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Im Bild: Die Laubenganghäuser an der heutigen Karl-Marx-Allee. (Foto: Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0, Lotse)


Der Dichter und die Baukunst – vorlaute und zeitgemäße Kommentare von Bertolt Brecht

Dichter dichte, baue nicht? Als Bertolt Brecht mit Helene Weigel sein Landhaus in Buckow (Märkische Schweiz) einrichtete, zog er einen Freund, den späteren DDR-Stararchitekten Hermann Henselmann zu Rate. Er erteilte ihm auch selber Ratschläge zu dessen künftigem Meisterwerk, der damaligen Stalinallee, bis heute „eine der bedeutendsten Alleen der europäischen Metropolen“ (Oscar Niemeyer). Die im Sommer 1953 in Buckow entstandene Elegie Große Zeit, vertan nimmt kritisch darauf Bezug: Ich habe gewußt, daß Städte gebaut wurden / Ich bin nicht hingefahren. / Das gehört in die Statistik, dachte ich / Nicht in die Geschichte. /Was sind schon Städte, gebaut / Ohne die Weisheit des Volkes.

Brecht-Philologen entschlüsseln diese Zeilen als Einwand gegen Henselmanns ursprünglichen, an der Sachlichkeit des Bauhauses orientierten Entwurf. An der Weberwiese waren zwei „geometrische“ Laubenganghäuser entstanden, die bis heute aus den klassizistischen Wohnpalästen hervorstechen. Dagegen schmetterte Brecht sein Verdikt.: „Die Kästen an der Stalinallee sind unmöglich“. Auch die SED-Führung tadelte diesen Stil als „formalistisch“ und bürgerlich, zur Bestürzung von Henselmann und Kollegen. Doch der Chefarchitekt des Ost-Berliner Magistrats ließ sich offenbar von Brecht und Genossen überzeugen, „dass das Bauen für Millionen Menschen ausgehen muss von den ästhetischen, den emotionalen, den geschmacklichen Vorstellungen dieser Millionen einfacher Menschen, und nicht, dass ich ihnen eine Kultur beibringe.“

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Ehemalige Stalinallee, Block C Nord, Architekt: Richard Paulick, 1953. Foto: Wikimedia Commons, Gryffindor

Lebenswerte Umgebung, stilistische Vielfalt?

Henselmann fügte sich damit der Weisung des SED-Chefs Walter Ulbricht, der 1950 die bekennenden Kosmopoliten der Architektenavantgarde aufgefordert hatte, „im Sinne des Volksempfindens“ zu bauen. In diesem Kontext sind Brechts zitierte Verse zu lesen: Er, der selbst unter „Formalismus“-Verdacht stand und im Theater gerne gegen das gesunde Volksempfinden zu Felde zog, charakterisierte es in Baufragen als „Weisheit des Volkes“ und forderte von der Architektur die Verankerung in der „Geschichte der Völker“. Die Stadtbewohner sollten nicht statistisch erfasste Masse sein, der man nach der gewaltigen Zerstörung Berlins und der meisten deutschen Städte möglich rasch „Kästen“ hinstellte. Henselmann, dem ohnehin politische Unzuverlässigkeit und ein „ungeordnetes Privatleben“ angelastet wurden, fügte sich Stalins „16 Grundsätzen des Städtebaus“ von 1950: „Sozialistisch im Inhalt, national in der Form!“

Im Juni 1953 waren es dann ausgerechnet die Bauarbeiter an der Stalinallee, die gegen hohe Arbeitsnormen protestierten und den Volksaufstand probten. Dem brachte Brecht durchaus Verständnis entgegen und tadelte die SED-Führung in dem berühmten Gedicht „Die Lösung“ (sich am besten ein anderes Volk zu wählen) und in „Die neue Mundart“ (des Kaderwelschs) ob ihrer Indolenz. Doch erblickte er im 17. Juni einen faschistischen Putsch und schickte Ulbricht eine fatale Ergebenheitsadresse.

Ein Erdgeschoss-Bereich: Fenster und Balkone vor öffentlichen Wegen und dem Abfall-Shelter – die Dachgeschosse bieten erkennbar beste Wohnqualität. (Bild: Ursula Baus)

Kästen von heute. (Bild: Ursula Baus)

Wenn man dem Dichter im Rückblick Verständnis entgegenbringen will, dann sicher nicht dafür; höchstens weil er die Architektur von reiner Zweckrationalität abzubringen und sie mit der Kunst zu verbinden suchte. Sozialismus im Wohnungsbau hieß für Brecht nicht eine (eventuell dekorativ mit Poesie oder Murals ausgestattete) Massenware zur Wiederherstellung der Arbeitskraft, sondern lebenswerte Umgebung und stilistische Vielfalt, mit der Möglichkeit zur Entfaltung der „Weisheit des Volkes“. Doch resigniert konstatierte er, die „Große Zeit“ (des Aufbruchs)  sei vertan; die uniformen, rechteckigen und lieblosen Kästen, die man auf dem Gebiet der DDR bis heute besichtigen kann, wollte er gar nicht mehr anschauen. Es drängen sich durchaus Parallelen zur hektischen Bauaktivität in attraktiven Metropolregionen heute auf, wo nun ein kapitalistischer Realismus wie am Fließband nicht minder unmögliche Kästen hinstellt, deren Weisheit einzig in der Rendite liegt und dem Volk bei Planung und Ausgestaltung auch nichts zu sagen übriglässt. Und Dichtern auch nicht mehr.


Literatur:
Bertolt Brecht, Buckower Elegien. Mit Kommentaren von Jan Knopf, Frankfurt 1986 (Edition Suhrkamp 1397)
Michael Bienert, Brechts Berlin. Literarische Schauplätze, Berlin 2018, 133ff.
Thomas Flierl (Hg.): Der Architekt, die Macht und die Baukunst. Hermann Henselmann in seiner Berliner Zeit 1949–1995, Berlin 2018
Elmar Kossel: Hermann Henselmann und die Moderne. Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR, Königstein im Taunus 2013