Das dritte Beispiel unserer Reihe „Gefährdete Arten“ in Kooperation mit der Architekturgalerie „wechselraum“ des BDA Baden-Württemberg steht an. Es zeichnet sich als Kulturbau einzigartiger Schönheit aus. Die Trinitatiskirche in Mannheim, 1956-59 von Helmut Striffler Architekten gebaut, gehört zu den Orten, an denen der Reiz des räumlichen Gestaltens für jedermann/-frau aufs Schönste spürbar wird. Die Kirche ist nicht gefährdet – aber es gibt bereits einen Abrissantrag für den Turm. Der pionierhaft moderne Bautypus wird dadurch verstümmelt und stadträumlich in der Wirkung entwertet.
Die evangelische Trinitatiskirche markiert – gleich einem Paukenschlag –, dass die Nachkriegsmoderne in Mannheim begonnen hatte. Das Ensemble aus Turm und Kirchenraum war konsequenter Ausdruck einer radikalen Neuausrichtung der protestantischen Sakralarchitektur im Südwesten – städtebaulich, architektonisch, liturgisch und künstlerisch. 1956 standen sich die Entwürfe zweier Architekten gegenüber, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Auf der einen Seite der traditionsverbundene Entwurf von Christian Schrade, Architekt der berühmten Christuskirche in der Mannheimer Oststadt, auf der anderen Seite der umstürzend moderne Entwurf des jungen Helmut Striffler (1927–2015), ein schlichter Betonkasten mit sichtbarem Bindersystem und einem freistehenden, sehr hohen Turm, der sich als kompromissloses Ausrufezeichen in die Straßenflucht schiebt.
Befürworter und Gegner standen sich in heftigen Diskussionen gegenüber: Ein Glashaus könne keine Kirche sein, überhaupt sei der Bau zu niedrig und zu einfach, „ein Schafstall“, der „sich in einem Vorort sicherlich gut machen würde“ – so Christian Schrade. Der Wunsch nach einem Neuanfang überwog, die Gesamtkirchengemeinde votierte für Striffler. Am 30. September 1956 wurde der Grundstein gelegt, ein Jahr darauf war der Rohbau vollendet.
Für die Gestaltung der Betonglaswände wurde 1957 zu einem Wettbewerb eingeladen, den Emil Kiess (Tuttlingen) und Gabriel Loire (Chartres) gewannen, erneut ein Votum für die Moderne. Dass nicht eine deutsche Firma – wie etwa Derix in Rottweil – den Auftrag erhielt, sondern ein Franzose, stieß seinerzeit manchem sauer auf. Die überragende Qualität, die brillanten Farbwirkungen und die konkurrenzlose Erfahrung des international renommierten Gabriel Loire konnte allerdings niemand wegdiskutieren, zumal es sich um eine bis dahin nicht dagewesene Fläche von etwa 820 Quadratmetern handelte. Am 1. März 1959 wurde das außergewöhnliche Bauwerk eingeweiht.
Der diaphane Raum
Die Trinitatiskirche liegt inmitten der Mannheimer Quadrate. Anstelle der historischen Blockrandbebauung sind Kirche und Campanile auf einem leicht erhöhten Plateau offen angeordnet. Der Saalbau hat die Form eines gestreckten Sechsecks und schließt mit einem flach geneigten Satteldach ab. Das konstruktive Gerüst, ein Stützen- und Bindersystem aus Stahlbeton, rhythmisiert die Fassaden. Die Zwischenräume sind mit Betonglas ausgefacht, dessen schwarz glänzende, gewebeartige Glaseinsprengsel das strenge Raster der Formsteine beleben. Das Innere offenbart entgegen jeder Erwartung einen überraschend durchlichteten Raum.
Die im Außenbau so filigran und miniaturhaft erscheinenden Dickglasstücke entfalten innen im Gegenlicht mit Blau-, Rot-, Gelb- und auch Grüntönen eine kraftvolle, expressive Wirkung. Die äußerlich glatten Formsteine geben sich im Innern als tiefe Kassetten zu erkennen, deren Laibungen als Reflektionsfläche des in Farbe getauchten Lichts fungieren. Die Betonglaswände sind als große zusammenhängende Bildflächen konzipiert, deren Motive zentrale Glaubensinhalte transportieren: die Schöpfungsgeschichte, die Sakramente, die Tore Jerusalems und die Symbole der Trinität.
Wie außen treten die senkrecht und quer aufgespannten Stützen und Dachbinder ordnend in Erscheinung. Die zwischen Wandabschluss und Dachkante umlaufende, klar verglaste Lichtfuge vermittelt den Eindruck, als „schwebten“ die großen und schweren Dachkassetten über dem Raum. Die zunächst zur Mitte ausweichenden und dann auf die Ostwand zufluchtenden Außenwände erzeugen eine leichte Zentrierung, die der liturgischen Funktion des einstigen Gottesdienstraums entgegenkam. Aufgrund der überragenden architektonischen und künstlerischen Qualität wurde die Trinitatiskirche 1994 gem. § 12 Denkmalschutzgesetz als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen.
Wie umnutzen?
Schwindende Mitgliederzahlen führten bereits in den frühen 2000er Jahren zur sukzessiven Aufgabe der Kirchennutzung. Seit 2005 wird über Abbruch und Umnutzung des denkmalgeschützten Bauwerks diskutiert. Aus einem 2015 ausgeschriebenen, mehrstufigen Ideenwettbewerb für eine Zwischennutzung ging das Projekt EinTanzHaus als Sieger hervor. Für die Umgestaltung in eine Spielstätte für zeitgenössischen Tanz wurden die Prinzipalien in situ reversibel eingehaust, eine Zuschauertribüne und Bühnenbauten eingestellt. Der großräumige Rundumblick ist seither eingeschränkt, doch die neue Zugänglichkeit nach langen Jahren der Schließung begeistert nachhaltig.
Der zugehörige Glockenturm ist seit 2017 eingerüstet; die Betonkassetten der Schallöffnungen der Glockenstube im oberen Drittel des Turms sind sanierungsbedürftig. Aufgrund der Finanzierungslücken sucht der Eigentümer zusätzliche Nutzungen. Ohne Funktion ist er indes nicht: Im Untergeschoss befindet sich die Grablege der Pfalzgrafen Johann (†1780) und Johann Karl Ludwig (†1789) von Pfalz-Zweibrücken, die aus dem barocken Vorgängerbau stammen. Aufgrund der ungelösten Probleme sah sich der Eigentümer 2021 veranlasst, einen Abbruchantrag zu stellen.
Ensemble-Stärken
Tatsächlich nähme das charaktervolle Ensemble großen Schaden, würde der Turm fallen. Kirche und Turm sind ein künstlerischer Organismus – sie als separate Bauten zu sehen, verkennt die engen funktionalen und konzeptionellen Bezüge. Ihre durchdachte Platzierung auf einem gemeinsamen Plateau bildet eine räumliche Struktur, die für den modernen Städtebau der frühen Nachkriegszeit charakteristisch ist. Dabei werden Teile des Außenraums als zugehörige, sinnstiftende Freiräume definiert: ein erhöhter Vorplatz für die Gemeinde, ein Rasenbett für den Kirchenbau, das Wirkungs- und Belichtungsabstände schafft, Durchwegungen zwischen Kirche, Kindergarten und Nachbarbebauung, Blickachsen für die Wahrnehmung des Turms. Der Kontrast des äußerst schlanken, hohen Campaniles zum lagernden, niedrigen Kirchenbau entfaltet eine starke räumliche Spannung, die die Eigenheiten und Gemeinsamkeiten der Bauten unterstreicht. 55 Meter in den Mannheimer Himmel ragend, verankert der Turmbau Plateau und Kirchensaal im Grundriss der Stadt und sendet ein weithin sichtbares Signal in die Umgebung.
Campanile!
Auch für sich genommen ist der Turm eine bemerkenswerte Architektur. Schmal, über quadratischem Grundriss, mit weitgehend geschlossenen Wandflächen und flach gedeckt, löst er die gängigen Schalen-, Bügel- und Scheibentürme der 1950er Jahre ab. Auf fünf Ortbetongeschosse folgt ein Stahlbetonrahmen für zwei Glockengeschosse, die mit Schallkassetten und Waschbetonplatten ausgefacht sind. Eine kupferverkleidete Diagonalaussteifung trägt das bekrönende Kreuz. Der Position und dem Baumaterial wies Striffler emotionalisierende Funktionen zu: absichtsvoll den Passanten in den Weg gestellt, sollte „dieser brutale Turm“ fremdartig erscheinen, ja „stören“ (Striffler), um die Menschen aus dem Alltag zu reißen und für eine Begegnung mit Gott zu öffnen. Dem gleichen Zweck diente der schalungsraue Beton, dessen haptisch-visuelles Potential und archaische Würde Striffler sehr schätzte.
Mit dem drohenden Abgang des Turms steht also nichts Geringeres auf dem Spiel als der Verlust eines vielschichten Bedeutungsträgers, der eine sinnstiftende Funktion sowohl für den berühmten Kirchenbau als auch für die lokale Identität des (profanen) Stadtraums erfüllt. Dem entsprechend liegt die Verantwortung nicht allein beim Eigentümer, sondern bei einem größeren Kreis von Öffentlichkeit. Anlass zur Hoffnung?
Literatur (Auswahl):
Trinitatiskirche Mannheim, Festschrift zur Einweihung, Mannheim 1959
Chris Gerbing: Leuchtende Wände in Beton. Regensburg 2013
Ute Fahrbach-Dreher: Turm vom Abbruch bedroht. In: Die Denkmalpflege 1/2021, Seite 60/61
Melanie Mertens: Licht als Baustoff. Die Trinitatiskirche in Mannheim. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 2/2021, Seite 139–144
Gefährdete Arten. Erhalt versus Abriss in Baden-Württemberg
Bis 31. März 2023
BDA Wechselraum
Zeppelin Carré, Friedrichstr. 5, Stuttgart
Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart
Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen
Finissage und Abschlussgespräch: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und den Kurator:innen.
Wir danken dem BDA Baden-Württemberg für die Kooperation.