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Ungemütlichen Zeiten, nicht nur in Thüringen: Ideologische Grabenkämpfe nehmen zu, selbst in akademischen Debatten bestimmen politischer Verdacht und kulturelle Abgrenzung immer häufiger den Ton. Aufbrausende Konfrontation verführt zu Handgreiflichkeit. Schon stürzt man sich auf die ersten Monumente.


Das Sandsteinrelief zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz. Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg. (Bild: Wolfgang Kil)

Das Sandsteinrelief zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz. Mit solchen Darstellungen sollten Juden im Mittelalter davon abgeschreckt werden, sich in der jeweiligen Stadt niederzulassen. Ähnliche Spottplastiken finden sich auch am Kölner und Regensburger Dom sowie am Dom zu Brandenburg. (Bild: Wolfgang Kil)

Kunsthandwerklich gestaltete Tafel, mit der die Gemeinde ihre Distanz zum antisemitischen Relief an der Kirchenfassade bekundet. (Bild: Wolfgang Kil)

Kunsthandwerklich gestaltete Tafel, mit der die Gemeinde ihre Distanz zum antisemitischen Relief an der Kirchenfassade bekundet. (Bild: Wolfgang Kil)

Lutherstadt Wittenberg, Stadtkirche

Am 4. Februar 2020 wies das Oberlandesgericht Naumburg (Sachsen-Anhalt) in zweiter Instanz eine Klage gegen die Stadtkirchgemeinde der Lutherstadt Wittenberg zurück.1) Ein in Bonn lebender Kläger wollte erreichen, dass von der Fassade des protestantischen Gotteshauses ein Stück Bauplastik aus dem 13. Jahrhundert (!) entfernt wird. Das in Stein gehauene Relief knapp unter der Dachkante stellt eine sogenannte „Judensau“ dar, worin der jüdische Beschwerdeführer den Tatbestand der Beleidigung erfüllt sah. Bereits seit 1988 versucht die Gemeinde, sich mit einer am Straßenrand eingelassenen Informationstafel vom krass antisemitischen Gehalt des historischen Reliefs zu distanzieren. Ob diese wiederum künstlerisch gestaltete Metallplatte zu „unmissverständlicher“ Erklärung ausreicht, darüber wird in Bürger- und Kirchenkreisen weiter debattiert. Die Stadt engagierte sich mit einer zusätzlichen Info-Stele, mit Texten auf Deutsch und Englisch. Im Grunde mag das umstrittene Schandbild den lokalen Häuptern am Ende auch eher Nutzen als Probleme bringen – bietet es doch eine unübertreffliche Illustration für den Zeitgeist einer fernen Epoche, der uns heute arg befremdet, dem aber selbst der „Stadtheilige“ Martin Luther noch unterlag: Dessen verbriefte antisemitischen Ausfälle bringen ehrbare Kirchengeschichtler mittlerweile in die Bredouille.

Berlin, Walter Benjamin Platz

Schriftprägung am Walter Benjamin Platz in Berlin, Architekt ist Hans Kollhoff (Bild: Fridolin Freudenfett 4. Juni 2019 / Wikimedia Creative Commons)

Schriftprägung am Walter Benjamin Platz in Berlin, Architekt ist Hans Kollhoff (Bild: Fridolin Freudenfett, 4. Juni 2019 / Wikimedia Creative Commons)

Walter Benjamin Platz in Berlin-Charlottenburg (Bild: Wolfgang Kil)

Walter Benjamin Platz in Berlin-Charlottenburg (Bild: Wolfgang Kil)

Nun zum zweiten Fall: Wie die Tageszeitung Die Welt am 27. Januar 2020 meldete 2), wurde auf dem Walter-Benjamin-Platz in Berlin die steinerne Bodenplatte entfernt, auf der der Architekt Hans Kollhoff – den amerikanischen Dichter Ezra Pound zitierend – eine angebliche Unvereinbarkeit von Wucherkapital und ordentlicher Baukultur beklagte. Das Streitobjekt verschwand nun nicht, weil ein Beschluss der Charlottenburger Bezirksversammlung die Entfernung der antisemitisch konnotierten Texttafel zuvor gefordert hatte. Es war die Investmentfirma Blackstone, die hier kurzerhand Tatsachen schuf. Weil ihr seit 2018 der Platz als privater Stadtraum gehört und der international agierende Konzern sich wohl nicht länger mit der heiklen Debatte um „Rechte Räume“ belasten wollte, die zuletzt von der Zeitschrift Arch+ mit enormer Resonanz in die Öffentlichkeit getragen worden war. 3)

Politische Ästhetik

Im Grunde passt der seit Monaten lodernde Streit um baukulturellen Traditionalismus und eine dezidiert „politische Ästhetik“ rechter Bewegungen eindrücklich zu dem Bild einer tief verunsicherten deutschen Gesellschaft, die auf ihrer Suche nach Orientierung immer hektischer agiert. Um in solcher Wirrnis auch Architektur wieder als wirksames Gesellschaftsinstrument in Anschlag zu bringen, hatte die Redaktion von Arch+ mit Unterstützung einiger Autoren um den Stuttgarter Theorieprofessor Stefan Trüby einen wahren Debattensturm im deutschen Feuilleton und etlichen Expertenzirkeln entfacht, der bei allem Skandallärm doch erhellende, teils erschreckende Einblicke in (kultur)geschichtliche Ab- und Hintergründe wie auch in aktuelle politische Vernetzungen und verfängliche ideologische Diskurse bot. Ein Aufruf zum Bildersturm sei ihnen allerdings nie und nirgends in den Sinn gekommen, beteuert Herausgeber Anh-Linh Ngo auf Nachfrage.

Dass mit der Entfernung des umstrittenen Pound-Zitats in Berlin ein solcher nun tatsächlich stattgefunden hat, dürfte sich mit Blick auf die durchaus ertragreiche Debatte als kontraproduktiv erweisen. Selbst der skandalträchtigste „Stein des Anstoßes“, der am Ende bloß noch als Aktenvorgang verfügbar ist, wird die Gemüter nur mäßig, und bald gar nicht mehr erregen. Dabei ist der wahre Grusel dieses Ortes, der als Triumphschneise arroganter Geldherrschaft gegen alle Anwohnerproteste durchgedrückt wurde, noch überhaupt nicht thematisiert. Als kalter Stachel im Frohsinn der Partymetropole gehört der zum ambivalenten Geschichtsbild Berlins um die Jahrtausendwende unbedingt dazu.


3) Arch+ Nr. 235 vom 25. Mai 2019