• Über Marlowes
  • Kontakt
Bild: PxHere, CC BY 2.0
Zweimal hatten wir über die Zukunft der Städtischen Bühnen in Frankfurt bereits berichtet (am 17. März 2020 und am 24. Juni 2019) – deswegen wollen wir Sie über die aktuelle weitere Entwicklung ebenfalls auf dem Laufenden halten. Trotz weiterer Diskussion hat die aktuelle Krise zur Denkpause gezwungen. Sie gilt es nun zu nutzen. Nicht nur in Frankfurt.

Frankfurts Doppelanlage für Oper und Schauspiel am Willy-Brandt-Platz – ein 1963 eröffneter Bau von ABB Architekten – soll, so die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung vom 30. Januar 2020, abgerissen werden. Am 1. April berichtete die Frankfurter Neue Presse über ein Interview, das die Bild-Zeitung mit Frankfurts Oberbürgermeister Feldmann am 31. März veröffentlicht hatte. Feldmann kündigte darin an, „dass die geplanten mehrere Hunderte-Millionen-Euro-Investitionen in die Frankfurter Bühnen wegen der Corona-Krise bis auf Weiteres gestoppt werden sollen. Die Planungen könnten zwar weiterhin fortgeführt werden, Investitionen würden allerdings erstmal nicht getätigt.“ Also erst einmal kein Abriss?

2019_AT_pxhere_Platz

Blick vom U-Bahnausgang am Schauspiel auf den Willy-Brandt-Platz. Ist nur der Standort wertvoll? Bild: PxHere, CC BY 2.0

Erst daraufhin – man sah sich wohl nun erst dringend genötigt, die Abrisspläne zu verteidigen – konnte man am 8. April in der FAZ eine Erwiderung von der mit der Zukunft der Bühnen betrauten Stabsstelle und der Kulturdezernentin Ina Hartwig auf die bereits Anfang März veröffentlichte Petition finden. Die Petition hatte unter anderem darauf verwiesen, dass die Diskussion über die Städtischen Bühnen und Entscheidung für den Abriss, die im Januar gefallen war, den baukulturellen Wert des Gebäudes nicht gebührend berücksichtigt habe. In dem Artikel vom 8. April heißt es, dass die Kulturdezernentin Ina Hartwig sich zwar einig mit den Initiatoren der Petition sein, dass das Gebäude „wirklich für eine gute Geschichte in Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg“ stehe und dass auch sie „den Willy-Brandt-Platz für den idealen Standort für Oper und Schauspiel“ halte. Sie widersprach allerdings der Darstellung, die Stadtverordneten hätten nicht ausreichend Zeit gehabt, das Gutachten zu studieren. Zur Qualität des Hauses ist in diesem Artikel zu lesen: „Während Hartwig in der durchgehenden Glasfassade „schon ein tolles Statement für Transparenz“ sieht, ist Guntersdorf (Leiter der Stabsstelle, die mit dem Projekt betraut ist, red.) der Auffassung, es handele sich hier um ein Zufallsprodukt, das sich aus der Gebäudestruktur ergeben und nichts mit demokratischem Aufbau zu tun gehabt habe. Cachola Schmal unterstützt diese Auffassung, indem er auf Fotografien aus den sechziger Jahren verweist, auf denen zugezogene Vorhänge vor der Glasfassade zu erkennen sind. Und er sieht keinen Grund, nach einem Abriss auf die Wolken zu verzichten, die der ungarische Künstler Zoltán Kemény einst geschaffen hat: Es handele sich um ein mobiles Kunstwerk, das anderswo ohne große Schwierigkeiten wieder aufgebaut werden könne.“

Bedauerlicherweise ist der Artikel nicht frei öffentlich zugänglich, entsprechende Verlautbarungen und Stellungnahmen zur Studie sind weder auf den Seiten der Stadt noch auf denen der Städtischen Bühnen zu finden.

2019_AT_operF_aussenansichtoperfrankfurth

Außenansicht der Oper Frankfurt (Bild: Oper Frankfurt ©Wolfgang Runkel)

Erwiderung der Erwiderung

Frei zugänglich ist hingegen die Entgegnung der Petitionsinitiatoren auf diesen FAZ-Artikel auf deren Seite. Sie wird im Folgenden in Auszügen wiedergeben, die zugleich die wichtigsten Kritikpunkte am Abriss-Beschluss zusammenfassen.

Zum Entscheidungsprozess: „Für ihren Beschluss (am 30. Januar, red.) lagen den Stadtverordneten nur die 5-seitige Presseinformation sowie die dazugehörigen Präsentationsfolien der Pressekonferenz vom 23. Januar vor, was auch mehrere Abgeordnete in der Debatte beklagten. Ein 16-seitiger Bericht der Stabsstelle wurde erst am 10. Februar 2020 nachgereicht. Der im Stadtparlament am 30. Januar 2020 verabschiedete Beschlussantrag weist eine Begründung von sieben Zeilen auf und wurde in den Fachausschüssen für Kultur und Planung nicht vorab behandelt, obwohl diese beide 14 Tage zuvor getagt hatten. (…) Der Grundsatzbeschluss für das Milliardenprojekt war den Abgeordneten am 30. Januar 2020 kurz nach 10 Uhr bekannt gemacht worden und wurde in der nur sechs Stunden später beginnenden Stadtverordnetenversammlung verabschiedet.“

 

Panorama Bar Foto: Jessica Schäfer Foto: Jessica Schäfer

Panorama Bar (Bild: Schauspiel Frakfurt, Foto: Jessica Schäfer)

Zur Architektur: „Die Platzierung von Bibliotheken, Museen, Theatern und Kunstwerken im Zentrum des städtischen Lebens war nach dem Krieg von der Überzeugung geleitet, niedrigschwellige Bildungsangebote seien für den Aufbau einer neuen Gesellschaft ebenso unverzichtbar wie eine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die in der Politik heute weit verbreitete Ignoranz gegenüber den baulichen Hinterlassenschaften dieses Anspruches als „Zufallsprodukte“ ist gerade angesichts der massiven Bedrohungen, denen sich unsere demokratische Grundordnung seit einigen Jahren ausgesetzt sieht, alarmierend. Richtig wäre es hingegen, die Städtischen Bühnen als ein für die Moderne seltenes Lehrstück dafür zu betrachten, wie durch den überlegten Umgang mit dem Vorhandenen eindrucksvolle und zeitgemäße Architektur entstehen kann.“

 

2019_AT_aumueller_innen

Innenansicht der Oper Frankfurt. (Bild: Oper Frankfurt © Barbara Aumüller)

Zur Theaterkonzeption: „Obwohl neun Jahre vergangen sind und etwa 8 Mio. Euro für die Planung ausgegeben wurden, gibt es kein Konzeptpapier, welches Ideen für das Stadttheater der Zukunft formuliert. Erst allmählich wurde im Verlauf des Prozesses die Diskussion begonnen, die an seinem Anfang hätte stehen müssen: Wie man sich das Zentrum des intellektuellen und künstlerischen Lebens, welches das Theatergebäude an diesem Ort darstellt, im 21. Jahrhundert vorzustellen hat. (…) Während das Bestandsgebäude zur Disposition gestellt wird, soll der konzeptionelle Status quo für das Theater zukünftiger Generationen unreflektiert fortgesetzt werden, allenfalls mit quantitativen oder funktionalen Verbesserungen.

 

2012_AT_Dettmar_Doppelanlage

Die Doppelanlage öffnet sich mit dem Foyer zur Grünanlage.(Bild: Schauspiel Frankfurt, ©Uwe Dettmar)

Zum Städtebau: „Dass Stadträume grundsätzlich besser seien, wenn sie „gefasst“ sind, und dass es darum vorteilhaft wäre, den Willy-Brandt-Platz zum Anlagenring hin zu bebauen, ist eine ideologisch gefärbte Behauptung – denn die Verbindung von städtischem Platz und landschaftlich geprägtem Park folgt hier einer klaren und auch heute noch erlebbaren stadträumlichen Konzeption, in der das Wolkenfoyer das Ende des Anlagenrings markiert und sich gleichzeitig zu diesem hin öffnet. Stattdessen auf das städtebauliche Repertoire des neunzehnten Jahrhunderts zurückzugreifen, dokumentiert einen Mangel an historischem Verständnis und zeigt einmal mehr, wie sehr das baukulturelle Erbe der Nachkriegszeit unter Druck steht, nicht nur die Gebäude, sondern auch die öffentlichen Räume.“



Zu viele offene Fragen


2019_AT_pxhere_Ubahn

Wurde auch schön gerechnet? Bild: PxHere, CC BY 2.0

Seither ruhen die Diskussionen – allerdings ist das kein Grund, sie als beendet zu verstehen. Dazu gibt es zu viele offene Fragen, die sich gerade auch dann stellen, wenn wie jetzt,durch die Krise bedingt, vermehrt überlegt wird, ob die routinierten Prämissen, die die Ergebnisse des Gutachtens (ob bewusst in Kauf genommen oder unbewusst unhinterfragt) steuerten, noch gelten müssen.

Schon am 10. März hatte Niklas Maak in der FAZ bilanziert: „Man spiele halt nicht mehr Theater wie vor sechzig Jahren, heißt es da immer – aber man wird in sechzig Jahren auch nicht mehr so spielen wie heute. Gerade angesichts neuer stadtploitischer und ökologischer Sensibilität könnte es sein, dass ein miliardenschweres „Bilbao am Osthafen“ nicht als Sensation, sondern als monumentale Peinlichkeit, als letztes Aufflammen der ressourcenfressenden, verspektakelten Investorenstadt des späten zwanzigsten Jahrhunderts wahrgenommen wird.“ Hier wird noch auf die Planungen angespielt, eine neue Oper an Frankfurts Osthafen zu errichten. Aber auch wenn es ein Opernneubau an einem anderen Standort wäre, müsste sich die Frage stellen, mit welcher Haltung gegenüber der Stadtgesellschaft und Konzepten der Nachhaltigkeit hier operiert wird.

Denn in einem Wirtschaftlichkeitsvergleich, der sich an einer städtischen Richtlinie orientiert, werden die Kosten mit 70, die der Ökologie aber nur mit 5 Prozent angesetzt. (Nichtmonetäre Kriterien dürften dieser Richtlinie nach nur maximal 30 Prozent ausmachen.) Die weitere Gewichtung wird demnach so vorgenommen, dass 15 Prozent auf „künstlerische Qualität und betriebliche Abläufe / Logistik“ entfallen (wobei hier nicht deutlich ist, wie künstlerische Qualität jenseits der betrieblichen Abläufe verstanden werden soll) sowie 10 Prozent auf die Öffnung für die Öffentlichkeit. Wie würde sich ein Wirtschaftlichkeitsvergleich verändern, wenn diese Gewichtungen anders vorgenommen würden? Sind die Themen der grauen Energie, die vernichtet würden, die Energiebilanz eines Neubaus berücksichtigt?

Aber selbst wenn man diese Richtlinie nicht in Frage stellen will, muss man skeptisch angesichts der Zahlen sein, die im 16-seitigen Bericht der Stabsstelle, die das Gutachten zusammenfasst, zu finden sind. Warum wurde in der Kalkulation des Abrisses ein Risikozuschlag von 30 Prozent angesetzt? Ein solcher Risikozuschlag ist sinnvoll und üblich bei Vorhaben des Umbaus, die mit vielen Unwägbarkeiten rechnen müssen. In diesem Fall ist das Gebäude aber so gründlich untersucht worden, „wie wohl wenige in Deutschland“, so wird Hartwig am 8. April zitiert. Der Risikozuschlag scheint daher überzogen und nicht gerechtfertigt.

2019_AT_klack_CC_maeusebunker

Ehemalige Zentrale Tierlaboratorien der Freien Universität „Mäusebunker“, Gerd Hänska, Kurt Schmersow, 1967–1981. Bild: Wikimedia Commons, CC BY 4.0, Gunnar Klack >>>

Es ist zu hoffen, dass die Diskussion nicht beendet wird – und mit offeneren Visieren respektive Karten geführt wird, als dies im Moment der Fall ist. Ein etwas offenerer Blick täte auch im übertragenen Sinn gut. Denn ohnehin steht eine Diskussion auf breiterer Ebene an, die den Erhalt gegenüber möglichem Neubau anders bewertet und bilanziert als es derzeit der Fall ist. Das könnte auch zwei weiteren herausragenden Gebäuden der Nachkriegsmoderne helfen, die vom Abriss bedroht sind: die Rede ist von den als Mäusebunker bekannten Tierlaboratorien der Charite und dem Institut für Hygiene und Mikrobiologie (Fehling+Gogel, 1966 bis 1974) . Auch hier kämpft eine Petition gegen deren Abriss und merkt an: „Es sollte nicht vergessen werden, dass die Umnutzung eines bestehenden Gebäudes fast immer weitaus nachhaltiger und ressourcenschonender als ein Abriss mit anschließendem Neubau ist. Diese Belange der Ökologie und Nachhaltigkeit wurden soweit bekannt bei der Abwägung zwischen Altbau und Neubau nicht berücksichtigt.“ Es sollte nicht nur nicht vergessen, sondern endlich auch in die Bilanzen von Abrissen Eingang finden.