Der Ebertplatz am nördlichen Auftakt der Kölner Ringstraße ist ein Problem: architektonisch ebenso wie mit Blick auf seine Nutzung. Im Geiste der nachkriegsmodern getrennten Verkehrswege entwickelt, hat sich hier eine aktive Drogenszene etabliert, die Antworten der Stadtpolitik scheinen sich mitunter in der resignativen Aufforderung „Zuschütten!“ zu ergehen. Doch ein Entwurf von Studierenden der hiesigen TH zeigt auf, was auch und gerade an einem solchen Ort möglich wäre, wenn der Planung im Rahmen eines Reallabors nicht permanent eine Vielzahl von Hürden in Form der üblichen Regularien in den Weg gestellt würden.
Der Ebertplatz am Rand der Kölner Kernstadt ist einer der komplizierteren Orte in der an komplexen Orten reichen Domstadt. Im Norden bildet er den Auftakt der Ringstraße, die in den 1880er-Jahren nach Plänen von Hermann-Joseph Stübben und den Vorbildern Wien und Antwerpen folgend, angelegt wurde und die Altstadtbereiche Kölns in einem weiten Halbkreis von Rheinufer zu Rheinufer umfängt. In den 1970er-Jahren wurde der zentrale Bereich im Sinne der damaligen Verkehrswende neugestaltet: Autoverkehr ebenerdig, die neue U-Bahn darunter, der Platzbereich abgesenkt. Rolltreppen führten fortan von den angrenzenden Straßen Eigelstein, Neusser- oder Sudermannstraße hinab auf eine Zwischenebene, unterirdische Passagen verbanden sie mit den U-Bahnsteigen auf der einen und den verkehrsumbrausten zentralen Teilen des ehemaligen Platzes, der sich nach Osten, jenseits der sogenannten „Nord-Süd-Fahrt“, als Theodor-Heuss-Park bis zum Rhein fortsetzt.
So verschwand der Platz sukzessive aus den Blickfeldern von Stadtpolitik und -gesellschaft. Und wie es mit derlei unbeachteten Arealen der Stadt eben so geht: Das Vakuum wird gefüllt von all jenen, die entweder aus eigenen Stücken die unbeobachtete Stille suchen, oder von der Mehrheitsgesellschaft aus ihrer Mitte verstoßen werden. Drogen- und alkoholsüchtige Menschen, Wohnungslose und andere trafen und treffen sich hier noch heute. Mit dem Unterschied, dass man seit dem 1. April diesen Jahres nicht mehr selbst den Blickkontakt der bis dahin immer möglichst unauffällig in den Winkeln der brutalistischen Platzarchitektur herumstehenden Menschen suchen muss, sondern diese einen offensiv beim Verlassen der U-Bahn ansprechen: „Brauchst du was zu rauchen?“ Was zudem ins Auge fällt: Crack ist offenkundig auch in Köln ein großes Problem.
Recht auf Stadt
Spätestens seit den 1980er-Jahren ist der Platz immer wieder Gegenstand von Entwurfsseminaren von Hochschulfakultäten gewesen, die sich der Architektur und Stadtplanung widmen – in Köln, Aachen, Düsseldorf und anderswo in der Region. Aktionen aus der Bürgerschaft und dem hiesigen BDA kamen ebenso dazu, wie Initiativentwürfe verschiedener lokaler Planungsbüros. Gemein war ihnen bis dato stets, dass sie sich an irgendeiner Stelle des komplexen Zuständigkeitsgeflechts die Zähne ausbissen. Was blieb, war ein resigniertes „Man müsste mal…“ und schließlich ein bis heute von der Kölner CDU favorisiertes Fanal, den abgesenkten zentralen Bereich des Platzes einfach zuzuschütten. Sei das Loch erst einmal zu, so die These, wären auch die mit ihm einhergehenden Probleme gelöst. Wie irrig diese Annahme ist, lässt sich derzeit im nur wenige Kilometer südlich gelegenen Bonn bestaunen, wo das in Entstehungszeit, Nutzung und daraus resultierender Problemlage sehr gleichgelagerte „Bonner Loch“ am Hauptbahnhof mit einer seelenlosen Bullshit-Architektur verfüllt wurde, die sarkastischerweise „Urban Soul“ heißt. Die als Problem titulierten suchtkranken Menschen aber sind schlicht wenige Dutzend Meter weiter nach Süden gezogen und lagern nun am Kaiserplatz.
Abgesehen von der Frage, wie tragfähig ein Baugrund wäre, in dem mehrere Passagentunnel, unterirdische Räume und 20 Meter ins Erdreich ragende Pfahl-Fundamente in wildem Zusammenspiel zwischen U-Bahn-Röhren zueinanderfinden, würden die Niveauunterschiede nivelliert, offenbart der Ebertplatz jene zentrale Frage unserer Gesellschaft, wen genau wir eigentlich meinen, wenn wir vom „Recht auf Stadt“ sprechen. Im Prinzip alle. Die Suchtkranken, die von deren Krankheit Profitierenden und die Wohnungslosen dann aber irgendwie doch nicht. Auch in Köln gibt es Budgets für soziale Arbeit vor Ort. Dauerhaft anwesende Street Worker aber gibt es nicht. Stattdessen Polizeistreifen in unregelmäßiger Folge.
Zwischennutzung als Perspektive
Wie es mit dem Platz weitergehen kann, sollte also eine Zwischennutzung ausloten. Von ihr, so versprach man sich, könnten zum einen Impulse für ein gelingendes Miteinander ausgehen, zum anderen für tragfähige Nutzungskonzepte, mit denen ein Mehr an sogenannter sozialer Kontrolle und in ihrer Folge größere Aufenthaltsqualitäten verbunden wären. Auch ein Design-Built-Projekt der TH Köln unter Leitung von Susanne Kothe und Chris Schroer-Heiermann nahm sich dem Ort als Teil dieser Zwischennutzung an. Über drei Semester arbeiteten die Studierenden in Seminaren und Stegreifentwürfen am und zum Ort, setzten sich mit den verschiedenen Akteur:innen, Vereinen und Initiativen auseinander und entwickelten schließlich drei temporäre Interventionen, deren Ziel einerseits unterschiedliche Nutzungen ermöglichen und damit schlussendlich Aufenthaltsqualität steigern sollten – dies durch eine Vielzahl unterschiedlicher, wenn schon nicht dauerhafter, so doch immerhin wiederkehrender Veranstaltungen mit unterschiedlichem Publikum.
Zum einen sah dieser Plan vor, die tiefliegende Ebene des Platzes mit einer von den Studierenden gefertigten Skulptur auch im Stadtraum der umliegenden Straßen sichtbarer zu machen. Auf dem sechseckigen Lichthof der Passage, die den Platz mit den Ausgängen an der Sundermannstraße und der Neusser Straße verbindet, sollte ein mit „Bändern bespanntes Hexagon“ als Holzkonstruktion entstehen, die Passage und Platz im Stadtgedächtnis neu hätte verankern können. Dazu hätten „Bänke und ein leicht erhöhtes Plateau, das als Plattform vor dem African Drum platziert wird“ kommen sollen. Gefertigt ebenfalls aus Holz und von den Studierenden gefügt, hätten sie die auf Sechsecken aufgebaute Formensprache der Passage aufgenommen und so gefertigt sein sollen, „dass sie nach der dreimonatigen Installation in der Ebertplatz-Passage auch an einem anderen Ort zum Einsatz kommen können.“ African Drum ist einer der Läden, der neben verschiedenen Kunsträumen die Passage und damit den Platz seit geraumer Zeit mit Leben und kultureller Vielfalt versorgen. (Siehe den Beitrag Stadtverhandlung). Als drittes Element wurde eine hölzerne Freitreppe entwickelt, die über einen neuen Zebrastreifen – über den Ring hinweg – den Eigelstein als direkten Weg mit Aussichtsplattformen über den Ebertplatz mit dem tiefliegenden Platzniveau hätte verbinden sollen. Dafür wurde der Treppenabgang am Eigelstein geschlossen. An der häufigen Verwendung des Konjunktivs in diesem Absatz lässt sich ablesen, dass nicht alle Teile dieser Planung den Weg in die Realisierung gefunden haben.
Fragment mit Potenzial
Geblieben ist allein die Freitreppe. Weil sie die Brüstung der darunterliegenden Passage überbrücken muss, die nicht entfernt werden durfte, greift sie weiter aus, als zunächst gedacht und ist damit auch steiler als gehofft. Darüber hinaus wurde der Zebrastreifen bis heute nicht von der zuständigen Behörde bewilligt, sodass die Intervention vielen Passant:innen mehr Hindernis denn Zugewinn zu sein scheint: statt vor der Ringstraße den Abgang auf die Zwischenebene einzuschlagen, müssen sie nun über die Ampel gehen und meist warten, wo eigentlich ein Zebrastreifen und damit ein ungehinderter Übergang über die Straße hätte möglich sein sollen. Dass die Treppe dann aus den genannten Gründen recht steil ist, scheint Wasser auf den Mühlen der Kritker:innen.
Dabei hat das Treppenbauwerk durchaus seine Vorzüge. Tatsächlich bietet es bis dato wenig gekannte Blicke über das Areal, mit den Sitzstufen und Zwischenpodesten lädt es potenziell zur Aneignung mit verschiedenen Nutzungen ein. Für den anstehenden EM-Sommer scheint hier einiges möglich – wenn Nagelsmanns Mannschaft da wiederum mitspielt. Es ist diesem, von den Studierenden entworfenen und eigenhändig in den Stadtraum implementierten Bauwerk nicht vorzuwerfen, dass es an verschiedenen Aspekten der Realität zwischen Planungshürden und Zuständigkeitswirren insofern gescheitert ist, als es die in es gesetzten Hoffnungen nicht in Gänze erfüllt. Im Gegenteil: Der Langmut und das Durchhaltevermögen der Studierenden und ihrer Betreuenden sind umso mehr zu loben, als es nach den Interventionen der am Ort arbeitenden Künstler:innen endlich einmal wieder gelungen ist, an diesem Ort eine konkrete Veränderung durchzuführen.
Eine Veränderung, die aufzeigt, was hier möglich sein könnte, wenn den die unterschiedlichen Akteurskonstellationen aus Künstler:innen, engagierter Bürger:innenschaft und den Planenden entwickelten Möglichkeitsräume eine Chance bekäme. Obschon nur ein Drittel der eigentlichen Planung, ist dieses Treppenfragment nach all den folgenlosen „da müsste man mal was machen“-Lippenbekenntnissen, eines der immer noch seltenen Beispiele für tatsächliche Reallabore, in denen „einfach mal gemacht“ wird. Die Wegebeziehung scheint ebenso richtig gedacht, wie die Querung des Rings mittels Zebrastreifen, die Mischung aus Treppe und Aufenthaltsort, die zwischen Dom und Hauptbahnhof so gut funktioniert, könnte auch hier eine Antwort sein. Und selbst wenn die Treppe nach dem EM-Sommer doch nur die urbane Mine für die Realisierung des von raumwerk.architekten geplanten Projektraums vor Ort sein sollte, so könnte man diese Ideen dennoch fortschreiben und die Intervention als lehrreiche Laborsituation lesen. Stadt ist Aushandlung, und Planung immer ein Experiment.