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Eines der neuen Stadtquartiere für die „Creative Class“. Der Kreativkai in Münster. Bild: Christian Holl

Stilkritik (34) Wer noch nicht kreativ ist, sollte es möglichst bald werden. Reich werden damit aber lange nicht alle. Das ist nun auch dem aufgefallen, der den Hype um die „kreative Klasse“ ausgelöst hat.


Wahrscheinlich erinnert sich kaum mehr einer. Vor knapp sechs Jahren hatte sich eine kleine Gruppe konservativer Journalisten und Publizisten auf Distanz zu den Konservativen begeben. Charles Moore hatte den Ton vorgegeben, Frank Schirrmacher ihn zitiert: „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“. Warum sich auch überzeugte Republikaner nicht mehr von den Republikanern vertreten gefühlt hatten, hatte Constantin Seibt analysiert – der Artikel von 2011 liest sich erschreckend aktuell. Hier findet sich beispielsweise das schöne Zitat: „Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Wer hinsieht, weiss: Es gibt keine Situation ohne Alternativen. Und damit beginnt jede Politik.“ Kann man nach wie vor unterschreiben, wie vieles andere in diesem Artikel – das liegt auch daran, dass die Wende der Intellektuellen wenig bewirkt hat. Und zwar nicht, weil Frank Schirrmacher 2014 gestorben ist. Eher daran, dass diese Wende am Ende so nachhaltig nicht war und andere Konservative offensichtlich wenig überzeugte.

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Kreative gegen Kreative: Die Uferhallen in Berlin haben ihren Besitzer gewechselt. Den Künstlern droht der Rauswurf. Die neuen Eigentümer kommen aus der Internetökonomie. Weitere Information >>>

Richard Florida ist gewiss kein Rechter. Richard Florida ist vor allem geschäftstüchtig. Richard Florida ist der, der all den Stadtpolitikern und Stadtentwicklern, den Marketingfritzen und Wirtschaftsförderern den Kopf verdreht hat mit seiner Theorie, wenn man das so nennen darf, der „Creative Class“. Die hat er nicht erfunden, aber er war es, der dafür gesorgt hat, dass Kreativität zu einem Schlüsselbegriff der Stadtentwicklung wurde. Kreativität, das klingt nach Kunst und Kultur, aber Florida steckte auch IT-Entwickler und andere Angehörige der sogenannte wissensbasierten Industrie, Ingenieure, Rechtsanwälte, mit in den Sack. Akademiker konnten sich nun als Speerspitze des Fortschritts fühlen, und sie sollten sich  wohlfühlen. Toleranz, Talent und Technologie waren die Schlagworte, unter denen Florida subsummierte, was den Erfolg einer Stadt ausmacht. Das Kreativquartier wurde auch in Deutschland, wie Till Briegleb noch 2016 in der Süddeutschen Zeitung vermeldete, zum Heilsversprechen im deutschen Städtebau. Dabei hätte man damals schon wissen können, dass man damit zu kurz springt – nicht nur, weil hierzulande die Branchen der Kreativwirtschaft enger gefasst sind. Die kreative Klasse ist bei weitem nicht so mobil, wie ihr unterstellt wird. Und mit der Toleranz ist es unter den „Kreativen“ à la Florida auch nicht immer so weit her, das zeigten Studien aus den USA, England und Deutschland. „Die soziale Mischung und Andersartigkeit im Stadtteil ist oftmals kein Wert, sondern Hindernis für die durch eine flexibilisierte Ökonomie in der Arbeitswelt zunehmend überforderten Wissens- und Kulturarbeiter, die sich im Privaten nach der Ruhe und Geborgenheit des eigenen Milieus sehnen“, so Kai Vöckler in der gerade erschienenen Zeitschrift „enorm Spezial – Stadtentwicklung“.

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Haben wir uns da ein Flittchen angelacht?

Eine ganze Weile hat Florida damit gut verdient: Als Autor, Vortragender und Berater. Jetzt aber hat er ein neues Buch geschrieben und darin verarbeitet, was er mit einer Studie schon zuvor festgestellt hatte: dass die Kreativen die Angestellten und Arbeiter aus den Innenstädten verdrängen. Die österreichische Zeitschrift derive postete auf Facebook: „Richard Florida, Creative City Guru für Stadtpolitiker landauf, landab, kehrt im aktuellen Werk die Scherben seiner lukrativen 15-jährigen Beratungstätigkeit zusammen: Die Kreativstadt bringt Reichtum für Wenige und Verdrängung für Viele – steigende Mieten und Lebenskosten, AirBnB- und Tourismus-Overkill, prekäre Kreativ- und Dienstleistungs-Jobs. Floridas neuer Vorschlag: Sozialer Wohnbau, höhere Löhne und Community-Empowerment.“ Ach.

Warum das Ganze?

Nun kann man spekulieren, was Richard Florida motiviert: Selbsterkenntnis, wissenschaftlicher Ethos, der Glaube, dass die Linken mit ihrem Gentrifidingsbums doch recht hatten? Ein schlechtes Gewissen, weil Florida so ertragreich den Begriff der Kreativität auf das wirtschaftlich Erfolgreiche verengt hatte – trotz einem im Kern möglicherweise gar marxistischem Impetus, dem Glauben an die kreativen Fähigkeiten eines Jeden und der Entfremdung, wenn sie den Wert dieser Kreativität nicht nutzen können? Oder vielleicht doch Angst um den wissenschaftlichen Ruf, die Suche nach Aufmerksamkeit und neuen Verdienstmöglichkeiten?

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Kein leichtes Geschäft, wenn die Künstler nicht nur der Schuss Ausgeflipptheit im Lifestyle-Cocktail der Distinktion sein sollen. (alle Bilder: Christian Holl)

Man tut sich schwer, Florida ein geläutertes Gewissen zu unterstellen. Das neue Buch heißt „The new Urban Crisis“. Zu marktschreierisch, um zu überzeugen, um Glauben zu machen, dass es um eine seriöse Bestandsaufnahme geht. Vor allem macht die Entweder-Oder-Rhetorik misstrauisch. Alles war ja nicht falsch – das Problem war die Verengung, die Zuspitzung. Wissensbasierte Technologien sind nach wie vor wichtig. Nur aus ihnen allein Maximen für den Städtebau abzuleiten, ist genauso falsch wie sie grundlegend zu verdammen. Es kommt jetzt darauf an, bezahlbares Wohnen mit den Chancen jener Ökonomien zu vereinbaren: Wirtschaftsförderung und Sozialpolitik, nicht Wirtschaftsförderung als Sozialpolitik. Dies zu vertreten ist leider nicht ganz so sexy, weil man damit nicht so auffällt. Und wirklich neu ist die Krise ja nun nicht, originell Floridas Vorschläge wahrlich ebenfalls nicht. Wenn wir in Zukunft gerne auf ihn hören sollen, dann muss etwas mehr kommen. Lorenz Jäger hatte 2011 geschrieben: „Adieu, Kameraden, ich bin jetzt ein Gutmensch.“ Mir ist nicht bekannt, dass er sich in letzter Zeit vehement für Menschenrechte eingesetzt oder die subtilen Unterdrückungsmechanismen im Kulturbetrieb kritisiert hätte. Anlässe hätte es mehr als genug gegeben.