Der Architekt und Projektentwickler Jürgen Grossmann hat das ehemalige Verwaltungsgebäude von Müller Stahlbau in Offenburg – gebaut von Egon Eiermann – gekauft, saniert und um eine Art Zwillingsturm erweitert. Ein Streit mit der Egon-Eiermann-Gesellschaft trübt die Freude über die Rettung des Baudenkmals.
Jürgen Grossmann ist Absolvent der Karlsruher Architekturfakultät. Die Bewunderung für Egon Eiermann steckt in seiner DNA, so gründete der 1962 in Bühl (Baden) geborene Architekt 1990 in seiner Heimatstadt ein Büro. Er firmiert heute als Grossmann Group mit Sitz in Neuried (Ortenaukreis) und hat rund fünfzig Mitarbeiter. Bauen im Bestand war für Jürgen Grossmann von Anfang an ein wichtiges Thema. „Ich mache das, was jetzt gerade alle hypen, schon seit mehr als dreißig Jahren“, sagt er. Beim baden-württembergischen Staatspreis Baukultur hat er für die Umnutzung des denkmalgeschützten ehemaligen Franziskanerinnenklosters Erlenbad in Sasbach (Ortenaukreis), das 1924 bis 1926 nach einem Entwurf der Architekten Josef Graf (Karlsruhe) und Adolf Abel (Achern) entstanden ist, gerade eine Anerkennung in der Kategorie Mischnutzung erhalten.
Grossmann ist nicht nur als Architekt, sondern auch als Projektentwickler tätig. 2020 erfüllte er sich einen Traum. Nach der Insolvenz von Stahlbau Müller erwarb er gemeinsam mit seinem Partner Svet Ivanoff von der GIK Objekt GmbH das denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude in der Englerstraße in Offenburg. Dieses ist nach Plänen von Eiermann 1958 bis 1961 entstanden und nach dem Gebäude für Burda Moden (1953/54) dessen zweiter Verwaltungsbau in Offenburg.
Denkmalschutz, Abriss und zurück?
Einen Namen machte sich Grossmann durch die Rettung einer ganzen Reihe bedrohter Baudenkmäler in Mittelbaden. Beispiele sind Schloss Rittersbach und die alte Turnhalle (beide Bühl), das Badhotel Hirsch (Baden-Baden), die Gefängnisse in Offenburg und Kehl und das Gasthaus „Löwe“ in Lahr. Zum Teil ergaben sich völlig neue Nutzungen. Aus den beiden Gefängnissen wurden beispielsweise ein Hotel und ein Apartmenthaus.
In Offenburg führten die Pläne Grossmanns allerdings ab 2021 zum Konflikt mit der Egon-Eiermann-Gesellschaft. Sein Konzept sah von Anfang an vor, auf dem Gelände der ehemaligen Kasino- und Sozialgebäude einen „Zwillingsturm“ zu errichten.
Eiermann hatte das eingeschossige Kasino 1966 bis 1968 ergänzt. Es wurde allerdings (ebenso wie der Pförtnerbau) trotz Denkmalschutz vor dem Verkauf an Grossmann unerklärlicherweise abgerissen.
Die Stadt Offenburg begrüßte ausdrücklich Grossmanns Engagement für das dringend sanierungsbedürftige Verwaltungsgebäude. „Die als Bauantrag vorgelegte Planung ist nach gegenwärtigem Stand grundsätzlich bau- und denkmalrechtlich genehmigungsfähig“, erklärte Pressesprecher Florian Würth 2022. „Städtebaulich wird die Wiederaufnahme einer Nutzung positiv ausstrahlen“,
Judith Weinstock-Montag, die Vorsitzende der Eiermann-Gesellschaft, und die Kinder des Architekten, Andreas und Anna Eiermann als Inhaber des Urheberrechts, kritisierten das Projekt. „Nach den uns zugänglichen Projektunterlagen sind wir in großer Sorge und auch der Meinung, dass die geplanten Bau- und Sanierungsarbeiten, insbesondere die baulichen Anbindungen des Neubaus an den bestehenden denkmalgeschützten Bau, das Maß der Verträglichkeit und auch des rechtlich zulässigen überschreiten“, schrieb Weinstock-Montag an die Stadt Offenburg.
Eiermanns elegantes Verwaltungsgebäude ist ein fünfgeschossiges flachgedecktes Punkthaus über rechteckigem Grundriss mit innerem Kern aus Stahlbeton für die Erschließung mit Treppen und Aufzug, Sanitäreinrichtungen und einem Licht- und Luftschacht. Der Architekt hat das Gebäude für Großraumbüros konzipiert.
Die zweischichtige Fassadenwand prägt das Erscheinungsbild. Charakteristisch sind die vor der Außenwand stehenden Stahlstützen mit einem Abstand von vier Metern. Die umlaufenden, relativ schmalen und grazilen Balkone dienen, neben ihrer ästhetischen Funktion, einerseits der Beschattung der Fassaden, anderseits erleichtern sie den Fensterputzern ihre Arbeit.
Immo Boyken hat darauf hingewiesen, dass dieses Gestaltungselement erstmals mit der Fassadengestaltung des Warenhauses Merkur in Reutlingen (1952) in Eiermanns Werk zur Ausführung gekommen sei. Die „Umgänge mit einem vorgehängten Netz von Stangenwerk“ hätten sich schließlich zu einem „Markenzeichen“ Eiermanns entwickelt.
Die „Bauwelt“ urteilt 1961 über Müller Stahlbau: „Das Gebäude steht in der Nachfolge des Eiermann Rufschen Brüssel-Pavillons und ist grob gesagt, deren ortsfeste und witterungsunabhängige Weiterbildung.“ Dennoch gibt es Unterschiede. Der Deutsche Pavillon von Eiermann und Sep Ruf für die Weltausstellung 1958 in Brüssel zeigt Umgänge wie in Offenburg. Durch den Verzicht auf eine Brüstung und bodentiefe Fenster wirken die Fassaden in Brüssel aber transparenter.
Grossmann hat die Eiermann-Fassade mit großem Aufwand erhalten. Die Fensterrahmen aus Weichholz waren zum Teil verrottet und mussten ergänzt werden. Die Einfachverglasung wurde mit erheblichem handwerklichem Aufwand durch eine Doppelverglasung ersetzt. Die originalen Fassadenplatten aus Faserbeton unter den Fenstern wurden ebenso erhalten wie die bauzeitlichen Heizkörper, die Holzfaserplatten dahinter wichen einer wirkungsvolleren Dämmung.
Eiermanns filigranen und prägenden Sonnenschutz an der Fassade hat bald nach der Fertigstellung der Wind zerstört. Ein wetterfester Ersatz wäre so massiv, dass er die Eleganz zerstört hätte. Grossmann hat deshalb auf Sonnensegel verzichtet.
Vom originalen Zustand im Inneren war bereits vor Beginn der Sanierungsarbeiten fast nichts erhalten. Ursprünglich gab es auf allen Ebenen nur wenige Trennwände, beispielsweise für den Sitzungssaal und die Kasse. Der Grundriss des Erdgeschosses wird durch ein großes Foyer charakterisiert. Die Büroflächen wurden lediglich durch Schallschutzwände in Augenhöhe gegliedert, die veränderbar waren. Später wurden zum Teil Trennwände bis zur Decke eingezogen. Ob dies in Abstimmung mit Eiermann geschehen ist, bleibt unklar. Doch auch die hölzernen Trennwände mit ihren großen Fenstern hat Grossmann in das neue Innenraumkonzept einbezogen. Das Treppenhaus mit seinen Terrazzo-Fußböden und schöne Details wie die schlichten Einbauschränke in den Büros hat Grossmann ebenfalls bewahrt. So wird die Baugeschichte aus sechs Jahrzehnten ablesbar.
Eine Herausforderung sind bei Altbauten die gestiegenen Anforderungen des Brandschutzes. Die Deckenverkleidungen wurden deshalb entfernt und alle Stahlträger entsprechend behandelt.
Alt- und Neubau wurden auf drei Ebenen mit Stegen verbunden. Grossmann hat den zweiten Fluchtweg damit im Neubau nachgewiesen, um dem Baudenkmal den Anbau einer hässlichen Fluchttreppe zu ersparen.
Der fünfgeschossige Neubau ist städtebaulich klug gesetzt. Er orientiert sich in seinem Volumen am Bestand. Der Stahlbetonbau hat eine Lochfassade mit Wärmedämmverbundsystem erhalten und steht damit im bewussten Kontrast zur filigranen Architektur Eiermanns mit ihren Fensterbändern. Grossmann betont die Massivität der Wand. Der Zwillingsturm will dem Baudenkmal nicht die Show stehlen. Ursprünglich hatte Grossmann graue Klinker für die Fassade des Neubaus geplant. Auf diese wurde aus Kostengründen verzichtet.
Im Hinblick auf die Farbigkeit wirken die beiden Baukörper fast wie Positiv und Negativ. Den verschiedenen hellen Grautönen des Bestands stellt Grossmann eine Putzfassade in Anthrazit gegenüber. Im Erdgeschoss sind die beiden Gebäude durch einen eingeschossigen Trakt verbunden, in dem sich ein Sanitärgeschäft befindet. Die beiden Türme werden durch verschiedene Büros und Praxen genutzt, deren Flächen nach dem Wunsch der Mieter individuell gestaltet wurden.
Den Streit mit der Eiermann-Gesellschaft hat Grossmann auf eine für ihn typische Weise verarbeitet. Im Foyer des früheren Müller-Verwaltungsbaus gibt es ein Graffito: „Manchmal braucht man Eiermann.“ Lediglich ein Komma, das auch zum Hintergrund des Bildes gehören könnte, macht klar, dass der Text durchaus auf verschiedene Weise gelesen werden kann.