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Stilkritik (37): Die neuen Wohnviertel sehen meistens nicht besonders heimelig aus. Investorenarchitektur finden wir alle furchtbar, und manche Wohnungspreise gar schon obszön. Soll das anders werden, muss sich viel ändern. Ziemlich viel. Als erstes die Art, wie wir darüber reden.  


„Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten“ – Sie kennen vermutlich die rethorische Figur, die den oder die Angesprochenen sofort an einen rosa Elefanten denken lässt. Meist ist es nicht so harmlos wie im Fall des außergewöhnlich gefärbten Dickhäuters. „Wann haben Sie aufgehört zu rauchen“ etwa ist vielleicht auch noch vergleichsweise harmlos, aber stellt erst einmal überhaupt nicht in Zweifel, dass Sie geraucht haben oder dass Sie, wenn Sie auch niemals geraucht haben, ein Typ sind, von dem man denkt, der muss doch mal geraucht haben. Man könnte ja auch fragen „Wann haben Sie aufgehört, Ihre Kinder zu schlagen?“ Das ist dann schon richtig gemein. Nach diesem Muster kommen die Klagen über den zeitgenössischen Städtebau daher. „Warum eigentlich sind unsere alten Städte in Europa schöner als alles, was Planer und Architekten je in den vergangenen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg an Neuem entwickelt haben?“ Wer das fragt, kann sich der Zustimmung des Publikums meist sicher sein, zumindest, dass die Kritik am zeitgemäßen Städtebau und dem der Nachkriegsmoderne geteilt wird. Es ist nicht mehr möglich, nicht an den rosa Elefanten zu denken, auch wenn es ihn vermutlich genauso oft gegeben hat wie eine lila Kuh. Aber damit nicht genug. Äpfel werden mit Birnbaumplantagen verglichen: Jahrhunderte versus Jahrzehnte. Schlimmer noch: ausgewählte Prachtäpfel werden mit von Mehltau befallenen Plantagen verglichen. Denn es wird ja ein weiterer rhetorischer Trick verwendet: der, der vom Nachkriegsstädtebau ausschließt, was nicht dem Klischee des dysfunktionalen und hässlichen entspricht, also den gelungenen Städtebau. Man nimmt Münster, Tübingen, Freiburg, Regensburg, aus, man nimmt die beliebten Wohnviertel in guten Lagen aus, man nimmt die Karlsruher Waldstadt und das Hansaviertel in Berlin aus. Man nimmt aus, dass die alten Städte immer wieder überformt und angepasst wurden, was man dem Nachkriegsstädtebau nicht zugesteht. Und redet lieber von Bausünden und Wohnhäusern „in Klotzform, monoton nebeneinander gewürfelt, aneinandergereiht oder aufeinandergestapelt.“ Das Gute soll nicht gesehen werden, damit man besser auf das, was derzeit gebaut wird, draufhauen kann. So wird die „abstoßende Kälte“ unter anderem des Stuttgarter Europaviertels kritisiert. Das gefällt mir ja auch nicht, das Europaviertel. Aber wenn die Sonne auch nur ein bisschen scheint, ist dort zwischen dem Einkaufszentrum Milaneo und der Stadtbibliothek die Hölle los. Urbanität bis der Arzt kommt, tut mir ja auch leid, ist aber so.

Tiefer schürfen


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Komm, wir machen Nachverdichtung. Vielleicht Aufstockung? Geht nicht? Ach. (Bilder: Christian Holl)

Und dann bekommen wir die wohlfeilen Regeln präsentiert, wie guter Städtebau zu gelingen habe. Denn: „Fast nichts, was in der Stadt in den letzten Jahren an Quartieren geschaffen wurde, reicht an die Stadtraumqualitäten von einst heran. Die aktuelle Wohnsituation lässt sich so zusammenfassen: Erst findest du monatelang keine Wohnung, dann ist sie nahezu unbezahlbar – und dann musst du feststellen, dass das neue Viertel leblos, kalt und trist aussieht.“ Also bekommen wir Regeln präsentiert, ach was, Gebote. Zwölf (zum Glück nicht zehn) sind es, die uns Gerhard Matzig in der Süddeutschen auftischt. Da wird dann, hört, hört, das Münchner Olympiadorf als vorbildlich gepriesen. Planer, Bauherrn und Architekten müssen sich eben mehr anstrengen, schreibt Matthias Alexander in der FAZ. In solchen Artikeln steht, nicht missverstehen, viel Richtiges drin. Aber was dann doch wundert, ist dass in keinem solcher Beiträge von Verkehrspolitik, Eigentumsstrukturen, kommunalen Finanzen und Steuerpolitik die Rede ist. Man liest nichts davon, dass beim Immobilienkauf die Großinvestoren bevorzugt werden. Nichts davon, dass die Kommunen nicht selten die Einnahmen aus den eigenen Wohnungsbaugesellschaften für andere Aufgaben verwenden (müssen). Nichts davon, dass die Anzahl der Autos jedes vernünftige Maß überschritten hat. Nichts von Bodenpolitik oder Erbbaurecht. Nichts von Allgemeinwohl- und Eigentumsverpflichtung. Nichts von – huh! – Enteignung oder Bauindustrielobbyismus. Davon aber muss zu lesen sein. Und vor allem: Es wäre wichtig, wenn darüber endlich nicht nur die schreiben, von denen man das sowieso erwartet. Denn wir machen uns keine schöneren Städte, wenn wir auf die Architekten oder die Planer oder die Bauherrn hauen. Oder auf die Investoren. Oder auf die Menschen, die eine Baumarkttüre auch okay finden. Es geht darum, sich von einfachen Weisheiten zu verabschieden. Anzuerkennen, dass die Nachkriegsmoderne Teil eines unglaublichen Erfolgsmodells war. An dem wir immer noch kleben, auch wenn die Hüllen ein bisschen anders aussehen. Aber es hilf nun nicht mehr, dieses Modell immer weiter fortzuschreiben – Stichwort Wachstumsfetischismus. Es muss zu lesen sein, dass es ein ziemlich kompliziertes, langwieriges und mühseliges Unterfangen ist, die Bedingungen zu ändern, unter denen die Städte so entstehen, wie sie entstehen. Klar, ich find es auch schöner, wenn die Mülltonnen nicht auf dem Bürgersteig stehen. Aber wenn sich grundlegend etwas ändern soll, muss man auch den Mut zu unbequemeren Vorschlägen haben. Bodenwertsteuer. Verdichtung und Umbau mal nicht von Siedlungen mit lediglich einem Eigentümer, sondern von bestehenden Einfamilienhausgebieten. Zum Beispiel. Dann bekommt man Leserbriefe, dann füllen sich die Kommentarspalten schnell. Dann weiß man, warum es so schwierig ist, das mit den schönen Städten.
Wenn es um einfache Antworten geht, bitte, da kann ich auch eine liefern: Die Städte wären viel schöner und sie würden anders gebaut und weiterentwickelt, wenn man den PKW-Bestand substanziell reduzierte. Sagen wir mal auf weniger als 50 Prozent des aktuellen. So dass ein PKW auf vier Bundesbürger käme statt auf zwei – genauer gesagt waren es am 1. Januar 2017 45,8 Mio. PKWs – also fast 0,7 je Einwohner. Ja, aber, also! So einfach ist das nämlich nicht. Wir wollen ja keine sozialistische Planwirtschaft. Und nicht in Freiheitsrechte eingreifen. Und nicht die Basis unseres Wohlstands untergraben. Und die Kinder, die in die Schule und danach in den Ballettunterricht, und … ach so.