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Steinreich


Ich kenne Kollegen, die würden dieses Buch nicht besprechen. Das Titelbild sagt doch schon alles: So eine frisch aus der Mottenkiste geholte Berliner Steinfassade, ewige Gründerzeit, wenn der Herr Senatsbaudirektor erzählt… Die Debatte hatten wir bereits, hört das denn nie auf?

Tobias Nöfer (Architekt): Neubau Palais Holler, Berlin, 2017 (Bild: aus dem besprochenen Band, Meisse)

Tobias Nöfer (Hrsg.): Haus mit Eigenschaften. Das Palais Holler am Kurfürstendamm. Mit Essays von Cornelia Dörries, Benedikt Goebel, Simon Strauß und anderen. 21 x 26 cm, zahlreiche Abbildungen, ISBN 9783803008442, 48 Euro. Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin, 2020

Tobias Nöfer (Hrsg.): Haus mit Eigenschaften. Das Palais Holler am Kurfürstendamm. Mit Essays von Cornelia Dörries, Benedikt Goebel, Simon Strauß und anderen.
21 x 26 cm, zahlreiche Abbildungen, ISBN 9783803008442, 48 Euro.
Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin, 2020

Nein, es geht weiter. Und da wir Schreiber uns diskursgesättigt eine Bekenntniszugehörigkeit angeeignet haben, gebe ich zu, ich habe überhaupt nichts gegen Rekonstruktionen oder die fallweise Wiederaufnahme traditioneller Bauweisen. Aber verdient dieses für eine wohlsortierte Stiftung am Kürfürstendamm errichtete Haus Holler unsere Zuneigung?

Leider habe ich es noch nicht fertiggestellt besichtigen können. Immerhin breitet das Buch die Architektur mit Fotos und superben Sepia-Zeichnungen für uns Daheimgebliebene akribisch aus. Es ist ein gutes Buch. Bilderbuch. Ergänzt wird es von einer Anzahl Textbeiträgen, die nahe legen, man hätte an diesem Ort und in dieser Zeit nichts besser machen können. Da der stabführende Architekt Tobias Nöfer der Herausgeber ist, muss man es gelten lassen, dass seine Autoren in Begeisterung schwelgen. Zwei Texte sollen etwas Feuilleton einstreuen. Alexis Bug trägt harmlos Entbehrliches bei, Nis-Momme Stockmann quält mit glucksenden Geistreicheleien. Claudia Dörries’ langatmige Sätze hätten besser lektorische Zuwendung verdient, um ihre „soziologischen Differentialdiagnosen“ verständnisfördernd aufzuhelfen. Simon Strauss fällt im Brunnenhof des Hauses schließlich „gar nichts Besseres ein als Europa“, worüber er dann deliriert. Nun gut.

Den Auftakt unternimmt der Verleger Gerwin Zohlen. Er sieht das Palais Holler in der Tradition der Architektur eines Alfred Messel und als Antidot zu Ungers’ „Haus ohne Eigenschaften“ in Köln. Der Neubau suche mit seinen Fassaden am Ku’damm „den Kontakt zur Öffentlichkeit, zur Gesellschaft“, sie seien „als Sozialräume ausgebildet“. Das Feindbild ist der bauschadensträchtige Internationale Stil mit seinen toten Rastern aus Beton, Glas und Stahl. Diese Losung nehmen die übrigen Autoren dankbar auf. Peter Stephan liest aus der opulenten Schwere der Natursteintektonik „die Bereitschaft, im öffentlichen Leben Verantwortung zu übernehmen“, weil die Schönheit der Bevölkerung zugute komme.

Palais Holler, Interieur (Bild: aus dem besprochenen Band, Meisse)

Palais Holler, Interieur (Bild: aus dem besprochenen Band, Meisse)

Doch ob diese „architecture parlante“ wirklich eine therapeutische Qualität besitzt, muss dahingestellt bleiben. Die mit ihren Einkaufstüten vorbeieilenden Passanten werden angesichts der von der Bonität ihrer Eigentümer kündenden Formensprache vor allem spüren, dass dieses Haus mit ihnen nichts zu hat und sie in so einer Umgebung niemals arbeiten oder wohnen dürfen. Es braucht auch nicht jeder dieses skulpturale Baugeschichtskonzentrat: Manchmal freut man sich mehr über eine grobe Wand aus Stampfbeton, die an kalkulierter Stelle mit einer kleinen Fensterluke perforiert ist. Schließlich sind die Farbfelder von Mark Rothko auch keine geringere Kunst als Altdorfers Alexanderschlacht, weil sie weniger Details zeigen.

Ob das Haus wirklich gelungen ist, wird man beim Begehen überprüfen. Sicher brilliert es mit kaum bezahlbaren Details. Aber dass die Steinverkleidung der Balkonplatten wie umgeschlagener Teig an die Erker trifft, überzeugt nicht, das kennt man eher aus der Konditorei als aus der Bauwerkplanung. Darüber stochern Geländerstäbe, und da auch die seitlichen Fenster eine Absturzsicherung benötigen, klettern sie spinnenbeinig über die Solbänke. Auch die Atelierverglasung auf dem Dach, die die Proportionen der Fassade nicht behelligen soll, akzeptiert man höchstens als praktische Lösung. Die Mäkelei ließe sich fortsetzen.
Fazit: Man kann solche Häuser bauen, noch stringenter bauen. Das Buch verschweigt nichts. Angesichts der Altstadtambitionen in Dresden, Frankfurt und Potsdam liefert es einen guten Diskussionsbeitrag, kommt aber über eine affirmative Rechtfertigung nicht hinaus.