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Diese Stadt muss angeblich von den Architekten zurückgeholt werden. (Bild: pixabay)

Stilkritk (66) | In Neubauvierteln ist es nicht einfach, heimisch zu werden, und die wenigsten Neubauten sind Offenbarungen. Man kann Architekten und Planer dafür kritisieren. Wer das mit dem Holzhammer tut, wird sogar gehört. Das täuscht darüber hinweg, dass man mit einer solchen Kritik nur einen kleinen Teil des Problems erfasst.

Es ist nun schon fast ein Jahr her, da versetzte ein Münchner Stadtrat die dortige Architektenszene in Unruhe. Seine Kritik hatte in etwa diese Richtung: Zu viele Krähen, die sich gegenseitig keine Augen auskratzen wollten; immer die Gleichen bauten immer das Gleiche, und deswegen sehe es so aus, wie es eben aussehe. Trostlos. Der Stadtrat heißt Manuel Pretzl und gehört zur CSU, die es in München immer ein bisschen schwerer hat als anderswo in Bayern. Man mag seinen Architektenbashing nicht als eine besonders stilvolle Kritik empfunden haben, aber so kennt man die CSU-Mannen in der Regel, Poltergeister, die sie sind, und da die Marke CSU schon deutliche Kratzer aufwies, galt es, sie, die Marke, wieder etwas zu stärken. Für die Landtagswahl hat‘s wenig gebracht, aber heute weiß man, da hat sich jemand positioniert. Seit dem 27. November ist Pretzl nämlich Zweiter Bürgermeister der Stadt. Vielleicht war das Poltern gegen die vermeintliche Spezlwirtschaft der Architekten ein Testlauf, wie weit man gehen kann, wenn einem was nicht behagt (1). Muss wohl als Erfolg empfunden worden sein, ein wenig Staub wurde ja auch aufgewirbelt. Der Stadtrat sprang über des Stöckchen, das ihm hingehalten wurde und gab Anregungen zu Verbesserungen. Und es ist ja nicht schlecht, wenn die Zunft hin und wieder gezwungen wird, Rechenschaft abzulegen und sich dazu zu äußern, wie sie es hält mit der Vielfalt. Entsprechend hat auch die Stadtverwaltung eine Statistik erstellt. Die Ergebnisse liegen inzwischen vor, es wurde zusammengestellt, wie oft Architekten in Juries saßen, wer Vorsitzender war und wer den Wettbewerb gewonnen hat. Ergebnis: In 33 Verfahren waren mehr als die Hälfte aller Juryposten von Personen besetzt, die kein zweites Mal berufen wurden. Weil es manchmal zwei Gewinner gab, wurden 39 Wettbewerbssieger gekürt. 22 Büros kamen nur einmal zum Zug, insgesamt wurden die 39 Siege unter 27 Büros aufgeteilt. Das ist nicht die maximale Diversität, aber auch keine dräuende Monopolisierung. Luft nach unten, aber auch nach oben. Es soll ja auch besser werden, mehr offene Wettbewerbe, mehr junge Büros, Juries sollten abwechslungsreicher besetzt werden. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wieiviel es hilft? Man darf skeptisch sein.

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Die Architekten sind schuld, klar, wer denn sonst? Reclaim your City à la CSU. (Bild: Christian Holl)

Wer A sagt, …

Denn was Pretzl anschnitt, war nur ein Teil der Wahrheit. Dass die Bauten nach den Wettbewerben bis zur Unkenntlichkeit zurechtgespart werden, dass die öffentliche Hand die Vergabeverfahren so restriktiv handhabt, dass junge Büros keine Chance haben, ist der verschwiegene Teil der Wahrheit. Zum Bauen gehören immer mehrere. Architekten, Bauherren – und die öffentliche Hand, die die Rahmenbedingungen setzt. Politiker können durchaus auch ihren Beitrag dazu leisten, dass kein uniformer Mist gebaut wird – es ist die Gegenrede, die der BDA hielt, wie sich das für einen Berufsverband eben gehört.
Den Finger in die Wunde legte Anfang des Jahres die taz. Die Finanzämter der Stadt haben festgestellt, dass man nicht zu billig vermieten darf, also nicht zu weit unter dem Mietspiegel, sonst müsse man das Vermieten als Liebhaberei einstufen. Das mit Verlaub, ist ein echter Skandal  – wer hilft, dass sich Geringverdiener, die Stadt noch leisten können, wird von der öffentlichen Hand bestraft. Und zu diesen Geringverdienern gehören die, ohne die die Stadt nicht funktioniert. Polizisten, Krankenschwestern, Müllabfuhr. Hierzu Herr Pretzl, wüssten wir gerne mal Ihre Meinung. Und sagen Sie nicht, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun. Das, mit Verlaub, stimmt nicht: die extreme Preisentwicklung, die Frage, wer beim Bauen – als Investor – überhaupt noch zum Zuge kommt, hat einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, wie die Stadt aussieht. Wie vielfältig, bunt, wie abwechslungsreich, kleinteilig. Ansonsten ist das Geplärre auf die angebliche Marktmacht der Architekten nur billiger Populismus, der leider auch zum Markenkern der CSU gehört. Es ist ein wohlfeiles Geschimpfe, das sich davor scheut, die Zusammenhänge sichtbar zu machen. Das sich davor scheut, auch in die eigenen Reihen zu fragen, was zu tun sein könnte, immerhin stellt man ja den Bundesbauminister, auch wenn das ob dessen Untätigkeit auf diesem Feld gerne vergessen wird. Man dürfte auch mal nachfragen, wo und wie sich die wirtschaftliche Macht konzentriert, wie Kredite vergeben werden, was der Boden kostet. Man darf danach fragen, wieviel Sinn ein Mietspiegel macht, in den die Preiserhöhungen, die er möglich macht, gleich wieder einfließen und so das miese Spiel mit den hohen Preisen nur weiter anheizen. Auch da dürfte es mal poltern. Haben Sie den Mut dazu, Herr Pretzl?


(1) Kritisiert hatte Pretzl unter anderem, dass die Stadtgestaltungskommission einen Turm ablehnte, der ihm und anderen doch ganz gut gefallen hatte. Der Architekt allerdings fiel seinem ungerufenen Gönner Pretzl in den Rücken und meint, nach der durch die Kritik angeregten Überarbeitung, sei der Entwurf besser geworden. Da ist auch was Wahres dran.
Süddeutsche zeitung, 18. November 2018 >>>