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Von Miseren und den Wegen, die aus ihnen herausführen



Wiedergelesen – Günther Moewes: »Weder Hütten noch Paläste« und Otl Aicher: »Die Welt als Entwurf«

Wenn Bücher nicht an Aktualität eingebüßt haben, kann das tröstlich sein. Es kann heißen, dass manche Dinge richtig bleiben, auch wenn sich sonst viel ändert. Manchmal ist es aber gerade umgekehrt: dann ist es erschreckend, dass sich so wenig geändert hat. So ist es bei den beiden Bücher, um die es hier geht. Einen Trost gibt es aber dennoch.

 


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Günther Moewes: Weder Hütten noch Paläste. Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft. Eine Streitschrift. 264 Seiten, 20 Euro
Nomen Verlag, Frankfurt am Main, 1995 / 2021

»Kaum eine Branche hat die Irrtümer heutiger Ökonomie so sehr verinnerlicht wie das Bauwesen.« Mit diesem Satz beginnt der Autor sein Vorwort zur Neuausgabe – 27 Jahre nach der Erstveröffentlichung wurde »Weder Hütten noch Paläste« von Günther Moewes 2021 wiederaufgelegt; lange war das Buch vergriffen. Die »Streitschrift« hat wenig an Aktualität eingebüßt – es ist also dringend notwendig, sie sich wieder zu Gemüte zu führen. Im Buch geht es um »Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft« und abgesehen vom Vorwort wurde die Originalfassung nicht überarbeitet, damit, wie es auf dem Klappentext heißt, »deutlich wird, wie wenig von den Erkenntnissen bis heute tatsächlich umgesetzt wurde.« Wohl wahr – wie zwei Zitate anschaulich machen sollen: »Wir erhöhen unsere Produktion, Exportüberschuss, Umweltzerstörung letztendlich nur, um dadurch demokratisch weitgehend unkontrollierte internationale Finanzmacht zu erzeugen«, heißt es auf Seite 62 und im Ausblick ist zu lesen: »Bessere Architektur, intaktere Städte und Landschaften entstehen nicht durch Ästhetikstudium, Umveltverträglichkeitsprüfungen oder noch so intelligente Pilotprojekte, sondern erst, wenn die Wirtschaftsweise verändert worden ist und wir die Existenzberechtigung von der Arbeit abgekoppelt haben.« (Seite 216)

Schon hier zeigt sich, was die besondere Qualität des Buches ausmacht. Da ist zum einen der pointierte, direkte, hin und wieder polemisierende Stil. Zum anderen wird die Frage der Architektur und des Städtebaus nicht als abgelöst von Wirtschaftssystem behandelt, sondern als eine von ihm abhängige Entwicklung verstanden. Und so kommt Moewes auch früh auf die Problematik eines Wirtschaftens zu sprechen, das den Wachstum als zentrale Prämisse gesetzt hat. Zuvor führt er den Begriff der Entropie ein –  ein »Maß für den Anteil zerstreuter, nie wieder nutzbarer Energie« (S. 17) und reflektiert den Zusammenhang zwischen Bauen und Energieverbrauch.

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Gilt Moewes als Fingerzeig für eine Architektur der Zukunft: Produktionsgebäude der Firma Wilkhahn in Bad Münder, 1993 (Thomas Herzog mit Bernd Steigerwald). Die Fassade ist zwar nicht aus wiederverwendeten, wiederaufbereiteten Teilen, »ihre additive Ästhetik ließe sich jedoch durchaus mit gebrauchten Teilen verwirklichen. (…) Die Verwendung gebrauchter Teile ist aber Zukunftsmusik, solange es keine firmenübergreifende Standardisierung gibt.« (Bild: Christian Holl)

Mit einer der bis heute wenig berücksichtigten Erkenntnisse, die seither nur ein ums andere Mal bestätigt wurde, ohne dass Konsequenzen gezogen wurde: »Energie kann niemals mit Neubauten, sondern nur mit Altbauten oder reinen Ersatzbauten eingespart werden. Auch Energiesparhäuser sparen keine Energie, sondern verringern nur den Mehrverbrauch.« (S. 33) Dass Wachstum keinen Wohlstand erzeugt, dass er im globalen Maßstab die Kluft zwischen »Erster« und »Dritter Welt« meist noch erhöht, dass zuviele Industrien davon leben, Schäden zu beheben – all das ist heute keinen Deut weniger richtig als vor 27 Jahren. Beschäftigung ist dabei nach Moewes der Fetisch, an dem festgehalten wird, der als Existenzberechtigung verklärt wird, noch das Receycling basiere »auf der unsinnigen Forderung, Natur möglichst beschäftigungsintensiv zu schonen.« Moewes benennt die »Zentrifugalwirkung der Bodenpreise« und »die unsichtbaren, globalen Konzentrationen von Wirtschafts- und Finanzmacht«, denen kleine Idyllen, »Schutzinselchen« gegenüberstehen: »Landschaft gerät zur Mickeymaus-Natur.« (S 132 f.) Moewes plädiert für das bedingungslose Grundeinkommen, dafür, Architektur konsequent so zu gestalten oder umzubauen, dass Solarenergie genutzt werden kann. Denn nur wenn wir die Sonnenenergie als die einzige, von außen zugeführte Energie nutzen, sind Kreisläufe ohne Qualitätsverlust möglich. Auch zum aktuellen Thema Kreislaufwirtschaft sagt Moewes Wesentliches: Sie ist nur möglich, wenn wir den Altbestand nutzen, Füllstruktur und Hüllstruktur voneinander trennen und für die Wiederverwertbarkeit von Bauteilen auf »umfassende Standardisierung, verbindliche Staffelung von Abmessungen, Größen, Spannweiten« setzen. (S. 81)  Ob dann wirklich die »überschaubare Einheiten der Größenordnung der Renaissacnestädte« (S. 211) entstehen müssten oder ob das nicht eine arg idyllische Vorstellung einer möglichen besseren Zukunft ist, sei dahin gestellt. Wir sind leider auch nach 27 Jahren nicht in der Lage, uns darüber Sorgen machen zu dürfen.



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Otl Aicher: Die Welt als Entwurf. Mit einer Einführung von Wolfgang Jean Stock. 194 Seiten, 24,90 Euro
Verlag Ernst und Sohn, Berlin 1991/ 2015

Bereits 2015 wurde Otl Aichers Sammlung von Texten aus den 1980er Jahren „die welt als entwurf« wieder aufgelegt. Sie sei zur (erneuten) Lektüre empfohlen, nicht nur, weil es sich ohnehin immer lohnt, Aichers präzises Denken nachzuvollzuziehen, sondern an dieser Stelle auch, weil sich die beiden Bücher auf überraschende Weise ergänzen. Denn auch Aicher, der im Mai 100 Jahre alt geworden wäre, sieht die durch das Wirtschaften korrumpierte Existenz: »der mensch ist soweit gekommen, dass er sich selbst auszulöschen droht. nicht als ob der mensch des menschen feind wäre. niemand will den anderen umbringen. aber an der rüstung verdienen, an der chemie, die die erde kaputtmacht, am auto, das mit seinen abgasen die luft verpestet, das möchten dann wohl dich alle. auf den segen der konsumgesellschaft verzichten, die den ganzen planeten im überkonsum zu ersticken droht, das will niemand.« Auch er sieht, dass die Behebung von Umweltschäden ein Geschäft ist, an das er nur die bittere und verzweifelte Hoffnung knüpfen kann, sie könne uns von einer Geisel befreien: »vielleicht nähern wir uns einem tag, an dem es keine kriege mehr gibt. dies ist dann weniger ein erfolg der vernunft als der tatsache, dass wir zur abrüstung gezwungen werden, weil wir das geld für den kampf gegen müll und naturzerstörung, die zerstörung unserer eigenen lebensgrundlagen brauchen.« (S. 132)

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»jede sachliche darstellung des autos, des autoverkehrs, und seiner Folgen würde einer verteufelung gleichkommen.« (S. 32; Bild: pxhere)

Und auch Aicher warnte schon vor der Idyllisierung: »die heutige alternative woge nimmt sehr oft technikfeindliche züge an. von neuem blüht der kult des handgemachten. handwerkliche produktion sehr menschenfeindlich sein. jeder bauer schätzt den vorteil der maschine.« (S. 74) Aber er setzt andere Schwerpunkte, schlägt eine andere Richtung ein. Er sieht den Fetisch der Arbeit und den des Konsum in seiner soziologischen Funktion, die sich über den Status definiert – und ergänzt darin die These der Existenzberechtigung durch Arbeit (Moewes): »niemand wird gezwungen, zu kaufen. jeder ist frei. aber wer nicht kauft, steigt aus aus dem emchanismus des sozialen aufstiegs« (S. 110).

Seine Analyse geht insofern tiefer, als sie die philosophische Basis einbezieht, die nach dem großen Ganzen gesucht hat, die die Sehnsucht nach einer überwölbende Wahrheit entstehen ließ – mit Folgen: »man hat nach der entdeckung der übergeschichte und ihren verschiedenen architekturen nach dem überstaat gerufen, nach dem übermenschen, nach der überrasse. wir haben das alles bekommen uns gesehen wohin das besondere große führt.« (S. 106) Dem Zustand als Zielhorizont des Denken und Handelns setzt er die Qualität des Schöpferischen – des Entwerfens – entgegen: »man hat in der philosophie, im verstehen der welt immer wieder die große einheit, das sein gesucht. aber die welt aus einheiten ist eine monumentale welt, sie ist gefroren zu einem einzigen zustand. erst mit der verflechtung, mit der auflösung von einheiten, auch durch den tod, wird die welt kreativ, schöpferisch.« (S.186) Konsequent leitet Aicher daraus ab: »das ziel der politik kann nur die entfaltung des individuums sein, und zwar die entfaltung jedes individuums, auch des kleinsten und vergessensten.« (S. 113).

Die Hoffnung spendende These Aichers ist, dass es bei dieser Entfaltung nicht auf eine künstlerische oder sonstwie herausragende Produktion von Ergebnissen ankommt – ganz im Gegenteil. Er ermutigt uns, wieder selbst etwas zu machen, zu singen, zu schreinern,  zu gärtnern, Spielzeug zu basteln – oder zu kochen. In dieser Kultur gebe es keinen Professor, keinen Doktor, keinen Ordensträger, »die großmutter ist keine geringere autorität als der gourmetpabst aus lyon.« Es gibt nicht die eine Wahrheit, »die wahrheit des essens kommt aus der küche, das heißt, sie kommt aus dem vollzug, aus dem tun aus dem machen, aus dem gebrauch, so wie das künftige individuum aus dem entschluss kommt, das eigene leben zu leben, was zunächst einmal heißt, nicht das leben der anderen. das andere ist indessen keine häresie. es kann so legitim sein wie das eigene.« (S. 193) Im April 2022 klingt das nach Utopie. Aber es ist eine, die uns nicht ohnmächtig zurücklässt.