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Die dümpelnden Architekturtheoriedebatten der Gegenwart lassen an die lebhaften Diskurse der 1980er Jahre denken: Wie leidenschaftlich wurde gestritten, wie offen korrespondiert! Marlowes unterstützt ein aktuelles Kooperationsprojekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung, in dem die noch nie veröffentlichte Direktionskorrespondenz des DAM-Gründungsdirektors Heinrich Klotz unter dem Titel „Gründungsakte:n“ aufgearbeitet wird. Neu eingerichtet ist dazu ein Forschungsblog-Format, in dem das Wirken des charismatischen Architekturhistorikers und -theoretikers erschlossen wird.

Heinrich Klotz (1935-1999)

Heinrich Klotz, das Deutsche Architekturmuseum und der Konflikt um die Postmoderne: Das Kooperationsprojekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung holt größtenteils unbekannte Akten aus der Gründungszeit der Institution ans Licht. Die Archivalien liefern neue Erkenntnisse zur Geschichte des Architekturmuseums und zum stark aufgeladenen Architekturdiskurs über die Postmoderne. Das Projekt wird von dem > Forschungsblog „Gründungsakte:n“ begleitet, der Einblicke in die Archivalien gibt.1)

Blick in die Ausstellung 2014 (© DAM / Uwe Dettmar)

(© Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main; Foto: Atelier Markgraph/Heiko Profe-Bracht, Frankfurt am Main 1984)

Gründungslust

Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) entstand 1979 aus dem Nichts heraus. Es hatte keine Sammlung, und die dafür vorgesehene Villa am Schaumainkai musste erst umgebaut werden. Die etablierten Architektursammlungen in Deutschland verfolgten mit Argwohn, wie der Gründungsdirektor Heinrich Klotz eine Institution auf den Weg brachte, die bereits im Namen einen Alleinvertretungsanspruch für die deutsche Architektur formulierte – obwohl das DAM ein städtisches Museum war – und bis heute ist. Dass Klotz über die Grenzen des Landes hinausdachte, zahlreiche internationale Architekturbüros zu Wettbewerben nach Frankfurt holen konnte, lautstark gegen den „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ polemisierte und für die Postmoderne kämpfte: All das machte ihn zu einer der umtriebigsten, umstrittensten Persönlichkeiten im Architekturdiskurs der späten 1970er und 1980er Jahre.
Zum 30-jährigen Jubiläum des Museums im Jahr 2014 wurde bereits eine umfassende Ausstellung zu den Anfangsjahren des DAM präsentiert 2) und das Arbeitstagebuch von Heinrich Klotz unter dem Titel Die Klotz-Tapes. Das Making-of der Postmoderne als Sonderausgabe von Arch+ publiziert.3) Das Interesse an der Architektur der Postmoderne sowie an der Institutionsgeschichte von Architekturmuseen und Architekturausstellungen hat seither stark zugenommen, eine Vielzahl von Literatur zu diesem Thema ist erschienen.

Unveröffentlicht: die Direktionskorrespondenz

In einem Kooperationsprojekt des DAM und der Wüstenrot Stiftung werden aktuell die Archivalien zur DAM-Gründung zusammengetragen, aufgearbeitet und schließlich zugänglich gemacht. Neben den im DAM überlieferten Dokumenten von Heinrich Klotz und seinen Mitarbeitenden, insbesondere vom stellvertretenden Direktor Volker Fischer, werden auch Bestände aus anderen Sammlungen und Archiven berücksichtigt, die mit dem DAM, seinem Direktor und der postmodernen Architekturgeschichte in Verbindung stehen.
Ein unerwarteter Archivfund war, gleich zu Projektbeginn, die bislang verschollen geglaubte Direktionskorrespondenz. Die Briefe vermitteln einen Eindruck, welche Stimmung in der Architekturszene der 1980er Jahre herrschte und wie das DAM und sein Gründungsdirektor Heinrich Klotz daran beteiligt waren. In mehr als 800 Datensätzen wurde der Austausch mit 256 Briefpartner:innen digital erfasst, jetzt steht er der Forschung zur Verfügung.

(© DAM und die jeweiligen Urheber:innen bzw. ihre Rechtsnachfolger:innen)

„Die Avantgarde sind wir!“

Ein Beispiel dafür ist eine Folge von Briefen, die Heinrich Klotz 1983 bezüglich der bevorstehenden Eröffnungsausstellung des Deutschen Architekturmuseums an den Architekten Léon Krier sendete. Es beginnt mit einem Schreiben aus dem Mai 1983 (erster Brief in der Galerie oben), in welchem Heinrich Klotz Léon Krier über das Ausstellungsvorhaben informiert und ihn bittet, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Als Titel für die geplante Ausstellung gibt Klotz hier „Die Zweite Moderne“ an.
Kriers Antwortschreiben sind weder am DAM noch in seinem Vorlass an der Notre-Dame-University in Indiana, USA, überliefert, doch geht aus einem weiteren Brief von Klotz hervor, dass Krier die Einladung zur Ausstellungsbeteiligung wohl ablehnte (zweiter Brief in der Galerie oben). Klotz reagiert entsetzt und bemüht sich, ihn doch noch zu überzeugen. Er schreibt Krier, dass dieser bereits Teil einer „Bewegung“ sei und sich nicht mehr entziehen könne. Schließlich warnt er ihn: Krier riskiere, sich auf die „falsche Seite“ zu stellen.
Besonders deutlich wird Klotz im Postskriptum des Briefes. Hier erläutert er die Wahl des Ausstellungstitels und benennt dabei auch, was er als „falsche Seite” versteht:
„‚Zweite Moderne‘ ist ein Begriff, den ich anstelle des mißglückten Begriffs ‚Post-Moderne‘ gebrauche. Damit soll nicht gesagt sein, daß wir die Moderne noch einmal aufleben lassen wollen. Vielmehr ist dies ein Kampfbegriff, den ich den ‚Modernisten‘ entgegenhalte. Die Avantgarde sind wir, nicht ein Herr Behnisch oder Renzo Piano.“
In einem letzten Brief aus dem September 1983 (dritter Brief in der Galerie oben.) revidiert sich Klotz und nimmt schließlich Abstand von seinem Begriff der „Zweiten Moderne“. Er erklärt, man habe sich nun doch dazu entschlossen, die Ausstellung unter dem Titel „Postmoderne Architektur“ laufen zu lassen, zwar sei der Begriff nicht ganz treffend, aber er habe sich nun mal eingebürgert.
Krier, für den Fortschritt in der Architektur mit Rückbesinnung und historischen Bezügen verknüpft war, wollte sein Werk offensichtlich nicht unter dem Titel „Zweite Moderne” in einer Reihe mit Arbeiten von Architekten wie Venturi, Hollein und anderen präsentiert sehen. Léon Krier war in der Ausstellung letztlich nur mit wenigen Arbeiten vertreten, die das DAM bereits zuvor erworben hatte.

2317_Rev_der_ModerneWork in progress

Die Änderung des Ausstellungstitels weist zudem darauf hin, dass Klotz die Eröffnungsausstellung des DAM als Stellungnahme zur zeitgenössischen Architekturszene und ihren verschiedenen Tendenzen verstanden hat. Der endgültige Titel lautete weder, wie in den Briefen an Krier angegeben, „Zweite Moderne“ noch „Postmoderne Architektur“, stattdessen entschied man sich für den zweiteiligen Titel „Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960 – 1980“. 4)
Nur widerwillig bekannte sich Klotz zu dem bereits etablierten Begriff „Postmoderne Architektur”. In der Erklärung, die Klotz gegenüber Krier für seinen Widerstand angibt, stecken Hinweise auf größere Konflikte in der Architekturszene. Klotz zeichnet das Bild von einer in „Richtig“ und „Falsch“ gespaltenen Architekturszene. Auf theoretischer Ebene manifestiert sich die Spaltung zwischen den zwei Lagern in dem Konflikt um die Begriffe „Zweite Moderne” und „Postmoderne”. In der Baupraxis wird der Lagerkampf ausgetragen zwischen den „Modernisten”, zu denen Klotz unter anderem Günter Behnisch zählte, und der „Avantgarde”, an der Klotz Léon Krier, aber auch sich selbst beteiligt sah.

„Zweite Moderne“ versus „Postmoderne“

Die Frage nach der richtigen Bezeichnung für die neuen Architekturtendenzen wurde zu einem grundlegenden architekturtheoretischen Diskurs. Wesentlich beteiligt an diesem Diskurs waren unter anderem der Architekt und Theoretiker Charles Jencks und der DAM-Gründungsdirektor Heinrich Klotz.

Klotz hatte den Begriff „Zweite Moderne” vorgeschlagen und damit deutlich gemacht, dass er die neuen zeitgenössischen Architekturtendenzen nicht als totale Ablehnung der Moderne der 1920er Jahre versteht. In seinen Schriften betont Klotz, dass er die Moderne nicht als abgeschlossen ansieht. Vielmehr sah er „Erste” und „Zweite Moderne” als ineinandergreifend, wobei die zeitgenössische Architektur Aspekte der Ersten Moderne zum Teil revidieren und sie um erzählerische, fiktionale Werte ergänzen würde.

2317_Jencks_1977Mit seinem 1977 publizierten Buch The Language of Post-Modern Architecture 5) führte Charles Jencks den Postmoderne-Begriff aus den Geisteswissenschaften in die Architekturdiskussion ein und fasste die zuvor namenlosen zeitgenössischen Tendenzen darunter zusammen. Wesentlich für Jencks Position ist, dass er die Moderne mit der Sprengung der Siedlung Pruitt-Igoe in Saint Louis, USA im Juli 1972 für beendet erklärte: Das Ereignis sei der „Tod der Moderne“. Jencks rief Architektinnen und Architekten zur Abkehr von der Moderne im Namen einer neuen, lebendigeren Gestaltung auf und trat für einen „radikalen Eklektizismus” und Stilpluralismus ein. Postmoderne Architektur bedeutete für Jencks das Aufgreifen und Kombinieren verschiedenster historischer Stilelemente und populärer Zeichen.

Im ersten Jahrbuch für Architektur des DAM 6), erschienen 1980, distanziert sich Klotz deutlich von dieser Jencks’schen Beschreibung der Postmoderne. Er kritisiert, dass Jencks zu wenig differenziere, zu vieles als postmodern gelten lasse. So habe Jencks das Missverständnis zu verantworten, dass „nostalgische […] Ausstaffierung und geschmäcklerische […] Bedürfnisbefriedigung” mit postmoderner Architektur gleichgesetzt würden. Klotz verleiht seinem Unverständnis für diese Architekturauffassung Nachdruck, indem er schreibt, es handele sich dabei nicht mehr um Pluralismus, sondern um „Promiskuität“.

(© DAM und Archiv Charles Jencks)

Dass zwischen Klotz und Jencks eine gewisse Konkurrenz bestand, geht neben ihren Publikationen auch aus ihren Briefen hervor. Im Februar 1984 schrieb Klotz an Jencks und informierte ihn über die Änderung des Titels der Eröffnungsausstellung. Er erklärt, er habe seinen Widerstand gegen den von Jencks geprägten Begriff aufgegeben: „By the way: I gave up coining terms against you: No ‘Zweite Moderne’ any longer! The opening exhibition will be called: Die Revision der Moderne – Postmoderne Architektur 1960 – 1980! As you can see, you are unbeatable.”

Teil 2 zum Forschungsstand der „Gründungsakte:n“ >>>

2)  2004: In memoriam Heinrich Klotz. Ausstellung vom 30. Oktober 2004 bis 6. Februar 2005 im DAM Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt
2014: Mission: Postmodern – Heinrich Klotz und die Wunderkammer DAM. Ausstellung vom 10. Mai bis 19. Oktober 2014 im DAM Deutsches Architekturmuseum, Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt

4)  Ausstellung: Revision der Moderne: postmoderne Architektur 1960 – 1980. Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main, 1. Juni – 10. Oktober 1984

5)  Charles Jencks: The Language of Post-Modern Architecture, 1: 1978, 5 Auflagen bis 2002 (https://www.jencksfoundation.org/explore/text/writing-from-the-battlefield-charles-jencks-and-the-language-of-post-modern-architecture)

6)  Heinrich Klotz (Hrsg.): Jahrbuch für Architektur – Neues Bauen 1980 / 1981. Braunschweig / Wiesbaden 1980