt das Buch an und versucht, zumindest innerhalb eines der vielen denkbaren Nischenthemen an der nötigen Bewusstwerdung mitzuwirken.

So liegt die Intention der Herausgeber keineswegs in der Lust am Outing der mehr oder minder prominenten Kollegen, deren Lebensläufe sie nachzeichnen. Sie tappen auch nicht in die verführerische Falle, aus dem jeweiligen Design diese oder jene Veranlagung herauslesen zu wollen. In eine solche Klischeefalle hatte sich noch 1986 der Historiker Robert Twombly mit großer Verve gestürzt, als er Louis Sullivans Werk in weibliche = emotional verspielte und männliche = rational strukturierte Aspekte aufteilen wollte.


Wirkungen


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Eng und kuschlig mochten es die Londoner Architekten Seely und Paget, wenn sie sich in ihr „Shack“ auf der Isle of Wight zurückzogen. (Bild: Steve Daniels, Creative Commons)

Geschickt stellen die Herausgeber gleich zu Beginn die Frage nach dem sicht- und erfahrbaren Einfluss der queeren Biografien auf die jeweiligen Konzepte, Gestaltungen und Haltungen. Im aufschlussreichen Vorwort verwerfen sie die Untersuchung von Stilfragen als wenig zielführend und konzentrieren sich stattdessen auf die jeweiligen Lebensumstände und die Kunstgriffe, die queere ArchitektInnen anwenden mussten, um ihr (Privat-)Leben zu schützen, oder auf die Strukturen, die sie aufbauen mussten, um überhaupt leben und arbeiten zu können. In den einzelnen Abschnitten lesen wir von allerlei räumlichen Klimmzügen, die die Planer für ihre (schwulen) Auftraggeber oder sich selbst machten, um bestehende Gesetze unterlaufen und sich selbst schützen zu können. Wir lesen von weit abgelegenen Refugien, scheinbar getrennten Schlafzimmern, kunstvoll ineinander verschränkten Wohnungen, die das erzwungene Versteckspiel erträglich und überhaupt erst lebbar machten. Wir lesen aber auch von Single-Wohnungen, deren Konzeption auf Notwendigkeiten bürgerlichen Familienlebens keine Rücksicht nehmen musste, die ohne Kinderzimmer oder gar gänzlich ohne abschließbare Zimmer auskamen und somit durch die Realisierung fließender Räume Einfluss auf die Architektur insgesamt nahmen. Dies stützt die These der Herausgeber, dass homosexuelle Architekten bis heute einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Architektur geleistet haben und somit eine lokalisierbare Stellung innerhalb ihrer Profession einnehmen.

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Im Hangover House in Laguna Beach lebte der Schriftsteller Richard Halliburton mit seinem Liebhaber Paul Mooney zusammen. Der Architekt William Alexander Levy zog mit ein.(Bild © University of California, Santa Barbara, Architecture and Design Collection)

Das eigentliche Anliegen von Voigt und Bresan liegt neben der Anerkennung der jeweiligen Lebensleistung allerdings in der Suche nach „Role Models“ für die heutigen Architektengenerationen. Zwar sind bei einem Coming-out im Architekturbüro keinerlei negative Reaktionen von Vorgesetzten oder Kollegen zu befürchten, bei Terminen mit Auftraggebern, Zulieferern oder Baufirmen, vor allem auf der Baustelle treten aber nachweislich Ängste zutage. Tiefsitzende Ängste, die möglicherweise ohne Anlass gehegt werden, weil Bauherrschaften und Arbeiter deutlich mehr Sozialkompetenz an den Tag legen als befürchtet. Ängste, die sich aber auf den Mangel an Vorbildern zurückführen lassen – und mitunter auf eine gepflegte Sprachlosigkeit, die auf vorsichtiger und zwar ehrenwerter, aber eben dennoch falscher Rücksichtnahme fußt. Es bedarf neuer Vorbilder! Gebraucht werden Persönlichkeiten, die auf selbstverständliche Weise Vielfalt zulassen, integrieren und selbst leben. Und das hört bei Homosexualität oder anderen Arten von Queerness noch lange nicht auf.


Aus dem Dunkel ans Licht


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Neugotische Fantasie und Raumwunder: Fonthill Abbey, errichtet um 1800, diente dem englischen Exzentriker William Beckford als abgeschiedener Wohnsitz. (Bild © Delineations of Fonthill and its abbey by John Rutter)

Die im Buch porträtierten Personen taugen als Role Models leider kaum. Sie waren neben der Architekturproduktion viel mit dem Verstecken der eigenen Persönlichkeit beschäftigt und sind allesamt bereits tot.

Überhaupt könnte das Buch auch „Schwule Architekten und Bauherren“ heißen, beginnt es doch zunächst mit Figuren, die mehr der Auftraggeberschaft denn den Planern zuzurechnen sind. Ein Umstand, welcher der mitunter mehr als dünnen Datenlage geschuldet ist. Schließlich konnten sich in zurückliegenden Zeiten allenfalls exzentrische Persönlichkeiten wie die Literaten Horace Walpole und William Beckford das Spiel mit Öffentlichkeit und Risiko leisten (ein Risiko, das etwa Oscar Wilde eingegangen war und dies mit harter Zwangsarbeit bezahlte). Die homosexuellen Architekten legten ein deutlich größeres Interesse am schönen Schein an den Tag und vermieden sorgsam jeden Hinweis auf abweichende Neigungen. Stets mit einem Bein im Gefängnis, bedroht vom Verlust der bürgerlichen Existenz, ging es darum, die Geheimhaltung zu perfektionieren und eben gerade keine Spuren zu hinterlassen.
Den mit queeren Themen wenig vertrauten Leserinnen müssen die mitunter geringfügigen, als Indizien herangezogenen Hinweise auf Homosexualität wie mutwillige Unterstellungen vorkommen. Allerdings kennt die Forschung auch von anderen Feldern her vielerlei verwertbare Muster, etwa in gewundenen Formulierungen in Nachrufen. Dennoch scheuen die Autoren den Diskurs über die mangelnde Datenlage durchaus nicht und benennen klar, wo sich der Kenntnisstand allein aus literarischen Quellen speist oder wo er für eine definitive Aussage zu dünn ausfällt. So auch in Bezug auf Lesben: Dass lediglich zwei Frauen Berücksichtigung fanden, ist nur vordergründig ein Mangel des Buchs und liegt darin begründet, dass Frauen lange Zeit ohnehin nicht arbeiten konnten (siehe Emilie Winkelmann) und bisweilen noch diskreter agierten als ihre männlichen Kollegen.


Outcome


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„Dreischeibenhaus“: Helmut Hentrich baute in den 1950er Jahren das eleganteste Hochhaus Deutschlands, zog sich aber nur zu gerne in seine Schlossfantasie Casteel Groot Buggenum in den lieberaleren Niederlanden zurück. (Bild: Wolfgang Voigt)

Zum Schluss bleibt die Frage: Wer liest ein Buch über schwule Architekten, und was hat er/sie davon? Schwule Architekten selbst finden reichlich Anknüpfungspunkte an ihre eigenen Erfahrungswelten und können ihr Anderssein innerhalb einer geschichtlichen Entwicklung betrachten. Dies kann beim Festigen des eigenen Standpunkts helfen – sinnvollerweise als Gegenbild zur erzwungenen Geheimniskrämerei vergangener Zeiten. Unterhaltsam und erkenntnisreich ist die Lektüre allemal.

Den heterosexuellen Kollegen kann das Buch die Augen darüber öffnen, wie beklemmend stark und einengend das heteronormativ geprägte Sozialgefüge wirkte und immer noch wirkt und wie sie es nolens volens durch ihr eigenes Sein befüttern. Und dem ein oder anderen Büroinaber mag der Band die nötige Sensibilität verleihen, um die Mitarbeiter gut zu führen und den nötigen Humus für Höchstleistungen zu bereiten.

Im Grunde möchte man all den schrägen Vögeln dankbar sein, die ihre Besonderheit wahlweise ausgestellt haben (Philip Johnson, der für das Cover des bekannten Schwulenmagazins „Out“ Modell stand) oder zumindest nicht gut genug versteckten (wie etwa der unaufrichtige Polygamist Louis Kahn) – dankbar dafür, dass sie andere Lebensmodelle in die Welt gesetzt, besser vielleicht: zur Diskussion gestellt haben. Sie alle geben Anlass, um über die normierenden Kräfte innerhalb der Architektenschaft, letztlich aber in der ganzen Gesellschaft nachzudenken.


Bis 26. September: Ausstellung »Das Coming Out der Architektur«, Wechselraum, BDA Baden-Württemberg, Friedrichstraße 5, Zeppelin Carré, Stuttgart
Buchvorstellung und Vernissage am 26. September, 19 Uhr
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