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Suchbild: Wo hat sich die Stadt versteckt?
Bild: Christian Holl
Marktgeschrei (22) | Nicht immer versteht man, warum geschrieben werden muss, was in Pressemitteilungen steht. Man kann lernen, gelassen damit umzugehen, das ist bestimmt gesünder. In seltenen Momenten blitzt aber doch der Gedanke auf, es könnte sinnvoll sein, die ein oder andere marktgängige Formulierung ernst zu nehmen.

Zum Alltag des Architekturjournalisten gehört es, sich mehrmals am Tag durch Dutzende von Mails zu pflügen: Newsletter, Rundbriefe, Mitteilungen von Büros, Agenturen, freien oder halbfreien Journalisten, Fotografen, Verbänden, Herstellern, Verlagen. Sie informieren über Produkte, Neuerscheinungen, Wettbewerbe, Marktentwicklungen, Nachhaltigkeitsstrategien, Changeprozesse, Vorstandsneubesetzungen, geplante Projekte, über so gut wie oder ganz und gar fertiggestellte Gebäude. Man wird dabei mit allerlei um Originalität bemühtem Vokabular beworfen, das die Aufmerksamkeit des Adressaten erregen soll. Es ist schwer, den Verfassern der entsprechenden Zeilen einen Vorwurf zu machen. Denn es ist schon schwer, den Journalisten aus der Reserve zu locken. In jahrelangem, unerbittlichem und  aufgezwungenem Training ist der Journalist oder die Journalistin das geworden, was man veblüffungsfest nennen könnte. Als eine berufsspezifische Schutzeinrichtung ist das Erregungspotzenial des Journalisten oder der Journalistin auf ein für Außenstehende oft kaum mehr auszumachendes Häuflein verkümmert. Reine Überlebensstrategie: Journalisten hätten eine sehr kurze Lebenserwartung, wenn sie sich über alles auf- oder erregen würden, was ihnen auf den Bildschirm kommt.

Immer schön ruhig bleiben


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Das Journalistendenken folgt mitunter einer sehr eigenen Logik. Bild: Christian Holl

Bei so manchem Journalisten ist dieses Aufmerksamkeitserregungspotenzial auf einen schmalen Sektor beschränkt, auf dem er so spezialisiert ist, dass er sich und sich seine Aufmerksamkeit erregt, wenn andere noch nicht verstanden haben, wo eigentlich das Problem liegt. Und so kommt es, dass ich beim frühsportlichen Wühlen bei einer der nicht gezählten Pressemeldungen hängenblieb, die von einem neuen Hochhaus in Shenzen handelte. Das Vokabular: Sky Gardens, Public Spaces, Stadtbaustein, Wahrzeichen, Eingangstor, Identität, natürlich, gesund, Synergie – geschenkt. Über „Kommunikationszonen“ sollte man lieber nicht lange nachdenken, man käme sonst noch auf die Idee, sie am eigenen Körper zu suchen. Auch dass der Turm nicht von allen Seiten gleich aussieht – das Haus bietet, so liest man es dort, „aus den verschiedenen Blickwinkeln des städtischen Umfelds ein unterschiedliches und einzigartiges Erscheinungsbild“ muss offensichtlich gesagt werden, damit keiner auf den Gedanken kommt, das Hochhaus sei fad. Auch hier denkt man lieber nicht zu lange nach, man verliert zuviel Zeit, will man ein Haus auszumachen, das nicht aus den verschiedenen Blickwinkeln seines städtischen Umfelds ein unterschiedliches Erscheinungsbild bietet. Ich kenne keines.

Wie gesagt, das Geschäft des Pressemitteilungenschreibens ist hart. Am Ende reden dabei möglicherweise auch noch Leute mit, die nicht ständig Pressemitteilungen schreiben, Menschen, die möglicherweise außergewöhnlich gute Architekten sind, was sie aber nicht davon abhält, Brocken von dem, was sie bei der letzten Expo Real aufgeschnappt haben, für eine treffende Charakterisierung ihres Entwurfs zu halten. Sky Gardens oder so. Es spielt deswegen auch keine Rolle, von welchem Gebäude aus welchem Büro hier gerade die Rede ist, denn es geht nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Das Geschäft ist so, wie es ist; mit den Schreibern auf der einen und denen auf der anderen Seite, die jeweils bestimmte Erwartungen zu erfüllen haben. Ich habe mehr Probleme mit denen, die solche Mitteilungen einfach unredigiert übernehmen als mit denen, die sie schreiben.

Was geht und was nicht geht


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Bild und Realität von Stadt sind verschiedene Dinge. Man sollte sie nicht miteinander verwechseln. Bild: Christian Holl

Aber eines liegt mir dann doch am Herzen. Irgendwann hat meine Verblüffungsfestigkeit nachgegeben. Nämlich dort, wo die Rede von der „Vertical City“ und dem „vertikalen Stadtquartier“ war. Irgendwelche oberen Etagen im Gebäude, von dem die Pressemitteilung handelte, sind durch Public Spaces „für die Öffentlichkeit geöffnet“, über einem gemischt genutzten Sockel mit „öffentlicher Nutzung und Gewerbeeinheiten“: Büros, Hotel, Wohnungen. Das ist also ein Stadtquartier? Nein, das ist kein Stadtquartier, auch nicht ansatzweise. Ein bisschen branchenübliche Nutzungsmischung macht kein Stadtquartier. Das lässt sich mit Sicherheit sagen, auch wenn man nicht darüber aufgeklärt wird, was mit öffentlicher Nutzung eigentlich gemeint ist. Es ist kein Stadtquartier, weil hier jeder Quadratzentimeter durchgerechnet ist, überall genau bestimmt ist, was passieren darf und was nicht, zu welchen Zeiten, von welchen Menschen. Das ist so in solchen Komplexen. Wenn das so auch im Stadtquartier so ist, dann ist die Stadt tot. Dann fehlen ihr die Räume, dass sich das entwickelt, was man nicht planen kann.

Architekten dürfen gemischt genutzte Komplexe bauen und es ist eine Leistung, wenn sie sie gut gestalten. Ich habe davor großen Respekt. Eine Stadt ist aber etwas, was nicht entworfen werden kann. Wie wir heute über Stadt denken, ist eine besondere Sicht auf die Stadt, andere Menschen haben das zu anderen Zeiten anders getan, aber gerade darum geht es: dass Stadt sich verändert, dass sich verändert, was wir von ihr erwarten. Diese Erwartungen zu artikulieren und einzufordern, heißt, Stadt politisch zu verstehen. Das bringt Konflikte mit sich, für den Besitzer eines Hochhauses verständlicherweise keine angenehme Vorstellung. Aber ohne diese Dimension ist Stadt nicht Stadt. Und es kann nicht genug derer geben, die sich dafür einsetzen, dass es Räume in der Stadt für das gibt, was man nicht vorhersehen kann. Das heißt nun nicht, dass alle Architekten politische Aktivisten werden sollen. Es reicht, wenn sie verstehen, dass sie nicht für alles zuständig sein können oder müssen. Nicht dafür, wie Pressemeldungen geschrieben werden. Und auch nicht dafür, Stadt zu erschaffen.