Berufsbilder verändern sich mit der Digitalisierung und Globalisierung ziemlich flink, und es kostet Architekten Mühe genug, bei bürokratischem Furor, digitalen Lauffeuern und baupolitischen Hakenschlägen überhaupt mitzukommen. Zeit, um die Veränderungen zu erkennen und zu analysieren, bleibt da selten. Ohne jede Nostalgie gilt es deswegen ab und an zu benennen, was denn mit neuen Arbeitsweisen verloren und gewonnen wird. Fritz Auer vergegenwärtigt in einem Buch und mit seiner Präsenz eine Epoche, in der Bauen auch ein Abenteuer sein konnte.
Ein schöner Anlass, eine heitere Atmosphäre, ein runder Geburtstag: Fritz Auers 90. wurde im Oktober an der Kunstakademie Stuttgart gefeiert – und zu feiern gab es Einiges. Wenn ein Architekt mit 90 noch rasch ein Buch auf den Weg bringt, wenn er noch immer die Entwicklung des Bauens verfolgt und nahezu täglich in „seinem Büro“ mitprägt, dann fragt man sich – ganz nebenbei –, was die jungen BerufsvertreterInnen heute mit Work-Live-Balance meinen. Hörte man, wie Fritz Auer schlagfertig auf Fragen von Ursula Schwitalla (Divia) und Gerhard Matzig (Süddeutsche Zeitung) reagierte und schaute man die hellwachen Augen des Jubilars an, dann schoss unwillkürlich der Gedanke durch den Kopf: Was muss er für einen schönen Beruf haben, wie muss er ihn – diesen Beruf – lieben.
Wie lernt man das Bauen?
So lohnt es sich, die kurz zusammengefasste Lebensgeschichte im neuen Buch zu lesen, um die Tragweite dessen zu erkennen, was die pfeilschnellen Veränderungen des Berufsbilds „Architekt“ mit sich bringen. Und ein paar Gedanken zu ergänzen, die am Festabend zur Sprache kamen.
Mit seinem Bruder schaufelte Fritz Auer 1951 die Baugrube für das elterliche Haus in Kirchentellinsfurt bei Tübingen aus. Ja wie? Ohne Bagger, Arbeitsschutz, geologisches Gutachten, Baustellenversicherung? Architekt wurde Fritz Auer, weil ihn der Auftritt des schwarz behüteten Architekten des Elternhauses beeindruckte. Ach was? Keine Berufs- oder Studienberatung in der Schule? Kein Studien-Navi? Der heute eingedenk der 10.000 deutschen Bachelor-Studiengänge seine Dienste anbietet?1) Kein Check-U der Bundesagentur für Arbeit?2) Kein Schnupperkurs an der Universität? Keine Elternstunde im Semesterkreis?
Das deutsche Architekturdiplom aufzugeben und Bachelor und Master einzuführen, zog nach sich, dass das Ausbildungsniveau deutlich gesunken ist und die Vorzüge einer sehr, sehr breiten Bildungslage dahin sind. Jahrzehnte nach Bologna lässt sich dies kaum mehr leugnen – den Studierenden ist es absolut nicht vorzuwerfen. Sondern den Kultusministerien, in denen das gesamte Bildungssystem mit immer neuen, teils nicht durchdachten und kaum aufeinander abgestimmten pädagogischen Konzepten ramponiert worden ist. Pauschale Kritik hilft kaum weiter, deutet aber die Richtung an, in der investiert werden muss: bessere Bedingungen, höheres Niveau, anerkennenswerte Abschlüsse.
Priorität der Landschaft
Es beeindruckt in Fritz Auers Rückblicken ein Mal mehr, wie einfach junge Büros vor gar nicht langer Zeit an große Aufträge gekommen sind. Es werden zwar immer wieder Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg genannt, die als Studenten den Wettbewerb für den inzwischen stillgelegten Flughafen Berlin-Tegel gewonnen haben. Aber architekturhistorisch bedeutsamer war doch der Bau der Olympischen Parklandschaft in München 1972. Galt der Entwurf zunächst als „unbaubar“, war es Egon Eiermann, der sich in der Jury für das (Bau-)Experiment stark gemacht hatte. Bemerkenswert ist, wie Fritz Auer, der damals mit seinem Studienfreund Carlo Weber beim siegreichen Büro des elf Jahre älteren Günter Behnisch beteiligt war, den Entwurfsprozess erläutert: Zuerst habe man die Landschaft geplant und dann überlegt, wie, um alles Monumentale zu vermeiden, die Bauten der Landschaft anzupassen sein könnten.
Diese Priorität der (Stadt-) Landschaft ist heute von herausragender Bedeutung, weil sie eine Option für die Abkehr von der autogerechten Stadt bot – und bietet. Hier bewahrheitet sich, dass Stadt-Modifizieren sich nicht im Verteilungskampf um Verkehrsflächen erschöpfen kann. Es müssen Konzepte her, die den öffentlichen Raum jenseits von Parkplätzen, Fahrradwegen, Bus- und Taxispuren, Überhol- und Abbiegespuren und minimierten Fußgängerwegen als Lebensraum erkennen lassen. Davon sind wir, eingedenk immer größerer Pkws, immer schnellerer Fahrräder, immer mehr zugelassener Autos, noch immer nicht aufgehobenen Firmenwagen-Privilegien weiter entfernt als je.
Nicht nur googeln. Hinfahren!
Fritz Auer ist als Jugendlicher fast zweieinhalb Jahre um die Welt gereist, nur gelegentlich in Briefkontakt mit denen zuhause. Die Strapazen, Krankheiten und Malheurs waren erwartbar – durchaus der Rede wert, aber für heutige Studierende unvorstellbar. Die Erklärung ist einfach: Es ging ja nicht anders. Dass wir heute mit dem Flugzeug für Spottpreise und komfortabel in alle Welt fliegen können: Das klingt erstmal gut, indiziert aber eine – etwa durch steuerbefreites Kerosin – subventionierte Bequemlichkeit zulasten endlicher Ressourcen und zugunsten unsäglicher Umweltverschmutzung.
Überland Reisen mit einfachen Verkehrsmitteln bringen Land, Leute und Bauten viel facettenreicher näher als die digitalen Medien, die 3D-Brillen und was es alles gibt. Fritz Auers Erfahrungen in Indien, Japan, den USA, in China, der Türkei und Griechenland ließen ihn bescheiden bleiben. Ließen ihn den Eurozentrismus infragestellen und die Arbeit in dem mit Carlo Weber 1980 gegründeten, eigenen Büro ohne fixe Vorstellungen – zumal formaler Art – reifen.
Avant la lettre: unmittelbar und „ohne Stil“
Einen „Stil“ entwickelte das Büro nicht und geriet so nicht in den Strudel des Architekturjetsets, wie man das bei gmp oder Herzog & de Meuron erlebte. Aus dem Büro Auer Weber stammen sehr dem Ort, der Landschaft angepasste Bauten, unspektakuläre Projekte, zu denen man aber gern hinschaut, die man gern besucht und benutzt. Die nächstjüngere Generation – Philipp und Moritz Auer – führen das Büro fort, sind aber bereits alt genug, um nicht mehr zum Nachwuchs zu zählen. Der sich hierzulande endlich mal und zumindest teilweise unkonventionell entwickelt, den alten, wachstumsorientierten Bürostrukturen den Rücken kehrt und mit Stil, persönlicher Handschrift und Ähnlichem nichts am Hut hat. Auch muss man anerkennen, dass Auer Weber avant la lettre eine eigene Strategie entwickelte und dabei keine Rücksicht auf einen Mainstream nahm.
Fritz Auers „Lebensreise als Architekt“ zeugt von einer Unmittelbarkeit im Erfahren und Erzeugen von Architektur, die scheinbar altmodisch klingt. Aber genau diese Unmittelbarkeit kann eine Basis dafür bilden, was ansteht: die vorrangige, weitgehend ausschließliche Hinwendung zum Bestand. Dafür machen sich junge Büros stark, Hochschulen und Politik hinken oft hinterher.
2) https://www.arbeitsagentur.de/bildung/welche-ausbildung-welches-studium-passt?mtm_campaign=bbve_checku2023&mtm_source=google&mtm_medium=paid_search&mtm_content=performance_textad_generisch_studium&mtm_placement=bbve_checku2023_flight1_google_paid_search_performance_textad_generisch_studium&mtm_group=dk2023&gclid=EAIaIQobChMIhfz_lv-kggMVQZRoCR0wSwnoEAAYAiAAEgKiPvD_BwE; siehe auch https://studienwahl.de/
Zur Berufsbildfrage siehe auch:
> die architekt 5.2023, Ein Generationenheft
> Ursula Baus: Architekten: Apokalypse now? Die Veränderung eines Berufsbildes. Stuttgart 1997