Krisen und Katastrophen stellen die Städte vor enorme Aufgaben: Der fortschreitende Klimawandel, die Folgen der Corona-Pandemie oder Auswirkungen von Naturkatastrophen wirken sich als zerstörerische Ereignisse unmittelbar auf den urbanen Raum, die Lebensqualität und die Sicherheit ihrer Bewohner:innen aus. Der Krieg ist eine jener Krisen, die in Europa wieder Raum greifen. Wie die räumliche Planung darauf reagieren kann, veranschaulichen erste Erfahrungen aus Projekten zur resilienten Stadtentwicklung in der Ukraine.
Resilienz bedeutet im ursprünglichen Sinn „zurückspringen“, im Kontext einer nachhaltigen Stadtentwicklung ist dies aber zu eindimensional. UN-Habitat definiert „Urbane Resilienz“ als eine dreiteilige Strategie, bei der sich die Städte präventiv auf Risikoereignisse vorbereiten, robust darauf reagieren, und sie nach dem Krisenereignis besser wieder aufbauen – „building back better“. Dieses Vorgehen wurde auch im Memorandum „Urbane Resilienz“ der Bundesregierung von 2021 aufgegriffen. (1)
Urbane Resilienz in Kriegszeiten
Seit 2014 führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die unabhängige Ukraine, seit 2022 als offene und umfassende Invasion. Dieser Krieg führt zu massiven Zerstörungen in den Städten, insbesondere die Frontstädte werden flächendeckend bombardiert. Außerdem wird in der gesamten Ukraine gezielt und systematisch die Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser sowie die Energieversorgung angegriffen. In den besetzten Gebieten werden die ukrainischen Bewohner:innen vertrieben, die ukrainische Sprache wird verboten, Schulbücher werden verbrannt. Viele Millionen Ukrainer sind aufgrund der Bedrohungen innerhalb der Ukraine oder in Europa auf der Flucht.
Die ukrainische Gesellschaft zeigt eine unglaubliche zivilgesellschaftliche Resilienz. Die Stärkung der urbanen Resilienz ist für ukrainische Städte angesichts der täglichen Angriffe nicht nur besonders dringlich, sondern auch extrem schwierig. Einerseits müssen unter sich täglich verändernden Bedingungen kurzfristige Lösungen gefunden werden, um die Menschen vor akuten und anhaltenden Bedrohungen zu schützen und die Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig gilt es, Strategien für eine mittel- bis langfristige Planungsperspektive zu entwickeln, die sowohl die lokalen Auswirkungen des Krieges, als auch weitere globale Probleme wie die Folgen der Klimakrise und die sich verändernde Demografie zu berücksichtigen. (2)
Projekte zur Stärkung der urbanen Resilienz in der Ukraine

Zweiter Workshop des Projekts „Drohobych Common Spaces“, vor Ort, durchgeführt von Dr. Solomiia Shchegolska und Dr. Yaryna Onufriv von der Universität Lviv. (Bild: Anna Kuzyshyn)
Die unabhängige und demokratische Ukraine möchte Mitglied der EU werden, das war bereits das Ziel der Maidan-Revolution von 2014. Sie hat schon früh damit begonnen, die Ziele der Leipzig Charta für eine integrierte und pluralistische Stadtentwicklung umzusetzen. Nun stellt sich die Aufgabe, die Stadtentwicklungskonzepte um Resilienzaspekte zu ergänzen. In der Ukraine stehen dabei erzwungenerweise der Schutz kritischer Infrastruktur, der Zivilschutz, die Erreichbarkeit von Schutzräumen und die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft im Vordergrund.
Am Lehrstuhl Stadtplanung der RPTU Kaiserslautern-Landau werden mehrere Austausch- und Forschungsprojekte durchgeführt, um die urbane Resilienz in der Ukraine zu stärken. Seit Frühjahr 2022 läuft das Programm „Ukraine digital“ des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) zur integrierten Stadtentwicklung. Die Partner-Hochschulen in Lviv, Kyjiv, Poltava, Odessa, Chernivtsi und Kharkiv werden über eine digitale Austausch- und Lernplattform, Stipendien und Lehraufträge unterstützt, die deutschen Partnerinnen sind die RPTU Kaiserslautern, die BTU Cottbus und die TH Lübeck. (3) Ziel ist es, Themen wie Stadterneuerung, Wiederaufbau, Resilienz und Nachhaltigkeit stärker im Curriculum der Partnerhochschulen zu verankern und perspektivisch neue Vertiefungsrichtungen sowie eigenständige Planungs-Studiengänge aufzubauen.
Ein weiteres Projekt lautet seit 2024 „Strengthen urban resilience“ in der Ost-Ukraine, gefördert von der GIZ, die unter anderem den Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur unterstützt. Die Rolle der RPTU liegt im Wissenstransfer zur resilienten Stadtentwicklung. In Expertenworkshops und in Kooperation mit weiteren Partnern wird untersucht, wie Resilienzaspekte in Quartiersentwicklungskonzepten gestärkt werden können – unter anderem in Pilotstädten in der Ost-Ukraine. Hierbei werden auch Verknüpfungen aufgebaut zur Initiative „IBA in Ukraine“, um innovative Projekte international auszustellen. (4)
Risikoanalyse als Teil der Bestandsaufnahme
Um das Konzept der urbanen Resilienz in die Planung zu integrieren, müssen zunächst in der Bestandsanalyse Risiken identifiziert werden:
- Welchen Gefahren ist eine Stadt oder ein Quartier ausgesetzt?
- Wie stark ist sie diesen Gefahren ausgesetzt, wie exponiert ist ihre Siedlungsstruktur?
- Welche Güter oder Bevölkerungsgruppen sind an welchem Standort am stärksten betroffen?
Aus Sicht der Risikoanalyse ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ein disruptives externes Ereignis, das aufgrund der Unvorhersehbarkeit der täglichen Angriffe und Zerstörungen ähnlich wie eine Naturkatastrophe betrachtet werden kann:
- Die Zerstörung sensibler und kritischer Infrastrukturen führt zu grundlegenden Versorgungsengpässen.
- Die Zerstörung ganzer Wohnblöcke verursacht nicht nur Flucht und Binnenmigration, sondern erhöht auch den Bedarf an Notunterkünften und Schutzräumen.
- Militärische Angriffe und Schadstoffe haben enorme ökologische Auswirkungen, kontaminieren Boden und Wasser und führen zu weiteren Störungen des Ökosystems.
Angriffe in der Nähe von Atomkraftwerken stellen ein enormes Risiko für technogene Katastrophen dar. - Militärische Infrastrukturen innerhalb von Wohngebieten als mögliche Angriffsziele erhöhen die potenzielle Gefährdung der umliegenden Wohngebiete durch Fehleinschläge von Raketen oder Kontaminationen.
Von diesen Gefahren sind vor allem sensible Bevölkerungsgruppen wie ältere oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen, Kinder und Säuglinge betroffen, sie sind daher besonders schutzbedürftig. Eine hohe Vulnerabilität besteht aber auch bei sensiblen Infrastrukturen, in denen sich diese Bevölkerungsgruppen länger aufhalten, sowie bei kritischen Infrastrukturen, die die Grundversorgung der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit eines Systems sicherstellen. Ergänzend sind die Bereiche einer Stadt zu untersuchen, die über zu wenige erreichbare und zugängliche Schutzräumen wie Bunkeranlagen, Notunterkünfte, Sammelstellen oder unterirdische Bahnhöfe verfügen. Werden diese Risikobereiche überlagert, lassen sich die besonders gefährdeten Bereiche einer Stadt identifizieren. So können Ressourcen gezielt und effizient eingesetzt werden.
Entwicklung resilienter Quartiere
Für die Entwicklung widerstandsfähiger, anpassungsfähiger und transformationsfähiger Städte und Quartiere gelten folgende Grundprinzipien urbaner Resilienz:
- Redundanz: Gleiche Funktionen sollten mehrfach zur Verfügung gestellt werden, so dass Reservekapazitäten für die Reaktion auf unvorhersehbare Risiken bestehen.
- Effizienz: Bestandsentwicklung schont Ressourcen, indem Quartiere kompakt, durchgrünt und nutzungsgemischt entwickelt werden.
- Robustheit: Robuste Systeme halten extremen Auswirkungen stand, indem sie Ausfälle antizipieren und im Notfall autark agieren.
- Flexibilität: Flexible Systeme sind in der Lage, sich zu verändern, weiterzuentwickeln und sich an veränderte Umstände anzupassen.
- Diversität: Durch eine hohe Diversität werden verschiedene Alternativen angeboten, falls ein Teil eines Systems ausfällt.
Durch Szenarienentwicklung können erste Optionen für die Entwicklung resilienter Quartiere in ukrainischen Städten ausgelotet werden. Die Integration urbaner Resilienz in die Stadtentwicklung ermöglicht es, lokale und globale Risiken früh zu erkennen, und die Städte im Sinne des Building-Back-Better-Ansatzes zu transformieren.

Gemeinsam gestaltete Bank „Kamenyar“, die im Rahmen des Projekts „Drohobych Common Spaces“ entstand. (Bild: Anna Kuzyshyn)
Projektbeispiel „Common Spaces“ in Drohobych

Studierende der Partner-Universitäten bauen gemeinsam Stadtmöbel für Drohobych. (Bild: Anna Kuzyshyn)
Die nicht besetzten Städte vor allem in der West-Ukraine stehen vor der Aufgabe, neuen Wohnraum sowie Infrastruktur für über sechs Millionen Binnenflüchtlinge (Internal Displaced Persons IDP) zu schaffen. Neben den baulichen Maßnahmen ist es wichtig, die IDP in den Zufluchtsstädten zu integrieren. Mentalität und Kultur zwischen „einheimischen“ und „neuen“ Bewohner:innen sind sehr unterschiedlich – ansatzweise vergleichbar mit der Aufnahme von Aussiedler:innen in die Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Der öffentliche Raum eignet sich besonders als Plattform für den Austausch zwischen diesen beiden Gruppen, hier finden gerade bei beengten Wohnverhältnissen wichtige Aneignungsprozesse statt. In der Ukraine bilden die öffentlichen Räume offene, demokratische und lebendige Diskursräume – im Unterschied zu autokratischen Regimes. Als Teil der europäischen Stadt wird dieser Raum im Sinne der Leipzig Charta geschützt und qualifiziert.
Der öffentliche Raum ist das „Wohnzimmer“ der Stadt, in dem sich alle, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Status, identifizieren. 2023 haben über dreißig Studierende und Dozenten der Universitäten in Lviv, Kyjiw und Kaiserslautern das Projekt „Drohobych Common Spaces“ durchgeführt, unterstützt von DAAD und der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). Die wichtigsten Ziele des von Anna Kuzyshyn konzipierten Projektes waren
- Eine stärkere Integration von IDP in die neue Ankunftsstadt im Sinne der sozialen Resilienz.
- Schaffung neuer Narrative bei gleichzeitiger Wahrung der Identität der IDP.
- Etablierung eines trilateralen Austauschs zwischen „neuen“ und einheimischen Bürgern sowie lokalen Behörden im Sinne einer resilienten Zivilgesellschaft.
- Aktive Rolle der Studierenden, die lernen, öffentliche Räume auf Grundlage partizipativer Prozesse und potenzieller Konflikte zu gestalten und gemeinsam Stadtmöbel zu realisieren.
- Entwicklung von hochwertigen Gestaltungszielen für den öffentlichen Raum.
Das Projekt basiert auf der Idee, dass sich die IDP die Stadt aneignen, indem sie gemeinsam Räume gestalten und sich an Workshops und der Projektumsetzung beteiligen. Indem sie ihre Ideen und Ressourcen in die Umgestaltung des öffentlichen Raums einbringen, gestalten sie ein eigenes Projekt, das Teil ihrer neuen Geschichte wird.
Unter dem Titel „Kamenyar“ wurden beispielsweise im historischen Zentrum von Drohobych neue Außenmöbel zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität entworfen und gebaut. Sie fanden ihren Platz gegenüber dem Theater und der ehemaligen Buchhandlung „Kamenyar“ und sollten dort soziokulturelle Funktionen stärken. Die neuen Möbel lassen verschiedene Nutzungen zu, das Material und die Farbgebung orientieren sich an den vorhandenen Stadtmöbeln. Das Projekt zeigt, dass wichtige Impulse für die Neugestaltung des öffentlichen Raums auch in Krisenzeiten gegeben werden konnten. (5)
Zwischenfazit
All diese Projekte befinden sich weiter in der Umsetzung, daher können hier nur Zwischenergebnisse präsentiert werden. Es lassen sich grundsätzliche Aspekte der urbanen Resilienz auch auf die Folgen eines Kriegs und den Wiederaufbau übertragen. Künftig sind stärker Themen zum Schutz von kritischer Infrastruktur, Zivilschutz und sozialer Resilienz stärker zu berücksichtigen. Dank der Austauschprogramme entsteht eine neue Generation einer ukrainischen und deutschen Architekten- und Stadtplanerschaft, die ihre Städte mit den lokalen Akteuren und Bewohner:innen resilient umbauen können, als lebenswerte, demokratische und freie Gemeinwesen innerhalb Europas.
In der deutschen Planungsszene werden der russische Angriffskrieg selbst und dessen Folgen für die Stadtentwicklung kaum diskutiert. Tagungsprogramme und Publikationen ignorieren meist das Thema, eine Ausnahme bildete der Hochschultag 2023. (6) Dabei wird Deutschland, egal wie der Krieg ausgeht, auch dessen Folgen zu tragen haben: mit Millionen Flüchtlingen, hohen Verteidigungsausgaben, stärkerem Zivilschutz und dem Schutz des demokratischen und pluralistischen Gemeinwesens gegenüber der hybriden Kriegsführung Russlands, die von der Propaganda bis zu Anschlägen reicht. Deutschland könnte von der Ukraine lernen, wie sich eine demokratische und resiliente Gesellschaft gegen einen vermeintlich übermächtigen Aggressor behauptet. Dieses Wissen könnte die EU vor einer stärkeren Dominanz durch das autokratische Russland schützen. Außerdem hat Deutschland hier eine besondere Verantwortung: 1941 verfolgte es ähnliche Ziele zur Unterwerfung und Versklavung der Ukraine wie heute Russland und hinterließ bislang nicht entschädigte Verwüstungen; in den letzten Jahrzehnten finanzierte es über die Energieimporte einen Großteil der russischen Rüstungsindustrie. Der resiliente Wiederaufbau einer freien und demokratischen Ukraine ist ein zentrales Anliegen für die Zukunft Europas.

Teilnehmende am Projekt „Drohobych Common Spaces“: Yuliia Nedoluzhko, Volodymyr Obukhov, Daria Tereschtchenko, Angelina Busel, Anna Bolila, Ivan Abramyk, Sofiia Kuzo, Kateryna Topolnytska, Oleksandr Mykhalchuk, Viktor Kurylo. (Bild: Anna Kuzyshyn)