• Über Marlowes
  • Kontakt

Macht was draus!

2324_SLthomasmueller_ausstellungpanorama

DIe Ausstellung in Apolda empfängt Besuchende mit einem Panorarambild, das die angestoßenen und verwirklichten Projekte der IBA zeigt. (Bild: Thomas Müller)

Wieder geht eine IBA zu Ende, dieses Mal in Thüringen. Sie präsentiert ihr Wirken nun in Apolda im reaktivierten Eiermannbau. Ihr Aufgabenheft war gut gefüllt, und das IBA-Team hat mit bemerkenswertem Elan diese Herausforderung angenommen. Das Ergebnis von zehn Jahren Arbeit ist beeindruckend – und ernüchternd zugleich. Es zeigt, dass uns eine IBA allein nicht mehr weiterhilft, wenn die Bereitschaft fehlt, aus ihr Konsequenzen zu ziehen.

Das Sachbuch des Jahres 2023 ist von Ewald Frie: „Ein Hof und elf Geschwister“. Frie beschreibt den Wandel der Landwirtschaft aus einer persönlichen Perspektive und „die Spannungen, die sich zwischen Stadt und Land entwickelt haben und uns gegenwärtig intensiv beschäftigen“, so das Juryurteil. Die IBA Thüringen, die in diesem Jahr ihre Tätigkeit beenden wird, hat genau dies zum Thema gemacht: die Spannungen zwischen Stadt und Land. „Stadt und Land sind sich ähnlich geworden, gleich sind sie dennoch nicht“ heißt es direkt auf einer langen Tafel am Beginn der Ausstellung, die unter dem Titel »StadtLand. Von Thüringen lernen« zum Abschluss der IBA-Tätigkeit im reaktivierten Eiermannbau in Apolda (bis zum 29. Oktober) zu sehen ist, der selbst eindrucksvolles Exponat ist.

Unter dem Titel „Die Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Dort träumen sie vom Land“ heißt es weiter: „Entwickelt sich das Verhältnis von Stadt und Land weiter auseinander – Überdruck hier, Unterdruck dort – gibt es Verdruss und Protest. Menschen fühlen sich abgehängt. Lebensqualitäten und Chancen sollen gerecht verteilt sein. Aber wie organisiert man den Alltag in Stadt und Land? Und wo entstehen neue StadtLand Lebensmodelle?“

Das ist das eine Hauptthema dieser IBA: Die neuen Lebensmodelle, die sich erst beschreiben lassen, wenn man die Stadt und das Land nicht mit vermeintlich unverrückbaren, gegensätzlichen Qualitäten ausstattet, sondern die Wechselwirkungen beschreibt, die Landschaft und Land, Landstädte und Landwirtschaft, Infrastruktur, Mobilität, Energie, Versorgung und Stadt miteinander in ein enges Beziehungsgeflecht setzen. Und hier, in diesem Beziehungsgeflecht, eben nicht entweder auf der Stadt oder auf dem Land, sind die Lebensmodelle verortet, die erst dann gestaltbar werden, wenn all die vielfachen Verbindungen zur Kenntnis genommen werden – so erst macht der weite Umgriff der IBA Thüringen Sinn, der auf den ersten Blick an Überforderung grenzt. Energiewende, Mobilitätswende, Werstoffwende: Ein Tableau in der Ausstellung macht sichtbar, wie sehr die Dinge zusammenhängen und es die eine große Wende geben muss, soll das Land eine Zukunft haben.

2324_SL_Kannawurf

Am Beispiel Kannawurf, einer Gemeinde im Thüringer Becken, wurde ein Konzept für die Zukunft der Landwirtschaft entworfen, das ökologische, ökonomische und soziokulturelle Strategien zusammen betrachtet. (Foto links: Thomas Müller; Visualisierung zukunftsbild: Green4Cities GmbH, Bernhard König, 2021)

Dass die bedroht ist, daran lässt die Ausstellung keine Zweifel: „I wan’t you to panic“ – das Diktum Greta Thunbergs weist auf das zweite Hauptthema hin, das diese IBA behandelt: die Klimakrise. Sie wird mit steigenden Temperaturen verdeutlicht, Waldbränden, Extremwetterereignissen. Es ist nicht mehr einfach not to panic.


Die IBA der kleinen Orte


Das Anliegen des IBA-Teams um Geschäftsführerin Marta Doehler-Behzadi setzt auf einen Imperativ, der Thunbergs Wut wendet: „I wan’t you to act“ – Handeln statt Verzweiflung. „Immer mehr Menschen unterwerfen sich freiwillig einer gelebten Verantwortung für das Klima, für Ressourcen, unsere Ernährungsquellen, den Wasserhaushalt und anderes mehr. Überraschenderweise verfolgen sie gerade in der Stadt nicht selten landwirtschaftliche und gärtnerische Praktiken. […] Betrachten wir das Land nicht länger nur als das Umland und Umfeld, also nicht als erweiterte Funktion von und Leistungsgebiet für Stadt, so erkennen wir seinen eigenständigen Spielraum zur Zukunftsgestaltung, und zwar aus seinem Ressourcenzugang und -wissen“, so Dohler-Behzadi in der zweibändigen Abschlusspublikation.(1) Wissen und Kompetenzen des Ländlichen zu aktivieren ist, so die Botschaft, unerlässlich, um noch eine Antwort auf die drohende Verwüstung der Erde zu finden.

Deswegen geht es auch zentral um die Landwirtschaft, die – siehe Ewald Frie – nicht mehr der Träger des kulturellen und sozialen Selbstverständnisse in der Form ist, wie sie es ein Mal war. Das Vakuum, das bleibt, ist noch nicht wieder gefüllt. Nur noch 1,3 Prozent der Bevölkerung sind in der Land- und Forstwirtschaft tätig, 1950 waren es noch 25. Statt einer Verlusterzählung wird bei der IBA aber die ganzheitlich-räumliche Betrachtung konsequent weiterverfolgt: Die Bauwende brauche die Landwende: „Wo sonst, wenn nicht auf dem Land sollen erneuerbare Energien gewonnen und nachwachsende Rohstoffe geerntet werden?“ Und sie dürfen nicht weit transportiert werden, wenn der Gewinn in der Ökobilanz nicht wieder durch den Transport aufgezehrt werden soll. Alles hängt mit allem zusammen. Eine lediglich als Versorgungsindustrie und Baustofflieferant betriebene Land- und Forstwirtschaft wird dem, was sie leisten kann und leisten muss, nicht mehr gerecht. Die IBA Thüringen macht den Vorschlag, sie einzubinden in eine neue Erzählung von der Region, in der kulturelle Aktivität, soziale Arbeit, Organisationstalent und die praktische Kompetenz zusammenfinden.

2324_SLthomasmueller_geskioskblankenburg

Einer der ersten vier Gesundheitskioske in Blankenburg, einer der Stützpunkte eines neues Gesundheits-, Pflege- und Versorgungsnetzwerk für die ländliche Region (©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller)

10.05.2017 Erfurt: Ausstellung Querdenker der Internationalen Bauausstellung Thüringen in der Kaufmannskirche. Foto: Thomas Müller

Die Wanderausstellung „STADTLAND: Kirche“ zeigt, wie mit dem Bestand an Kirchen in Thüringen umgegangen werden kann. (Foto: Thomas Müller)

Diese IBA nimmt ganze Bundesland in den Blick. Mehr als andere IBAs dringt sie dabei in die regionalen Verästelungen ein und untersucht sie hinsichtlich ihrer Potenziale und ihrer Defizite, aber eben vor allem daraufhin, wie sie die Orte zueinander in Bezug setzen. Viel mehr als bisher auf IBAs geht es um die kleinen Orte. Die Durchschnittsgemeinde in Thüringen hat gerade mal 3342 Einwohner. (Zum Vergleich: In Baden-Württemberg sind es 4800, in Nordrhein-Westfalen 28.000)(2). Wichtiger noch als die Größe sind die Angaben, mit denen die große Tafel im ersten großen Raum der Ausstellung aufwartet: Wie weit es zum nächsten Stadt mit Krankenhaus ist (11 Kilometer), zum Nachbarort „mit Bahnhof und Apotheke“ (3,5 Kilometer).

2324_SLthomasmueller_ausstellungOG

Blick in die Ausstellung im ersten Obergeschoss des Eiermannbaus. (Ausstellungsgestaltung: Studio Rustemeyer mit KrausLazos; Bild: Thomas Müller)

Was hat die IBA gemacht?


Mit dieser Einführung geht es im oberen Stockwerk dann um die konkrete Arbeit, die die IBA geleistet hat. Eine lange Reihe von Portraits macht deutlich, wie sehr das, was hier als ein Programm für eine zukünftige Gestaltung des Landes vorgeschlagen wird, die Menschen braucht, die sich engagieren, die Mut haben, die Verantwortung übernehmen und dafür auch ins Risiko gehen: als Bauherrinnen, Initiatoren, Vereinsgründer, Betreiberinnen.

 

17.02.2022 Schwarzburg: Schloss Schwarzburg, ein Projekt der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA. Foto: Thomas Müller

Schloss Schwarzburg im Schwarzatal ist heute „Denkort der Demokratie“. 1919 unterzeichnete Friedrich Ebert hier die Weimarer Verfassung. Rund 20 Jahre später, während der nationalsozialistischen Diktatur, wurde das Hauptgebäude der barocken Anlage bis zur Unkenntlichkeit verwüstet. 2021 wurden Emporen- und Ahnensaal im Hauptgebäude eröffnet. Foto: Thomas Müller

Denn sie arbeiten weiter, wenn das Haus errichtet, der Bau saniert ist, sie beleben den Raum, den Architekt:innen nur öffnen können. Hier geht es um Gesundheitskioske, in denen Menschen beraten, Unterstützung in Fragen der Gesundheitsvorsorge, der Mobilität, des Wohnens, der Pflege erhalten – getragen von einer Stiftung, unterstützt vom Land Thüringen. Im Landzentrum der Dorfregion Seltenrain in Sundhausen sind außerdem eine Mietpraxis, Räume für Bürgermeisterei und Vereine untergebracht. Es geht um Orte der sozialen Begegnung – der Bahnhof Rottenbach wird zum Laden, der gleichzeitig Bürgertreff ist. Es geht um die Sicherung der Kirchen als besondere Orte des Gemeinsamen. Um Orte, die der Demokratie dienen, wie das Schloss Schwarzenburg im Süden Thüringens

Man erfährt, wie die IBA mit der Stiftung trias Boden für das Gemeinwohl sichert, wie der Baustoff Holz eingesetzt werden kann, wie er mit computergestützten Methoden verarbeitet werden kann. Vor der Tür steht das IBA Timber Prototype House als Demonstrationsobjekt für neue Fertigungsmethoden im Holzbau. Man erfährt, wie man Bestände wieder aktivieren kann. Es wird anschaulich gemacht, wie Material, das aus alten Häusern geborgen wurde, wiederverwendet werden kann. Der Leerstand ist in Thüringen eine relevante Größe, er heißt im IBA-Sprech Leergut: „Der Gebäudebestand ist Speicher, Lager und graue Energie. Er ist unser kollektives Gedächtnis, ökonomischer Wert, Flächenreserve und Nutzungspotenzial für die Zukunft.“ Expert:innen – Leergut-Agenten – beraten bei der Wiedernutzung von leergefalleneme Bestand mit organisatorischem, bautechnischem, rechtlichem oder finanztechnischem Wissen, im Umgang mit Voreigentümern, Geldgebern und Verwaltung.

2324_SL_lammkirchreuss_Klimatool

Das Klimatool Freiraum bilanziert beispielhaft den CO2- bei der Freiraumgestalltung anhand des Nordparks in Nordhausen. (Lamm & Kirch mit Caspar Reuss, nach einer Vorlage von LINNEA Landschaftsarchitektur, Hannover und Kraus / Lazos Design Practice, Darmstadt)

Nordhausen im Norden Thüringens zeigt als Modellfall,  wie ein Umbau hin zu einem klimafreundlichen Bestand möglich ist. Ein Energie- und Klimakonzept für einen Plattenbau-Wohnhof wird vorgestellt, ein Rahmenplan für eine Plattenbausiedlung wurde erarbeitet, der Konzepte für Energie, Freiraum und Raumnutzung zusammenführt. Das Klimatool Freirraum zeigt, wie eine CO2-Bilanzierung bei Planung, Bau und Pflege aussehen kann. Ein Mobilitätskonzept für die 10-Minuten-Stadt und den 30-Minuten-Landkreis soll in diesem Jahr in die Umsetzung gehen.

Projekte allein sind keine Lösung


29.07.2020 Königsee-Rottenbach: Bahnhofladen im Bahnhof Rottenbach, ein Projekt der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA. Foto Thomas Müller

Der von einer Genossenschaft getragene Laden im Bahnhof Rottenbach im Schwarzatal wird auch als Bürgertreff genutzt. (Bild: Thomas Müller)

Nach dem Besuch der Ausstellung (auf die leider weder am Bahnhof noch in der Stadt selbst aufmerksam gemacht wird) macht man sich am besten auf. Nach Nordhausen. Nach Erfurt, ins Schwarzatal – es lohnt sich, auch wenn viele der Projekte noch nicht fertiggestellt sind. Es zeigt sich, dass die Laufzeit einer IBA zu kurz ist, wenn sie erst die Strukturen aufbauen muss, mit denen adäquat auf die aufgeworfenen Fragestellungen reagiert werden kann. Die IBA Thüringen ging daher auch den konsequenten Weg, die Projekte nicht als den eigentlichen Kern ihrer Arbeit darzustellen. Sie sind Teil der Lösung, Ausdruck einer Veränderung, aber letztlich geht es um neue Praktiken, ein anderes Mobilitätsverhalten, neue Organisationsformen, ein Miteinander, ein Weiterwirken nach der Fertigstellung eines Gebäudes. Um einen Sinnes- und Mentalitätswandel. Die Baukultur, die auch hier beschworen wird, versteht sich daher als eine, die die Qualität des Gebauten auch in seiner Entstehung, seinem Gebrauch sieht, vor allem aber in seiner Rolle für das Ganze, das aus Alltagspraktiken besteht, aus Handlungen, Gesprächen, Vereinbarungen, Vertrauen.

04.08.2017 Saalfeld - Beulwitz: Abschluss Sommerwerkstatt der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA und Sommerfest. Foto: Thomas Müller

Saalfeld-Beulwitz: Abschluss Sommerwerkstatt der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA und Sommerfest, 2017. (©IBA Thüringen, Foto: Thomas Müller)

Man mag fragen, ob diese IBA weit genug gekommen ist, ob sie das Miteinander romantisiert, ob die Wirkung der Initiativen weit genug reicht, um tatsächlich eine Veränderung zu bewirken. Aber ist das die richtige Frage? Muss sie nicht viel mehr lauten, wie das, was hier als notwendig und beispielhaft gezeigt wird, Teil einer Alltagspraxis in den Kommunen werden kann, wie es übertragen werden kann in Strukturen, die das ausweiten, was hier angelegt ist? Die IBA weiter zu verfolgen heißt nicht allein, das Begonnene zu verstetigen – so wichtig das schon ist – sondern es auszuweiten und zu vervielfachen.

Eine IBA, die sich, wie diese, so viel auf die Agenda gesetzt hat, die dazu Wege öffnet, ohne sie alle beschreiten zu können, dafür zu kritisieren, dass sie sich überfordert hat, zeigt vor allem eines: dass wir nicht mehr isoliert einzelne Aspekte zukünftiger Gestaltung des Zusammenlebens und unseres Lebensraums perfektionieren können. Das ist zu wenig. Eine Kritik an einer IBA sorgt letztlich nur dafür, das Versagen im Alltag zu bemänteln: Nicht das, was die IBA sich vorgenommen hat, ist eine Nummer zu groß, sondern die IBA ist für das, was ansteht, ein zu schwaches Instrument – ihre Qualität ist, genau das eindrucksvoll gezeigt zu haben. Die IBA Thüringen ist nun schon die neunte des 21. Jahrhunderts, Wien und der IBA Parkstad eingerechnet, vor 2000 waren es fünf. Es wird uns nicht helfen, eine nächste IBA auszurufen, wie schön und eindrucksvoll auch immer sie gelingen mag. Hat die IBA Heidelberg gezeigt, dass Verwaltung anders agieren können muss, zeigt diese IBA, wie wichtig es ist, Land- und Forstwirtschaft zu transformieren, regionale Vernetzungen in den Blick zu nehmen und zivilgesellschaftliches Engagement zu stützen und zu fördern, die Verbindung von Alltagsbewältigung und Infrastrukturen auf den Prüfstand zu stellen. Sind wir dazu bereit? Oder wollen wir notwendiges Handeln unter dem Deckmantel einer weiteren IBA weiter aufschieben?


IBA Abschlussausstellung ›StadtLand. Von Thüringen lernen‹.
Eiermannbau, Apolda, Auenstraße 11
Bis 29. Oktober.
Weitere Information >>>
Weiteres
Open Air Ausstellung Nordhausen. Bis 29. Oktober
Wanderausstellung ›STADTLAND:Kirche‹, Erfurt , bis 15. August
Begleitendes Rahmenprogramm
unter >>>
04.05.2023 Apolda: Publikationen zur Ausstellung zum Finaljahr der Internationalen Bauausstellung Thüringen IBA „StadtLand. von Thüringen lernen“ im Eiermannbau in Apolda. Foto: Thomas Müller

Foto: Thomas Müller

Publikationen zur Ausstellung im Finaljahr der IBA Thüringen
IBA Thüringen GmbH (Hg.: StadtLand Projekte. Für eine neue Raumpraxis. M Books, Weimar, 2023
IBA Thüringen GmbH (Hg.), StadtLand Perspektiven. Für eine neue Raumkultur. M Books, Weimar, 2023

 

 


(1) Stadt. Land. StadtLand. Plädoyer für eine neue territoriale Logik. S. 35-50. hier S. 47
IBA Thüringen GmbH (Hg.), M Books, Weimar, 2023
(2) Baden-Württemberg: https://www.statistik-bw.de/Presse/Pressemitteilungen/2021143
Nordrhein-Westfalen: https://www.haushaltssteuerung.de/weblog-kommunalstrukturen-in-nordrhein-westfalen.html