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Manchmal geht es eben nicht weiter. Auch wenn man es bestreitet. Bild: Christian Holl

Marktgeschrei (17) | Fahrverbote und Feinstaubperioden, blaue und grüne Plaketten, falsch und richtig installierte Messstationen – man muss Experte sein, um zu wissen, was passiert, worum es jeweils genau geht – mal um Feinstaub, mal um Kohlendioxid, mal um Stickoxide. Offensichtlich sollen wir denken, es sei besser, das Denken anderen zu überlassen. Das ist keine gute Idee.

Es naht der Frühling und mit ihm das Ende der Feinstaubperiode. Sie endet am 31. März oder am 15. April, je nach Quelle und Ort oder Interesse oder Stärke der Lobbyisten oder Informiertheit oder Tagesform, ach was weiß ich. Sie endet, weil die kürzeren Nächte und das Ende der Heizperiode günstigere Luftaustauschslagen versprechen, wie das im Fachwissen vorschützenden Amtsdeutsch heißen könnte. Man kann also bald aufatmen. Dem Dieselfahrer hilft das allerdings nicht: Beim Dieselfahrverbot zum Beispiel geht es nicht um Feinstaub, sondern um Stickoxide. Und deswegen endet das Fahrverbot auch nicht mit dem Frühling.


Fakten-Check, wieso brauch ich das?


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Einer wie du. Leider. (Bild: Christian Holl)

Das Fahrverbot für alte Dieselfahrzeuge, die nicht der Euro-5-Norm entsprechen, ist in Stuttgart zum ersten Mal in einer Stadt flächendeckend seit Anfang des Jahres in Kraft. Hochrichterlich angeordnet. Im Landtag Baden-Württembergs hatte dem auch die CDU zugestimmt. Was sie nicht hinderte, zur Demonstration gegen das Fahrverbot aufzurufen. Es ist nicht das einzige Irrlicht in dieser gespenstischen Diskussion. Zwischendurch geisterte ein verwegenes Ärztepamphlet durch die Debatte, dessen Verfasser behauptete, dass die Belastungen lang nicht so hoch seien, wie immer behauptet werde. Bis sich herausstellte, dass diese Behauptung auf falschen Berechnungen beruhte und der Initiator des kruden Papiers ein pensionierter Arzt ist, der zum Thema nie wissenschaftlich publizierte. Kurzum: es dabei bleibt, dass Spinat nicht besonders viel Eisen enthält und geltende Stickoxidgrenzwerte eine Gefahr für die Gesundheit sind. Der Scheuer-Andi, auch so ein Irrlichterer, im Nebenberuf Verkehrsminister, hatte das dennoch ungerührt zum Anlass genommen, gleich mal gegen Brüssel zu schießen und die Überprüfung der Grenzwerte zu fordern. Er hat sich dabei vermutlich auf das verlassen, was er vielleicht gesunden Menschenverstand nennen würde, sein zentrales Argument gegen ein Tempolimit. Was er genau mit solchem Menschenverstand meint, ist nicht überliefert, eine sorgfältige Überprüfung und Abwägung von Argumenten, ein Urteil, das auf Fakten aufbaut, ist es wohl eher nicht. Das Tempolimit wäre nämlich nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll.

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Werte. Bild: Christian Holl

Aber das war‘s noch nicht im Gespensterballett. Wo man populistische Steilthesen gegen den bösen Staat und die vermeintliche Bevormundung der Unternehmen oder der autofahrenden Bürger loswerden kann, ist die FDP inzwischen nicht mehr weit. Deren Vorsitzender faselte kurzerhand vom Kulturkampf gegen das Auto und von der Schlüsselindustrie, die man kriminalisiere. Zur Sicherheit sei noch mal darauf hingewiesen, dass es die Schlüsselindustrie war, die gegen Recht und Gesetz verstoßen hat und dafür rechtskräftig verurteilt worden ist. Welche Kultur hier nun gegen welche kämpft, wollen wir lieber nicht so genau wissen, Herrn Lindner reicht es vermutlich, dass Kulturkampf nach Leitkultur und Abendland klingt. Dumm nur, dass er es dabei nun nicht mehr nur mit den leicht auszurechnenden und eher harmloseren Grünen zu tun hat, sondern mit  Schülerinnen und Schüler. Die, die inzwischen zu Tausenden freitags gegen die Erwachsenen demonstrieren, weil die einfach so tun, als wäre die Klimakatastrophe eine Erfindung der Klatschpresse. Damit sind wir beim Kohlendioxid.

Lindner ist empört. Schüler gehören in die Schule, wie es der auf einmal doch wieder wichtige Staat in seiner weisen Voraussicht so geplant hat. Einstweilen sind sie nämlich noch zu dumm, um zu verstehen, warum man die Lindners dieser Welt eigentlich braucht und warum sie, die Lindners, es schon richten werden. Das technisch Sinnvolle und ökonomisch Machbare im globalen Zusammenhang zu sehen, sei nämlich eine Sache für Profis, so Lindner. Damit hat er vermutlich sich selbst eingeschlossen. Was lernt man daraus? Dass das Zuviel an Kohlendioxid an der einen für ein Zuwenig an Sauerstoff an der anderen Stelle sorgt. Denn leider haben bislang die Profis für das technisch Sinnvolle und ökonomisch Machbare versagt, wahrscheinlich, weil sie vergessen haben, dass es irgendwann auch um das Wirkungsvolle gehen muss. Dafür zu sorgen wäre dann: Politik. Und Arbeit.


Schlechte Amateure


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Die Jugend hat Besseres verdient. Deswegen fordert sie das auch ein. (Bild: Christian Holl)

An die dürften sich die Herren Profis gerne machen. Sie könnten darüber nachdenken, wie man in Städten Mobilität anders denken kann, ohne die Mobilität auf dem Land über Gebühr einzuschränken, wie man in Transportketten statt in einer starren Fixierung auf ein Verkehrsmittel Kapazitäten erhöhen kann. Es gibt keinen Kulturkampf gegen das Auto. Die Frage, ob Auto oder nicht – sie ist schlichtweg irreführend, weil sie den Blick auf das verstellt, was möglich und was bedrohlich ist. Es geht darum, dort den Verkehr anders zu organisieren, wo das Auto eine Belastung ist – um die Freiräume zu haben, es dort nutzen zu können, wo man es wirklich braucht. Es geht darum zu fragen, welche Fahrzeuge wir brauchen, welche Größen sinnvoll sind, wie man Wege so organisieren kann, damit wir Verkehr vermeiden ohne Mobilität einzuschränken. Es geht darum zu fragen, warum der Versandhandel nicht die Kosten trägt, die er verursacht. Es geht darum zu fragen, warum ein alter Diesel, der so lange wie möglich gefahren wird, schlimmer ist als ein neuer Benziner, der 2,5 Tonnen wiegt, aber auch nicht mehr leistet, als meistens doch nur eine Person von A nach B zu fahren und dabei vielleicht auch in seltenen Fällen etwas Gepäck zu transportieren. Es geht darum zu fragen, welche Freiflächen wir brauchen, um die heißen Sommer zu ertragen. Straßen helfen uns da wenig. Es geht um viel zu viel, als dass wir uns diese schlechten Possenreißereien erlauben könnten, die uns nur die Zeit kosten, das zu tun, was möglich ist. Es geht darum, dass Politiker handeln, dass sie Verständnis für Handeln schaffen, dass sie die Möglichkeit zu handeln anderen ermöglichen, den Profis und den Amateuren. Es geht darum, dass wir handeln, bevor Gerichte feststellen, dass die Untätigkeit zu lange gedauert hat und erzwungen werden muss. Unfair werden die, die vom Dieselfahrverbot betroffen sind, nicht von denen behandelt, die das Gerichtsurteil umsetzen. Sie wurden von denen unfair behandelt, die sie viel zu lange im Glauben ließen, es müsse und könne nichts geändert werden.