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Das „Duell“ zwischen Angela Merkel und Martin Schulz sowie die „Wadenbeißerrunde“ der kleinen Parteien, die in Koalitionsszenarien Zünglein an der Waage sein können, hinterließen allgemeine Rat- und Hoffnungslosigkeit. Maßgeblich dreht sich vieles bei der Wahl 2017 auch um Entscheidungsinstanzen für Stadt-, Architektur- und (Über-)Lebensstrategien: um die Bedeutung von Föderalismus und Polyzentralität und die sinnvolle Verteilung von Macht.


Wohnungsnot? Zwei Millionen Wohnungen stehen leer

Sowohl die Bundesstiftung Baukultur als auch die Bauwelt (17.2017) widmeten sich jüngst Themen der Polyzentralität. Damit waren nicht etwa Stadtteilzentren gemeint, welche die Mitte und Vororte von Städten wie Hamburg oder Stuttgart oder Berlin unterscheiden. Es ging vielmehr um eine weitreichende Analyse der Lebens- und Arbeitsverhältnisse im Lande. Mit falschen Gegensätzen, die im digitalisierten Alltag nicht mehr zeitgemäß „Stadt und Land“, „Hauptstadt und Provinz“ konfrontieren können, wird sukzessive aufgeräumt, was in der Ausrichtung der Bundespolitik die nächsten Regierungsjahre entscheiden wird.

Hier wohnt, wer pendelt?

Die Zersiedelung nimmt kein Ende, die hoch verdichtete Stadt ist nicht die einzige Alternative. (Bild: Ursula Baus)

Auf dem Spiel stehen unsere Lebensverhältnisse. Ballungsräume wie grenzüberschreitend zwischen Basel, Mulhouse und Freiburg, Metropolregionen wie der Rhein-Main-Neckar-Raum unterscheiden sich zwar von zentralisierten Stadtkonstrukten wie München oder Berlin. Doch da wie dort steigen die Wohnungspreise horrend, egal ob im Kauf- oder Mietsektor. So wächst die Aufmerksamkeit für den Rest der Republik.

Hier wohnt, wer sich nichts andres leisten kann?

Kompakt, verkehrsgünstig: Hier wohnt, wer sich nichts andres leisten kann? (Bild: Ursula Baus)

 

Föderalismus – Grundgesetz und Bürgerferne

Sowohl die geschichtliche Genese der Republik als auch ihre gegenwärtige politische Verfasstheit, die mit Bundestag und Bundesrat einer Zentralisierung von Macht aus guten Gründen entgegenwirken muss, sprechen dafür, dass die polyzentrische Entwicklung eine Hauptaufgabe der nächsten Jahrzehnte wird. Die Bundesstaatlichkeit ist im Grundgesetz verankert, gerät aber gerade in der Steuerung von Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern immer wieder in abstruse Schieflagen. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung, 20./21. Mai 2017) beklagte, dass die Länder mehr und mehr abhängig vom Bund werden, der immer mehr Macht an sich reiße und zentralisiere. Damit, so Heribert Prantl, steige aber auch die Bürgerferne, was sich in den Bereichen Stadt- und Infrastrukturentwicklung nur bestätigen lässt.

Digitalisierung betrifft alle – dezentralisierte Arbeit entlastet die Großstädte

Digitalisierung im letzten Winkel – dezentralisierte Arbeit entlastet die Großstädte (Bild: Ursula Baus)

Angebot und Nachfrage steuern

Es ist bisweilen skandalös, wie Teile der Wohnungswirtschaft die Politik an der Nase herumführen. In den Zentren großer Städte steigen die Preise, weil die Nachfrage steigt. Die Wohnungswirtschaft behauptet nun, was überall kritiklos nachgeplappert wird (Nadine Oberhuber, in: FAS, 27. August 2017, Seite 28), dass die Not nur gemildert werden könne, wenn mehr Wohnungen in diesen Stadtwucherungen gebaut werden, wenn mehr Bauland ausgewiesen werde. Es sei also das Angebot zu erhöhen, damit die Wohnungspreise für die Bewohner sinken.
So hätte es die Bauwirtschaft gern: Bauen, bauen, bauen. Man kann aber den banalen Teufelskreis von Angebot und Nachfrage unter die Lupe nehmen und schauen, wie zum Beispiel die Nachfrage gesteuert und das Angebot besser genutzt werden könnte. Leerstehender Bestand, von dem wir hierzulande wahrlich genug haben, ließe sich sinnvoll um- und nachnutzen, außerdem vernetzen, um die Lebensqualität flächendeckend zu stärken. Man erhöht schlagartig das Angebot, sodass die Nachfrage besser befriedigt werden kann. Ohne immer wieder Neubauland auszuweisen.

Donut und Krapfen: eine strategische Skizze der Bundesstiftung Baukultur (Bild: BSBK)

Es geht auch anders

Dazu sei das gemeinsame Positionspapier der Bundesstiftung Baukultur und des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) vom 28. Juni 2017 zitiert: „Einer extrem hohen Wohnungsnachfrage und steigenden Kosten in wachsenden Städten stehen Wertverluste und Leerstände in vielen Mittel- und Kleinstädten gegenüber. Nach Schätzungen des BBSR stehen dort knapp 2 Mio. Wohnungen leer.“ Auch den Lebenswünschen der Menschen müsse Rechnung getragen werden: „Nach einer Umfrage der Bundesstiftung Baukultur wollen 44% am liebsten in einer Landgemeinde wohnen, 33% in einer Klein- oder Mittelstadt und nur 21% in der Großstadt.“
Hier stellt sich bereits die individuelle Aufgabe für Klein- und Mittelstädte: Sie müssen für den Alltag mit ansprechenden Stadträumen, ordentlichen Schulen und Freizeitangeboten, guter und komfortabler Anbindung an den ÖPNV, ausreichendem Einzelhandelsangebot attraktiv bleiben. Moderne Arbeitsplätze, die nicht mehr ortsgebunden am produzieren Gewerbe hängen, dessen Mitarbeiter dank des Internet vielleicht nur drei statt fünf Tage mit Kollegen zusammentreffen müssen, Start-ups, die vielleicht nur ein Mal pro Monat in Konzernzentralen antanzen sollten – kurz: Vor allem die Digitalisierung bietet Chancen, dem Zentralisierungswahn entgegen zu wirken und den irren Wohnungsmarkt zu entlasten. So bieten die „Graswurzel-Initiativen“ gute Beispiele: „Silicon Vilstal“, Maker-Spaces aller Art in Bad Berleburg, Ettlingen, Korbach oder im Ostalbkreis, wo ein Unternehmen wie „Build’n’break“ eine Anlaufstelle für einfallsreiche Start ups einrichtet. Ohnehin sitzen viele der deutschen Weltmarktführer abseits der Großstädte. Die Aufgabe für den Bund ist klar: Die flächendeckende Glasfaserverkabelung duldet keinen Aufschub. Aber alles andere müssen Kommunen und Städte mit maßgeschneiderten Konzepten in Angriff nehmen – ohne dass der Bund reinredet. Zum Beispiel neuerdings mit Millionen aus Angela Merkels Mobilitätsfond, der an die Anschaffung neuer Busse und mehr geknüpft ist, um auf Teufel-komm-raus Fahrverbote zu vermeiden. Viele Gemeinden könnten anders agieren – und die Verkehrsvermeidung vorantreiben.

Dergleichen gehört verboten

Irrwitz des Baualltags in Deutschland, 2017 (Bild: Ursula Baus)

Ökologie und Ökonomie zwingen zu vernünftigem Haushalten. Bestand flächendeckend zu analysieren und nutzungsmäßig aufzurüsten, statt zwiebelringmäßig um vermeintliche Wirtschaftszentren neue Wohngebiete auszuweisen, neues Bauland zu erschließen, damit Boden zu versiegeln, teure Infrastruktur aufzubauen und Pendlerströme zu provozieren – all das lässt sich mit einer klaren Wahl beeinflussen.


„Wahlomaten“ gibt es viele.
Wir empfehlen inhaltlich auf Stadt und Bauen ausgerichtet:
Wahlcheck des Netzwerks Immovielien: http://www.netzwerk-immovielien.de/wahlcheck/
Und den Klassiker:
Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat/254930/bundestagswahl-2017