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Stark gefährdet: Rathaus Lörrach von Thomas Heiß und F70

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Die dunkelgrüne Fassade des Rathauses wurde in Anlehnung an die waldreiche Gegend des Lörracher Umlandes gewählt. (Bild: Baschi Bender)

In Stuttgart wird noch bis zum 31. März die Ausstellung Ausstellung „Gefährdete Arten“ gezeigt. Sie widmet sich anhand von Fallstudien aus Baden-Württemberg Gebäuden der Nachkriegsmoderne, die ganz oder in Teilen abrissgefährdet sind, informiert über die Konflikte, die den Erhalt erschweren. Den Abschluss der Beiträge, die für die Ausstellungsdokumentation verfasst wurden und für Marlowes nun aktualisiert und zum Teil ergänzt wurden, bildet das Lörracher Rathaus. Hier wird deutlich, dass die Diskussion um die in den Gebäuden gespeicherte Energie beginnt, Wirkung zu entfalten. Noch rechtzeitig, um den Abriss dieses denkmalgeschützten Beispiels für den Verwaltungs- und Repräsentationsbaus der 1970er zu verhindern? red.

„Das Bauen eines Rathauses ist seit dem Aufblühen freier Städte im Mittelalter ein Ereignis von besonderem und seltenem Rang für die Bürger und deren Stadt.“ Mit diesen Worten eröffnete Oberbürgermeister Egon Hugenschmidt im Januar 1976 das neue Rathaus von Lörrach. Für die Stadt im Dreiländereck war es in der Tat ein seltenes Ereignis: Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte Lörrach ein neues Rathaus bauen wollen. Die Stadt war größer geworden, die Villa Favre, die das Rathaus dann ab 1927 beherbergte, zu klein und die Ämter über verschiedene Gebäude verteilt. Doch erst Mitte der 1960er-Jahre kam das Vorhaben in Gang. Die Entscheidung, den Neubau am selben Ort zu errichten, führte bei einem vielfachen Volumen nahezu zwangsläufig dazu, dass der Bau in die Höhe wachsen musste.

Vorbilder und Zeitgeist


Rathaus im Rohbau, vor Entfernung des Krans.

Das Rathaus im Rohbau, vor Entfernung des Krans, 1975. (Bild: Stadt Lörrach)

1968, als Lörrach den Wettbewerb ausschrieb, war das Rathaus von Kaiserslautern, ein 84 Meter hoher Turm von Roland Ostertag, nahezu fertig, ebenso das Abgeordnetenhaus des Bonner Bundestags von Egon Eiermann, nach dem Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier „Langer Eugen“ genannt. In Lörrach entschied sich die Jury unter Vorsitz von Eiermann aus 72 Einreichungen für den Entwurf des Freiburger Architekten Thomas Heiß: ein 17-geschossiges Turmhochhaus, verkleidet mit dunkelgrün emaillierten Aluminiumtafeln. In Anspielung auf den Bürgermeister und Eiermanns Bonner Bau erhielt es den Spitznamen „Langer Egon“. Es ist das höchste Gebäude des Landkreises und das höchste Rathaus Baden-Württembergs.

Wie viele andere Kommunen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren neue, größere Rathäuser erbaut haben, steht Lörrach nun vor der Entscheidung, wie es mit dem Rathaus weitergehen soll: Abriss und Neubau oder Revitalisierung im Bestand? Die Städte gelangen zu unterschiedlichen Einschätzungen. Kaiserslautern denkt überhaupt nicht an Abriss. Im 21. Stock befindet sich ein Aussichtsrestaurant, das sich großer Beliebtheit erfreut. In Laupheim, ebenfalls ein Bau von Ostertag, entstanden zur selben Zeit wie das Lörracher Rathaus, geht es hin und her. Das Ludwigshafener Rathaus, ein weiteres Hochhaus, soll dagegen abgerissen werden.

Nicht immer bewiesen die Kommunen, als sie große Betonklötze ins historische Altstadtgefüge setzten, eine besondere Sensibilität. Aber die Städte waren, auch durch die Gemeindereformen, gewachsen, der Raumbedarf war groß.

Worum geht es eigentlich?


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Das Rathaus liegt mitten in Lörrach und prägt das Stadtbild. Bild von 2012. (Foto: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Taxiarchos228)

Heute stellt sich die Frage, was ein Neubau, der auch nicht kleiner wäre, besser könnte als eine klimagerechte Sanierung des Bestands. Im Inneren zeigen gerade Rathäuser oftmals überraschende Qualitäten. Wenn es um Sanierung oder  Abriss und Neubau geht, stehen bauliche Qualitäten indes keineswegs immer im Mittelpunkt. Selbst das Mainzer Rathaus von Arne Jacobsen oder Gottfried Böhms Bau in Bocholt, beide denkmalgeschützt und durchaus nicht roher Beton, waren zeitweise gefährdet. Eher  werden Kostengutachten angeführt, ein Argument, das sich Gemeinderäte gern zu eigen machen. Wer will schon Geld verschwenden? Allerdings stellt sich heraus, dass solche Schätzungen – und mehr sind sie nicht – oftmals eher als Argument eingesetzt werden, um das gewünschte Ergebnis herbeizuführen, sei dies nun Erhalt oder Neubau.

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Blick von Nordosten, 2011. (Bild: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Taxiarchos228)

Kommunen, die weiter denken – wie Reutlingen oder Aalen –, setzen eher auf eine offene Diskussion und Bürgerbeteiligung, denn die Rathäuser jener Zeit sind nicht immer beliebt. Wenn aber die Argumente sorgfältig abgewogen werden oder auch wie in Aalen die Ausstellung „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster“ das Problem in einen größeren Kontext stellt, kann es sehr gut sein, dass sich der Waagzeiger am Ende in Richtung Erhalt neigt.

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Der Große Sitzungssaal im 1. OG ist Tagungsort des Gemeinderats und seiner Ausschüsse. (Bild: Baschi Bender)

In Lörrach sei inzwischen der Handlungsbedarf groß, sagt Annette Buchauer, Leiterin der eigens eingerichteten Stabsstelle. Als sich vor Jahren in einem Sturm ein Fassadenteil löste, traten Mängel an der Befestigung zutage. Notdürftig wurden die Alu-Platten neu befestigt, doch nun dringt Wasser ein. 2019 hat die Stadt beim Büro Drees & Sommer ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Machbarkeit einer Sanierung bestätigt. Untersucht wurden Tragkonstruktion, Betonqualität,  Haustechnik, Brandschutz und Erdbebensicherheit. Nach der jüngsten Schätzung ist mit Kosten über 70 Millionen Euro zu rechnen – für eine Stadt wie Lörrach eine enorme Herausforderung.


Sanierung und das CO2


Unter Klimaschutz-Gesichtspunkten ist eine Sanierung des Bestandsbaus mit Abstand die bessere Lösung: Nach einem neueren Gutachten, ebenfalls von Drees & Sommer, entstünden bei einer Grundsanierung 170 Tonnen CO2-Äquivalente, bei Abriss und Neubau dagegen 1950 Tonnen. Fast das Elffache. Unter diesen Voraussetzungen tendieren die Gemeinderatsfraktionen inzwischen mehrheitlich zu einem Erhalt, wollen aber über Alternativen im Bilde sein.

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Die Aufzüge und der Versorgungskern sind zur besseren Orientierung in verschiedenen Farben gestaltet. (Bild: Stadt Lörrach / Sarah Czerwenka)

Deshalb sollen nun auch andere Varianten untersucht werden: eine Kostenprognose für Abriss und Neubau; oder ein Umzug, temporär oder auf Dauer, in die Gebäude der Lörracher Kreisklinik, die 2025 dort auszieht, woraufhin das Grundstück an die Stadt zurückfällt; oder auch ein Neubau an dieser Stelle. Von der Lage her wäre allerdings der heutige Standort vorzuziehen.
Die Bevölkerung ist in ihren Ansichten geteilt. Auch wenn der Bau seit 2012 unter Denkmalschutz steht und Bürgermeisterin Monika Neuhöfer-Avdic meint, es sei „das schönste Rathaus der Republik“: Die Ästhetik der 1970er-Jahre, ob Beton-Brutalismus oder Vorhangfassaden, kommt nicht immer gut an. Deshalb ist nun eine Reihe von Informationsveranstaltungen geplant, bevor im November die Entscheidung fällt.


Gefährdete Arten. Erhalt versus Abriss in Baden-Württemberg

Bis 31. März 2023
BDA Wechselraum 
Zeppelin Carré, Friedrichstr. 5, Stuttgart

Eine Ausstellung des BDA Baden-Württemberg im Bündnis mit
Abrissmoratorium, Architects for Future Deutschland e.V., Arbeitskreis Bauwende – Universität Stuttgart, Bundesstiftung Baukultur und Sharing Brutalism – ABK Stuttgart

Kuratiert von Tobias Bochmann, Bernita Le Gerrette, Juliane Otterbach und Jan Theissen

Finissage und Abschlussgespräch: Freitag, 31. März 2023, 19 Uhr mit Alexander Stumm (Abrissmoratorium) und den Kurator:innen.

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