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Wettbewerbsgebiet. Grafik: Landeshauptstadt München
Chance vertan – nach langen Diskussionen wurde im Januar der städtebauliche und landschaftsplanerische Ideenwettbewerb für Münchens Nordosten entschieden. Den Wettbewerbsteilnehmern und -gewinnern kann man nicht vorwerfen, dass die Auslobung es nicht erlaubt hatte, das Potenzial der Fläche zu nutzen. Die Stadt wird so nicht weiter gebaut. Es drohen neue Stadtrandsiedlungen zu entstehen.

Diesem Wettbewerb geht eine langjährige Debatte um die städtebauliche Entwicklung des Nordostens der Stadt München voran. München wird in absehbarem Zeitraum um 300.000 Einwohner wachsen. Da alle Bemühungen um Nachverdichtung mühselig, langwierig und oft erfolglos sind, wird eine Ausdehnung der bebauten Stadtfläche unabwendbar sein. Innerhalb der sehr engen Grenzen des Münchner Stadtgebietes bietet der Nordosten nicht nur eine der wenigen Optionen, er bietet sich geradezu an. 600 Hektar große zusammenhängende Flächen werden vorwiegend landwirtschaftlich genutzt und im Osten von den Pferdesportanlagen begrenzt, die 1972 im Rahmen der Olympiade entstanden. Die S-Bahn zum Flughafen erschließt hier Dörfer und Felder mit drei Haltestellen, in die andere Richtung ist man nur 15 Minuten vom Marienplatz entfernt.

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Die drei Szenarien für 10.000, 20.000 und 30.000 Einwohner des Wettbewerbssiegers (rheinflügel severin, Düsseldorf, mit bbz landschaftsarchitekten berlin gmbh bdla, Berlin)

Gefechte um ein knappes Gut

Bis heute wird, seit 2011 die Vorbereitenden Untersuchungen zu einer SEM (Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach Besonderem Städtebaurecht) eingeleitet wurden, ein erbitterter Streit öffentlich ausgetragen. Eine SEM wird von den Grundstückseigentümern als Instrument zu Enteignungen verteufelt, die örtliche CSU plakatiert im Stadtbezirk seit Jahren „gegen Plattenbauten“, eine Initiative „Heimatboden“ agiert professionell auf allen Medienkanälen. Die Gemüter sind erhitzt. Dagegen hat sich in München eine breite bodenpolitische Allianz entwickelt, die an die Argumente von Alt-OB Vogel von 1972 anschließt, auch weil insgesamt die Grundstückspreise in München durch die Decke gehen und entsprechende sozialräumliche Verwerfungen die Folge sind. Die  „Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht“ ist zugleich in die bundesweite bodenpolitische Debatte stark eingebunden. Nicht nur in München ist „Boden das neue Gold“.

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Isometie des Vertiefungsausschnitts, rheinflügel severin, bbz landschaftsarchitekten berlin

Vor diesem Hintergrund kann man es auch als einen Versuch des Stadtrates werten, während der langen, über eine Jahr gestreckten Laufzeit eines Wettbewerbes die Wogen zu glätten. Der Eckdatenbeschluss erfolgte im Februar 2019, die Jurysitzung im Januar 2020. „Im Herbst 2020 ist ein offener Dialog zum weiteren Vorgehen mit den neu gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Politik geplant. … Je nach Nutzungsdichte können hier zirka 3.600 bis 10.600 Wohnungen zur Entlastung für den anhaltend hohen Wohnraumbedarf entstehen. Auf mindestens der Hälfte der Flächen soll jedoch auch dauerhaft Raum für bestehende Nutzungen, wie Landwirtschaft und Pferdesport, sowie für den Erhalt der wertvollen Landschaftselemente freigehalten werden,“ so heißt es auf den Seiten der Stadt München.

Der heftige stadtpolitische Konflikt um die städtebauliche Entwicklung des Nordostens beruht auf den Antagonismen unterschiedlichster Interessen: Grundstückseigentümer wollen an den immensen Preissteigerungen direkt partizipieren und plädieren für das in München etablierte Instrument der SoBoN. Bauern wollen ihre Äcker nicht verlieren. Anwohner wollen ihre ländliche Idylle inmitten der Stadt nicht aufgeben. Viele Münchner wollen sowieso, dass sich die Stadt nicht ändert und fühlen sich von der gegenwärtigen Dynamik überrollt. So versucht die Stadt München einerseits durch den Wettbewerb konkretere Bilder zu erzeugen, andererseits durch die moderate Vorgaben zukünftiger Ausnutzung „dauerhaft Raum für bestehende Nutzungen“ – siehe oben – zu garantieren.

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Szenarien für 10.000, 20.000 und 30.000 Einwohner von Cityförster architecture+urbanism, Hannover, mit freiwurf landschafts- architekturen, Hannover mit urbanegestalt PartGmbB, Köln. Sie wurden mit dem zweiten Platz ausgezeichnet.

Mehr wäre möglich gewesen

Eine Chance, innerhalb der engen Grenzen der Stadt Wachstum in größerem Umfang zu gestalten, ist damit aufgegeben. Die Vorgaben für die Teilnehmer waren, Konzepte in drei Stufen für 10.000, 20.000 und 30.000 Einwohner zu entwerfen. Erst mit 30.000 würde man die durchschnittliche Einwohnerdichte der Gesamtstadt München erreichen. Vorstadt war damit in der Auslobung vorprogrammiert, auch wenn das Planungsreferat von „einer überzeugenden Vision einer zukunftsweisenden Weiterentwicklung der besonderen Identitäten und Qualitäten Münchens“ spricht.

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„München Nordost verbindet die Sehnsüchte nach Stadt, nach Ländlichkeit und Wasser.“ Perspektive des Entwurfs von Cityförster, freiwurf und urbanegestalt

Stadtrand haben die drei Preisträger auf ihre Weise gut entworfen. Hätte die Auslobung aber die besonderen Identitäten und Qualitäten der beliebten Münchner Stadtteile wie Lehel, Schwabing, Neuhausen oder Au-Haidhausen zum Vorbild gehabt, wären eher 90.000 Einwohner die Zielgröße geworden. München leidet grundsätzlich an seiner Monozentralität, alles zielt auf die Kernstadt und insbesondere auf die Altstadt hin. Die gegenwärtige Wachstumsdynamik hätte die Chance geboten, neben Pasing im Westen auch im Osten der Stadt einen deutlichen Schwerpunkt auszubilden. Gute Voraussetzungen sind gegeben: Neben der erwähnten S-Bahn zu Flughafen wird ein ehemaliges Industrieareal am Ostbahnhof mit Wucht entwickelt, dort wird der lang ersehnte neue Konzertsaal entstehen, weiter im Osten liegen die neue Messe und der Stadtteil Riem auf dem ehemaligen Flughafengelände. Der Pferdesport hat sich teilweise weiter ins Umland verzogen. Die erwähnte Bahnstrecke wird vom neuen Nordzulauf zum Brenner Basistunnel tangiert, und damit rückt der notwendige Umbau der Trasse ins Blickfeld: Der geplante viergleisige Ausbau einschließlich Tunnellage der S8 ist sowieso die nötige Voraussetzung für die Anbindung des neuen Straßennetzes an den Stadtköper nach Westen. Wäre dieser Ausbau schon als Voraussetzung in den Wettbewerb eingegangen, dann wäre eine städtische Verdichtung entlang dieser zentralen Infrastrukturlinie die logische Folge gewesen. Wäre, hätte. So wurde mit der Arbeit von rheinflügel severin, Düsseldorf mit bbz landschaftsarchitekten berlin der Entwurf gekürt, der der Bahnachse so fern wie möglich bleibt, denn bislang ist sie nur ein Hindernis und eine Quelle von Lärm. Das gut strukturierende Freiraumkonzept zeichnet diesen Entwurf aus, das Preisgericht lobt den „landschaftlichen Ansatz“, im Duktus des Bestandes werden durch Freiraumbänder einzelne Siedlungsflecken miteinander verwoben. Das entwerfen rheinflügel severin und bbz landschaftsarchitekten berlin gekonnt. Aber es ist Siedlung, nicht Stadt. Ein Wettbewerb zeitigt keine besseren Ergebnisse, als es der Rahmen der Auslobung vorgibt.

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Die drei Stufen 10.000, 20.000 und 30.000 Einwohner des Drittplatzierten Teams aus performative architektur, Stuttgart, mit UTA Architekten und Stadtplaner GmbH, Stuttgart und Grüne Welle Landschaftsarchitektur, Grünkraut


Die Entwürfe sind gut dokumentiert auf den Seiten der Stadt München >>>

1. Preis
rheinflügel severin, Düsseldorf mit bbz landschaftsarchitekten berlin gmbh bdla, Berlin
2. Preis:
CITYFÖRSTER architecture+urbanism, Hannover mit freiwurf landschaftsarchitekturen, Hannover mit urbanegestalt PartGmbB, Köln
3. Preis
perfomative architektur, Stuttgart mit UTA Architekten und Stadtplaner GmbH, Stuttgart mit Grüne Welle Landschaftsarchitektur, Grünkraut
2017_SL_bauchplan_visualisierung-quartierAnerkennung:
bauchplan, München ).( mit Philippe Rahm Architectes, Paris
 

2017_SL_Vertiefungsbereich_mmwerkAnerkennung:
MM.WERK Architektur. Entwicklung. Forschung, Wien mit liebald+aufermann landschaftsarchitekten, München