Im Juni wäre er 100 geworden. Günther Behnisch hat seine Arbeit immer als Teil einer politischen Haltung verstanden. Darin bleibt er unverändert aktuell. Eine Ausstellung in Stuttgart würdigt sein Werk.
Er sei oft als »Baumeister der Demokratie« bezeichnet worden. So steht es auf Wikipedia und so ist es auch im Film zu hören, der zur Ausstellung »Bauen für eine offene Gesellschaft« vorgestellt wurde. Die Ausstellung präsentiert anlässlich des 100. Geburtstags von Günter Behnisch sein Werk in einem leerstehenden Erdgeschoss eines Kaufhauses, am Beginn von Stuttgarts Einkaufsmeile Königsstraße, die nach Plänen aus seinem Büro in den 1970ern neu gestaltet wurde. Die Ausstellung hätte er vermutlich gut geheißen: Der Eintritt ist frei. Ausgebreitet auf einfach erstellten Tischen und auf Holzplatten, die an Gerüste montiert sind, finden sich Pläne, Texte, Fotos, Modelle in einer an Arbeitsatmosphäre erinnernden Inszenierung – ausgewählt aus einem riesigen Fundus von 60.000 Fotos und noch mehr Plänen, die inzwischen in Karlsruhe archiviert werden. Die Zeichnungen als Reprints, neben wenigen Exponaten zu den Olympischen Spielen sind sonst nur die 19 Modelle wirkliche Originale, die mit Plexiglas geschützt werden müssen. Man sieht diesen Modellen ihr Alter an. Sie wurden gebaut, um die Architektur besser verständlich zu machen, den Prozess zu illustrieren, in dem dann auch die Gebäude entstehen sollten. Es sind keine Modelle der Repräsentation, nicht gebaut, um das eigentlich schon Fertige vorzustellen, nicht gebaut, um als verkleinerter Zwilling die Existenz des Gebäudes im kollektiven Gedächtnis zu sichern. Allein das macht schon viel von dem Architekturverständnis deutlich, mit dem im Büro Behnisch gearbeitet wurde.
Sechs Kapitel, ein Werk
Die Ausstellung passt wunderbar an diesen vom Kommerz verlassenen Ort. Passt wunderbar zur Umbruchsituation, die den Innenstädten bevorsteht und die sich hier andeutet. Die auf einmal wieder Leerstellen lässt, in denen sich etwas einnisten darf, was ursprünglich nicht vorgesehen gewesen war. Perfektion war etwas, dem Behnisch misstraut hatte, so wie er üblichen Ordnungsvorstellungen schon fast reflexhaft misstraut hatte. »Die Perfektheit, die Risikolosigkeit, die Langeweile des ,bewährten‘, alle anderen Einflüsse übertrumpfenden Verfahrens«, beklagte er 1967. Das Unfertige war ihm lieber, auch wenn es hin und wieder Gefahr laufen konnte, ins Plakative zu gleiten, beispielsweise beim Kindergarten Luginsland.
1992 hat er – im Nachruf auf James Stirling – an dessen Stuttgarter Staatsgalerie »freundliche Zeichen der Unvollkommenheit und auch von Unsicherheit« ausgemacht. Ausgerechnet an diesem Bau, dessen Entwurf er noch 15 Jahre zuvor harsch kritisiert hatte, nachdem Stirling den Wettbewerb gewonnen hatte – vor Behnisch, der in Arbeitsgemeinschaft mit Kammerer + Belz Dritter geworden war. Das zeigt etwas von der Größe Behnischs, seiner Bereitschaft, Urteile zu überprüfen und zu revidieren.
Ein Teil seiner Größe war es wohl auch, sich immer als Teil eines Teams zu sehen. Die Ideen der Mitarbeitenden waren ihm wichtig, ohne die wäre manches, was man mit seinem Namen verbindet, nicht möglich gewesen. Und es wäre ihm wohl auch fremd gewesen, an der Selbststilisierung zu arbeiten. Die Ausstellung macht es richtig: Sie ordnet das Werk nicht entlang biografischer Stationen, sondern anhand thematischer Schwerpunkte. Sechs sind es insgesamt.
Sie heißen etwa »Architektur als Prozess« (mit den Planungen für Bonn inklusive dem Plenarsaal des Bundestags, außerdem dem Frankfurter Postmuseum, heute Museum für Kommunikation) »Bauen für das Individuum und die Gesellschaft« (Diakonisches Werk in Stuttgart sowie dem Alten- und Altenpflegeheim in Reutlingen und andere) oder »Die Auflösung von Ordnungen« (unter anderem mit dem Hysolar-Gebäude, dem Kindergarten Luginsland und der Bibliothek in Eichstätt). Dass diese Titel nicht eindeutig trennscharf gewählt sind, ist kein Mangel, das verbindet die Kapitel eher miteinander, als dass es sie von einander trennt. Nur die Sektion »Situationsarchitektur« widmet sich einem einzigen Projekt: den Olympiabauten von München. Der Begriff »Situationsarchitektur« stammt aus dem Büro, Behnisch beschreibt damit die aus der Situation entwickelte Architektur: »Was wir wollten war, dass während der drei Wochen im Sommer 1972 die Olympischen Spiele als jugendliches, fröhliches, etwas unordentliches, aber lebensfrohes Spektakel in der von uns neu geschaffenen Architektur (besser hier nun: Situation) sich produzieren können.«
Wir finden in der Sektion »Reibungsflächen und Konfrontationen« die Auseinandersetzung um die Staatsgalerie ebenso wie die um den Bau am Pariser Platz für die Akademie der Künste in Berlin, die nach einer Überarbeitung und langen Auseinandersetzungen 2005 fertiggestellt wurde. Viele Zeitungsartikel und Zeitschriften lassen die damals ausgetragenen Konflikte, die zeitgenössischen Einschätzungen nachvollziehen. Filme, Radiosendungen ergänzen die Informationen, knappe, verständliche Texte ordnen das Gezeigte ein. Zeitachsen in jeder Sektion stellen die dort vertretenen Bauten in den Kontext des Zeitgeschehens. Eine Ergänzung hätte Behnisch aber wohl vorgenommen. Lebte er noch, wären wohl – und sei die Liste auch noch so lang – alle seine Mitarbeitenden in der Ausstellung genannt worden.
Demokratie braucht viele Baumeister
Dass Behnisch »Baumeister der Demokratie« sei, ist, das zeigt die Ausstellung eben auch: ein nicht glückliches Etikett. Was soll das auch sein, ein Baumeister der Demokratie? Einer, der Demokratie gebaut habe, von ihr beauftragt worden sei, einer, der darin anderen bevorzugt worden sei? Ja sicher, es ist damit ausgedrückt, dass Behnisch insbesondere mit den Bauten und Anlagen für die Olympischen Spiele, für den Bundestag etwas geschaffen hat, was der deutschen Demokratie ein Gesicht gegeben hat, was aus der Überzeugung heraus entstand, dass Räume Ausdruck dessen sind, wie Machtverhältnisse gestaltet sind, was zuzulassen eine Gesellschaft bereit ist.
Zudem war Behnisch – hineingewachsen in diese Aufgabe in den 1950er Jahren durch den Einfluss seines Lehrers Günter Wilhelm – ein Architekt von zig Schulen; einer, der mit der Architektur die Bedeutung der Erziehung plausibel sichtbar gemacht hat, der die jungen Menschen bis heute erleben lässt, dass Freiheit auch eine räumliche Dimension hat: in Ulm, Lorch, Stuttgart, Dresden, Frankfurt und anderswo. Doch er wusste auch genau, dass eine Demokratie nur dann bestehen kann, wenn sie viele Baumeister hat, auch solche, die keine Architekten sind: »Demokratische Architektur setzt voraus demokratische Verhältnisse im direkten und speziellen Falle und den Willen diese zu schaffen dort, wo sie nicht existieren.« Behninsch als »Baumeister der Demokratie« reduzierte die demokratischen Bauaufgaben auf Repräsentation – erst mit diesem Etikett wird es zum Mangel, dass Behnisch nicht im Wohnungs- oder Städtebau signifikant gewirkt hat. Ein »Baumeister der Demokratie« setzt eine merkwürdige Arbeitsteilung voraus, die die Verantwortung für das Bild oder das Symbol den Architekten zuschiebt, und damit einen autonomen Bereich schafft, der die Architektur von dem trennt, was vor der Architektur liegt – dort aber hatte im Verständnis von Behnisch das Demokratische seine Basis: »Unser Engagement sollte nicht nur in Architektur sein. Es sollte auch – oder sogar besonders – vor Architektur wirksam werden.« Auch das hatte er betont: dass das Demokratische nicht in den Gebäuden, sondern in den Prozessen liegt. Kurzum: Als »Baumeister der Demokratie« stilisiert man Behnisch zu sehr zu einem Idol. In ihm dies nicht zu sehen, wäre der Anfang davon, seine Arbeit angemessen zu würdigen.
Vorträge und Schriften
Auf einen Katalog muss der Besuchende verzichten, dafür gibt es eine wunderbare, bei avedition erschienene Textsammlung, die sich hauptsächlich aus Vorträgen zusammensetzt, die einen sehr guten Einblick in das Denken, die Skrupel, Überzeugungen gibt, die Behnischs Arbeit geprägt haben. Es sind Vorträge und Texte über die eigene Arbeit, Vorträge über die Arbeit anderer, seine Abschiedvorlesung, ein Interview. Die Zitate dieser Rezension sind dieser Sammlung entnommen – womit unterstrichen ist, wie wertvoll das Buch als Ergänzung zum Ausstellungsbesuch ist. Es ist eine solche Ergänzung auch, weil sie zumindest in einem Fall eine Lücke schließt, die die Ausstellung lässt. In ihr wird darauf verzichtet, den heutigen Zustand der Gebäude zu zeigen. Im Falle des Olympiastadions aber hatte es Diskussionen über einen Umbau zum reinen Fußballstadion gegeben. Im Buch wird deutlich, wie sich Behnisch dazu stellte. Welche Veränderungen im Olympiapark ihn ärgerten. Dass er den Konflikt nicht über das Urheberrecht lösen wollte: »Im politischen Raum muss das entschieden werden.« Man begegnet hier einem Architekten, der nicht temperamentgehemmt war, wie es Stephan Trüby in der Einleitung schreibt. Der das Gegenüber forderte, aber respektierte. Man begegnet einem Menschen, der irgendwann auch ratlos vor einer Situation steht, in der eine Diskussion – die Rede ist von der Akademie in Berlin – nicht mehr gelingen wollte. Ein Vortrag von 1995 über Scharoun endet melancholisch »Seine Hoffnungen leuchten in der Architektur unserer Zeit nur noch selten auf. Ich bedaure das. Aber ich kann es nicht ändern, und schließlich bin ich froh darüber, dass es die Werke Hans Scharouns gegeben hat und noch gibt, für mich Werke der Hoffnung auf eine bessere Welt.« Man könnte dies heute über Günter Behnisch sagen.