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Nachbetrachtungen zur Eröffnung des Bauhaus-Museums in Weimar: Über sieben Jahre hat Wolfgang Kil das Geschehen rund um das neue Bauhaus-Museum in Weimar verfolgt. Beunruhigt von den Resultaten des ersten Wettbewerbs 1, legte er ein Dossier an, streunte hin und wieder um die Baustelle. Bevor nun, nach dem alle Rekorde brechenden Eröffnungsrummel, die ganze Entstehungsgeschichte im Archiv versinkt, sollen aus dem (Dossier-)Zettelkasten ein paar Notizen hervorgezogen werden.


Puplizistische Positionen: FAZ und SZ am 6. April 2019

Publizistische Positionen: FAZ und SZ am 6. April 2019

Hilflose Verisse

Wann hat es das zum letzten Mal gegeben? Mit höchstem staatlichen Aplomb wird ein Museumsneubau feierlich eröffnet, und eine auf Krawall gebürstete Presse überschlägt sich mit vernichtenden Urteilen: „Luftschutzbunker im Germania-Dekor“, „eingehauster havarierter Reaktor“ oder wenigstens ein „Mahnmal für etwas Schlimmes, was hier passiert ist“ – so Niklas Maak in der FAZ2. „Deutschlands Avantgarde bekommt in Weimar einen Sarkophag“, beklagt Laura Weißmüller in der SZ3 den „düsteren Klotz“, bei dessen Anblick sie, „von einer tiefen Traurigkeit“ erfasst, „Beklemmung“ verspürt angesichts all der „Lieblosigkeit“, den „verschnittenen Räumen“ und „unklaren Wegeführungen“. Auf Kompetenz bedachte Fachmagazine brauchen da üblicherweise etwas länger, aber auch unter den Bauwelt-Redakteuren gibt es kein Lächeln: „Monotonie“ und „Härte“, „nichts für empfindsame Seelen“.

Vorbereitungen am Tag vor der Eröffnung (Bild: Wolfgang Kil)

Vorbereitungen am Tag vor der Eröffnung (Bild: Wolfgang Kil)

Solche Einhelligkeit im Verriss mag, angesichts der rätselhaften Figur des Weimarer Bauhaus-Museums, vielen nachvollziehbar sein. Als öffentlicher Kommentar zu einem bauästhetischen Streitfall führt sie uns aber wieder nur an die Grenzen einer Profession: Selten war Architekturkritik hilfloser. Ein Papiertiger, der umso lauter brüllt, je weniger Chancen bestehen, am beklagten Fait accompli noch irgendwas zu beheben. Bleibt Architekturkritikern denn immer bloß das Jammern über hinabgefallene Kinder am Brunnenrand? Steckt denn nicht auch in Vorgeschichte und Werdegang des Weimarer Museums irgendein Stoff, den aufzuarbeiten für unser allgemeines Denken über Architektur von Nutzen wäre?

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Wettbewerbsmodell von 2012 (Foto: Klassik Stiftung Weimar / Lutz Edelhoff)

Die Architektin, die Jury

Wie wäre es etwa mit der Frage nach der Entscheidungsmacht. Es ist völlig unangebracht, die Architektin für ihre jetzt zu besichtigende Lösung zu schelten. Sie hat aus ihren formalen Vorlieben, typologischen Ansichten oder bauhistorischen Deutungen nie einen Hehl gemacht. Genau einen solchen, mit aufdringlicher Monumentalität irritierenden Block hatte sie 2012 zum Wettbewerb eingereicht, und der hatte es gegen härteste Konkurrenz bis in die Spitzengruppe geschafft. Unter welchen Erwägungen der (eigentlich bloß drittplatzierte) Entwurf dann im Endausscheid auf den Siegerplatz gelangte, bleibt natürlich vom Schweigen der Preisrichter gedeckt. Fest steht jedoch: Dass keine der geschmeidigeren, feiner gegliederten Pavillonlösungen, sondern der auf schroffste „Präsenz“ pochende Riegel den endlichen Zuschlag erhielt, hat die unter Vorsitz von Jörg Friedrich agierende Jury zu verantworten. Deren Mitglieder anschließend alle wieder ihrer Wege gingen.

Nachbearbeitung des preisgekrönten Entwurfs mit einer Glasfassade (Bild: Klassik Stiftung Weimar, bloomimages)

Nachbearbeitung des preisgekrönten Entwurfs mit einer Glasfassade (Bild: Klassik Stiftung Weimar, bloomimages)

Das Publikum

Doch die fortan mit dem Trumm würden leben müssen, die Einwohner Weimars also, empfanden das Votum der berufenen Experten als Affront. Sie entfachten eine ziemlich hitzige Debatte, unter deren Druck die Preisträgerin schließlich eine Überarbeitung vornahm. Ein gläserner Überwurf sollte der betongrauen Kiste zu mehr gefühlter Leichtigkeit verhelfen: „Schmale, opak satinierte Glasstreifen prägen die Fassade des Baus. Sie schweben frei ohne Rahmung und bilden einen regelmäßigen horizontalen Rhythmus, den lineare Raster aus feinen schwarzen Linien überlagern und unregelmäßig brechen.“ Mit dieser von der Bauherrin, der Weimarer Klassikstiftung4, geschürten Erwartung nahm das Baugeschehen schließlich seinen Lauf. Alle Welt, mithin auch unsere wohldotierten Edelkritiker, hatten mindestens drei Jahre Zeit, sich an das emporwachsende Ungetüm am Rande des Weimarhallenparks zu gewöhnen. Wegzudiskutieren war ja nix mehr.

Überlebte Konzepte?

Aber halt! Einmal noch wäre Gelegenheit zum Eingreifen gewesen. Weil nämlich ans Licht kam, dass es der Architektin mit der Überarbeitung ihres Erstentwurfs doch nicht so ernst gewesen war. Die Bombe platzte im Dezember 2017, als es eine Woche nach dem Richtfest (sic!) plötzlich hieß, die gläserne Alibifassade sei, zumindest unter den gegebenen Kosten- und Terminzwängen, gar nicht baubar. Daraufhin entwickelte sich ein Informationschaos aus Auskunftsverweigerung, Krisensitzungen, offenen Protestbriefen und hochnotpeinlichen Kompromissverhandlungen, in dem Lokalmedien viel Stoff für einen ausgewachsenen Architekten-Krimi fanden. In dem sich dann per Interview5 die Protagonistin, neben der Andeutung einer schon längst betriebenen Doppelplanung, en passant ein Bekenntnis zu ihrer wahren Materialvorliebe entlocken ließ. Egal, ob Glas oder Beton, wesentlich seien ihr: „Die drei Kriterien: Homogenität, Maßstäblichkeit, Horizontalität. Bei der Überlegung, welches Material am besten geeignet ist, gebe ich allen Recht, dass lange Zeit für Museen Glas als die richtige Antwort erschien. […] Tendenzen der jüngeren Generation haben indes dem Beton einen neuen Aufschwung beschert – zum Beispiel aus dem Grund, dass Beton altern und eine Patina entwickeln kann. Daher muss man für das Bauhaus-Museum nicht an einem Konzept festhalten, das sich in diesem Punkt womöglich überlebt hat. […] Letztlich vermitteln diese Gebäude zunächst nur, dass sie repräsentativ und öffentlich sind. Ob es ein Theater ist, ein Konzertsaal oder ein Museum, kann dann ein Schriftzug klären.“ Für die Inhaberin eines Lehrstuhls für Gebäudetypologien wahrlich eine bemerkenswerte Devise. Aber damit in dem Punkt wirklich Klarheit herrscht: „Eine banale Glasfassade lehnen wir ab. Bauhaus und Glas ergeben ja auch keine zwangsläufige Verbindung.“
Was vom neuerlich genervten Weimarer Publikum6 ganz anders gesehen wurde: „Nur mit der beleuchteten Glasfassade hat das neue Bauhaus-Museum überhaupt eine Chance auf Akzeptanz in der breiten Bevölkerung. Die Gestaltung war stets der Köder, der Verächtern den Betonkubus noch schmackhaft machen sollte.“ Schließlich wurden aus Hamburg, Zürich und Essen noch einmal drei Jurymitglieder eingeladen, um deren Meinung zum Konflikt zu hören. Wie nicht anders zu erwarten, votierten sie für die „Rückkehr“ zum nackten Beton. Hätten sie denn der von ihnen selbst inthronisierten Preisträgerin jetzt in den Rücken fallen sollen?

Vor der Eröffnung (Bild: Klassik Stiftung Weimar, Andrew Alberts; heike hanada laboratory for art and architecture)

Vor der Eröffnung (Bild: Klassik Stiftung Weimar, Andrew Alberts; heike hanada laboratory for art and architecture)

Himmelsleitern

Als hätte die Fassadenfrage schon allen Mut und Mitspracheehrgeiz der Klassikstiftung aufgebraucht, nahmen die künftigen Betreiber das Raumkonzept des Siegerentwurfs hin wie ein unanfechtbares Verhängnis. Aber hatten die Juroren denn im Wettbewerbsgerangel wirklich scharf auf die Grundrisse geschaut? Schon damals waren da zwischen den Geschossen tatsächlich keine anderen Verbindungswege zu finden als diese beklemmenden Stiegen, die „Himmelsleitern“!

 

 

Presserundgang bei der Eröffnung (Bild: Günther Höhne)

Presserundgang bei der Eröffnung (Bild: Günther Höhne)

Ein beliebtes Motiv unter Architekten, im Rohbauzustand prima zu fotografieren, erschweren aber im Normalbetrieb den Besucherrundgang enorm (und werden für Menschen mit Höhenangst zum wahren Horrortrip). Dass die Architektin ihr Büro in Berlin „laboratory for art and architecture“ nennt, nährt den Verdacht, hier hätte Utilitas im Zweifel gegen Venustas den Kürzeren gezogen, hätten in Beton gegossene Bilder über erwartbare Funktion triumphiert. Aber ist es nicht gerade diese prätentiöse Selbstgewissheit, die sich – als satter Zeitgeist der Jahrtausendwende – „womöglich überlebt“ haben könnte?

 


Übrigens kam von dem Taxifahrer, den eine Kollegin am Eröffnungstag nach seiner Meinung zu dem Neubau befragte, bloß ein Achselzucken: „Der Betonkasten da? Na passt doch – Bauhaus eben!“ Dieser architektursemiotische Super-GAU (= größter anzunehmender Unfug) fordert alle verfügbare Aufklärungskunst heraus; womit dann auch für die Architekturkritik noch ein Daseinszweck gefunden wäre in dem ansonsten verlorenen Spiel.

Blick vom Park aus auf die Westseite (Bild: Wolfgang Kil)

Blick vom Park aus auf die Südseite (Bild: Wolfgang Kil)


1 Wolfgang Kil: Das große Patt. In: Bauwelt 14/2012 https://www.bauwelt.de/dl/751831/bw_2012_14_0012-0017.598719.pdf

2 Niklas Maak: Die eingehauste Moderne. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 4. 2019

3 Laura Weissmüller: Das Bauhaus-Mausoleum. In: Süddeutsche Zeitung, 6. 4. 2019

4 Zit. nach Michael Baar: Neues Bauhausmuseum Weimar: Kommt doch keine Glasfassade? In: Thüringische Landeszeitung, 27. 12. 2017

5 Wolfgang Hirsch: Die Glasfassade bleibt eine Option. Ein Gespräch über das Weimarer Bauhaus-Museum mit der Architektin Heike Hanada. In: Thüringische Landeszeitung, 6. 3. 2018

6 Kommentar von Susanne Seide in Thüringische Landeszeitung, 4. 1. 2018