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Sichtschutz

2019_BCH_3


Stilkritik (87) | Ein Garten ums eigene Haus ist nicht alles. Aber ohne Sichtschutzzaun scheint alles nichts. Es bleibt nicht bei den Garten-Verschandelungen, die der freie Bürger mit Steingärten und Komplettversiegelungen seiner Umwelt zumutet. Es kommen mehr und mehr monströse Sichtbarrieren zum Einsatz, die den öffentlichen Raum schädigen.


Über Splitgärten und Gabionen-Mauern hatten wir bereits berichtet. Aber mit diesen Errungenschaften der modernen Freiraumplanung ist das Repertoire an Grausamkeiten noch nicht erschöpft. Man kann seinen Garten auch billiger unansehnlich machen. Gerade in meiner Heimatgemeinde scheinen die Häuslebauer sich seit kurzem einen Wettstreit bei der Einfriedung ihrer Grundstücke zu liefern. Drahtgitterzäune mit Sichtschutzbändern heißt die aktuelle Losung. Die Polypropylenstreifen kauft man am günstigsten als Rollenware, 50 Meter für etwa hundert Euro. Es gibt sie in vier Farben, als Favorit gilt Asphaltgrau, damit lässt sich die Parzelle an die vorbeiführende Straße unauffällig anpassen, was ja im Sinne des genius loci immer wieder gefordert wird. Montagehilfen unterstützen beim Einfädeln der Bänder. Dieser Arbeitsschritt erinnert an Übungen, zu denen man im Kindergarten mit geschlitztem Buntpapier angeleitet wird. Die gestalterische Herausforderung besteht darin, die senkrechten Drähte in passenden Intervallen zu umflechten. Am einfachsten ist ein regelmäßiges Maschenbild, anspruchsvoller sind alternierende Zweier- und Dreierstaffeln, die an schwarze Klaviertasten erinnern. Am Ende geht es aber nie auf, das kann einen Gartenbesitzer schon verrückt machen.

So ein Zaun bietet keinen Schutz vor Corona und macht den öffentlichen Raum zum Hinterhof. Wer ginge hier gern spazieren? (Bild: Wolfgang Bachmann)

So ein Zaun bietet keinen Schutz vor Corona und macht den öffentlichen Raum zum Hinterhof. Wer ginge hier gern spazieren? (Bild: Wolfgang Bachmann)

Unberührt bleibt die Frage, warum sich Menschen ihr schmuckes Einfamilienhaus wie einen Wertstoffhof oder einen Truppenübungsplatz umzäunen. Wobei möchten sie nicht beobachtet werden? Bei der Freikörperkultur? Vergraben sie Wertsachen oder verwenden sie verbotene Pflanzenspritzmittel? Vielleicht arbeiten sie auch an bahnbrechenden Erfindungen. Wir erinnern uns: Apple’s kometenhafter Aufstieg begann in einer kalifornischen Garage. Warum sollte in einem Deidesheimer Vorgarten nicht ähnliches gelingen? Das Wettbewerbsprinzip könnte durchaus eine Rolle spielen. Kein Wunder, dass sich Bauherren gleich doppelt an ihrer Grundstücksgrenze sichern. Tatsächlich bleiben zu den Zaunpfosten hin fingerbreite Schlitze offen, da schaffen versetzte Sichtschutzraster Abhilfe gegen neugierige Nachbarn.

Plastikmüll im Grünen (Bild: Wolfgang Bachmann)

Plastikmüll im Grünen (Bild: Wolfgang Bachmann)

Ja, die Idee am Ortsrand ein Grundstück für ein Einfamilienhaus mit einem peripheren Gartenstreifen zu erwerben, hatte zunächst ihren Charme. Aber dann fühlte man sich doch irgendwie ausgesetzt und beobachtet. So ein schwarzes Plastikschott dagegen gibt etwas Anheimelndes, damit wird Natur erträglich.