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Gefährdet: Biologisches Camp (Ferdinand Kramer, Walther Dunkel, Helmuth Adler)

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Der Biologische Campus ist eigentlich ein Schmuckstück der Nachkriegsarchitektur, doch die Gebäude stehen seit über zehn Jahren leer und verfallen. Blick vom Botanischen Garten auf das ehemalige  Anthropologische und Botanische Institut. (Bild: Moritz Bernoully)

Seit 2011 stehen die südöstlichen Bauten des Biologischen Camps im Frankfurter Westend leer und verfallen. Mittlerweile sind sie so baufällig, dass sie nicht mehr betreten werden dürfen. Sie stehen unter Denkmalschutz, aber das hilft bei der Suche nach einer neuen Nutzung ganz offensichtlich nicht – obwohl sie auf der Hand liegt. Dass ausgerechnet das Land Hessen als Eigentümer hier seiner Verantwortung nicht gerecht wird, ist besorgniserregend.

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Lage des Campus im Stadtgebiet. Die gelben gepunkteten Linien zeigen Radwegverbindungen, die Kreise haben Radien von 500 und 1200 Metern. (Darstellung: Elisa Traut)

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Überblick über das Ensemble des Campus und mögliche Nachnutzungen. Rechts der gepunkteten Linie liegen die im Besitz des Landes Hessen befindelichen Gebäude. (Darstellung: Elisa Traut)
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Die Gebäude des Biologischen Camps wurden zwischen 1954 und 1966 von Ferdinand Kramer, Walther Dunkel und Helmuth Adler als Universitätsbauten errichtet. Sie gehören damit zu dem umfangreichen Erbe, das Ferdinand Kramer in Frankfurt hinterlassen hat. Das Camp im Frankfurter Westend zwischen neuem und alten Universitätsgelände, zwischen dem neuen Campus Westend und dem in der Nachkriegszeit errichteten Campus Bockenheim. Es teilt sich in zwei Gebäudeensembles auf: einen südöstlichen Teil (bestehend aus Institutsgebäude für Anthropologie, Botanik, Mikrobiologie und Zoologie; Hörsaalgebäude; Verbindungsgang; Gärtnerhaus und Gewächshäuser) und einen kleineren nordwestlichen Teil (bestehend aus dem etwas später fertiggestellten Labor- und Wirtschaftsgebäude, die heute vom Botanischen Garten genutzt werden). Die südöstliche Gebäudegruppe ist im Besitz des Land Hessens, die nordwestliche im Besitz der Stadt Frankfurt am Main. Bei den Planungen der Institutsbauten gingen die Architekten vor allem von funktionalen Überlegungen aus und versuchten optimale und an die Bedürfnisse ausgerichtete Lösungen zu finden. Der gesamte Komplex steht unter Denkmalschutz.


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Der Sießmeyerstraße zugewandte Fassade des Anthropologischen und Botanischen Instituts. (Bild: Moritz Bernoully)

Die Voraussetzungen sind gut – eigentlich

Seit dem Auszug der Biowissenschaften der Goethe-Universität und unter wechselnden politischen Entscheider*innen stehen die Gebäude, die im Besitz des Landes sind, seit 2011 leer. Es wurde seither über diverse Szenarien diskutiert, viele sinnvolle Nutzungen für die Bauten ließen sich finden – nicht zuletzt bezahlbaren Wohnraum in zentraler Lage. Frankfurt ist geprägt von einem eklatanten Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Der Bestand an öffentlich gefördertem Wohnraum ist in den letzten zwanzig Jahren um knapp die Hälfte gesunken. Gab es 2001 noch 39.450 geförderte Wohnungen, so sind es 2020 mit 22.773 nur noch knapp die Hälfte. Dazu kommt ein Ungleichgewicht in der Zusammensetzung an vorhandenen Wohnungs- und Haushaltsgrößen. In Frankfurt lebt die Hälfte aller Bewohner*innen alleine.

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Umnutzungsvorschlag von Elisa Traut. (Ehemaliges Antrhopologisches und Botanisches Institut mit Hörsaal; Darstellung: Elisa Traut)

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Umnutzungsvorschlag von Elisa Traut, Obergeschosse. (Darstellung: Elisa Traut)

Das Wohnraumangebot richtet sich aber immer noch an die klassische Kleinfamilie – und geht am Bedarf vieler Wohnungssuchenden vorbei. Es braucht also kreative und kluge Lösungen, Konzepte, die sich von den gängigen Standardlösungen unterscheiden, die sowohl alternative Wohnformen als auch eine Ergänzung mit weiteren Funktionen zulassen. Die Gebäude bringen gute Voraussetzungen mit, um sie wieder zu aktivieren. Die flexible Gebäudestruktur und die zentrale Lage ließen eine interessante Nutzungsmischung zu: Innen- und Außenwände können ohne statische Veränderungen versetzt werden. Darauf wies Ferdinand Kramer schon anlässlich der Eröffnung der Gebäude 1956 hin: „Einige sagen, diese Gebäude wirken wie eine Fabrik (…). Sie arbeiten in einem Hause, das weitgehend flexibel ist. Die Wände innen und außen lassen sich ohne statische Veränderung leicht versetzen.“

Öffentliche Einrichtungen und heterogene Wohn- und Arbeitsformen sind gleichermaßen vorstellbar. „In Frankfurt gibt es einen enormen Wohnraummangel, die Mieten werden immer teurer. Wie kann es da sein, dass diese Gebäude nicht genutzt werden? Das war für mich unverständlich. Man kann sie wirklich gut umnutzen“, sagt Elisa Traut. Vor fünf Jahren erarbeitete die damalige Architekturstudentin in ihrer Abschlussarbeit einen Entwurf zur Umnutzung der Gebäude, der in der Ausstellung Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand im Deutschen Architekturmuseum gezeigt wurde. Traut schlägt unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes eine Mischung aus gemeinschaftlichem Wohnen, Arbeiten, Kultur und Gastronomie sowie einen Ergänzungsbau unter anderem mit Kindertagesstätte vor.

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Blick Richtung Süden mit den beiden viergeschossigen Institutsbauten und Details der Fassade, die den vernachlässigten Zustand der Gebäude erkennen lassen. (Bilder: Moritz Bernoully)


Spekulationen und die Gemeinwohlverpflichtung


Dass Trauts Konzept noch keinen Anklang gefunden hat, liegt zum Beispiel daran, dass man mit ihm keine hohen Rendite erzielen kann. Der Gebäudebestand steht auch hier auf Grund der hohen Bodenpreise unter großem Druck und die Gebäude seien in ihrer Struktur nicht mehr ökonomisch. „Eigentümer*innen haben in Deutschland auch das Recht, ein Gebäude, das nicht mehr ökonomisch ist, was auch immer ökonomisch bedeutet, abzureißen und etwas Anderes daraus zu machen“, sagt Susanne Heeg, Professorin für Humangeografie an der Goethe-Universität Frankfurt, in einem Interview für die Ausstellung Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand. Dass das Land die Gebäude verfallen lässt, um ihren Abriss und eine lukrative Neubebauung leichter rechtfertigen zu können, ist allerdings Spekulation. Es kursierten lediglich Gerüchte darüber, was mit den Gebäuden passieren soll, eine entsprechende Anfrage hat die Universität im Vorfeld der  Ausstellung im Sommer 2022 nicht beantwortet. Ende Mai diesen Jahres berichtet die Goethe-Universität auf ihrer Website, dass sie ihr neues „Center for Critical Computational Studies“ in den Bestandsbauten unterbringen möchte.

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Bild: Christian Holl

Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sagt wörtlich: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und im Sinne dieses Wohles kann der Staat Eigentum auch enteignen. Dass es der Allgemeinheit nichts nützt, wenn das Biologische Camp leer steht, liegt auf der Hand. Das Land Hessen steht also hier in der Pflicht, die Gebäude im Sinne einer nachhaltigen, sowohl sozialen als auch ökologischen, Stadt zu entwickeln.

Welche Mittel und Wege gibt es, den Gebäudebestand trotz ökonomischer Zwänge zu schützen und im Sinne des Gemeinwohls weiterzuentwickeln? Susanne Heeg machte im bereits genannten Interview darauf aufmerksam, dass diese Möglichkeiten nicht per se rechtlich gegeben sind, sondern erkämpft oder eingefordert werden müssen: „Viele Gebäude, die erhalten werden oder erhalten geblieben sind, sind durch Anwohner*innenproteste verteidigt worden. Das heißt, dass die Nachbarschaft Wert daraufgelegt hat und legt, Gebäude quasi als einen Teil ihrer Erfahrungswelt zu belassen. Das ist das eine, also Protest, Problematisieren, Durchsetzen, Erkämpfen.“


Vorbilder in der Nachbarschaft


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Kulturcampus Bockenheim – Initiativen setzen sich für den Erhalt von Universitätsbauten ein, die seit dem Umzug der Universität auf den Campus Westend zur Disposition stehen. Die Erfolgsaussichten haben sich erhöht, der neue Planugsdezernent Gwechenberger stellt etwa den Erhalt des Juridicums in Aussicht. (Bild: Moritz Bernoully)

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Innenaufnahme Flur 2. Obergeschoss, Botanisches Institut, 2017. (Bild: Elisa Traut)

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Innenaufnahme Physiologisches Labor mit Gewächshaus, Botanisches Institut, 2017 Bild: Elisa Traut

Mehrere Beispiele hierfür finden sich in unmittelbarer Nähe des Biologischen Camps. In den 1970er-Jahren wurden in der Nachbarschaft die ersten Häuser der Bundesrepublik besetzt. Die Besetzer*innen machten auf den geplanten Abriss der Gründerzeitbauten, Wohnraummangel und ungleiche Verhältnisse in der Wohnraumvergabe in Frankfurt aufmerksam. Sie trugen mit ihrer Besetzung zum Erhalt der Gebäude bei, die bis heute das Bild der Stadt prägen. Auch in diesem Sommer wurde für eine kurze Zeit in direkter Nähe des Biologischen Camps ein ehemaliges Universitätsgebäude besetzt: die Dondorf-Druckerei. Die ehemalige Fabrik der jüdischen Unternehmerfamilie Dondorf soll abgerissen werden und einem Neubau für das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik weichen. Die Besetzer*innen fordern den Erhalt der historischen Dondorf-Druckerei als Industrie- und Kulturdenkmal unter den Aspekten einer kritischen Erinnerungskultur und in Bezug auf Nachhaltigkeit. Inzwischen haben sich der Städtebaubeirat, der örtliche BDA und die Architects for Future dieser Forderung angeschlossen.

Als weiteres Beispiel kann die Debatte rund um den Kulturcampus Bockenheim herangezogen werden, dem alten Universitätsgelände. Mehrere Initiativen, vor allem das Offene Haus der Kulturen, setzen sich hier für den Erhalt und eine alternative Umnutzung der ehemaligen Universitätsbauten ein, unter ihnen einen Vielzahl an Kramer Bauten.

Dass das Biologische Camp dennoch so lange schon leersteht, ohne dass sich Protest regt,  könnte damit zusammenhängen, dass es trotz seiner zentralen Lage etwas versteckt liegt –in einer Sackgasse, zwischen Palmengarten und Botanischem Garten. Maren Harnack, Professorin für Städtebau und Entwerfen, Frankfurt University of Applied Sciences sagte zu den Gebäuden im Vorgespräch für die Ausstellung Nichts Neues – Besser Bauen mit Bestand: „Ich glaube, die Gebäude sind nicht so im öffentlichen Bewusstsein, weil man da nicht oft vorbeikommt – das macht ganz viel aus. Der AfE-Turm zum Beispiel war im Stadtbild viel präsenter. Und es gibt aktuell auch keine Initiative, die sagt: Wir wollen das haben und etwas damit machen.“ Müssen sich also erst Bewohner*innen und Aktive in einer Stadt für Erhalt und Umnutzung einsetzen? Sollten die Vertreter:innen der öffentlichen Hand die Verantwortung für eine sozialen und ökologischen Stadtentwicklung, für das baukulturelle Erbet nicht auch ohne Protest tragen und wahrnehmen? Gerade im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte ist es unverantwortlich die Gebäude am Botanischen Garten leer stehen zu lassen und mit dem Verfall zu spekulieren. Frankfurt braucht nichtkommerzielle, nachhaltige Räume und einen sensiblen, kritischen Umgang mit der bestehenden Architektur. Das Biologische Camp ist hierzu bestens geeignet.


Hinweis: Der Text wurde am 4. Oktober, 17 Uhr, um die Information ergänzt, dass die Goethe-Universität die Räume für ein »Center for Critical Computation Studies« nutzen möchte.