Gerade wurden der Deutsche Architekturpreis als „Staatspreis“ verliehen, die Finalisten des DAM-Architekturpreises und die Nominierungen des Mies van der Rohe Award bekannt gegeben. Lob, Preis und Ehr‘ sind für Preisträgerinnen immer erfreulich, doch ein Blick auf die ausgewählten Projekte wirft Fragen auf. Trends, Mainstream, Sensationen? Wie verfahren Auslober solcher Preise? Um welche Deutungshoheiten geht es?
Beachten Sie bitte den Leserbrief von Andreas Rauterberg am Ende des Beitrags.
Unser Glückwunsch geht erst einmal an die jungen Architekten Gustav Düsing und Max Hacke, die kein gemeinsames Büro haben, sondern bei diesem Projekt in einer Arbeitsgemeinschaft kooperierten. Und für das Studierendenhaus, das sie am Eingang des Braunschweiger Unicampus‘ gebaut haben, nun mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet worden sind. Der transparente, weitgehend verglaste Pavillon über quadratischem Grundriss gehört in die Reihe moderner Klassiker der Stahl-Glas-Konstruktionen und steht auch auf der Liste der fünf Finalisten des DAM Architekturpreises 2024,1) dessen Entscheidung Ende Januar 2024 mit Preisverleihung und Ausstellungseröffnung bekannt gemacht wird. Preisträger Gustav Düsing war Mitarbeiter im Büro der Juryvorsitzenden Regine Leibinger, woraus kein Hehl gemacht wird, Laudator Falk Jaeger erwähnt es in seinem typologisch und historisch reflektierenden Text explizit, was insofern gut ist, als dass für diesen Preis nicht extern vorgeschlagene Bauten zu bewerten sind, sondern nur die dezidiert eingereichten.2)
Der Deutsche Architekturpreis – heute Staatspreis – begann 1971 als Ruhrgas AG-Preis. Über die Geschichte dieses Preises, der maßgeblich von Jürgen Joedicke, Werner Durth und Karl Krämer geprägt wurde, haben wir 2011 bereits ausführlich > informiert. Zu dieser Zeit konnte noch über „große Fragen“ komplex diskutiert werden, und der hochrenommierte Preis mit seinen anspruchsvollen Dokumentationen hatte in den öffentlichen Debatten kulturelles „Gewicht“. Bevor es das Internet für jedermann gab, erlangte der Ruhrgas AG-, später e.on-Preis eine hohe Bekanntheit. Es hat sich vieles verändert.
Preise und Botschaften
Es stellt sich also die Frage, welche Botschaft der „Staatspreis“ im Kontext anderer nationaler Architekturpreise wie zum Beispiel dem „DAM-Preis“ sendet.3) Hier suchen Mitarbeiterinnen des Deutschen Architekturmuseums erst rund 100 „herausragende“ aus, als Folge einer „breit angelegten Recherche“.4) Dann werden von einer Jury 25 für eine Shortlist bestimmt und in weiteren Schritten eine Auswahl von 5 Bauten für die Nominierung festgelegt. Bewerben kann man sich nicht. Das „Best of“ wird laut Verlag mit „mehr als 100 qualitätsvolle(n), vorbildliche(n) Gebäude(n)“ eines DAM-Preises in einem „Architekturführer Deutschland“ versammelt,5) was denn doch einen erstaunlichen Repräsentationsanspruch erkennen lässt und eine Deutungshoheit des DAM zur Architekturentwicklung manifestiert. Ein „Führer“ muss ja keineswegs „Best of“ sein, sondern kann ein differenzierteres Bild der Entwicklungen von architekturgeschichtlicher Relevanz festhalten.
Trends oder Mainstream
In den Auslobungen und Kriterien, die die jeweiligen Auslober bekannt geben, findet sich natürlich das übliche, politisch korrekte – naja sagen wir es salopp: Blablabla. Nachhaltig sei das Bauwerk, rezyklierbar und demokratisch. Innovativ sei es, kostengünstig und funktional. Und so weiter. Die Verortung der Preise in den Gegenwartsdiskursen findet weniger über durchdachte und sprachlich vermittelte Positionen als vielmehr über die Besonderheit der ausgezeichneten, zumindest für gut befundenen Bauwerke statt. „Kriterien“ sind dabei genauso wie in der Architekturkritik eine schwierige Sache: Über das Allgemeine können sie nicht bahnbrechend hinausgehen, weil sich das Besondere, Auszeichnungswürdige ja erst im konkret Gebauten offenbart. Und Jurybegründungen werden meistens, leider, nicht mit entsprechender Argumentations- und Sprachkraft formuliert. Was dann Trend oder Mainstream sein mag, obliegt der externen Überprüfung dessen, was Aufmerksamkeit erregend als preiswürdig zusammengestellt wird. Über Material reden gerade alle: Beton pfui, Holz hui – die Halbwertzeiten einer CO2-Bilanz werden wir verfolgen.
Bei Preisverleihungen spielt auch die Inszenierung des Events durchaus ein Rolle. Dieses Jahr wählten die Auslober den Pierre Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie, den wir 2017 vorgestellt haben, siehe Seitenspalte; die Räume des Ministeriums erwiesen sich zuvor doch als allzu trocken. Junge MusikerInnen der Barenboim-Said-Akademie spielten bei dieser Veranstaltung begeisternd, allein, es war auch zu hören: Etwas mehr Glanz dürfe die Veranstaltung zum „Staatspreis“ doch haben. Was immer das sei, glanzvoller spielen können MusikerInnen kaum…
Unterm Radar: das Besondere
Das Gebaute ist also in den Preisen ausschlaggebend. Den Staatspreis Architektur erhielt in diesem Jahr, wie erwähnt, das auch auf der Shortlist des DAM-Preises zu findende Studierendenhaus der TU Braunschweig von Gustav Düsing und Max Hacke. Falk Jaeger erläutert und würdigt es mit einem weit über die Jurybewertung hinaus reichenden Beitrag in seiner funktional „überschaubaren Komplexität“.6) Nachzulesen ist dies in dem PDF der gesamten Preisdokumentation, die vom BBSR vorbildlich als > Download zur Verfügung gestellt wird.
Unerwähnt bleibt dort allerdings etwas, das ich erst in Gesprächen bei der Preisverleihung erwähnt hörte. Man fragt sich ja, wie ein solches Gebäude von zwei jungen Architekten, die nicht einmal ein gemeinsames Büro haben, gebaut worden sein kann. Das war so: Es gab einen hochschulinternen Wettbewerb für ein anderes, mit Containern bestücktes Uni-Grundstück, als der Handlungsbedarf angesichts fehlender Studierenden-Arbeitsplätze unübersehbar war. Nun gibt es an der TU Braunschweig ein Budget für autonome Initiativen – und zwar in einer Größenordnung von immerhin 2 Mio Euro. Dafür ließ sich ein wenigstens als Provisorium taugendes Studierendenhaus in Angriff nehmen. Nun hat es in Braunschweig Tradition, dass Uni-Gebäude von Uni-Professoren gebaut werden – mit exzellenten Bauten wie beispielsweise dem Hochhaus von Oesterlen, von Kraemer die Bibliothek, das Forumsgebäude und das Audimax, von Henn die Mensa.
Nun aber ging es darum, dies nicht fortzusetzen, sondern daran anzuknüpfen:7) mit einem hochschulinternen Wettbewerb, der sich an den wissenschaftlichen Mittelbau, also an Junge richtete. Die im deutsch-europäischen Wettbewerbswesen kaum Chancen haben, wie auch David Kasparek in seinem Beitrag erläutert.8) In diesem internen Wettbewerb blieb man unter dem Radar der unerbittlichen deutsch-europäischen Bau- und Wettbewerbsbürokratie, der Verfahrensregulierungen, des bauordnungsrechtlichen Wahns, den nicht zuletzt Architektenverbände und Bauwirtschaftslobbyisten selbst zu verantworten haben.
Dann aber stellte sich heraus, dass das Containergrundstück sich nicht für ein Studierendenhaus eignete. Der neue Standort überzeugt jetzt sehr, die Verzögerungen führten aber zu Kostensteigerungen. So what? Maßgeblich waren an der Realisierung des Gebäudes die Tragwerksplaner knippershelbig beteiligt – das lässt sich in Falk Jaegers Text gut nachlesen. In Baden-Württemberg oder Bayern ließe sich ein solches Projekt aus baubürokratischen Gründen wohl nicht realisieren, weil hier die Universitätsbauämter Landesbehörden sind – mit allem, was bauordnungsrechtlich dazu gehört.
Die Undercover-Botschaft: Staatsschuld
Und so mag eine kaum zu unterschätzende, leider nicht als solche benannte Botschaft des diesjährigen Staatspreises Architektur sein: Jeglicher Innovation und kontinuierlichen Nachwuchsförderung steht die Baurechtspraxis entgegen. Das Gleiche gilt für die Wettbewerbsverfahren, die Pfründe der Etablierten sichern, Unkonventionelles außen vor lassen, Innovation fordern – aber faktisch unterbinden. (erg. 24.10.:) Gustav Düsing musste das auch beim Wettbewerb für die Deutsche Botschaft in Tel Aviv erfahren: Ohne die Zusammenarbeit mit wolff:architekten, Architekten für nachhaltiges Bauen Walsrode und emmerik garden design, die den büromäßig quantitativen Teilnahmebedingungen am Wettbwerb entsprachen, hätte Gustav Düsing keinen Entwurf einreichen können.
Zugespitzt muss so benannt werden, was ArchitektInnen sich teils aber auch selber mit ihren Berufsverbänden eingebrockt haben.
1) https://www.dam-preis.de/de/125/dam-preis-2024/finalisten/
2) Falk Jaeger: Die Bienenstöcke kommen noch. In: Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und Bundesarchitektenkammer e. V. (Hrsg.) Dokumentation Deutscher Architekturpreis 2023. ISBN 978-3-98655-044-8, Seite 22
3) https://dam-online.de/news/die-nominierten-fuer-den-dam-preis-2024-stehen-fest/
4) So erläutert es der Jovis Verlag: https://www.gisela-graf.com/presse.php?DOC_INST=1027; im Vorwort der Herausgeber des Architekturführers heißt es „feinmaschige Recherche“.
5) https://dom-publishers.com/collections/architekturfuhrer/products/deutschland-2024
6) siehe Anmerkung 2
7) zur Liste der aktuellen InstitutsleiterInnen in Braunschweig: https://www.tu-braunschweig.de/arch/institute
8) David Kasparek zum aktuellen >>> Wettbewerb am Stuttgarter Weißenhof
Leserbrief:
>>> von Andreas Rauterberg, Hannover